Mittwoch hat die Datenethikkommission der Bundesregierung ihr Abschlussgutachten vorgelegt. Die Kommission wurde vor einem Jahr gemeinsam vom Bundesinnenministerium und dem Justizministerium eingerichtet, um Antworten auf einige der kniffeligsten Fragen zum Umgang mit Daten und Algorithmen zu liefern und ethische Leitplanken zu definieren. Unsere erste Analyse zeigt: Das ist besser gelungen, als wir erwartet hatten.
Der Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz, Christine Lambrecht, liegt einer ersten Äußerung zufolge „viel daran, dass wir gemeinsam eine wertebasierte, menschenzentrierte und gemeinwohlorientierte digitale Zukunft gestalten, die niemanden zurücklässt und der die Menschen vertrauen können.“ Sie ist froh, „dass die Datenethikkommission sowohl ethische Leitlinien als auch konkrete rechtliche Handlungsempfehlungen“ vorgelegt hat. Sie will die Empfehlungen der Datenethikkommission „nun im Detail auswerten und bei unserem politischen Handeln berücksichtigen.“
Der Parlamentarische Staatssekretär Günter Krings aus dem Bundesinnenministerium möchte, dass die Bürgerinnen und Bürger „den digitalen Wandel mitgestalten“, „um selbstbestimmt mit den Risiken umgehen zu können“. Die Ergebnisse der Kommission würden „hierfür einen wichtigen Beitrag“ leisten.
„Steilvorlage für die Zivilgesellschaft“
Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband und Mitglied der Datenethikkommission sieht die Bundesregierung am Zug und wünscht sich, dass sie die Empfehlungen „so schnell wie möglich“ umsetze.
Lorenz Matzat hat für Algorithmwatch eine kurze Analyse geschrieben und beurteilt die Empfehlungen als „eine überfällige und substanzielle Diskussionsgrundlage“ und als „Steilvorlage für die Zivilgesellschaft“. Auch wenn er einige kritische Fragen hat: An dem Gutachten werde „man zumindest in Deutschland im Diskurs über den Umgang mit Daten (auch jenseits des Datenschutzes) sowie automatische Entscheidungen nicht mehr vorbeikommen.“
Auch der TÜV-Verband begrüßt das Gutachten. Der Präsident der Prüfstellen-Vereinigung, Joachim Bühler, sieht „in unabhängigen Prüfungen Künstlicher Intelligenz zur Sicherheit von Verbrauchern, Beschäftigten und Unternehmen ein Instrument, um KI-Innovationen auf dem europäischen Markt zum Durchbruch zu verhelfen.“
Industrie: Ethik schön und gut, aber bitte ohne Konsequenzen!
Der Industrieverband Bitkom begrüßt zwar, „dass wir in Deutschland einen breiten gesellschaftlichen Dialog über Datenethik führen.“ Aber das war es auch schon mit Lob. Anstatt über Risiken möchte man lieber über Chancen reden und sieht in Transparenz mehr Chancen als in echten Verbraucherrechten. Nicht fehlen darf die Warnung vor „Regulierungswut“. Das geht dann so weit, dass Bitkom-Präsident Achim Berg vor einem Rückbau Deutschlands „zu einem analogen Inselstaat“ warnt.
Wenig überraschend findet auch eco, der Verband der Internetwirtschaft: Ethik schön und gut, aber bitte ohne zu stören. Die Organisation „warnt vor Unmengen neuer Gesetze und Regeln“ und „blinder Überregulierung“, denn die „würde die Entwicklung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz als Schlüsseltechnologie massiv beeinträchtigen und die Digitalisierung in Deutschland nur noch weiter verzögern.“
Ähnlich klingt es auch beim Verband Deutscher Maschinenbauer. Dessen Geschäftsführer Software und Digitalisierung, Claus Oetter, beklagt: „Überbordende Regulierungen blockieren die technologischen Innovationen sowie eine dynamische Marktentwicklung, das darf nicht passieren. Datenethik ist wichtig, doch sie muss für die Industrie praxistauglich sein und darf keine voreiligen Grenzen ziehen. Nur dann kann künstliche Intelligenz einen wichtigen Beitrag zu einer fortschrittlichen technologischen Entwicklung leisten
CDU wiegelt ab, Linke lobt, SPD schweigt
Im Ton etwas zurückhaltender – immerhin hat die eigene Regierung das Gutachten in Auftrag gegeben -, in der Sache aber äußerst ähnlich wie bei den Wirtschaftsverbänden, klingt es bei der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. In deren Namen warnen die Abgeordneten Nadine Schön und Tankred Schipanski vor einer Überforderung des Marktes, wollen aber die „Vielzahl vorgeschlagener Maßnahmen“ nun umfassend prüfen und „uns dabei an den Chancen orientieren“.
