Liebe Viviane Redding…

Man glaubt es ja kaum, wenn die EU-Medienkommissarin Viviane Reding auf der „ITU Telecom World“ in Hong Kong ein Loblied auf Freie Software, neue Kollaborationsformen und User-Empowerment singt: Web 2.0 fördert die Wissensverbreitung. Etwas abgemildert kann man auch sagen, dass sie vor dem Youth-Forum geredet hat und dort eventuell mit ihren üblichen Reden viel mehr Kritik ausgesetzt worden wäre, als wenn sie vor der Contentindustrie spricht.

Und da wir verschiedene Aussagen sicherlich nicht so schnell wieder hören, gibt es hie rmal ein paar Zitate zum dran erinnern:

1) Young people define the Information Society – For me, the young generation is at the heart of creativity, innovation, social and economic progress in our global village.

Schade dass die jungen Menschen so gut wie kein Mitspracherecht bei der Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen haben. Sicher würden die Gesetze Innovationsfreundlicher ausfallen, als es im Moment meist der Fall ist.

Dann folgt ein längerer Teil Web 2.0 – der neuen Welle. Am interessantesten ist davon sicherlich dies:

Web 2.0 is also a major disruptive force on the content side. On-line piracy is today the plague of the content industry in the broadband age. Hollywood claims that it lost $8 billion last year to piracy. The record industry estimates that almost 20 billion songs were illegally downloaded in 2005. The music industry has been particularly hard hit with global sales declining steadily over recent years, 2005 recorded a further 3% fall worldwide.

Hier ist es eher unpassend, offensichtliche Propagandazahlen zu nutzen, die schon vielmals widerlegt wurden. Aber das ist meine Meinung.

Many young people think that content should be free. In their view, piracy is directed towards the well padded wallets of rich industrialists. But, they forget that the vast numbers of struggling musicians, actors, designers and film makers depend upon copyright protection systems to make a living. Without protection of intellectual property rights there cannot be creativity and content.

Man könnte die Frau auch daran erinnern: Viele junge Menschen denken, dass Filesharing so legal sein müsste wie das aufnehmen von Musik aus dem Radio, als wir noch jünger waren. Oder der Austausch von Kassetten und CDs auf den Schulhöfen, bevor die Privatkopie mit der Europäischen Urheberrechtsdirekte und Kopierschutzsystemen politisch und technisch abgeschafft wurde. Und es meist unverständlich ist, weshalb dafür jetzt bis zu drei Jahre Gefängnis drohen sollen. Hier müssen neue Formen her, die Künstler, Musiker, Designer, Filmemacher und andere Kompensieren, aber trotzdem Freiheiten erhalten. Aber kein Knast.

On the other hand, it is clear that our system of intellectual property protection has not kept pace with progress. Content production based on the reuse of existing materials – such as sampling or mash-ups – is also creative and should not be penalised per se. Open source software developers should not face excessive, criminalising measures when they unintentionally infringe software IPRs rights hidden away inside of the systems that they use. Governments should also look more positively at the social, creative and economic benefits of the Linux movement.

Ja genau. Das sagen wir auch immer: Die derzeitige (und in Deutschland auch zukünftige) Urheberrechtsgesetzgebung ist von gestern, auch wenn sie gerade erst renoviert wird. Danach ist sie eigentlich noch mehr von gestern als heute. Das mit der Kreativität von MashUps und Sampling ist auch eine tolle Sache, allerdings vollkommen unkompatibel mit Digital Restriction Management Systemen, wie Frau Redding sie in anderen Reden gerne wünscht und politisch unterstützt! Erfreulich ist das Bekenntnis für Freie Software und die damit verbundenen neuen kollaborativen Innovationsprozesse.

Kommen wir zu ihren Schlussfolgerungen:

There is much that ICTs can do for young people. But to paraphrase, John F. Kennedy, „ask not what ICTs can do for you but what you can do for society with ICTs“.

