Telegram-Gründer DurovFestnahme mit Risiken und Nebenwirkungen

Dass der Telegram-Chef in Frankreich festgenommen wurde, sorgt für starke Bilder. Das ist Symbolaktionismus und ein versteckter Angriff auf Verschlüsselung. Es gäbe bessere Werkzeuge, auf die mangelnde Moderation von Telegram einzuwirken. Ein Kommentar.

Ein Telegram-Logo hinter Gittern.
Was bringt die Festnahme? – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ZUMA Press Wire

Am Samstag wurde Telegram-Chef Pavel Durov an einem Pariser Flughafen festgenommen, mittlerweile ist sein polizeiliches Gewahrsam bis Mittwoch verlängert worden. Seit Montag ist bekannt: Durov wird verdächtigt, sich mitschuldig an zahlreichen Straftaten gemacht zu haben, darunter Drogenhandel und Kindesmissbrauch. Das geht aus einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft hervor.

Telegram gilt inzwischen als einer der meistgenutzten Messenger der Welt. Längst verwenden Menschen den Dienst nicht mehr nur zum Austausch privater Nachrichten. In großen Gruppen oder Verlautbarungskanälen finden sich teils tausende Teilnehmende zusammen. Man findet dort profane Alltagskommunikation genauso wie ungehindert verbreiteten Hass und Angebote zur Bestellung des nächsten Koks-Taxis. Telegram wird aber auch genutzt, um Protest gegen autoritäre Regierungen in Ländern zu organisieren, in denen sonst fast keine Kommunikation mehr möglich ist.

Die französische Staatsanwaltschaft gibt als Grund für Durovs mutmaßliche Mitschuld an Straftaten Telegrams mangelnde Moderation und Kooperationsbereitschaft gegenüber den Behörden an.

Erratische Moderation

Was Telegram auf seiner Plattform duldet und was nicht, wirkt äußerst erratisch. Nach eigenen Angaben beschränkt Telegram „Aktivitäten, die in den meisten Ländern als illegal angesehen werden“ und legt das offenbar genau so schwammig aus wie es klingt. Einige Kanäle des Verschwörungsideologen Attila Hildmann beispielsweise löschte der Messenger-Dienst. Andere rechtsradikale Tummelplätze bleiben hingegen unbehelligt. Und während Drogen-Shops so leicht aufzufinden sind wie der nächste Späti in Berlin, verschwindet islamistische Propaganda häufig von der Plattform.

Dabei arbeitet Telegram durchaus mit Behörden zusammen und folgt Anordnungen von Europol oder dem BKA. Und auch wenn das Unternehmen sich lange damit brüstete, keine Nutzer:innendaten an Behörden zu geben, ist die Realität auch hier wohl längst eine andere.

Man kann sich trotzdem leicht vorzustellen, dass das volatile Verhalten von Telegram den Behörden ein Dorn im Auge ist. Was die Festnahme immerhin leistet: Sie sendet ein Signal an Tech-Barone wie Pavel Durov und oder Elon Musk, dass sie sich mit den von ihnen kontrollierten Plattformen nicht alles erlauben können. Doch ist Signalaktionismus hier das Richtige?

Unerwünschte Nebenwirkungen

Die Aktion bleibt nicht ohne unerwünschte Nebenwirkungen. So liefert sie etwa Futter für Durovs fragwürdige Selbstinszenierung als Kämpfer für Rede- und Meinungsfreiheit, der einst Russland verlassen musste, weil sein Dienst den dortigen Behörden nicht genehm war. Bis heute vermarktet sich Telegram als sicherer Hafen für Unterdrückte, dabei ist die Kommunikation dort nur teilweise verschlüsselt. In Direktkonversationen müssen „geheime Nachrichten“ erst aktiviert werden, auf verschlüsselte Gruppen-Chats warten Nutzer:innen seit langem vergebens.

Außerdem ist die Verhaftung eine Steilvorlage für Russland, um eine Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Europa anzuprangern. Es ist eine Chance, die der Kreml sich nicht entgehen lässt: Da Durov sowohl französischer als auch russischer Staatsbürger ist, verlangt Moskau konsularischen Zugang zu Durov. Dass ebenjener Staatsbürger vor ein paar Jahren noch unerwünscht war, interessiert die russische Regierung heute nicht mehr.

Ausgeschlachtet wird Durovs Festnahme auch von den Verschwörungsideologen und Rechtsradikalen, die auf Telegram eine Heimat gefunden haben. In den entsprechenden Kanälen schwingen sich die Empörten gegenseitig auf.

Kampf gegen Verschlüsselung

Besonders problematisch ist, dass die Behörden Durov auch das bisschen Verschlüsselung zum Vorwurf machen, das Telegram anbietet. Genauer gesagt kritisiert die Staatsanwaltschaft die „Bereitstellung von Krypto-Diensten zur Gewährleistung der Vertraulichkeit ohne zertifizierte Anmeldung“. Seit ein paar Jahren ist es in Frankreich vorgeschrieben, dass Verschlüsselungsangebote registriert werden müssen. Bis zu zwei Jahren Haft oder 30.000 Euro Strafe stehen auf Verstöße.

