Der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) hat soeben über seine Stellungnahme zur Datenschutzgrundverordnung abgestimmt. Mit seinem Abstimmungsverhalten setzt der Ausschuss ein eindeutiges Zeichen – gegen starken Datenschutz. Die Mehrheit der Mitglieder folge mit ihrem Abstimmungsverhalten den zweifelhaften Empfehlungen des konservativen ITRE-Berichterstatters Sean Kelly. Besonders enttäuschend ist in diesem Zusammenhang das Verhalten der liberalen Fraktion (ALDE), die den Konservativen beim Ausverkauf des Datenschutzes auf dem Fuß folgten.
In den wichtigsten Punkten versagt
Über die datenschutzrechtlichen Kernpunkte, auf deren Bedeutung wir im Vorfeld der Abstimmung hingewiesen hatten, ist zu ungunsten von Bürgerrechten und Privatsphäre abgestimmt worden. In die Definition personenbezogener Daten wurde das Herausgreifen „singling out“ aufgrund persönlicher Merkmale einer Person nicht eindeutig einbezogen (Zustimmung zu Kompromiss-Änderungsantrag 31). Die Datenverarbeitung ohne Zustimmung auf Basis des „berechtigten Interesses“ des Datenverarbeiters wurde sogar noch ausgeweitet auf das berechtigte Interesse Dritter (Zustimmung zu Kompromiss-Änderungsantrag 39). Die Zustimmung zur Datenverarbeitung wurde weiter verwässert. Nach der Definition im angenommenen Kompromiss-Änderungsantrag 35 muss ich meine Zustimmung nicht mehr durch „a clear affirmative action“ signalisieren. Kann mir mal jemand erklären, wie ich einer Sache passiv zustimmen kann?
Bürgerrechte gelten als Extremposition
Eine ausführliche Analyse der Stellungnahme folgt in den nächsten Tagen. Klar ist schon jetzt: Eine starke bürgerrechtliche Position, wie sie durch EDRi, Digitale Gesellschaft und Co. vertreten wird, gilt bereits als Maximalposition. Diese Entwicklung ist gefährlich für den Datenschutz: Bürgerrechte werden als Extrempositionen abgetan, während Änderungsanträge der Industrie als legitime Interessen gelten. Die Piratin Amelia Andersdotter, die zahlreiche sinnvolle EDRi-Änderungsanträge eingebracht hat, ist mit fast allen diesen gescheitert. Auch der federführende Berichterstatter für die Datenschutzgrundverordnung, Jan Philipp Albrecht (Grüne/EFA), wird trotz seiner eher bürgerrechtlichen Position bei der finalen Abstimmung im April Kompromisse machen, wenn er nicht wie Amelia Andersdotter überstimmt werden will. Zudem nimmt der Berichterstatter traditionell auch eine Moderatoren-Rolle ein. Der Druck muss also von außen kommen! Die Mehrheiten waren bei der Abstimmung nicht so groß, wie Joe McNamee, Executive Director bei EDRi, feststellt. Hier ist das letzte Wort also noch nicht gesprochen.
Das Blatt jetzt wenden
Der letzte Ausschuss, der vor dem federführenden Innenausschuss (LIBE) seine Stellungnahme abgibt, ist der Rechtsausschuss (JURI). Berichterstatterin hier ist die konservative ACTA-Befürworterin Marielle Gallo (EPP). Es gilt Druck aufzubauen, Empörung auszulösen und zu zeigen, dass ein Eintreten für Bürgerrechte keine Extremposition darstellt. Die Abstimmung im Rechtsausschuss findet am 18./19. März statt. Bei der finalen Abstimmung müssen alle Stellungnahmen und die Meinung des federführenden Ausschusses berücksichtigt werden. Mit starken Abstimmungen im JURI und LIBE-Ausschuss können wir das Blatt also noch wenden.
Man kann einer Sache „passive zustimmen“ oder juristisch ausgedrückt implizit oder stillschweigend, in dem man einen Vertrag z.B. annimmt. Wenn ich z.B. mir im Supermarkt ein Produkt aus dem Regal nehme und damit zur Kasse gehe, muss ich nicht der Kassiererin nicht explizit sagen „Ja, ich will das kaufen und bin bereit den Kaufpreis zu zahlen“. Genauso geht das, wenn man z.B. einen Onlinedienst nutzt und dort am Ende steht, „mit der Nutzung dieses Dienstes erklären Sie sich mit der Verarbeitun Ihrer Daten einverstanden“.
Alles nicht so schlimm, wie das hier immer dargestellt wird. Auch das legitime Interesse von Dritten ist aktuell legal und es hat bisher keinem geschadet. Die Stellungnahme des ITRE ist nicht so ambitioniert wie der Kommissionsentwurf, stellt aber immer noch ein höheres Datenschutzniveau dar, als es aktuell der Fall ist. Und das obwohl wir in Europa weltweit führend beim Datenschutz sind.
Was das „Eintreten für eine Extremposition angeht“. Glückwunsch, Nagel auf den Kopf getroffen. Die NGO / Netzaktivistenposition ist genauso eine Extremposition wie die der ´großen Internetunternehmen. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.
