Kamala Harris und Tim WalzWas die US-Demokraten netzpolitisch bewegen könnten

Mit Kamala Harris und Tim Walz schicken die US-Demokraten ein betont progressives Duo in die Präsidentschaftswahl. Sollten die beiden die Richtungswahl gewinnen, warten nicht nur digitale Großbaustellen auf sie, sondern auch ein politischer und rechtlicher Balanceakt.

Kamala Harris und Tim Walz
Kamala Harris und Tim Walz beim ersten gemeinsamen öffentlichen Auftritt seit ihrer Nominierung für die US-Präsidentschaftswahlen 2024. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / TheNews2

Nun ist es fix: Neben der Spitzenkandidatin und bisherigen US-Vizepräsidentin Kamala Harris wird der Gouvernour von Minnesota, Tim Walz, für die Demokraten ins Rennen um die US-Präsidentschaft ziehen. Final absegnen soll das Wahlkampfteam der Parteitag der Demokraten in zwei Wochen, der diesmal in Chicago stattfindet.

Netzpolitische Themen werden bei dieser Richtungswahl eher weniger im Vordergrund stehen, dazu steht zu viel auf dem Spiel. Neben der Demokratie an sich werden etwa Grundrechte von Frauen und Minderheiten den Wahlkampf dominieren, das wurde spätestens gestern Abend beim ersten öffentlichen Auftritt von Harris und Walz deutlich – Rechte, die von republikanischer Seite und dem Team von Donald Trump und seinem Vize-Kandidaten J.D. Vance offen in Frage gestellt werden.

Dennoch lohnt ein Blick auf die netzpolitischen Positionen des demokratischen Wahlkampf-Duos: Sollten sie im November die Wahl gewinnen, warten viele Digital-Baustellen auf sie. Wie viele davon sie angehen können, hängt indes auch von den gleichzeitig stattfindenen Kongresswahlen ab – und letztlich auch vom rechtslastigen Supreme Court, der zuletzt immer mehr Macht an sich gezogen hat.

Tech-Lobbyisten wollen mitreden

Ein potenzieller Konfliktherd deutet sich jetzt schon an. So wollen etwa manche Großspender aus der Tech-Branche, darunter der LinkedIn-Mitgründer Reid Hoffman, am liebsten die progressive Lina Khan loswerden. Mit ihrem Einsatz für faire Wettbewerbsbedingungen und Verbraucher:innenrechte hat sich die von Joe Biden zur Chefin der Wettbewerbsbehörde FTC (Federal Trade Commission) ernannte Juristin viele Feinde in der Wirtschaftswelt geschaffen.

Unter Berufung auf einen anonymen Spender soll sich der New York Times zufolge Harris „skeptisch“ ob Khans weitreichender Sicht auf Kartellbefugnisse gezeigt haben. Dabei ist es gut möglich, dass es sich bei dem unbestätigten Bericht um Theaterdonner gehandelt hat: CNN gegenüber hat das Wahlkampfteam von Harris bereits angegeben, keine Personaldebatten über einen möglichen Austausch Khans geführt zu haben.

Regulierungsbehörden vs. Gerichte

Vermutlich wäre bei einem Wahlerfolg von der aus Kalifornien stammenden Harris eher Kontinuität zur bisherigen Politik von Amtsinhaber Joe Biden angesagt als ein überraschender Rechtsruck. Dafür spricht nicht zuletzt die Entscheidung für den demonstrativ progressiven Tim Walz als Vize-Kandidaten. Unmittelbar ablesen ließe sich das bei der Besetzung von Posten in Regulierungsbehörden, wo Präsident:innen mehr Handlungsspielraum besitzen als in anderen Bereichen. Neben der FTC wäre dies auch bei der Telekom-Aufsicht FCC (Federal Communications Commission) relevant, der derzeit Jessica Rosenworcel vorsitzt.

Als langjährige Verfechterin von Netzneutralität würde Harris die bis Mitte 2025 bestellte Rosenworcel wohl beibehalten. Damit allein wäre es aber nicht getan: Als Folge einer wegweisenden Entscheidung des Supreme Courts von Ende Juni haben bei rechtlich nicht einwandfrei geregelten Streitigkeiten nicht mehr Regulierungsbehörden, sondern der Kongress beziehungsweise Gerichte das letzte Wort.

Diese Muskeln haben Gerichte bereits spielen lassen. Die im Frühjahr wieder eingeführten FCC-Regeln zur Netzneutralität hat vor wenigen Wochen ein Berufungsgericht vorerst auf Eis gelegt. Wer auch immer die Präsidentschaft gewinnt: Der von rechter Seite betriebene Angriff auf den sogenannten „administrativen Staat“, der sich im höchstrichterlichen Urteil widerspiegelt, dürfte weitreichende Auswirkungen auf sämtliches Regierungshandeln haben, ob bei der Regulierung von Netzbetreibern, Traktorherstellern oder bei der Ausstellung von Arbeitsvisa für Tech-Arbeiter:innen.

Fortwährender Kampf ums Providerprivileg

Einen Namen hat sich Harris in ihrer Zeit als kalifornische Generalstaatsanwältin bei der Bekämpfung von Rachepornos im Netz gemacht. Dabei musste sie sich von Kritiker:innen vorwerfen lassen, am Providerprivileg gesägt zu haben, welches Online-Dienste von der direkten Haftung für Inhalte auf ihren Plattformen ausnimmt.

