ImmunitätsausweisMenschenrechtsorganisation warnt vor digitaler Identität

In die Debatte um einen möglichen Immunitätsausweis bei überstandener Infektion mit dem Corona-Virus mischen sich immer mehr kritische Stimmen. Die Menschenrechtsorganisation Privacy International warnt in einem aktuellen Bericht vor den Risiken eines solchen Ansatzes. Besonders eine digitale Umsetzung sehen die Aktivist:innen kritisch.

Eine andersfarbige Spielfigur ist nicht Teil der Gruppe.
Immunitätsausweise könnten Menschen, die noch nicht gegen das Virus immun sind, vom öffentlichen Leben ausschließen. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Markus Spiske

Ein gutes halbes Jahr nach dem Beginn der Corona-Krise bleibt weiterhin vieles unbekannt – etwa die Antwort auf die Frage, ob eine überstandene Infektion mit dem neuartigen Virus automatisch zu einer Immunität führt. Dennoch will die Debatte rund um einen möglichen Immunitätsausweis nicht abreißen, weder hierzulande noch international.

Ein Immunitätsausweis soll bestätigen, dass eine Person bereits an Covid-19 erkrankt war und daher nicht mehr ansteckend ist. Grundsätzlich könnte auch eine künftige Impfung berechtigen, einen solchen Ausweis zu bekommen. Er würde den Träger:innen Rechte und Privilegien verleihen, die andere Menschen nicht hätten. Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen oder die Maskenpflicht könnten für sie womöglich nicht mehr gelten.

Die Menschenrechtsorganisation Privacy International hält dieses Szenario nicht für wünschenswert. In einem aktuellen Bericht befürchtet die Organisation vor allem eine Ausweitung der „digitalen Identität“. Wenn Unternehmen ihr Geschäftsmodell darauf aufbauen, Daten über eine Person zu sammeln und diese Daten miteinander zu verknüpfen, sei ihnen nicht nur daran gelegen, die Ausbreitung des Virus einzugrenzen.

Die Industrie rund um die digitale Identität wird uns nicht vor den Risiken der Technologie beschützen. Die Unternehmen bewerben ihre eigenen Produkte und sind daran interessiert, ein weitergehendes System der digitalen Identität aufzubauen, das auf ihren bereits existierenden Modellen basiert, anstatt eine echte Lösung für die Risiken derartiger Ausweise zu entwickeln. (Unsere Übersetzung)

Sie hätten auch ein Interesse, für die Zeit nach der Pandemie personenbezogene Gesundheitsdaten zu sammeln und zu verwerten. Diese Versuche habe man in der Vergangenheit auch bei Impfprogrammen beobachten können.

Zu viele Fragen offen

Die Aktivist:innen befürchten, dass zunehmende Identifizierungen zwangsläufig Menschen ausschließen. Viele der angedachten Lösungen erfordern beispielsweise irgendein anderes Ausweispapier, das die Identität bestätigt, um den Immunstatus auch sicher einer Person zuordnen zu können. Personen, die undokumentiert in einem Staat leben oder aus anderen Gründen nicht identifiziert werden wollen, müssten aber im Sinne der Infektionsvermeidung auch in das System mit eingeschlossen werden.

Sollte der Ausweis in Form einer App entstehen, sei außerdem ein Smartphone eine Voraussetzung, den Ausweis zu bekommen. Solche Geräte können sich aber nicht alle leisten. Selbst eine analoge Ersatzlösung könnten viele meiden, da man sich dem Stigma aussetzen würde, zu arm für ein Smartphone zu sein.

Zudem sei noch völlig unklar, wie ein Ausweis eingesetzt werden sollte. Geht es nur um derzeit eingeschränkte Aktivitäten, also etwa ein Supermarktbesuch ohne Gesichtsmaske oder ein Treffen mit größeren Gruppen, in denen alle einen Immunitätsausweis haben? Oder fangen Arbeitgeber an, die Immunität zur Voraussetzung für eine Einstellung zu machen? Darf jemand mit Ausweis in den vollen Zug noch einsteigen, jemand ohne Ausweis aber nicht? Und in welchen Fällen dürften die Sicherheitsbehörden den Immunstatus kontrollieren? Solche Fragen müssten dem Bericht zufolge geklärt werden, bevor an eine technische Umsetzung auch nur gedacht wird. Sonst könnte die Teilnahme am öffentlichen Leben für Menschen ohne Immunitätsausweis nach und nach eingeschränkt werden.

