Es lag der Hauch einer Zeitenwende in der Luft: Vor einem Jahr verkündete Google-Chef Sundar Pichai den Start eines neuen Programms, das erstmals Nachrichtenmedien direkt für ihre Inhalte bezahlt. Journalismus sollte in einem neuen Produkt namens Google News Showcase auf dem Präsentierteller serviert werden. Das sollte Googles News-App durch qualitativ hochwertige Inhalte attraktiver machen und Verlagen helfen, neues Publikum zu gewinnen.
Eine Milliarde US-Dollar werde Google in den nächsten drei Jahren weltweit für Inhalte ausgeben, sagte Pichai damals. Von Beginn an nahmen mit dem Spiegel, der Zeit und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung namhafte deutsche Medien teil, zahlreiche weitere wie die Süddeutsche Zeitung und Regionalmedien schlossen sich seither an. Facebook kopierte inzwischen Googles Vorgehen mit seiner Ankündigung, einen eigenen News-Tab mit eigens kuratierten journalistischen Inhalten anzubieten, auch der blaue Plattformkonzern will eine Milliarde an Medien zahlen.
Die Lizenzzahlungen ergänzen die Geldgeschenke von Google und Facebook an Presseverlage. Seit Jahren finanzieren die Konzerne Fortbildungen und Innovationsprojekte in Medienhäusern, greifen der aussterbenden Lokalpresse in den USA unter die Arme oder bieten Medien millionenschwere Unterstützung in der Corona-Pandemie an. Wie das Google zum weltgrößten Medienmäzen machte, darüber haben wir berichtet.
Trotz der Gaben hat sich die finanzielle Situation vieler Medien in den vergangenen Jahren kaum gebessert. Auch von dem Versprechen Pichais, mit dem neuen Produkt „dem Journalismus zum Erfolg zu verhelfen“, ist ein Jahr nach der Ankündigung wenig zu merken.
Reichweite „zu vernachlässigen“
Über den praktischen Nutzen von News Showcase herrscht in der Verlagsbranche Ernüchterung. „Das ist jetzt nicht DAS großartige Produkt“, bringt der Geschäftsführer eines großen deutschen Mediums die Meinung vieler anderer auf den Punkt. Die Reichweite, die sein Medium über den neuen Ausspielkanal erhält, sei „zu vernachlässigen“. Ähnlich sehen es auch vier andere Stimmen aus deutschen Medienhäusern, mit denen wir für diesen Bericht sprachen, darunter Leute aus großen, überregionalen Verlagen ebenso wie aus kleinen Häusern. Keiner der Betroffenen will seinen Namen in der Zeitung lesen.
Wenn es ihn gäbe, dann bekämen die Verlage davon wenig mit. Was wiederum daran liegen könnte, dass es für sie enorm schwer ist, den neuen Traffic überhaupt zu messen. Google selbst stellt den Verlagen kein Dashboard zur Echtzeit-Auswertung bereit, wie mehrere Manager:innen bemängeln, sondern schickt einmal im Monat eine CSV-Datei mit Zahlen für die vergangenen Wochen. „Google kriegt hier leider kein richtiges Reporting auf die Kette“, fasst ein Manager zusammen. „Die Klick-Zahlen sind aber eh so bescheiden, dass das nicht wirklich ins Gewicht fällt“, gibt sich ein anderer lakonisch.
Ein Journalist, der den Showcase-Kanal einer Lokalzeitung befüllt, berichtet im Gespräch mit netzpolitik.org zudem von technischen Problemen mit der Benutzeroberfläche. Das Interface sei vor allem zu Beginn voller Bugs gewesen und habe im Zeitlupentempo geladen. “Die Plattform ist so stiefmütterlich programmiert, dass das kein guter Ausspielweg für uns sein kann“, sagt der Redakteur einer Lokalzeitung, die seit Jahresanfang täglich Inhalte bei Showcase einpflegt. Und das für eine Zahl von Abonnenten, die er auch Monate nach dem Start mit den Händen abzählen könne.