Das eine solche Regelung in einem demokratischen Land überhaupt besteht, ist fatal. Zuletzt hatte sich die französische Justiz aus dem gleichen Straftatenkatalog bedient, um sich im Februar den vermeintlichen Encrochat-Chef ausliefern zu lassen – unter anderem, weil er ein Verschlüsselungsgerät ohne vorherige Erklärung gegenüber den Behörden angeboten hatte.

Gesetze wie diese öffnen Tür und Tor für Missbrauch, wenn staatlichen Behörden ein Verschlüsselungsdienst nicht genehm ist. Und sie bringen viele Projekte für sichere Infrastruktur in Gefahr, die ihre Programme auch in Frankreich anbieten. Sie schrecken ab. Dass Telegram gerade das Gegenteil eines betonharten Verschlüsselungstools ist, spielt dabei kein Rolle. Sollten die Behörden diesen Vorwurf weiter verfolgen, geht es um weit mehr als den Umgang mit Telegram oder Pavel Durov. Dann geht es um den Umgang mit Technologie, die essenziell ist für unsere sichere Kommunikation.

Warum nicht der Digital Services Act?

Im Lichte dieser Fakten wirkt die Festnahme Durovs mehr als zweifelhaft. Hätten die EU-Staaten nicht andere Möglichkeiten als eine Festnahme gehabt? Eigentlich wäre doch der Instrumentenkasten des Digital Services Act (DSA) einschlägig. Plattformen nach klaren Regeln zur Verantwortung ziehen – genau dafür wurde der DSA geschaffen.

Wie andere Tech-Unternehmen versucht Telegram, den DSA zu umgehen. Während das Unternehmen mit seinen weltweit bald eine Milliarde Nutzer:innen prahlt, will es in der EU nur 41 Millionen Nutzer:innen haben. Das ist praktischerweise knapp unter der Schwelle für besonders große Plattformen, für die besonders strenge Regeln gelten. Zwar behauptet der Dienst in seiner Stellungnahme, man halte alle Regeln ein. Aber glaubwürdig ist das nicht.

Seit mehreren Monaten prüft die EU, Telegram strenger unter dem DSA einzustufen. Und sie hätte auch Möglichkeiten, den Dienst für seine bisherigen Versäumnisse zur Verantwortung zu ziehen. Doch damit das wirksam werden kann, müssen die zuständigen Behörden das so konsequent und auch transparent wie möglich tun. Mit einem Vorgehen, über das bisher nur wenig öffentlich bekannt ist, befeuern sie vielmehr eine weitere Legendenbildung eines Superreichen als eine echte Lösung der Probleme.

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15 Ergänzungen

  1. Die Aktion ist mehr als durchsichtig und dient dazu Telegram im besonderen und verschlüsselte private Kommunikation im Allgemeinen zu diskreditieren. Es zeigt deutlich was Staaten in der EU von Rechtstaatlichkeit, Schutz der Privatsphäre und Demokratie swie Transparenz ihres Handelns halten: nämlich gar nichts. Dabei wird eine Doppelmoral an den Tag gekehrt und solches Verhalten von politisch konkurierenden Systemen aufs Härteste kritisiert.

    Ich kummuniziere mit starker Verschlüsselung und nur ich allein besitze die privaten Schlüssel. Jede Plattform, welche die privaten Schlüssel ihrer Nutzer kennt ist schon per definitionem nicht sicher.

    1. Das ist bei Telegram ebenfalls der Fall. Die Plattform kennt z.B. deine Telefonnummer, mit der dein Gerät identifiziert werden kann. Diese ist nötig, um den Messenger nutzen zu können.
      Dann ist auch der sicherste Schlüssel wertlos, wenn so ein schwaches Glied in der Kette eine Standardvoraussetzung ist, den Messenger überhaupt zu benutzen.

      Viel besser ist ein Dienst auf Basis von XMPP.

  2. These are the full charges:

    Complicity – web-mastering an online platform in order to enable an illegal transaction in organized group
    Refusal to communicate, at the request of competent authorities, information or documents necessary for carrying out and operating interceptions allowed by law
    Complicity – possessing pornographic images of minors
    Complicity – distributing, offering or making available pornographic images of minors, in organized group
    Complicity – acquiring, transporting, possessing, offering or selling narcotic substances
    Complicity – offering, selling or making available, without legitimate reason, equipment, tools, programs or data designed for or adapted to get access to and to damage the operation of an automated data processing system
    Complicity – organized fraud
    Criminal association with a view to committing a crime or an offense punishable by 5 or more years of imprisonment
    Laundering of the proceeds derived from organized group’s offences and crimes
    Providing cryptology services aiming to ensure confidentiality without certified declaration
    Providing a cryptology tool not solely ensuring authentication or integrity monitoring without prior declaration
    Importing a cryptology tool ensuring authentication or integrity monitoring without prior declaration.