Der Supermarkt gibt mir meine Produkte ohne dass ich detaillierte Angaben über meine persönlichen Vorlieben mache, die weit übers Einkaufen hinausgehen und diese dann vom Supermarkt gespeichert und an Dritte verkauft werden. Stichwort: Zweckbindung. Diese hat der ITRE-Ausschuss übrigens auch über den Haufen geworfen heute (siehe die angenommen Amendments zum Art. 6.1f sowie Art. 6.4).
Hier liegt das Problem. Raus aus dem Kleingedruckten damit! Vor allem wenn es sich um das Erstellen ganzer Surfprofile wie beim Targeted Advertising handelt. Vielen Nutzer/innen ist dieses Problem so nicht bewusst. Zudem wünschen sie sich effektive Do Not Track-Maßnahmen. Ich verweise gerne auf dieses Survey.
Ich glaube nicht, dass es eine Extremposition ist, für mehr Transparenz und effektive Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Datenverarbeitern einzutreten. Um mehr geht es hier doch gar nicht.
Man kann Extrempositionen verschieben, wie es natürlich die Industrie und genauso die Politik macht (siehe Innenpolitik), und schon ergibt sich dann ein neues „Gleichgewicht“ in einer neuen Mitte. So einfach ist das.
Was man auf dem Bazaar nicht alles lernen kann…
Man muß ja nur hartnäckig bleiben und über die Jahre verwässert sich alles. Immer wieder und wieder.
Hihi oder so:
Die 99% (vulgo Volk) werden mit ihrer Position auch mit 99% gewichtet und das eine Prozent (vulgo Eliten) eben mit einem Prozent.
Ist klar, was ich damit über die Gewichtung der einzelnen Positionen aussagen will?
Die Mitte liegt eben nicht in der Mitte. Wenige verschieben zu ihren Gunsten gegen viele.
Aber das ist dem Schreiber wohl klar, wenn ich sein Lobbystatement lese.
Was tun?
Berichterstatterin für die Verordnung im JURI ist die frz. Konservative Marielle Gallo. Axel Voss betreut dort die Richtlinie für Datenschutz im Polizeibereich.
Danke für den Hinweis. Geändert.
Es bleibt eine Extremposition, egal wohin ihr das verschieben wollt :) Extremposition definiert sich darüber, dass es über dem extrem oder daneben eben nichts mehr gibt. Ihr wollt den maximalen Datenschutz. Damit verglichen will die Industrie nicht mal das andere Extrem.
Und von welchen Eliten bitte habt ihr es da? Ihr meint die Mitarbeiter von Verlagen, Versicherungen, Banken usw? Wacht mal auf, es geht nicht nur um dreckige Gewinne von kapitalistischen Unternehmen, sondern auch im Geschäftsmodelle und Jobs.
Und das mit dem Supermarkt hast du falsch verstanden, das war ein Beispiel, um das Wörtchen implizit zu erklären. Ging aber offenbar daneben – werde mir beim nächsten Mal noch was einfachereres überlegen :-)
Viele sind sich der Datenschutzelemente nicht bewusst, da hast du recht und ich lege sogar noch einen drauf: vielen ist das auch egal. Bis auf die Datenschutztaliban stört sich in der normalen Bevölkerung kaum einer an diesen Dingen. Meiner Oma ist es verhältnismäßig egal, wer ihre Daten hat, hauptsache sie wird nicht mit Werbung zugeschüttet (und das umgeht sie ganz einfach, in dem sie sich auf die Robinsonliste setzen lässt). Und, surprise surprise, sie findet das gut, dass sie auf Amazon die Sachen zu sehen bekommt, für die sie sich sowieso interessiert. Wer Profiling einfach allgemein verteufelt, hat schlicht nicht zuende gedacht.
Aber was mache ich mir die Arbeit hier. Ihr habt euch eure Meinung ja schon gebildet.
Niemand verteufelt hier Profiling per se. Wenn ein Online-Versand mir zeigt, für was ich mich noch so interessieren könnte, ist das schlichtweg praktisch. Wir fordern lediglich, dass Profiling nur durch eine vorausgegangene ausdrückliche Einwilligung durch die Betroffenen zu einem klar definierten Zweck
durchgeführt werden darf. Zudem sollte ich Profiling-Maßnahmen jederzeit widersprechen können. Das Problem im Verordnungsvorschlag ist, dass der vorgeschlagene Artikel 2, zahlreiche Beschränkungen der Datenschutzregelungen (sprich: die Nutzung meiner Daten), durch die Mitgliedsstaaten erlaubt, wenn dies notwendig ist für folgende weitgefasste Gründe:
Dies schließt auch Profiling ein. Hier hilft dann auch keine Robinsonliste mehr. Einen Gegenvorschlag macht EDRi.