Ethikrat berät über Spahns Gesetzentwurf

Der Bericht ist nicht auf Deutschland bezogen, passt aber in die hiesige Debatte. Bereits im Mai hatte das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf beschlossen, in dem die Einführung eines Ausweises vermerkt war:

Eine Immunitätsdokumentation soll künftig analog der Impfdokumentation (auch zusammen
in einem Dokument) die mögliche Grundlage dafür sein, eine entsprechende Immunität
nachzuweisen.

Diese Formulierung spricht für eine Lösung auf Papier, ähnlich dem Impfpass. Gleichzeitig gibt es aber schon Bestrebungen der Wirtschaft, den Nachweis mithilfe einer App und Blockchain-Technologie zu realisieren. Blockchain hält der Bericht von Privacy International nicht für eine geeignete Technologie, da nicht geklärt sei, wie lange eine Person nach einer Infektion oder künftig einer Impfung immun bleibt.

CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn verzichtete nach öffentlicher Kritik am Gesetzesvorhaben auf die direkte Einführung und bat stattdessen den Deutschen Ethikrat um seine Einschätzung. Ein Ergebnis wird im August erwartet. Bislang ist dem Redaktionsnetzwerk Deutschland zufolge der Rat aber mehrheitlich skeptisch.

Keine wissenschaftliche Evidenz für Immunität

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kritisiert Überlegungen zu Immunitätsausweisen. In einer Stellungnahme aus dem April weisen die Expert:innen daraufhin, dass es keinerlei Belege für einen effektiven Infektionsschutz nach einer ausgestandenen Covid-19-Erkrankung gebe.

Die meisten Studien zeigen, dass Menschen, die sich von einer Infektion erholt haben, Antikörper zum Virus im Blut haben. Einige dieser Menschen weisen jedoch eine sehr niedrige Konzentration von Antikörpern auf.

Es gebe noch keine Studie, die nachweisen würde, dass Antikörper im Blut ausreichen, um eine erneute Infektion zu verhindern. Solange das nicht geklärt sei, könnten keine Immunitätszertifikate ausgestellt werden:

Menschen, die annehmen, sie seien immun gegen eine zweite Infektion, weil sie positiv auf Antikörper getestet wurden, würden vielleicht die Anweisung zur öffentlichen Gesundheit missachten. Die Einführung solcher Zertifikate könnte das Risiko einer weiteren Ausbreitung des Virus also erhöhen.

Im Bericht von Privacy International wird außerdem darauf hingewiesen, dass die Testkapazitäten noch deutlich steigen müssten, bevor ein Immunitätsausweis eingeführt werden könnte. Wenn die Grundrechte eines Menschen von seinem Immunstatus abhängen, müsste der Zugang zu einem Corona-Test oder sogar einem Antikörper-Test für alle jederzeit zugänglich sein.

6 Ergänzungen

  1. Danke für den Artikel!

    Der Gedanke an einen digitalen Immunitätsausweis bereitet mir schlaflose Nächte und Albträume, seitdem ich von den Plänen von Spahn und den Entwicklungen von „Covi Pass“, der bereits in mehrere EU-Staaten verkauft wurde, und ähnlichen Projekten erfahren habe.

    Ich halte das für die gefährlichste Entwicklung, die diese Krise bislang zu Tage gebracht hat.
    Abgesehen von der völlig falschen Sicherheit, die durch noch nicht und vermutlich niemals eindeutig nachweisbare und überprüfbare Covid-Immunität entsteht und den Anreizen sich zu infizieren, muss vor allem der Gedanke an die dadurch unweigerlich entstehende, biometrisch überwachte und kontrollierte Zwei-Klassen-Gesellschaft, jedem Menschen, der auch nur ein Mindestmaß auf Demokratie hält und auch nur über ein rudimentäres Geschichts- und Gesellschaftswissen verfügt, aufschreien und zu Widerspruch verleiten lassen!

    Der Dammbruch, der die Einführung einer solchen Technologie bedeuten würde, dürften liberale, demokratische Gesellschaften kaum verkraften können und hätten jeglichen Anspruch auf diese Bezeichnung auch verspielt, meiner Meinung nach. So gefährlich Covid auch sein kann, und so sehr man mit temporären Einschränkungen leben muss, so wenig ist ein digitaler Immunitätspass bei dieser Pandemie angemessen, um den Schaden aufzuwiegen, den er anrichtet.

    Ich hoffe, dass der Ethikrat zu keiner anderen Einschätzung kommen wird, auch wenn mich sehr irritiert, dass er sich so viel Zeit bei der Entscheidungsfindung lässt. Und wer weiß, was uns auf globaler oder EU-Ebene noch bevorsteht.

