Nach einem Vorschlag der EU-Kommission für eine neue Europol-Verordnung soll die EU-Polizeibehörde noch weitreichendere Kompetenzen für ihre Datensammlungen erhalten. Vorgesehen ist ein Artikel 18a, wonach Europol personenbezogene Daten zu Opfern und Zeug:innen von Straftaten für einen längeren Zeitraum behalten darf. Gemäß der derzeitigen Verordnung ist dies nicht erlaubt.
Vor drei Wochen hat der Europäische Datenschutzbeauftragte Wojciech Wiewiórowski Europol deshalb angewiesen, mehr als ein Jahr alte Datensätze zu dieser Kategorie zu löschen. Die weitere Speicherung ist demnach nur für Daten von Straftäter:innen möglich. Mit einem Trick wollen die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten diese Anordnung nun aushebeln. So soll die neue Verordnung die fragwürdige Speicherpraxis zu Opfern und Zeug:innen auch rückwirkend erlauben.
Daten sollen drei Jahre schlummern
Die Polizeibehörden, von denen die Informationen bei Europol stammen, sollen dem Vorschlag des Rates zufolge ein zweites Mal ihr Einverständnis für die fortgesetzte Speicherung erteilen. Die Daten erhalten auf diese Weise einen neuen Zeitstempel, wodurch sich auch die Aufbewahrungsfrist verlängert.
In einem Erwägungsgrund zu den gegenwärtigen Verhandlungen geht der Rat sogar noch einen Schritt weiter. So soll Europol auch jene personenbezogenen Daten für mindestens 18 Monate behalten dürfen, die von den Ermittler:innen in Den Haag noch nicht auf ihren Inhalt analysiert wurden. Europol wäre es überdies erlaubt, diese Frist auf bis zu drei Jahre zu verlängern. Hierzu soll der Datenschutzbeauftragte unterrichtet, aber nicht um Erlaubnis gefragt werden.
Die jüngste Anordnung des Datenschutzbeauftragte markiert das Ende eines Verfahrens, in dem dieser seit 2019 die Speicherpraxis bei Europol untersucht. Ein Jahr später folgte eine Abmahnung, in der Wiewiórowski Europol zu einer Stellungnahme aufgefordert hat.
Auch für Daten aus verschlüsselten Messengerdiensten
Europol verfügt über Daten zu mindestens 250.000 Verdächtigen sowie einer Vielzahl von Kontaktpersonen. Nach Recherchen der britischen Tageszeitung Guardian soll es sich dabei um vier Billiarden Byte handeln. Viele der Daten liegen im übergreifenden „Europol Informationssystem“, dort sind sie auch durchsuchbar. Zudem führt Europol sogenannte „Focal Points“, dabei handelt es sich um Analysedateien zu verschiedenen Kriminalitätsbereichen. Nicht alle dort gespeicherten Informationen sind bereits erschlossen.
Die Regelung soll nach dem Willen der Mitgliedstaaten auch ermöglichen, Daten von der Europäischen Staatsanwaltschaft und Eurojust, der EU-Agentur für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, zu verarbeiten. Sogar für Drittstaaten soll der neue Artikel 74a gelten. Dies betrifft etwa Hunderte von Millionen Datensätze, die Europol aus Ermittlungen zu den geknackten, verschlüsselten Messengerdiensten Encrochat und SkyECC erhielt. Auch biometrische „Beweismittel aus Kriegsgebieten“ wie dem Irak oder Afghanistan, die vom US-Militär über das FBI an Europol übermittelt werden, enthalten Informationen die Kontaktpersonen von Straftäter:innen betreffen.
Europol soll nationale Ermittlungen anstoßen können
Die neue Europol-Verordnung soll noch in diesem Jahr beschlossen werden. Die darin enthaltenen Bestimmungen werden derzeit zwischen dem Rat und dem Parlament diskutiert. Heute trafen sich die Verhandler:innen dazu im „technischen Trilog“. Daher stammt auch das sogenannte „Vierspaltendokument“, in das der französische Ratsvorsitz die „Übergangsmaßnahme“ in einem neu hinzugefügten Artikel 74a eingefügt hat. Das Parlament muss hierzu nun einen Standpunkt entwickeln. Am 1. Februar findet dann der erste „politische Trilog“ statt.
Vorher müssen die Verhandler:innen von Rat und Parlament aber weitere schwierige Themen abräumen. Eines dieser „Pakete“ betrifft die Erlaubnis, dass Europol in einem Mitgliedstaat Ermittlungen beantragen kann auch wenn es sich nicht um einen grenzüberschreitenden Fall handelt. Bislang konnte Europol ausschließlich eine Koordinierung in Fällen übernehmen, die mindestens zwei Mitgliedstaaten betrafen.
Die französische Präsidentschaft schlägt nun als „Kompromiss“ vor, dass der Antrag für nationale Ermittlungen durch die Direktorin erfolgt und lediglich den Rang eines Vorschlags hat. Der ersuchte Mitgliedstaat kann diesem nach eigenem Ermessen Folge leisten.
Prüft Europol missbräuchliche Interpol-Haftbefehle?
Das Parlament will außerdem die Einrichtung einer Stelle für einen Grundrechtsbeauftragten durchsetzen. Der Rat schlägt dazu vor, dass dieser von der Europol-Direktorin ernannt werden soll. Außerdem soll der Gemeinsame Kontrollausschuss von Angehörigen nationaler Parlamente sowie EU-Abgeordneten gestärkt wird. Dabei soll es sich aber weiterhin nur um eine politische Kontrolle handeln. Die operativen Tätigkeiten von Europol bleiben auf diese Weise weiterhin unkontrollierbar.
Eine rote Linie für die Mitgliedstaaten besteht indes in einer Forderung des Parlaments, dass Europol über Interpol verteilte Haftbefehle auf einen möglichen Missbrauch für politische Zwecke untersuchen soll. Dies ist etwa aus der Türkei, der Ukraine und Russland bekannt. Der Rat hatte deshalb die Kommission beauftragt, ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten zu koordinieren. Die Initiative ist jedoch seit vier Jahren eingeschlafen.
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