Die US-Regierung hat heute die Unabhängigkeit von ICANN mit der Veröffentlichung eines Joint Project Agreement verkündet. Zu den Hintergründen hab ich die ICANN-Expertin Dr. Jeanette Hofmann vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) für ein Netzpolitik-Interview befragt.
netzpolitik.org: Kann man wirklich von einem historischen Tag für das Internet reden?
Jeanette Hofmann: Das würde ich für etwas überzogen halten. Der zweite, für das Internet viel wichtigere Vertrag zwischen dem amerikanischen Department of Commerce und und IANA, der Internet Assigned Numbers Authority, besteht ja weiterhin.
netzpolitik.org: Kann man von einer Öffnung von ICANN sprechen?
Jeanette Hofmann: Ja, das würde ich schon sagen. Begrifflichkeiten wie „fact based policy development“ und „cross community deliberations“ verweisen auf Akteure außerhalb von ICANNs Dunstkreis, deren Urteil offenbar künftig ernster genommen werden muss. Wichtig in diesem Zusammenhang sind auch die neu eingeführen „review teams“, deren Zusammensetzung ja unter anderem von dem Vorsitzenden des Governmental Advisory Committees bestimmt werden. Hier rollt die Obama Verwaltung den seit Jahren über mangelnde Einflussmöglichkeiten klagenden Regierungen einen schmalen roten Läufer aus, der sich womöglich mal in eine internationales Aufsichtsgremium entwickelt. Die offene Frage dabei ist natürlich, ob die zivilgesellschaftlichen Interessengruppen auch mitmachen dürfen oder wieder auf die Zuschauerbank verwiesen werden.
netzpolitik.org: Es wurden vier neue Gremien angekündigt. Was sind ihre Aufgaben?
Jeanette Hofmann: Die neuen „review teams“ treten an die Stelle der Aufsichtsfunktionen, die bislang von der US Regierung wahrgenommen worden. Sie sollen für ICANN’s „accountability“ sorgen. Das heißt, sie sollen sicherstellen, dass ICANN von den verschiedenen Nutzergruppen des Internet zur Rechenschaft für seine politischen Entscheidungen gezogen werden kann. Die US Regierung hat vier Zuständigkeitsbereiche benannt, die im Abstand von drei Jahren zu evaluieren sind. Interessanterweise wird im Rahmen dieser neuen Aufsichtsstrukturen künftig auch die Arbeit des ICANN Direktoriums einer Evaluierung unterzogen.
netzpolitik.org: Wie werden die vier Gremien personell zusammen gesetzt?
Jeanette Hofmann: Hier hält sich die US-Regierung ein wenig bedeckt. Klar festgelegt ist lediglich, wer die Zusammensetzung bestimmt: der Vorsitzende des Regierungsbeirats sowie entweder der Chef (CEO) von ICANN oder der Direktoriumsvorsitzende. Hinzukommen wohl unabhängige Experten und die in ICANN organisierten Interessenvertreter, das sind Repräsentanten der einzelnen Gremien, die Regeln für das Domainnamensystem und den Adressraum formulieren.
netzpolitik.org: Behalten die USA den Zugriff auf die Root-Server?
Jeanette Hofmann: Aber sicher doch!
netzpolitik.org: Wieviel Macht haben die neuen Gremien?
Jeanette Hofmann: Die review teams haben keine Sanktionsmacht. Wir sehen in der internationalen Entwicklung mehr und mehr solche Gremien ohne formale Entscheidungskompetenzen. Niemand weiß, ob es sich hierbei um eine Luftnummer handelt oder um ein kluges Gegenmodell zu mächtigen, aber politisch diskreditierten Organen wie dem UN-Sicherheitsrat.
netzpolitik.org: Vielen dank für das Interview.
Vor zwei Jahren hatte ich Jeanette Hofmann schonmal ausführlich über ICANN und Internet Governance für den Netzpolitik-Podcast 047 interviewt.
super, danke für dieses interview..
werds gleich mal weiterposten auf
http://www.dasinterview.net