Schaut man auf Facebook, fällt das erste Fazit noch ernüchternder aus. Anfang des Jahres kündigte der Konzern den Start von Facebook News in Deutschland ab, im Mai wurde das Produkt laut einer Unternehmenssprecherin landesweit ausgerollt. Als die netzpolitik.org im August und September mit Journalist:innen und Geschäftsführer:innen spricht, kann jedoch niemand sagen, ob das wirklich stimmt. Das Produkt befände sich offenbar noch „komplett im Silent Mode“, so ein Verlagsgeschäftsführer. Von nennenswerten Klickzahlen kann niemand berichten. Immerhin: Das Geld fließt bereits.
Beschweren wollen sich die Verlagsmanager:innen deshalb nicht. Sie sind froh über die zusätzlichen Einnahmen und den geringen Aufwand. Facebook News zieht sich die Artikel-Vorschauen automatisiert, bei Google News Showcase befüllen Redakteur:innen eine handvoll Story-Panels täglich mit wenigen Klicks. In mehreren Redaktionen wurden mit den neuen Mitteln Stellen geschaffen, die diese Arbeit mit übernehmen.
Einzelverträge statt Kollektivabschluss
Skeptische Geister werden fragen: Warum finanzieren Google und Facebook zwei Produkte, die nichts bringen? Wenn das Produkt selbst wenig taugt, muss es einen anderen Grund geben.
Eine Antwort darauf lässt sich aus Verträgen herauslesen, die Google und Facebook für ihre Deals mit den Medienhäusern angefertigt haben. Ein Blick in diese lässt vermuten, dass die Programme der Tech-Konzerne eine Antwort auf eine politische Herausforderung sind. Denn Verlage überall auf der Welt fordern inzwischen lauthals, von Google und Facebook für die Wiedergabe ihrer Inhalte entlohnt zu werden. Schließlich würden die Plattformen mit ihren Inhalten satte Werbegewinne machen, während die Medienbranche vom Werbekuchen immer weniger abbekomme.
Es müsse eine „faire und angemessene Vergütung“ geben, forderte kürzlich ein offener Brief von Presseverbänden, die nach eigenen Angaben weltweit 40.000 Verlage vertreten. In Deutschland waren es in den vergangenen Jahren am lautesten der Axel-Springer-Konzern und sein Chef Mathias Döpfner, die vehement Geld von Google forderten.
Das ist auf der anderen Seite der Erde, in Australien, schon der Fall. Dort zwingt der Gesetzgeber Plattformen und Verlage seit kurzem zu kollektiven Lizenzabschlüssen. Auch in Europa haben die Forderungen der Verleger Widerhall gefunden: Bereits vor zwei Jahren hat die Urheberrechtsreform der EU ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage geschaffen, das dem Ruf der Verlage in Europa eine rechtliche Form gibt. Wenn Suchmaschinen oder Soziale Netzwerk bei Links zur Presseerzeugnissen eine Vorschau anzeigen, müssen sie künftig zahlen.
Zwar ist ein solches Recht schon wiederholt in einzelnen EU-Staaten gescheitert, nicht zuletzt vor einigen Jahren in Deutschland. Auch wenden Kritiker:innen des Leistungsschutzrechts ein, dass dieses selbst kurze Teaser-Texte vergütungspflichtig mache und damit den freien Informationsfluss im Internet gefährde. Allen Argumenten zum Trotz pressten die Verlage das Leistungsschutzrecht in den Text der Urheberrechtsreform, um Google und Facebook zum Zahlen zu bringen.
„Trostpflaster“ statt rechtlicher Ansprüche
Doch statt in Verhandlungen mit Presseverbänden zu treten, setzten Google und Facebook mit ihren Programmen lieber auf freiwillige Zahlungen an ausgewählte Partner. In einem Mustervertrag für Google News Showcase heißt es, dass der Konzern Zahlungen aus dem Programm einstellen darf, sobald Medienpartner Forderungen aus dem Leistungsschutzrecht stellt. “Google kann diese Vereinbarung mit sofortiger Wirkung kündigen, wenn der Publisher einen Rechtsanspruch stellt oder eine Klage wegen der Verwendung von Nachrichteninhalten durch Google oder seine verbundenen Unternehmen einbringt.”