Im Kongress führte sie diese Arbeit fort und stimmte für das FOSTA/SESTA-Gesetzespaket, das diese Haftungsfreiheit punktuell aufhebt. Zum Kollateralschaden des Gesetzes gegen illegalen Sex- und Menschenhandel wurden potenziell anzügliche Inhalte auf Diensten wie Tumblr oder Instagram, die sich seitdem für weniger statt mehr Nacktheit entschieden haben.

Fest steht jedenfalls, dass das im Abschnitt 230 des Communications Decency Act geregelte Providerprivileg anhaltender Zankapfel in der US-Innenpolitik bleiben wird. Hierbei könnte sich insbesondere eine von den Demokraten geführte Regierung durchaus vom europäischen Digital Services Act inspirieren lassen, der das bisherige Haftungsregime im Großen und Ganzen unangetastet gelassen hat.

Notlösung Gerichtsverfahren

Doch wie schon Biden will Harris generell Online-Anbieter mehr in die Pflicht nehmen. Im letzten Präsidentschaftswahlkampf vor vier Jahren brachte sie etwa eine Zerschlagung von Facebook ins Spiel – bislang ohne merkliche Ergebnisse. Indes hat dies auch mit dem leicht zu blockierenden Kongress zu tun sowie den langsam mahlenden Mühlen des Justizsystems, das bisweilen als Alternative zu vergeblichen legislativen Anläufen herhalten muss: Bereits seit Ende 2020 dreht etwa ein von der FTC angestrengtes Gerichtsverfahren gegen Meta seine Runden, das dem Social-Media-Riesen die illegalen Übernahme von Instagram und WhatsApp unterstellt.

Von diesen noch offenen Verfahren, die sich gegen die Macht von Big-Tech richten, gibt es derzeit eine ganze Reihe. So hat die FTC neben Meta auch Amazon verklagt, zur Verhandlung kommt die Kartellrechtsklage allerdings erst Ende 2026. In die gleiche Richtung weisen mehrere Klagen des US-Justizministeriums, das unter anderem Apple und Google wettbewerbsfeindliches Verhalten vorwirft. In einem separaten Fall hat es erst diese Woche ein aufsehenerregendes Urteil gegeben: Ein Bundesgericht hat Google zum Monopolisten erklärt – mit noch nicht ganz absehbaren Folgen.

Erste Schrittchen bei der KI-Regulierung

In Erscheinung ist Harris zudem bei der in den USA noch zaghaften Regulierung sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI) getreten. Als Vizepräsidentin leitete die 59-Jährige etwa mehrere runde Tische mit Industrievertretern wie Satya Nadella von Microsoft, Sundar Pichai von Google oder Sam Altman von OpenAI – ohne Vertreter:innen der Zivilgesellschaft wie die Gewerkschaftschefin Liz Shuler oder die Bürgerrechtlerin Maya Wiley aus den Augen zu verlieren.

Letztlich herausgekommen ist eine Blaupause dafür, wie sich Grundrechte in einer von KI geprägten Welt durchsetzen ließen. Zudem regelt nun eine Durchführungsverordnung des Weißen Hauses den Einsatz von KI-Systemen durch Bundesbehörden. Diese soll sicherstellen, dass dabei nicht nur Wettbewerbsfragen, sondern auch grundlegende Rechte von Arbeitnehmer:innen und Bürger:innen berücksichtigt werden.

Im Bereich der nationalen Sicherheit hat sich Harris bislang nicht sonderlich profiliert, wobei ihr etwa Verteidigungsminister Lloyd Austin kürzlich öffentlich Blumen gestreut und dabei ihre Kompetenz betont hat. Auf Kontinuität der bisherigen Biden-Politik deutet zudem ein offener Brief dutzender Ex-Beamt:innen aus dem Sicherheitsbereich hin: Ihnen zufolge weise Harris mehr Kompetenz in dem Bereich auf als die vier Amtsvorgänger Bidens.

Walz setzt auf Investitionen und Datenschutz

In netzpolitischen Fragen ein noch wenig beschriebenes Blatt ist hingegen der Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz, selbst wenn der ehemalige Schullehrer keine Berührungsängste zu Technik hat. In seinen zwölf Jahren als Abgeordneter im Repräsentantenhaus hat er sich vor allem für eine bessere Gesundheitsvorsorge und für Rechte von Arbeitnehmer:innen eingesetzt.

Als Gouverneur von Minnesota hat der aus Nebraska stammende 60-Jährige seit seiner Wahl im Jahr 2019 eine für US-Verhältnisse betont progressive Agenda verfolgt, zuletzt mit dem Rückenwind einer demokratischen Mehrheit in beiden Häusern des Landesparlaments. Ein gesetzlich festgeschriebenes Recht auf Abtreibung, bezahlte Urlaubszeiten, Investitionen in Umweltschutz, Infrastruktur und digitale Verwaltung zählten zu einigen Schwerpunkten der „folgenreichsten Legislaturperiode in der Geschichte des Bundesstaates“.

Menschen aus Minnesota bekommen zudem mehr Rechte als viele andere US-Amerikaner:innen, was ihre persönlichen Daten angeht: Datenhändler dürfen personenbezogene Daten von Nutzer:innen aus Minnesota künftig nicht gegen deren Willen für gezielte Werbung verwenden, wenn der kürzlich beschlossene Minnesota Consumer Data Privacy Act nächstes Jahr wirksam wird. Das Datenschutzniveau wäre dann grob vergleichbar mit jenem des traditionell auf Privatsphäre bedachten Kaliforniens – wozu nicht zuletzt Harris ihren Teil als Ex-Justizministerin beigetragen hat.

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