Zukünftig darf die Polizei in Berlin Taser einsetzen, mit Bodycams auch in privaten Wohnungen filmen und einen längeren Präventivgewahrsam beantragen. Allerdings gilt der längere Gewahrsam von bis zu sieben Tagen ausdrücklich nur für schwere Straftaten, also nicht für angekündigte Straßenblockaden von Klima-Aktivist:innen.
Die Änderungen wurden in der letzten Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses in diesem Jahr entschieden. Weitere Änderungen am Polizeigesetz sollen 2024 folgen.
Die Koalition aus SPD und CDU stimmte gemeinsam mit der AfD für den Gesetzentwurf, die Opposition aus Grüne und Linke stimmte dagegen.
Längerer Präventivgewahrsam – aber nicht für Klima-Aktivist:innen
Mit dem Gesetz kann eine Person, von der die Berliner Polizei annimmt, dass sie in den nächsten Tagen eine schwere Straftat begehen oder sich daran beteiligen wird, bis zu fünf Tage in Gewahrsam genommen werden, bei befürchteten terroristischen Straftaten sind es bis zu sieben Tage. Es gilt ein Richtervorbehalt.
Bislang hatte Berlin einen im bundesweiten Vergleich kurzen Präventivgewahrsam von maximal zwei Tagen. Die Berliner Regierung argumentiert, dass Großveranstaltungen in der Hauptstadt bis zu einer Woche dauern können und in solchen Momenten sogenannte „terroristische Gefährder“ für den gesamten Zeitraum eingesperrt werden müssten. Außerdem wäre ein mehrtägiger Gewahrsam zum besseren Schutz von Betroffenen von Partnerschaftsgewalt nötig.
Seit 2017 gibt es in Deutschland einen Trend zur Ausweitung des Gewahrsams. Besonders lang ist die mögliche Gewahrsamnahme in Bayern, wo aktuell mehrere Verfassungsbeschwerden anhängig sind.
Für viel Aufsehen haben in den letzten Jahren die langen, präventiven Ingewahrsamnahmen von Klima-Aktivist:innen in Hamburg, Hessen und Bayern gesorgt. Den längsten Präventivgewahrsam gab es in Bayern, wo ein Klima-Aktivist 30 Tage präventiv eingesperrt wurde, um die Teilnahme an weiteren angekündigten Straßenblockaden zu verhindern. Obwohl die Maßnahme auch in Bayern ursprünglich für terroristische Gefahren eingeführt wurden, wurde zuletzt niemand häufiger präventiv eingesperrt als Klima-Aktivist:innen, wie Recherchen vom ZDF zeigen.
Der längere Gewahrsam in Berlin soll nun ausdrücklich nicht für Klima-Aktivist:innen möglich sein, die planen Straßen zu blockieren, sondern nur bei bevorstehenden schweren und terroristischen Straftaten, das betonte der Abgeordnete Martin Matz (SPD) in seiner Rede im Abgeordnetenhaus. Damit ist Berlin das erste Bundesland, das einen über zweitägigen Gewahrsam im Vorfeld von Straßenblockaden per Gesetz ausschließt.
Im Vorfeld gab es Pläne, den längeren Gewahrsam in Berlin gezielt auf Klima-Aktivist:innen anzuwenden. Die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) kündigte in dem Zusammenhang auf dem Europäischen Polizeikongress im Mai an, den Gewahrsam von zwei auf fünf Tage verlängern zu wollen. Dieses Vorhaben wurde jedoch verworfen, die Berliner Zeitung titelt „Für Klima-Kleber ändert sich nichts“.
„Es hat nie einen Gesetzentwurf für Klima-Kleber gegeben. Wir machen keine Einzelfallgesetze für bestimmte Gruppen, sondern allgemein gültige Gesetze für alle“, schreibt der Abgeordnete Burkhard Dregger auf Anfrage von netzpolitik.org.
Gleichzeitig werden die Voraussetzungen für den zweitägigen Gewahrsam mit dem neuen Gesetz so konkretisiert, dass Klima-Aktivist:innen der Letzten Generation eindeutig darunter fallen.
Demnach kann in Zukunft eine Person bis zu zwei Tage in Gewahrsam genommen werden, wenn sie eine Ordnungswidrigkeit wie beispielsweise eine Straßenblockade ankündigt oder Werkzeuge bei sich trägt, die „ersichtlich“ für die Tat bestimmt sind. Ebenso kann sie festgehalten werden, wenn sie in der Vergangenheit bereits an solchen Ordnungswidrigkeiten beteiligt war und die Polizei davon ausgehen kann, dass sie es in den aktuellen Umständen mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ wieder tun wird.
Bislang haben Gerichte den Präventivgewahrsam bei Klima-Aktivist:innen in Berlin immer wieder abgelehnt, wohl weil sie die Voraussetzungen als nicht erfüllt ansehen. Das könnte sich nun ändern. Der Abgeordnete Niklas Schrader (Linke) sagte in seiner Rede im Abgeordnetenhaus, dass damit in Zukunft mehr Klima-Aktivist:innen in Berlin für bis zu zwei Tage im Gewahrsam landen werden.