Mit was für absurden… sorry… Hirnf*cks man die Menschen gefügiger machen will, dass sie sich vor Werbewirtschaft und Industrie so richtig blanke datennackt machen, kann man etwa den seltsamen Verrenkungen des Herrn Axel Voss aus der CDU sehen, der absurde Kostenvorstellungen aus seinem Kopftkinofantasialand hervorzaubert und zu politischer Stellungnahme macht, um für eine Auifweichung des Datenschutzes bei kostenlosen Angeboten zu werben.
Es geht um die Willenserklärung (voluntatis declaratio). Problem, es gibt kein einheitliches europäisches Privatrecht, das wird in einigen Ländern ganz anders balanziert. Nach den äußeren Umständen kann Schweigen Zustimmung bedeuten. Ein Wink eines Diktators kann ein Mordbefehl sein.
Eine besondere Schwierigkeit entsteht hier, weil die Positionen der Lobbygruppen der Internetkonzerne von amerikanischen Anwaltskanzeleien geschrieben werden, die mit unserem kontinentalen Privatrecht unvertraut sind. Sie bringen Begrifflichkeiten aus einem ganz fremden Rechtssystem bei uns ein, etwa die Klausel „fair“, die etwas hakelig von den Übersetzern mit „Treu und Glauben“ in die deutsche Übersetzung approximiert wird, und schrauben an Grundlagen unseres Rechts, mit denen sie nicht vertraut sind. Das ist auch der Grund, warum es so fatal ist, wenn unsere Abgeordnete Anträge tablen, die aus Drittstaaten stammen.
EDRI Vorschläge sind von Personen geschrieben, die mit dem europäischen Datenschutzrecht bestens vertraut sind, andere Änderungsanträge reflektieren den Lernprozess von Anwälten aus Drittstaaten, deren Unkenntnis in der Folge in politische Kompromisse einfliesst. Was ich schlimm finde, die meisten Beteiligten Abgeordneten, die das einbringen, sind Anwälte, die müssen das doch sehen.
Das mit der Industrielobby aus Amerika wird übertrieben. Tut mir echt leid, aber es ist schlicht eine Mär, dass hier nur google, facebook und amazon zugange sind. Diese drei haben natürlich Positionspapiere eingeschickt und auch die American Chamber of Commerce und es gab bestimmt viel Lobbying.
Aber es stimmt schlecht nicht, dass die nur ihr eigenes Rechtssystem im Kopf haben. Klar vertreten die ihren Interessen und sie sind zufällig auch amerikanisch, aber die Leute, die die Änderungsanträge schreiben und die Interessen in Brüssel vertreten sind AUSNAHMSLOS Europäer :-) Die Dame von Amazon ist eine nette deutsche Anwältin und die Facebookinteressen vertritt die ehemalige SPD-Europaabgeordnete Erika Mann. Denen Unkenntnis vom eurpäischen Rechtssystem vorzuwerfen is nonsens. Ich wette von den Leuten, die hier schreiben, war keiner mal in Brüssel und hat sich das tatsächlich angesehen.
Und wieso die EDRI-Anwälte klüger und besser sein sollen, als die teuren, die sich die bösen Multis leisten können, weiß ich ehrlich nicht. Idealistischer vielleicht, aber besser? Die meisten von denen haben nie mal in einem großen Unternehmen gearbeitet, das sich tatsächlich im Alltag mit Datenschutz auseinandersetzen muss. Daher wissen sie nicht, wie das sich auf welche Produkte und Dienstleistungen auswirkt. Ich sage ja nicht, dass die Konservativen die Weisheit mit Löffeln gefressen haben, aber alle Karten auf eine relativ unbekannte Netz-NGO zu setzen, scheint mir auch nicht sinnvoller.
Überhaupt ist die Debatte leider auch etwas heuchlerisch. Im letzten Sommer haben sich noch alle gefreut, dass Facebook und Google für das freie Internet gekämpft haben, in Amerika gegen SOPA und Europa gegen ACTA. Damals hat sich die Netzgemeinde freudig vor den Karren spannen lassen und den Netzgiganten nur zu gerne in die Hände gespielt. Nun vertreten genau die gleichen Leute wieder ihre Interessen, aber plötzlich sind sie die Bösen. Beides mal ging es knallhart ums Business, aber damals hat das keiner wahr haben wollen – bzw es hat den Leuten einfach in den Kram gepasst.
Genauso mit der Kommission. Damals verteufelt als neoliberale Europadiktatur und nun plötzlich der weiße Ritter des Datenschutzes, den es nach Möglichkeit zu helfen geht. Damals ist man auf die Straßen gegangen und hat skandiert „Wir sind das Volk“ und ähnliche Sachen und der Jubel und das Lob waren groß., als das Europäische Parlament sich gegen ACTA ausgesprochenhat.
Nun hat die Volksvertretung anders entschieden (und das auch nur in einem Stellungnahme gebenden Auschuss) und plötzlich spricht man ihr jedes Sachverständis ab und beschimpft sie als von Lobbyisten korrumpierte Institution. Die gleichen Abgeordneten, die gleichen Referenten, aber eben ein anderes Thema.
Da blick mal einer noch durch…
So, jetzt habe ich doch etwas mehr geschrieben als ich wollte. Ist eben ein emotional geladenes Thema, sry :))