Wolfgang Bosbach rechtfertigt die Vorratsdatenspeicherung mit falschen Behauptungen. In einem Interview stellt er gleich mehrere Thesen auf, die wir an dieser Stelle korrigieren. Vorratsdaten sind nicht nur für schwere Straftaten, können nicht nur mit Richterbeschluss abgefragt werden, sind schon missbraucht worden und führen nicht zur besseren Aufklärung.
Langsam können wir „Vorratsdatenspeicherung erklären“ als Service einführen. Nach dem Kompetenzteam der SPD nehmen wir uns heute Wolfgang Bosbach vor. Der CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages durfte heute morgen dem Deutschlandfunk etwas zur größten Überwachungsmaschinerie der Menschheitsgeschichte und dem Totalversagen der Bundesregierung sagen. Dabei rechtfertigte er auch die Vorratsdatenspeicherung:
Es geht darum, dass die Verbindungsdaten dort bleiben, wo sie anfallen, nämlich bei den Providern und nur zur Abwehr oder Aufklärung von schweren Straftaten und nur dann, wenn ein Richter zuvor den Zugriff erlaubt hat, dürfen diese Daten von den Sicherheitsbehörden des Staates zur Abwehr und Aufklärung von Straftaten genutzt werden. Wir hatten ja einmal Vorratsdatenspeicherung, und ein Fall des Missbrauches ist überhaupt nicht bekannt geworden. Wer das nicht will, muss den Menschen die Wahrheit sagen, und das bedeutet: Bleibt es bei der jetzigen Rechtslage, dass wir keine Mindestspeicherfristen haben, bleibt es auch dabei, dass wir jedes Jahr viele Straftaten nicht aufklären können, weil es als Ermittlungsansätze nur die Daten gibt, die aber längst gelöscht sind.
Da stecken gleich mehrere Behauptungen drin, die wir so nicht stehen lassen können.
Nicht nur schwere Straftaten
Bosbach behauptet: Die Vorratsdaten sind „nur zur Abwehr oder Aufklärung von schweren Straftaten“.
Fakt ist: Das Gesetz von 2007 spricht nicht nur von Straftaten und deren Vorbereitung, sondern auch von Straftaten, die „mittels Telekommunikation begangen“ werden. Also auch die Beleidungung am Telefon. Keinesfalls also nur von „schweren Straftaten“. Terrorismus findet sich in den Paragrafen schon gar nicht, obwohl damit die anlasslose Massenüberwachung eigentlich mal begründet wurde.
Auch ohne Richterbeschluss
Bosbach behauptet: „[Nur] dann, wenn ein Richter zuvor den Zugriff erlaubt hat, dürfen diese Daten von den Sicherheitsbehörden des Staates zur Abwehr und Aufklärung von Straftaten genutzt werden.“
Fakt ist: Der Richterbeschluss ist die Standard-Ausrede der Befürworter. Der gilt für normale Polizeibehörden und Kriminalämter, die allerdings auch in anderen Staaten keinen unmittelbaren Zugriff auf die Datenberge von Geheimdiensten haben. Für Geheimdienste ist jedoch nicht immer ein Richterbeschluss notwendig. So regeln die Gesetze für Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und militärischen Abschirmdienst zwar Zugriffsbefugnisse auf alle möglichen Datenquellen. Das Wort „Richter“ taucht jedoch nur ein einziges Mal auf, beim Abhören des „in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene [Wortes]“ – und kann auch dort nachgeholt werden.
Stattdessen gibt es definierte technische Standards und Schnittstellen zur Abfrage der Daten, ohne dass die Telekommunikationsanbieter das mitbekommen. Das Standardisierungs-Gremium ETSI bezeichnete Erich Möchel schon vor vier Jahren als „Tochterfirma der GCHQ“ – das mit Tempora einmal den kompletten Internet-Verkehr mitschneidet.
Das Gesetz erlaubte übrigens auch gleich die Speicherung der Daten direkt in anderen EU-Staaten, damit auch in Großbritannien.
Es ist keine Verschwörungstheorie mehr, anzunehmen, dass Geheimdienste, auch deutsche, eine komplette Kopie der Vorratsdaten gezogen haben und das weiterhin tun. Im Sinne der versprochenen Transparenz über Überwachungspraktiken lasse ich mir gerne öffentlich nachprüfbar das Gegenteil beweisen.
