Musk vs. BretonEU-Kommission bleibt trotz wüster Beschimpfungen auf X

Die EU-Kommission wirft dem sozialen Netz X vor, gegen den Digital Services Act zu verstoßen. Dennoch bespielt sie den umstrittenen Online-Dienst von Elon Musk weiter mit Inhalten – auch mit bezahlten Anzeigen. Daran dürfte sich vorerst nichts ändern.

EU-Kommissar Thierry Breton legt sich immer wieder im Namen der EU mit Elon Musk an. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Andreas Franke

Die EU-Kommission hat offenbar keine Absichten, das soziale Netz X zu verlassen. Viele EU-Kommissar:innen pflegen dort ihren persönlichen Auftritt, zudem schaltet die Kommission auch bezahlte Anzeigen. „X ist eines der sozialen Netzwerke, das die Kommission in ihrer täglichen Kommunikation nutzt, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen“, teilt eine Sprecherin der Kommission auf Anfrage mit.

Schon eine ganze Weile gibt es Reibereien zwischen Brüssel und dem sozialen Netz. Spätestens seit der US-Milliardär Elon Musk das früher Twitter genannte Unternehmen übernommen und die Kommission seit dem Digital Services Act (DSA) die Aufsicht über den Online-Dienst innehat, knirscht es gewaltig.

Der DSA macht insbesondere sehr großen Anbietern wie Facebook oder X eine Reihe an Auflagen. Das soll systemische Risiken abfedern helfen, die potenziell von den Online-Diensten ausgehen.

Kommission untersucht Verstöße gegen DSA

Gegen einige der Auflagen hat X der EU-Kommission zufolge verstoßen, schon seit Dezember läuft eine Untersuchung. Demnach habe der Anbieter die Vorgaben bezüglich irreführender „Dark Patterns“, Transparenz von Werbung sowie Datenzugang für Forschende nicht ausreichend oder gar nicht umgesetzt, heißt es in jüngst veröffentlichten vorläufigen Ergebnissen der Prüfung.

„Wir haben ein formelles Verfahren gegen X gemäß dem Digital Services Act laufen, das jedoch nichts mit der Verwendung von X durch die Kommission zu tun hat“, sagt die Kommissionssprecherin.

Manche Kommissionsmitglieder, darunter der maßgeblich für die DSA-Durchsetzung verantwortliche Thierry Breton, machen keinen Hehl daraus, den Anbieter hochproblematisch zu finden – oder zumindest versuchen sie, das der Öffentlichkeit glaubhaft zu machen. Wiederholt legte sich Breton mit Musk an, immer wieder auch auf dem zur rechtsradikalen Spielwiese umgebauten Online-Dienst des US-Unternehmers.

Weiter posten trotz Rechtsruck

Vorläufiger Höhepunkt war ein offiziell wirkender Brief an Musk, den Breton am Montag ausgerechnet auf X veröffentlichte. Im Vorfeld eines Online-Gesprächs zwischen Musk und Donald Trump, dem republikanischen Kandidaten für die US-Präsidentschaft, erinnerte der EU-Kommissar an die EU-Regeln: Das Recht auf Meinungsfreiheit sei abzuwägen gegen Gefahren, die von ungebremsten Aufrufen zu Gewalt oder Desinformation ausgehen würden.

Zuletzt hatten von Rechtsextremen gestreute Falschnachrichten in sozialen Medien zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Asylsuchende in Großbritannien beigetragen. Sowohl Trump als auch Musk hatten in der Vergangenheit bewiesen, sich ähnlicher Taktiken zu bedienen – Musk hatte etwa letzte Woche von einem „unvermeidlichen Bürgerkrieg“ gesprochen, als vermeintliche Folge von „Massenmigration und offenen Grenzen“ in Großbritannien und anderswo.

Aus dem offen zur Schau gestellten Rechtsruck von X, den Musk gleich nach seiner Übernahme des Unternehmens durch die Wiederherstellung von zuvor gesperrten rechtsextremen Accounts eingeleitet hatte, zogen viele private und institutionelle Nutzer:innen die Konsequenz, zu anderen Anbietern zu wechseln. Auch netzpolitik.org hatte sich im Frühjahr entschieden, das soziale Netzwerk nicht weiter mit Inhalten zu versorgen.