I believe these are exiting times to be young. The ICT industry itself has been in permanent revolution for the past 40 years. The revolutions seem to be speeding up. There are opportunities for your generation also to make an impact and to help rewrite the rules of the game. I hope some of those present today will be amongst the business leaders of tomorrow.
[…]
I admit that this is a dream, but shared dreams often can come true, if you believe in them. And it is the young people that have the energy and the vision to make these dreams real.

Liebe Frau Frau Redding, wir machen das schon. Wichtig sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen, dass wir auch kulturelle, soziale und technische Innovationen machen dürfen. Und dabei nicht mit einem Bein im Knast stehen, vor dem Eintritt in das Berufsleben in die Pleite abgemahnt wurden oder die Angst mitspielt, irgendwas zu revolutionieren. Die Wissensgesellschaft wäre schon viel weiter, wenn viele Firmen und freie Projekte nicht ständig Angst davor hätten, mit neuen Produkten von der Film- oder Musikindustrie vom Markt geklagt zu werden.

Ich würde ihr das ja auch gerne mal persönlich sagen, mit ihr darüber diskutieren und sie auch mal loben und nicht immer nur kritisieren. Aber vermutlich werde ich sie niemals offline treffen. Also bleibt es nur bei diesem schnell geschriebenen Blog-Eintrag.

4 Ergänzungen

  1. „Viele junge Menschen denken, dass Filesharing so legal sein müsste wie das aufnehmen von Musik aus dem Radio, als wir noch jünger waren. Oder der Austausch von Kassetten und CDs auf den Schulhöfen, bevor die Privatkopie mit der Europäischen Urheberrechtsdirekte und Kopierschutzsystemen politisch und technisch abgeschafft wurde.“

    Erstens ist die Privatkopie in Deutschland immer noch legal. Zweitens zeugt es von enormem Realitätsverlust das Keassettentauschen auf dem Schulhof mit Filesharing gleichzustezen. Das ist schlicht und ergreifend albern. Filesharing wäre in eher so als würde man eine Palette voll mit ein paar tausend gebrannten Musik-CDs auf den Schulhof stellen und jeder der Vorbeikommt darf sich bedienen. Nur mal so nebenbei: Die Privatkopie nach deutschem Urheberrecht setzt voraus dass man die Menschen persönlich kennt, denen man eine Privatkopie schenkt! Das trifft bei Filesharing ja wohl kaum zu.

  2. Klar ist die Privatkopie noch legal, aber meist nur noch auf dem Papier. Wo Koierschutz/DRM verwendet wird, darf der Verbraucher von diesem Recht keinen Gebrauch machen. Ich will ein durchsetzungsfähiges Recht auf Privatkopie und bis das mal durchgesetzt ist, bleibe ich bei meinem Statement.

    Und der „enorme Realitätsverlust“ stützt nicht gerade Deine Argumentation. Wir leben mittlerweile in einer many-to-many Medienwelt, die eine Weiterentwicklung des, das letzte Jahrhundert dominierendem, 1-many Systems ist. Insofern ist dies für mich eine technologische und kulturelle Weiterentwicklung und Filesharing ist eine Ausdrucksmöglichkeit in einer globalisierten Welt. (Bei Social Networks kennt man ja auch nicht jeden persönlich, den man als Freund oder Kontakt added). Ähnlich sehe ich das mit Filesharing. Und es löst keine Probleme, diesen „Geist“ mit der Strafrechtskeule wieder zwanghaft zu versuchen, in die Flasche zu treiben. Das hat mit Radios nicht geklappt (Hey, ein Massenmedium, 1-many, wo alle Radios am Anfang als Piraten diffamiert wurden), mit Kassetten auch nicht und es wird auch nicht mit Filesharing klappen. Es löst keine Probleme, sondern verschärft sie nur noch. Und ich interessiere mich eher für Lösungen der Zukunft als für vermeintliche Problemlösungen, die schon früher Innovation verhindert haben.

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