Missbrauchte Vorratsdaten
Bosbach behauptet: „[Ein] Fall des Missbrauches ist überhaupt nicht bekannt geworden.“
Fakt ist: Nicht nur einer, wir haben schon mindestens fünf belegte Fälle.
- In Polen hat die Militär-Staatsanwaltschaft versucht, mit den Vorratsdaten eines Redakteurs der Zeitung „Rzeczpospolita“ einen Informanten zu finden.
- In Frankreich wurden die Verbindungsdaten eines Journalisten von Polizei und Inlandsnachrichtendienst ausspioniert, der über die Bettencourt-Affäre recherchierte.
- In Tschechien hat sich ein Polizist illegal Zugriff auf die Vorratsdaten mehrerer Personen verschafft, darunter auch von engsten Mitarbeitern des Präsidenten Klaus sowie vom Vorsitzenden des Verfassungsgerichtshofs.
- In Irland hat eine Polizistin die Vorratsdaten ihres Ex-Freundes ausgespäht. Sie wurde nie verurteilt und durfte ihren Job behalten.
- In den Niederlanden hat ein IT-Journalist auf Unsicherheiten von E-Mail-Accounts des Verteidigungsministeriums hingewiesen und wurde daraufhin angezeigt. In den Akten tauchten nicht nur seine Vorratsdaten auf, sondern auch alle Vorratsdaten seiner Freunde mit dem selben Vornamen.
Und das sind nur einige belegte Fälle der Vorratsdatenspeicherung. Immer wieder werden die Daten von Telekommunikationsanbietern zweckentfremdet, mal um den griechischen Premierminister zu überwachen, mal um eigene Mitarbeiter zu überwachen.
Mittlerweile haben wir ja schriftlich, dass nicht nur chinesische, sondern auch westliche Geheimdienste Netzwerke hacken und riesige Datenmengen klauen. Die Vorratsdaten sind dafür lohnenswerte Ziele.
Keine bessere Aufklärungsquote
Bosbach behauptet: Ohne Vorratsdatenspeicherung „[können] wir jedes Jahr viele Straftaten nicht aufklären.“
Fakt ist: Mit Vorratsdatenspeicherung werden nicht mehr Straftaten aufgeklärt als ohne. Das lässt sich mit den offiziellen Zahlen der Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts belegen, was wir hier für die Zahlen von 2009 und 2011 verbloggt haben. Nicht nur das: Straftaten mit dem „Tatmittel Internet“ werden häufiger aufgeklärt als im Gesamtdurchschnitt:
Fazit
Vier Thesen, vier mal falsch. Stattdessen hat die Vorratsdatenspeicherung nicht nur wenig Vorteile, sondern auch jede Menge Nachteile, die auch das Bundesverfassungsgericht benennt:
Besonderes Gewicht bekommt die Speicherung der Telekommunikationsdaten weiterhin dadurch, dass sie selbst und die vorgesehene Verwendung der gespeicherten Daten von den Betroffenen unmittelbar nicht bemerkt werden, zugleich aber Verbindungen erfassen, die unter Vertraulichkeitserwartungen aufgenommen werden. Hierdurch ist die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.
Bosbachs Aussagen könnten als lustig durchgehen. Wenn er als Vorsitzender des Innenausschusses nicht verantwortlich für die Themen Sicherheit und Grundrechte wäre. So muss er sich in die Reihe konservativer Politiker einreihen, die Sascha Lobo drüben bei SpOn treffend bewertet.
habe bei „bosbach“ aufgehört zu lesen.
dessen worte sind mir keine sekunde meiner lebenszeit wert.
Ich hab euren Artikel mal in eine Mail verwandelt :)
Sehr geehrter Herr Bosbach,
also der Abgeordnete des Wahlkreises in dem ich zuletzt zur Bundestagswahl 2009 wählen durfte, möchte ich sie hiermit auf einen kleinen inhaltlichen Fehler hinweisen, den sie heute morgen in ihrem Interview im Deutschlandfunk ausgesprochen haben.
Die behaupteten, PRISM habe nichts mit der Vorratsdatenspeicherung gemein. Hierzu nannten sie einige Gründe, die leider oft in diesem Zusammenhang genannte werden, allerdings nicht ganz richtig sind.