Die beiden linken Bundestagsabgeordneten Anke Domscheit-Berg und Petra Sitte begrüßen, !dass die Datenethikkommission weitgehende Vorschläge zur Algorithmenregulierung vorgelegt hat und nun eine umfassende Diskussionsgrundlage bietet.“
Aus der Grünen Bundestagsfraktion melden sich Tabea Rösner und Konstantin von Notz zu Wort. Sie sehen sich durch die Empfehlungen der Kommission in vielen Punkt bestätigt und nutzen die Gelegenheit für einen Angriff auf die Bundesregierung: „Wie zuvor die Expertenkommission zum Wettbewerbsrecht nimmt auch die Datenethikkommission die offenkundig überforderte Bundesregierung mit der Vorlage ihrer ebenso klaren wie zukunftsfähigen Handlungsempfehlungen in zentralen Zukunftsfragen an die Hand. Sie macht deutlich, dass Regulierung alles andere als Teufelswerk ist, sondern Verbraucherrechte sichert, Diskriminierung verhindert und Unternehmen dringend benötigte Rechtssicherheit bietet.“
Der technologiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Mario Brandenburg, hat sowohl Lob als auch Kritik für das Gutachten. Die Datenethikkommission schüre Ängste, findet der Wirtschaftsinformatiker. Dass bestimmte algorithmische Systeme vor ihrer Markteinführung geprüft werden sollen, gefährde einen „First Mover Advantage“ und Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit. Gleichwohl hält er fest: „Viele Punkte, wie Privacy-by-Design, Interoperabilität, Explainable AI oder das Einschalten von „Datentreuhändern“, um die Kooperation auf europäischer Ebene voranzutreiben und Bürgerrechte zu schützen, begrüßen wir Freie Demokraten.“
Eine Stellungnahme der SPD-Fraktion oder ihrer Netzpolitiker:innen konnten wir bisher nicht finden.
Maßstab für die künftige Digitalpolitik
Chris Köver und Ingo Dachwitz kommentierten bei uns: „Nach einer ersten Lektüre kann man sagen, dass das Gutachten durchaus wegweisend ist. Verständlich beschrieben und mit praktischen Beispielen untermauert, seziert es aktuelle Probleme und enthält sehr viele Vorschläge für konkrete Gegenmaßnahmen. Von denen könnte die Bundesregierung einige sofort umsetzen, viele müsste sie auf europäischer Ebene anstoßen. […] Wissenschaft und Zivilgesellschaft sollten das Gutachten künftig als Maßstab nehmen, an dem sie die Digitalpolitik der Bundesregierung messen.“
Update: Hinter der Paywall vom Handelsblatt haben wir doch noch eine Äußerung eines SPD-Abgeordneten gefunden. Jens Zimmermann ist netzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion:
„Den Einsatz von Algorithmen per se zu verbieten, wird in der digitalen Welt nicht möglich sein“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Handelsblatt. „Wir wollen den technischen Fortschritt.“ Gleichwohl dürfe der Einsatz der Algorithmen nicht zur Diskriminierung und weiteren Kartellbildung in der digitalen Welt führen. „Die Machtkonzentration muss aufgebrochen werden und zwar mit klaren Regeln für Transparenz und Offenlegung“, sagte Zimmermann.
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