  2. Das wird wohl die nächste Schweinerei, die man dann unter dem Deckmantel des Seuchenschutzes durch alles Parlamente drückt: die (lebenslange) „digitale Identität“. Natürlich ist es zuerst nur ein Immu-Ausweis, und nur wegen Corona. Bis es dann doch anders ist.
    Man kennt das Spiel ja von der „Steuernummer“ die jetzt zur staatlichen Personenkennziffer werden soll.

    (Ich warte aktuell noch auf die erste Stimme aus dem freiheitsfeindlichen CDU-Flügel, die fordert die Gästelisten in Restaurants, Kaffees, Kinos, etc. zur dauerhaften Maßnahme zu machen, weil es so toll und effektiv bei der „Verbrechensbekämpfung“ war, und die Polizei auch nicht mehr so viel Arbeit damit hätte.)

    1. Bei den digitalen Immunitätsausweisen reicht es, sich mal die jeweiligen Websites anzuschauen. Beim „Covi Pass“ wird ganz klar, dass das ganze mit dem sogenannten „VCode“ nicht nur ein Immunitätspass, sondern eine allumfassende „digitale Identität“ mit biometrischer Überwachungsfunktion ist. Da liegt es mehr als nahe zu vermuten, dass es bei der gewünschten Einführung von Immunitätspässen überhaupt nicht nur um Gesundheitsschutz oder Pandemiebekämpfung geht.

  3. Sie bekommen im „Norden“ im Moment keinen Antikörpertest.

    Das ist schon ein Anreiz irgendetwas zu tun, wo man einen bekommt, z.B. in ein bestimmtes Land einreisen. Das erhöht schon das Risiko, sich zu infizieren.

    Mit dem Immunitätsausweis wird das noch schlimmer. Jetzt fehlt nur noch, Fussballfans zu testen, aber Leute mit Ü80 Eltern nicht.

    Ohne Testmöglichkeit alle 3-6 Monate für ALLE, sollte soetwas schnellstmöglich kassiert werden.

  4. Im drittletzten Absatz des Artikels schreibt ihr:

    „Es gebe noch keine Studie, die nachweisen würde, dass Antikörper im Blut ausreichen, um eine erneute Infektion zu verhindern.“

    So wie ich das als Corona-Hobby-Epidemiologe ;-) verstanden habe, macht auch ihr hier den allseits verbreiteten Fehler, Infektion mit Erkrankung gleichzusetzen!
    Eine erneute Infektion wird sich demnach wohl niemals verhindern lassen, entscheidend ist doch die Frage, ob die erneute Infektion zu einer erneuten Erkrankung führt.

    Außerdem gibt es wohl neben den Antikörpern noch einen 2. Schutzmechanismus gegen die Viren, die Killer-Lymphozyten und die T-Gedächtniszellen, siehe z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Lymphozyt . Leider scheint sich dieser Teil durch keinerlei Tests nachweisen zu lassen, ist aber trotzdem vorhanden. Insofern erscheint mir die Reduktion der ganzen Diskussion auf die Antiköroper ein Fehler zu sein. Mehr Aufklärung hierzu wäre sicherlich nicht verkehrt.

    Im Kontext von Corona hab ich bisher nur durch Dr. Bhakdi Hinweise darauf gefunden. Es wäre daher m.E. interessant, sich Stellungnahmen dazu auch von anderen Experten, idealerweise auch aus dem „regierungsnahen Lager“ einzuholen und öffentlich zu machen.

  5. Wenn Immunität durch Antikörper „nachgewiesen“ wurde, dann kann die Person das Virus in sich haben (die Antikörper wurde eben erst gebildet und das Virus ist teilweise noch vorhanden). Eine Person mit Immunitätsausweis kann also nach wie vor andere anstecken.

    Wenn eine fehlende Immunität durch fehlende Antikörper „nachgewiesen“ wurde, dann kann die Person ebenfalls das Virus in sich haben (die Antikörper wurde noch nicht gebildet und das Virus ist schon vorhanden). Eine Person ohne Immunitätsausweis kann also ebenfalls andere anstecken.

    Hier geht es nicht um Infektionsbekämpfung.

    Der Ausweis bringt auch keine Freiheiten sondern Einschränkungen. Denn die Einschränkungen bekommt man, wenn man nicht mitspielt und keinen Ausweis holt. Und wenn man mitspielt, dann ist das beste was MAXIMAL drin ist, dass man keine Einschränkungen bekommt. Durch den Ausweis ist die Hemmschwelle niedriger, weitere Einschränkungen einzuführen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.