Auf Anfrage von netzpolitik.org betont Google, dass die Formulierung aus einer älteren und nicht mehr aktuellen Version des Vertrags stamme. Neuere Verträge enthielten sie nicht mehr, schrieb uns Google-Sprecher Ralf Bremer. „Zusätzlich hat Google alle Partner kontaktiert, die die ältere Version unterzeichnet hatten, und erklärt, dass Google die betreffende Regelung nicht anwenden wird. Die aktuelle News-Showcase-Vereinbarung enthält keine Bestimmungen, die Verlage daran hindern würde, von ihren gesetzlichen Rechten Gebrauch zu machen.“ Angesichts der vorherigen Vertragsversion erscheint jedoch fraglich, ob teilnehmende Medien Ansprüche nach dem Leistungsschutzrecht wagen.
Facebook schreibt in seinen Mustervertrag, dass gesetzliche Änderungen dem Konzern das Recht zur Einstellung seiner Zahlungen erlauben können, wenn diese „nach begründeter Einschätzung von Facebook sich negativ auf die Marktposition Facebooks oder seine Möglichkeit zum Betreiben einer Nachrichtenoberfläche oder eines anderen Facebook-Firmenproduktes auswirken könnten“. Das sind Vertragsbedingungen, die dem Konzern Spielraum lassen, den Geldfluss nach Gutdünken zu stoppen. Facebook wollte die Passage auf Anfrage nicht kommentieren.
Die Formulierungen in den Verträgen legen nahe, was auch Betroffene in deutschen Verlagen vermuten. Diese sprechen von einem finanziellen „Trostpflaster“ der Internetkonzerne, dass rechtliche Ansprüche auf Vergütung schon im Vorhinein abräumen soll. Wie viel einzelne Verlage erhalten, bleibt unklar – bei Google soll es für große Medien ein monatlicher Betrag im niedrigen sechsstelligen Bereich sein, für kleinere ein fünfstelliger. Bei Facebook soll es deutlich weniger sein, genaue Angaben macht keiner der beteiligten Verlage. Um unsere Quellen zu schützen, verzichtet netzpolitik.org auf deren ausdrücklichen Wunsch hin in diesem Fall darauf, die Musterverträge im Volltext zu veröffentlichen.
Von Außenstehenden kommt reichlich Kritik an der Verschwiegenheit der Verlage. Diese nutze vor allem den Tech-Konzernen, sagte die Tech-Journalistin Svea Eckert in einem Gespräch, das die Autoren für das „Medium Magazin“ mit ihr führten. Statt gemeinsam bessere Konditionen auszuhandeln, kämpfe jeder Verlag alleine und mache am Ende einen eher schlechten Schnitt. Der Nettogewinn von Facebook belief sich allein im Jahr 2020 auf 29,15 Mrd. Dollar, der des Google-Mutterkonzerns Alphabet auf 40,27 Mrd. Dollar. Setze man die 330 Millionen Dollar pro Jahr ins Verhältnis dazu, seien die Zahlen weniger beeindruckend, so Eckert. Das Engagement für die Presse liegt bei etwa einem Prozent des Gewinns.
Welche Vergütung einzelne Verlage erhalten, werde aus einem System objektiver Kriterien abgeleitet, betont Facebook auf unsere Anfrage. Welche Kriterien das genau sind, will der Konzern aber nicht verraten. Auch Albrecht Ude, Journalismustrainer und Vorstandsmitglied beim Netzwerk Recherche, spricht sich für Offenheit über Beziehungen und Geldflüsse zwischen Verlagen und Tech-Konzernen aus. „Ähnlich wie bei der Korruptionsbekämpfung ist Transparenz das Mittel der Wahl, um mögliche Gefahren zu minimieren“.
Qualitätsjournalismus und der „Promiflash“
Undurchsichtig ist auch die Strategie der Konzerne, warum sie bestimmte Medien überhaupt für die Teilnahme an den Nachrichtenprogrammen angefragt haben, andere aber nicht. Details dazu wollen die US-Konzerne auf Anfrage nicht verraten, betonen jedoch, dass grundsätzlich alle Medien teilnehmen könnten. In der Liste der über 100 teilnehmenden deutschsprachigen Medien finden sich bei Facebook neben klassischen Verlagen wie der Süddeutschen und bekannten Nachrichtenportalen wie t-online auch Blitzlicht-Titel wie „Promiflash“ und „Promipool“. Was das mit der Förderung von Qualitätsjournalismus zu tun hat, ist unklar. Sicher ist hingegen, dass Google und Facebook mit ihren Programmen eine Teile-und-Herrsche-Taktik betreiben, die Teile der Branche geschäftlich enger an sie bindet.
