Das britische Innenministerium muss Tausende Asylsuchende kontaktieren, deren Handys illegal beschlagnahmt und durchsucht wurden, nachdem sie in Booten den Ärmelkanal durchquert hatten. So urteilte der britische High Court in einem Fall, den die Organisation Privacy International vor Gericht gebracht hatte.
Das Urteil knüpft an eine Entscheidung an, die der High Court bereits im März getroffen hatte. Damals hatten drei Asylsuchende gegen das Innenministerium geklagt. Sie waren zwischen April und September 2020 an der Küste Südenglands aufgegriffen worden. Behörden hatten ihre Telefone beschlagnahmt und monatelang behalten. Beamt:innen hatten teilweise auch nach den Zugangscodes der Geräte gefragt. Dabei haben sie Asylsuchenden mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht, sollten sie die Codes nicht herausgeben.
Die Richter urteilten, dies sei ein Verstoß gegen die Europäischen Menschenrechtskonvention. Zusätzlich verstoße die Praxis gegen den Data Protection Act 2018.
Auch die damalige Innenministerin Priti Patel musste daraufhin einräumen, dass die Beschlagnahmen illegal waren. Zuvor hatte Patels Innenministerium noch abgestritten, dass es überhaupt eine solche pauschale Regelung zur systematischen Durchsuchung in ihrem Haus gebe.
Innenministerium muss alle Betroffene informieren
Durch das Urteil war in drei konkreten Fällen Unrecht anerkannt worden. Offen blieb aber, was mit den anderen Betroffenen geschehen würde, die nicht Teil der Klage waren. Laut Anwält:innen der Anklage könnten die Zahlen der Betroffenen seit dem Jahr 2020 in die Tausende gehen.
In dem aktuellen Urteil wird das Innenministerium nun zusätzlich dazu verpflichtet, alle Betroffenen darüber zu informieren, dass die Durchsuchungen illegal waren. Das Ministerium muss demnach „alle zumutbaren Anstrengungen“ unternehmen, um jede Person, die von der Beschlagnahme oder Durchsuchung betroffen sein könnte, schriftlich darüber zu informieren, per Brief, E-Mail oder SMS. Dabei müsse auf das Urteil hingewiesen werden, außerdem soll die Nachricht den Hinweis beinhalten: „Falls Sie sich noch nicht rechtlich beraten lassen haben, wird Ihnen dringend empfohlen, dies jetzt zu tun“.
Nach dem Urteil im März hatte das Ministerium bereits eine Reihe von Briefen an Betroffene der Durchsuchungen verschickt. Das Gericht hielt das nicht für ausreichend, unter anderem, weil offenbar in mehreren Hundert Fällen Telefone nicht mehr ihren Besitzer:innen zugeordnet werden konnten. Um auch diese Menschen zu informieren, muss das Ministerium nun allen Personen schreiben, die seit 2020 an der Küste Südenglands aufgegriffen wurden und möglicherweise betroffen sein könnten. Außerdem wurde das Ministerium dazu verpflichtet, das Urteil auf seiner Webseite zu veröffentlichen.
Grundsatzurteil zu staatlichen Pflichten
Laut Privacy International hat das Urteil weitreichende Bedeutung, weil ein Gericht damit erstmals klar macht, wie weit die in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschriebene Pflicht zu Rechtsschutzmöglichkeiten reicht. Staaten müssen demnach Personen, deren Menschenrechte verletzt wurden, auch effektive Möglichkeiten des Rechtsschutzes in solchen Fällen zugestehen, dazu gehörten auch Entschädigungen.
Ob und in welcher Höhe Betroffene entschädigt werden, ist mit dem Urteil noch nicht klar. Privacy International geht aber davon aus, dass sie eine finanzielle Entschädigung erwarten können, ihre Geräte zurück bekommen müssten und ihre illegal erlangten Daten gelöscht werden müssen.
Das Innenministerium hatte die Durchsuchung der Asylsuchenden und die Beschlagnahmen ursprünglich auf das britische Einwanderungsgesetz gestützt. Das Gericht urteilte im März, der Abschnitt, auf den sich das Innenministerium beruft, rechtfertige aber nicht die Durchsuchung von Personen, sondern nur von Räumlichkeiten. Die Durchsuchung der Kläger sowie die Beschlagnahmung ihrer Telefone sei somit nicht rechtens.
Verfahren zu Handyauswertung in Deutschland
Auch in Deutschland werden Handyauswertungen von Asylsuchenden derzeit vor Gericht verhandelt. Im Mai 2020 hatten drei Geflüchtete vor verschiedenen Verwaltungsgerichten dagegen geklagt, dass ihre Smartphones vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ausgelesen und ausgewertet wurden. In einem der Fälle kam das Verwaltungsgericht Berlin zum Urteil, das BAMF habe das Handy der Klägerin rechtswidrig ausgelesen. Der Fall liegt nun beim Bundesverwaltungsgericht.
Noch näher an der Praxis der britischen Behörden sind Maßnahmen, die die Bundespolizei an deutschen Grenzen durchführt. Auch sie beschlagnahmt die Mobiltelefonen von Geflüchteten bei der Einreise, das bestätigte das Bundespolizeipräsidium Anfang des Jahres gegenüber netzpolitik.org. Als Rechtsgrundlage dient dabei die Strafprozessordnung. Diese erlaubt das Beschlagnahmen zum Zweck der Beweissicherung, etwa wenn Verdacht auf Schleusung vorliegt. Laut Bundespolizeipräsidium würden dabei allerdings nicht nur Geräte von Tatverdächtigen, sondern auch Geräte von Asylsuchenden eingezogen, „insbesondere, wenn Geschleuste im Zusammenhang mit einem Schleuser aufgegriffen wurden“.
Statistiken dazu, wie viele Geräte bislang auf dieser Grundlage beschlagnahmt wurden, führt die Bundespolizei nicht. Auch Gerichtsurteile gab es dazu bislang in Deutschland nicht. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat aber Anfang des Jahres angekündigt, die Praxis auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Rechtsanwalt Bijan Mojini sagte damals dazu: „Sollte die Bundespolizei Mobiltelefone systematisch und massenhaft sicherstellen, könnte das die strengen rechtlichen Anforderungen an Sicherstellungen im Einzelfall unterlaufen.“
Die DSGVO/GDPR ist in UK als UK GDPR umgesetzt, der Data Protection Act ist ein ergänzendes Gesetz.
Danke für den Hinweis, ist korrigiert.
Also die Rechtfertigung für die Beschlagnahmung ist, dass man damit vielleicht eine möglicherweise illegale Einreise aufklären kann? Und dafür wird in Kauf genommen, dass man eventuell Menschen daran hindert, ihren Asylantrag zu stellen? Mal ganz abgesehen von den anderen Problemen, die diese Menschen dadurch bekommen.
Ist das nicht offensichtlich unverhältnismäßig?
Gut, das kann man an ganz vielen Stellen fragen, aber wie kommen die damit durch?