Auf der transmediale gab es ein Panel über Anonymous Codes, unter anderem mit dem Hacker und Aktivist Jacob Appelbaum sowie der Anthropologin und Anonymous-Forscherin Gabriella Coleman.
Das spannendste war eigentlich die Rede von Jacob, in welcher er Anonymous nicht nur vehement verteidigte, sondern dazu aufrief, sich am politischen Aktivismus zu beteiligen. Er hat seine Rede in voller Länge auf sein Blog gestellt. Netzpolitik.org hat nun exklusiv das Video erhalten:
Er redet sehr schnell, weil er nur zehn Minuten hatte. Aber ich empfehle wirklich, das Video zu gucken oder das Audio anzuhören. Nebenbei kann man auch den Original-Text lesen. Wer nicht kann oder will, für den gibt es eine deutsche Zusammenfassung und Teil-Übersetzung:
Noch nach der McCarthy-Ära gab es in den USA ein anti-kommunistisches Programm des FBI unter dem Namen COINTELPRO, um politische Organisationen zu stören. Eine Bürger-Kommission zur Untersuchung des FBI ist in ein FBI-Büro eingebrochen und hat über eintausend Dokumente mitgenommen und veröffentlicht. Dadurch wurden illegale Praktiken des FBI bekannt, als Resultat wurde COINTELPRO eingestellt. Bis heute ist nicht öffentlich bekannt, wer an der Aktion beteiligt war, es wurde nie jemand verhaftet oder befragt. Sie waren und sind: Anonymous.
Jakob ordnet die Aktionen von Anonymous in die politische Geschichte und Tradition ein. Der Hack der Sicherheits-Firma HBGary sei vergleichbar mit der Aktion der Bürger-Kommission zur Untersuchung des FBI. Die Blockade von Webseiten sind eine Online-Demonstration und mit einer Straßenblockade vergleichbar.
Anonymous ist nicht perfekt, aber es dient als Banner, um ein Gefühl der Zusammengehörigkeit bei denen zu erz[…]eugen, die genug haben. Genug von Überwachung. Genug von Zensur. Genug an Lügen. Genug Kriegsverbrechen. Genug Zynismus. Keine Bewegung ist perfekt, aber ein Mangel an Perfektion delegitimiert nicht die Wahrheiten, die Anonymous aufgedeckt hat oder die positiven Aktionen, die sie durchgeführt haben.
Wir haben heute einen neuen Fall der Pentagon-Papiere und eine neue Anti-Kriegs-Bewegung wie beim Vietnam-Krieg. Wir haben ein neues COINTELPRO-Programm, wie die Telefonüberwachung durch die NSA demonstriert und neue Polizeibrutalität, wie die Einsätze gegen die Occupy-Bewegung zeigen. Ich selbst habe umfangreiche Schikanen erlebt, ohne auch nur eine einzige juristische Anklage oder Verhaftung. Genug ist genug!
Die Bürger-Kommission zur Untersuchung des FBI von heute sind Anonymous und ähnliche Gruppen, die gemeinsam agieren. Das FBI von heute ist der militärisch-industrielle Komplex und ihren Freunde bei Überwachungsfirmen – und das FBI ist wieder mit dabei. HBGary hat quasi COINTELPRO-Aktionen gegen Wikileaks und Anonymous durchgeführt. Eine wichtige Parallele mit HBGary ist: Anonymous hat sie gehackt. Das war das Äquivalent zum Einbruch in ihr Gebäude, um ihre Dokumente mitzunehmen, im Sinne des Allgemeinwohls. Die Veröffentlichung der Daten führte zu einem riesigen Aufschrei gegen HBGary wegen ihren offensichtlich illegalen Aktionen und ihren Partnerschaften mit Regierungsbehörden.