Den Plan der Konzerne könnte allerdings noch jemand durchkreuzen: Das Bundeskartellamt. Die Behörde untersucht seit Juni, ob Google News Showcase die Durchsetzung des Leistungsschutzrechtes „unverhältnismäßig erschwere“. Geprüft wird auch, ob die Einbindung von Googles Newsangebot in der eigenen Suche eine Form unzulässiger Selbstbevorzugung darstelle, und ob die Bedingungen für den Zugang zu Showcase fair ausgestaltet seien. Die Prüfung bezieht sich zwar explizit auf Google, könnte aber rechtlich auch für Facebook Bindewirkung entfalten.
Ausgelöst hatte die Untersuchung eine Beschwerde der von Axel Springer dominierten Verwertungsgesellschaft Corint Media. Der Verband, der im Interesse der Verlage für das Leistungsschutzrecht eintritt, klagte jüngst in einem Schreiben an das Bundeswirtschaftsministerium, Google habe mit seinem Programm die „Spaltung der Verleger“ im Sinn. Es drohe eine Teilung in eine Gruppe, die „die angebotenen Zahlungen ‚mitnehmen‘ kann, und eine Gruppe, die angesichts des von Google mit allen Mitteln geleisteten Widerstands den beschwerlichen und kostenintensiven Weg der kollektiven Rechtsdurchsetzung bestreiten muss“. Diesen und weitere Vorwürfe erhob Corint Media in einer rechtlichen Analyse der Musterverträge, die es im Oktober 2020 an Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) schickte. Wir veröffentlichen die Dokumente, die wir durch eine Informationsfreiheitsanfrage erhielten.
Das Lobbying macht deutlich, dass die Internetkonzerne durchaus noch politischen Gegenwind erwarten können. Nicht nur in Berlin, auch in Brüssel werden die Rufe nach strengerer Regulierung der Internetkonzerne lauter. Der Axel-Springer-Verlag und seine europäischen Verbündeten drängen bei der EU-Kommission darauf, neue Hebel für kollektive Lizenzverhandlungen zwischen Verlagen und Internetkonzernen zu schaffen, nach australischem Vorbild. Diese Bestrebungen könnten den Lobbyisten von Google und Facebook noch schlaflose Nächte bereiten.
Das neue Kapitel, das Facebook und Google in ihrer Beziehung zu den Medien aufgeschlagen haben, es könnte also bald schon wieder vorbei sein.
Dieser Text beruht in Teilen auf einer Recherche, die die Autoren für das Medium Magazin durchgeführt haben. Er ist in Ausgabe 4/2021 unter dem Titel „Neue beste Freunde. Wie die Tech-Konzerne den Journalismus umgarnen“ erschienen.
Internetkonzerne – gerne weghebeln. Aber den relevanten Teil des Internets, alles andere, bitte davon unberührt lassen, bzw. bzgl. bereits erfolgter Gesetzgebung: machen.
Die Politik begreift das wohl als „Realität“ und „Erfolgsmodell“. Die 30er sind zurück ;).
Es gibt ja ein paar Seiten die auch alle Onlineausgaben der Verlage teasern und man über den Link den Artikel selbst lesen kann, sofern dieser nicht hinter der Paywall versteckt ist.
Nur zur Nenneung dieser Seiten Newstral.com/de bietet von fast allen deutschsprachigen und ein paar ausländischen Zeitungen alle Überschriften mit Verlinkung.
Etwas weniger übersichtlich ist Rivva.de die vergleichbares bieten.
Inwieweit unterscheiden sich die Neuentwicklungen von FB oder Google zu den genannten Seiten?
Ganz einfach: Bei Google ist Knete zu holen, das wissen die Medienhäuser und auch Google selbst mittlerweile. Dass das eigentlich so schon Vorteile bringt, kann man gekonnt ignorieren, wenn es dafür noch mehr Kohle gibt.