Kommission lässt Breton hängen

Diesen Schritt haben die EU-Kommission sowie Thierry Breton offensichtlich immer noch nicht gesetzt – trotz teils wüster Beschimpfungen. So hatte Musk den Brief des EU-Kommissars mit einem Meme beantwortet und ihn aufgefordert, sich „selbst ins Gesicht zu ficken“.

Darauf angesprochen, will sich die Kommission nicht dazu äußern. Ohnehin habe Breton mit seinem Brief auf eigene Faust gehandelt: „Der Zeitpunkt und Wortlaut des Schreibens wurden weder mit der Präsidentin [Ursula von der Leyen] noch mit dem Kollegium der Kommission abgestimmt oder vereinbart“, hieß es in einem gestrigen Presse-Briefing – eine diplomatische Spitze gegen den jüngst erneut zum EU-Kommissar nominierten Franzosen.

Ob Breton nach diesem Affront weiter auf X bleiben und dem Anbieter so zu Relevanz verhelfen wird, bleibt vorerst offen. Seine Auftritte in anderen sozialen Netzen, darunter der Twitter-Alternative Bluesky oder dem Karrierenetzwerk Linkedin, bespielte er bislang nur unregelmäßig.

Kommission finanziert X weiter mit

Dabei geht es aber nicht nur um Postings auf bestimmten Diensten, sondern auch um Werbeanzeigen, mit denen sie sich finanzieren. Zahlreiche Werbekunden haben sich schon längst von X zurückgezogen, weil sie ihre Produkte nicht neben hetzerischen und rechtsradikalen Inhalten bewerben wollen.

Nicht so die EU-Kommission: Weiterhin schaltet sie regelmäßig europaweit Anzeigen auf X. In welchem Ausmaß, lässt sich derzeit nicht sagen: Das seit dem DSA vorgeschriebene Werbearchiv liefert keine Daten, mit denen sich das nachvollziehen ließe. Aus Kommissionskreisen heißt es lediglich, dass dies Teil der laufenden Untersuchung sei. Zuletzt habe die Behörde nach mehr Informationen verlangt und einen sogenannten „request for information (RFI)“ an das Unternehmen verschickt, heißt es.

Die Untersuchung dürfte sich noch bis ins nächste Jahr hinziehen, erwarten Beobachter:innen. Was Musk davon hält, wissen wir aber jetzt schon: „Der DSA ist Desinformation“, pöbelte er im Juli auf X in einer Antwort an die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.

2 Ergänzungen

  1. https://nypost.com/2024/08/16/us-news/eu-plot-to-silence-great-americans-like-elon-musk-blasted/

    D.h. X ist eine Plattform für political campaigning (u.a.), welches die EU angeblich zensieren will, weil letztere “amplification of content which promotes hatred, disorder, incitement to violence or certain instances of disinformation” als Problem sieht. Ohne dass ich auf Wahrheit oder Methode eingehen will, stelle ich doch fest, dass also US-Wahlkämpfer und Senatoren eben diese Mittel einsetzen wollen, und ist sich zu Schade dafür, allgemein Gesetze anderer Länder zu respektieren, z.B. indem man Geoblocking von Beiträgen oder Nutzergruppen (hihi) durchführt.

    Oder es geht doch wirklich um die Drohung, die Breton ausgesprochen haben soll, also wohl die Anwendung von EU-Gesetz o.ä., da man dort grundsätzlich nicht will, dass Politiker Tiktok, äh Personen, oder sogar Unternehmen von Personen irgendwie bedrohen, auch nicht mit Gesetzen. Vordergründig will man die Zensurkarte finden, und sucht schon mal, was bei dem Thema ja auch nicht gerade abwegig ist.

    D.h., wenn Breton seine Meinung auf X posten will, muss er als politischer Ausführender schon ein klein wenig Vorsicht walten lassen, und kann nicht einfach schreiben, was ihm so einfällt.

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