Und wenn wir einen Sitzstreik sehen, also einen analogen Denial of Service-Angriff gegen ein Gebäude, dann haben diese den Weg geebnet für elektronische Sitzstreiks gegen die Zentren der Macht: Den Geldfluss, gesteuert von PayPal. Wenn Anonymous einen Denial of Service-Angriff gegen PayPal durchführt, als Protest gegen die Blockade von WikiLeaks, dann steht dies in der breiten Tradition des gewaltfreien Widerstands gegen den Missbrauch von Macht. Dabei gab es keine bleibenden Schäden, es wurden keine Server beschädigt, es hat kein Betreiber der LOIC-Kanone Pfefferspray in die Augen bekommen. Dennoch hatten die Aktionen eine nachhaltige Wirkung und thematisierten die finanzielle Blockade gegen WikiLeaks. Warum erlauben wir das? Würden wir einer Bank erlauben, ihre Dienste Mitgliedern der grünen oder konservativen Partei zu verweigern?
Wir brauchen die Daniel Ellsbergs, die Emma Goldmans, die Julian Assanges, die Rosa Luxemburgs, die Peter Sundes – Menschen, die bereit sind, sich öffentlich für einen guten Zweck einzusetzen. Sie sind machtvoll und wichtig, vor allem weil wir alle hinter ihnen stehen. Ihr Mut ist ansteckend und ihr Handeln steht in Unterstützung und in Solidarität mit unseren Aktionen. Es ist an uns allen, mit moralischer Autorität der Tyrannei gegenüber zu stehen, nicht als Mob, sondern in Solidarität.
Wir brauchen heute wieder eine Bürger-Kommission zur Untersuchung des FBI, sie ist wichtiger als je.
Auch deutsche Themen spricht Jakob an, namentlich die rechtsextreme terroristische Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund und die unrühmliche Rolle der Verfassungsschutzbehörden. Er kommt zu dem Schluss:
Jetzt ist die Zeit für gewaltlosen Widerstand.
Geschichte wiederholt sich, aber das Ergebnis wird nicht durch Hoffnungen bestimmt, sondern durch Aktionen: direkte, gewaltfreie Aktionen und das mutige Aussprechen der Wahrheit. Wir müssen ein Zeichen gegen Faschisten setzen, egal wie sie sich nennen oder unter welcher Flagge sie sich organisieren.
Also wer ist derjenige, der aktiv werden soll? Das bin ich. Das bist du. Das sind wir alle. Wer sind wir? Wir sind alle Anonymous.
Jakob wird übrigens auch auf der re:publica Anfang Mai einen Vortrag halten.
dr gute alte appelbaum
Passt irgendwie nicht eine Attentäterin (Ulrike Meinhof) zu zitieren und dann zum gewaltfreiem Widerstand aufzurufen.
Sehr fragwürdig.
Aber ansonsten gut und interessant.
@Micha: das ist der einzige Punkt, der mich auch störte. Aber ich vermute, dass Jacob als US-Amerikaner wenig Ahnung von der RAF-Geschichte hat.
Ulrike Meinhof hat die zitierten Worte in einem Kommentar zum Attentat auf Rudi Dutschke geschrieben, allerdings ist genau das ein Zitat von jemand anderes (ein vermutlich anonym gebliebener Vertreter der Black Power-Bewegung).
Es ist zwar schlecht zu verkaufen, aber ich würde schon zwischen ihren Schriften vor ihrer Radikalisierung und danach unterscheiden wollen. Das hier wurde auch vor Gründung der RAF geschrieben, aber das Attentat auf Dutschke gilt sicherlich als Wendepunkt.
Das ist schon witzig, dass Appelbaum ein von Ulrike Meinhof zitierten Ausspruch der Black Panther nicht kenntlich macht:
Mit dem Zitat begann einer ihrer wichtigsten Aufsätze:
>http://www.ruhr-uni-bochum.de/bsz/516/516meinhoff.htm
–Detlef
Vergesst bitte nicht „Bradley Manning „, der mit der Übermittlung der geheimen Papiere erst möglich gemacht hat, das diese Informationen überhaupt an die Öffentlichkeit gelangten.