Sie sagten:
Es geht darum, dass die Verbindungsdaten dort bleiben, wo sie anfallen, nämlich bei den Providern und nur zur Abwehr oder Aufklärung von schweren Straftaten und nur dann, wenn ein Richter zuvor den Zugriff erlaubt hat, dürfen diese Daten von den Sicherheitsbehörden des Staates zur Abwehr und Aufklärung von Straftaten genutzt werden. Wir hatten ja einmal Vorratsdatenspeicherung, und ein Fall des Missbrauches ist überhaupt nicht bekannt geworden. Wer das nicht will, muss den Menschen die Wahrheit sagen, und das bedeutet: Bleibt es bei der jetzigen Rechtslage, dass wir keine Mindestspeicherfristen haben, bleibt es auch dabei, dass wir jedes Jahr viele Straftaten nicht aufklären können, weil es als Ermittlungsansätze nur die Daten gibt, die aber längst gelöscht sind.
In dieser Aussage stecken drei inhaltliche Fehler:
Sie beziehen sich hier auf das Gesetz zur VDS von 2007. Dieses Gesetz spricht nicht nur von Straftaten und deren Vorbereitung, sondern auch von Straftaten, die “mittels Telekommunikation begangen” werden. Also auch die Beleidungung am Telefon. Keinesfalls also nur von “schweren Straftaten”.
Der genannte Richterbeschluss gilt für normale Polizeibehörden und Kriminalämter, die allerdings auch in anderen Staaten keinen unmittelbaren Zugriff auf die Datenberge von Geheimdiensten haben. Für Geheimdienste ist jedoch nicht immer ein Richterbeschluss notwendig. So regeln die Gesetze für Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und militärischen Abschirmdienst die Zugriffsbefugnisse auf alle möglichen Datenquellen – ein „Richterbeschluss ist hier nur beim Abhören des “in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene [Wortes]” notwendig. Selbst hier kann er allerdings nachgereicht werden.
Sie behaupten, dass bisher keine Missbrauchsfälle bekannt seien. Dies ist leider absolut falsch – wäre dem nicht so, so würden sich ja auch nicht so viele Menschen über Überwachungstechnologien aufregen. Lediglich exemplarisch kann ich Ihnen hier ein paar Fälle aufzählen:
In Polen hat die Militär-Staatsanwaltschaft versucht, mit den Vorratsdaten eines Redakteurs der Zeitung “Rzeczpospolita” einen Informanten zu finden.
In Frankreich wurden die Verbindungsdaten eines Journalisten von Polizei und Inlandsnachrichtendienst ausspioniert, der über die Bettencourt-Affäre recherchierte.
In Tschechien hat sich ein Polizist illegal Zugriff auf die Vorratsdaten mehrerer Personen verschafft, darunter auch von engsten Mitarbeitern des Präsidenten Klaus sowie vom Vorsitzenden des Verfassungsgerichtshofs.
In Irland hat eine Polizistin die Vorratsdaten ihres Ex-Freundes ausgespäht. Sie wurde nie verurteilt und durfte ihren Job behalten.
In den Niederlanden hat ein IT-Journalist auf Unsicherheiten von E-Mail-Accounts des Verteidigungsministeriums hingewiesen und wurde daraufhin angezeigt. In den Akten tauchten nicht nur seine Vorratsdaten auf, sondern auch alle Vorratsdaten seiner Freunde mit dem selben Vornamen.
Und das sind nur einige belegte Fälle der Vorratsdatenspeicherung. Immer wieder werden die Daten von Telekommunikationsanbietern zweckentfremdet, mal um den griechischen Premierminister zu überwachen, mal um eigene Mitarbeiter zu überwachen.
Mittlerweile haben wir ja schriftlich, dass nicht nur chinesische, sondern auch westliche Geheimdienste Netzwerke hacken und riesige Datenmengen klauen. Die Vorratsdaten sind dafür lohnenswerte Ziele.
Die Gefahr eines solchen Missbrauchs ist für eine demokratische Gesellschaft viel zu hoch, deswegen bitte ich Sie, noch einmal über die Vor- und Nachteile einer Vorratsdatenspeicherung nachzudenken.