    1. Diese Kriminalisierung von Kryptografie in Frankreich ist skandalös und eines EU-Mitgliedsstaates unwürdig. Könnte Netzpolitik nicht mal einen Artikel bringen, inwieweit man als Autor/Betreiber eines unangemeldeten „cryptologic tool/service“ auch mit einer Verhaftung rechnen muss?

  3. > Bis heute vermarktet sich Telegram als sicherer Hafen für Unterdrückte, dabei ist die Kommunikation dort nur teilweise verschlüsselt.

    Inwieweit Durov dazu gedrängt wird, geschwächte Verschlüsselung (z.B. GOST) für Kommunikation mit russischen Usern zu konfigurieren oder (Fallbacks zu provozieren), oder ob er sich russischen Verhältnissen mehr oder weniger andient, ist in der Wirkung für Oppositionelle zweitrangig. Und selbst bei makelloser E2E-Verschlüsselung dürfte für FSB (und andere?) zur Ausleitung von Metadaten (jeweils) eine API existieren.

    Russland kann Telegram jederzeit blockieren, wie 2018 geschehen. Der Grund weshalb Telegram in Russland wieder läuft, liegt wohl in seiner Nützlichkeit. Vermutlich nach einem Arrangement zwischen Telegram und den „Behörden“, zumal der FSB russische Dissidenten überall auflauern und ausschalten kann.

    Wenn das Verfahren in Frankreich dazu dient, mehr Licht in das „Doppelspiel“ von Telegram zu bringen, wäre das immerhin ein Erkenntnisgewinn für die interessierte Öffentlichkeit.

  4. „Das eine solche Regelung in einem demokratischen Land überhaupt besteht, ist fatal.“

    Vielleicht ist die Prämisse, dass es sich bei Frankreich um ein „demokratisches Land“ handelt ja auch einfach falsch? Ein Blick auf die jüngere Vergangenheit Frankreichs unter Macron lässt schon erhebliche Zweifel aufkommen, wie z.B. das Regieren ohne parlamentarische Abstimmung und das Durchdrücken der Rentenkürzungen 2023 per Erlass . Oder der derzeitige Umgang mit Wahlergebnissen. Oder die erhebliche Polizeigewalt gegen Minderheiten und Demonstrierenden, und, und, und…

    1. > Vielleicht ist die Prämisse, dass es sich bei Frankreich um ein „demokratisches Land“ handelt ja auch einfach falsch?

      Das behaupten die Extremwähler in den deutschen Beitrittsgebieten von ihrer „Heimat“ gleichlautend. Ist da derselbe Souffleur am Werk?

  5. Telegram CEO Pavel Durov visited Russia over 60 times since leaving the country in 2014, Kremlingram, a Ukrainian group that campaigns against the use of Telegram in Ukraine, reported on Aug. 27.

    Kremlingram was anonymously sent a spreadsheet in December 2023 with data on Durov’s crossings of the Russian border between 2015 and 2021.

    The information contradicts Durov’s claims of being a pariah and being effectively exiled from Russia, Kremlingram said.

    „We could not confirm the authenticity of this data for a long time,“ Kremlingram said, but a recent leak of a large FSB database, published by independent Russian media outlet Meduza, corroborated the data.

    The FSB data leak „completely coincides with one of the entries in the letter we received, which contains a total of 125 entries of Pavel’s entry and exit to Russia,“ Kremlingram said.

    Durov’s „relationship with the Russian authorities in 2015-2021 was good enough that he was not afraid of being detained while crossing the border,“ Kremlingram noted.

    https://kyivindependent.com/kremlingram-investigation-durov/

  6. Kritik… ok, soweit so gut. Aber dann kommen doch wieder Fragen auf:
    – Ist Telegram ist der Hort der Freiheit? Welche Dienste oder Regierungen sind wo schon womit dabei?
    – Ist der „Russian Tech Bro“ wirklich so hübsch?
    – Wie würde man „freie Zonen“ denn regeln? Kommt das Zugriffsverbot für den Bürger? Was mache ich dann als Analyst? (Jaja, VPN, usw. usf.)

    Ich sehe es kritisch, wie wir Sachen machen, aber dass Telegram in den Fokus kommt sollte niemanden wundern. Es unket schon auch, das Internet hätte so wenig Jugendschutz. Meiner Meinung nach aber sollte Jugend auf dem Gerät geschützt werden (Dein-Ziegelstein-Mein-Zigelstein-Prinzip). Das ist der einzige real zivilisatorisch verwertbare weg, wenn man nicht eine Art Drecknetz macht und eins für Kinder und Kommerz. (Natürlich ist das ein Off-by-One witz, denn Porno und Waffenverkauf usw.usf. kriegen selbstverständlich ein eigenes kommerzielles Netz. Tatsächlich ist es sogar ein zweidimensionaler Off-by-One, weil die Weltregierung noch fehlt. Ha-doppelt-Ha!)

  7. Ich wäre hier geneigt einen Vergleich zum s.g. Cyber Bunker zu ziehen, einem bulletproof hoster, der in Kauf nahm, dass Kriminelle seine Dienste in Anspruch nahmen und dies, wie Telegram offensichtlich auch, nicht (konsequent) zu verhindern bereit war!

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