Bodycams in privaten Wohnungen
Die Polizei darf in Zukunft mit Bodycams auch in privaten Räumen filmen. Bislang war der Einsatz von Bodycams in Berlin auf den öffentlichen Raum beschränkt. Außerdem werden Bodycams bei polizeilichen Einsätzen im Zusammenhang mit Partnerschaftsgewalt und Gewalt in Familien ausdrücklich erlaubt.
Wenn die Polizei im privaten Wohnraum filmt, muss die Privatsphäre der Betroffenen gewahrt werden, der sogenannte Kernbereich privater Lebensgestaltung. Videomaterial aus privaten Räumen muss deshalb laut Gesetz erst richterlich geprüft und freigegeben werden. Außerdem muss das Videomaterial verschlüsselt gespeichert werden. Damit hat die Regierung auf Kritik aus der Sachverständigenanhörung reagiert, wie Burkard Dregger (CDU) in seiner Rede im Abgeordnetenhaus betont.
Bodycams dienen in Deutschland in erster Linie dem Schutz der Einsatzkräfte. Dazu zählen Polizei, Feuerwehr, Rettungskräfte und Mitarbeiter:innen vom Ordnungsamt. Das Berliner Polizeigesetz schreibt jedoch ausdrücklich vor, dass eine Bodycam auch dann eingeschaltet werden muss, wenn Betroffene das fordern oder wenn unmittelbarer Zwang angewendet wird. In diesem Fall dürfen die Polizist:innen die Kamera erst nach Ende des Einsatzes ausschalten. Das soll die Rechte der Betroffenen stärken. Allerdings schreibt das Gesetz nicht vor, welche Konsequenzen den Polizist:innen drohen, wenn sie dem Wunsch von Betroffenen nicht nachkommen.
Der Abgeordnete Vasili Franco (Grüne) zweifelt daran, ob eine verfassungskonforme Anwendung der Bodycam auf Grundlage dieses Gesetzes in der Praxis immer möglich ist. Er hält das Gesetz hier für zu unbestimmt und kritisiert im Gespräch mit netzpolitik.org, dass zu viel Verantwortung auf die Polizei übertragen werde.
Ursprünglich wurde die Bodycam in Berlin von der rot-rot-grünen Regierung eingeführt. Nächstes Jahr wird eine Evaluation des bisherigen Einsatzes mit wissenschaftlicher Begleitung erwartet, trotzdem hat die aktuelle rot-schwarze Regierung den Einsatz der Bodycam nun vorzeitig entfristet. Das sei laut Regierung notwendig, um den Einkauf der neuen Technik im aktuellen Haushalt einzuplanen.
Wie in anderen Bundesländern muss die Bodycam in Berlin offen getragen werden und Einsatzkräfte müssen ankündigen, wenn sie aufzeichnen. Betroffene haben dann einen Monat Zeit, sich bei der Polizei zu melden, bevor das Videomaterial gelöscht wird.
Taser im Regelbetrieb
Die sichtbarste Veränderung für Berliner:innen dürfte die flächendeckende Einführung des Tasers sein. Die Elektroschock-Waffen sollen laut dem neuen Gesetz als Alternative zum Schlagstock oder der Schusswaffe eingesetzt werden. Bislang hat die Berliner Polizei Taser lediglich getestet, in den ersten Jahren wurde die Waffe selten eingesetzt.
Die Regierung begründet die flächendeckende Einführung damit, dass der Taser bei gesunden Personen zu weniger Verletzungen führe als ein starker Schlag mit einem Schlagstock, der beispielsweise zu Knochenbrüchen führen kann. Kritiker argumentieren, dass Schlagstöcke und Schusswaffen bei gezieltem Einsatz – beispielsweise einem Schuss auf den Fuß – in der Regel nicht unmittelbar zum Tod führen.
Taser hingegen können lebensbedrohlich sein. Bundesweit sind in den letzten sechs Jahren mindestens acht Menschen nach dem polizeilichen Einsatz von Tasern gestorben. Die Berliner Regierung erkennt die Gefahr durch Taser an und schreibt deshalb im Gesetz vor, dass der Taser nicht gegen Kinder, sichtbar Schwangere und erkennbar Herzkranke eingesetzt werden darf.
Allerdings sind Herzerkrankungen und eine frühe Schwangerschaft in der Regel äußerlich nicht erkennbar. Polizist:innen müssen also in einer Ausnahmesituation unter Zeitdruck entscheiden, ob die Person vor ihnen gefährdet ist und der Taser sie schwer verletzen oder gar töten könnte. Der Abgeordnete Niklas Schrader (Linke) kritisiert das und sagte in seiner Rede, dass er „nicht in der Haut der betreffenden Polizisten“ stecken möchte.
Mitglieder der Letzten Generation und andere protestierten gegen die Verabschiedung des Gesetzes vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Um neun Uhr morgens waren etwa 30 Demonstrant:innen vor Ort. Sie trugen Schilder mit „Soziale Lösungen für soziale Probleme“ und „Taser sind tödlich“.
Im neuen Jahr sollen weitere Änderungen am Berliner Polizeigesetz durch die schwarz-rote Regierung folgen.
Eure Headline ist irreführend. „Nicht länger, aber öfter“ ist ja die Wahrheit.
Wenn Taserpistolen statt normaler Schusswaffen eingesetzt werden, bin in generell ein Freund davon.