Als an diesem Gesetz beteiligte Fraktion kann es natürlich sein, dass die VDS tatsächlich nur in dem von ihnen dargestellten Sinne verwirklicht haben wollten. Unter diesen Umständen wäre allerdings eine Änderung des Gesetzestextes nötig.
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.
Als Bundestagsabgeordneter haben Sie aber sicherlich genug zu tun, und ich wäre mit einer Kenntnisnahme bereits vollkommen zufrieden.
Mit freundlichen Grüßen,
vielleicht in diesem Zusammenhang auch interessant: Sollten sich „anständige Bürger“ wegen der Überwachung sorgen? – Ein Erfahrungsbericht aus den Schattenkriegen
Ah, da wird der Link ja schon genannt. :)
Ich wollte ihn gerade als Missbrauchsfall Nr.6 vorschlagen.
Da könnte man doch mal einen Aufruf starten:
Wer hat schon ähnliches erlebt?
http://www.n-tv.de/politik/Innenminister-Friedrich-fordert-privaten-Datenschutz-article11002271.html
ob juristen friedrich klar ist, das in deutschland nicht nur it´s leben und das durch gewollte eingebaute hintertüren bei microsoft, um beim skype zu schnüffeln, die menschen so ziemlich machtlos sind?
sprich microsoft mit windows quasi spiomagesoftware verkauft in deutschland.
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„“ In der Spalte „Inhalte preisgegeben“ steht bei Skype jeweils die Zahl Null – die NSA-Anfragen sind ja auch geheim. Allerdings, warnt Microsoft könnten natürlich „Kriminelle oder Regierungen“ unter Umständen auf die Endpunkte eines Gesprächs zugreifen. “
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/wie-microsoft-mit-fbi-nsa-und-cia-kooperiert-a-910863.html
Die Irreführung der Öffentlichkeit wird auch noch mit einem „Preis für Zivilcourage des Düsseldorfer Freundeskreises Heinrich Heine“ bedacht. Man achte besonders auf die Begründung:
„…weil er die Öffentlichkeit ungeschminkt über die jeweilige Situation informiert und damit zum Verständnis der oft sehr komplizierten Umstände beiträgt…“
„…Bosbach engagiere sich „sehr mutig“ für Gerechtigkeit und Aufklärung…“
Lieber Heinrich Heine,
es tut mir leid, daß Sie solche „Freunde“ in Düsseldorf haben MÜSSEN (Sie können sich ja nicht mehr wehren), daß Ihr Name, Ihre Person und die Bedeutung Ihres Werke durch diesen Verein und diese Preisverleihung missbraucht und entehrt werden.
Sie und manch einer Ihrer Dichterkollegen (wie z.B. Georg Büchner) müssen leider immer wieder für eine Preisvergabe-Inzucht in einem Machtmarionettentheater herhalten.
Mögen Sie am 21.08.2013 aus Ihrem Grab emporsteigen, schnell zu der Preisverleihung hinfliegen und dem dort stattfindenden geistigen & geschichtlichen Analphabetismus mal ordentlich die Leviten lesen!
Hochachtungsvoll
Ihr Elefant
http://www1.wdr.de/themen/infokompakt/nachrichten/nrwkompakt/nrwkompakt18458.html
http://www.focus.de/regional/duesseldorf/literatur-bosbach-bekommt-preis-fuer-zivilcourage_aid_1039882.html
Danke an Herrn Bosbach, dafür, dass er alle Irrtümer die über die Vorratsdatenspeicherung kursieren mal schön kompakt zusammengefasst hat.
Schön zu sehen, dass Bosbach wieder der Alte ist. Ich hab mir schon Sorgen gemacht, dass er einen Hirntumor oder sowas hätte, weil er ja kürzlich sogar pro Bürgerrechte argumentiert hat. Aber eigentlich konnte ich mir nicht denken, dass so ein Betonkopf plötzlich seine Meinung um 180 Grad Richtung Freiheit und Vernunft dreht.
Da haben Sie viele Leute aber schön getrollt, Herr Bosbach! Chapeau!
Was die erste These angeht bezieht sich Bosbach wohl auf die Rechtsprechung des BVerfG, das in seinem Urteil (und in der vorigen einstweiligen Anordnung) die Verwendung auf schwere Straftaten eingeschränkt hat.