16 Mitglieder, die Hälfte davon Frauen, und ein Jahr Zeit. Selten hatte ein Gremium ein solches symbolisches Päckchen zu tragen wie die Datenethikkommission der Bundesregierung. Im Grunde muss man von einer Last sprechen. Egal, ob in der Strategie Künstliche Intelligenz oder bei kritischen Nachfragen zu Konsequenzen aus dem Cambridge-Analytica-Skandal: stets musste die Kommission als Joker herhalten.
Nicht weniger als die Grundlage für ein „neues Datenrecht“ solle sie schaffen, versprach Kanzleramtsminister Helge Braun. Heute hat die Kommission ihr Abschlussgutachten vorgelegt.
Kommission statt Vision
Wie sie denn mit dem enormen Erwartungsdruck umgehen würden, hatten wir die Vorsitzenden im Mai 2019 auf der re:publica gefragt. Ihre charmante Antwort: „Mit Verdrängung.“ Was sollten sie auch sagen? Statt nach der Bundestagswahl 2017 Richtungsentscheidungen in der Daten- und Algorithmenpolitik zu treffen, vertagten CDU, CSU und SPD die Auseinandersetzung.
Die Unionsparteien hatten in ihrem Wahlprogramm Angela Merkels Mantra von „Daten als Rohstoff der Zukunft“ folgend ein Datengesetz angekündet, das Wirtschaft und Behörden den Zugriff auf Daten erleichtern sollte. Auch die SPD betonte das wirtschaftliche Potenzial von Daten, kündigte aber diverse Maßnahmen zum Schutz von Verbraucher:innen an, etwa einen „Algorithmen-TÜV“ und strengere Regeln für Risikoscoring.
Statt gemeinsamer Visionen setzte man also auf eine neue Kommission – typisch GroKo eben. Sie sollte „einen Entwicklungsrahmen für Datenpolitik, den Umgang mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz und digitalen Innovationen“ erarbeiten, hieß es im Koalitionsvertrag. Die Ergebnisse sollten dann „Geschwindigkeit in die digitale Entwicklung bringen und auch einen Weg definieren, der gesellschaftliche Konflikte im Bereich der Datenpolitik auflöst“.
Das neue Datenrecht ist das alte
Wie machen sich die Ergebnisse nun also im Vergleich zu diesen hoch gesteckten Zielen? Hinter vorgehaltener Hand – die Kommission entschied sich dafür, das fast 200 Seiten starke Gutachten vorab nicht mal der Presse zur Verfügung zu stellen – ließen manche Mitglieder bereits durchblicken: Der große Wurf wird es nicht. Wie sollte das innerhalb eines Jahres bei diesem breiten Themenzuschnitt auch gehen?
Und doch: Nach einer ersten Lektüre kann man sagen, dass das Gutachten durchaus wegweisend ist. Verständlich beschrieben und mit praktischen Beispielen untermauert, seziert es aktuelle Probleme und enthält sehr viele Vorschläge für konkrete Gegenmaßnahmen. Von denen könnte die Bundesregierung einige sofort umsetzen, viele müsste sie auf europäischer Ebene anstoßen.
Grob zusammengefasst sagt die Kommission: Das „neue Datenrecht“ sollte das alte sein – nur besser durchgesetzt und in einigen Punkten konkretisiert und verschärft. Zumindest, was den Bereich der personenbezogenen Daten angeht. Gleichzeitig sollte die Bundesregierung mehr dafür tun, dass öffentliche Daten von allen genutzt werden können, und dass Medizin und Forschung einen sicheren Rahmen haben, um mit Daten am Gemeinwohl zu arbeiten.
In Sachen algorithmischer Systeme geht das Gutachten weit über bisherige Empfehlungen hinaus. In einigen Teilen bleibt es vage, etwa bei der Frage, wie die algorithmengesteuerten Feeds von Social-Media-Plattformen und die Gefahr der Meinungsmanipulation eingehegt werden könnten. An anderen Stellen werden die Empfehlungen jedoch derart konkret, dass sie sich wie ein Handbuch für die Regierung lesen: „Richtig regieren im Informationszeitalter“. Noch deutlicher hätte das Gremium nur noch werden können, hätte es als Anhang gleich den Gesetzestext mitgeliefert. Das ist aber natürlich nicht die Aufgabe von Fachleuten, das müssen jene machen, die für den Job gewählt wurden.
Eine Frage des politischen Willens
Vieles von dem, was die Kommission empfiehlt, steht im Widerspruch zur ausschließlich marktorientierten Daten- und Algorithmenpolitik gerade der Unionsparteien. Dass CDU und CSU in Reaktion auf das Gutachten ihre politische Linie aufgeben, dürfte unwahrscheinlich sein. Genau so unwahrscheinlich ist es, dass die SPD die Kraft aufbringt, die empfohlenen Maßnahmen durchzusetzen.
Es wäre nicht das erste aufwendig erarbeitete netzpolitische Gutachten, dass die Bundesregierung im Schreibtisch verschwinden lässt. Das führt uns also wieder an den Ursprung des Problems: den fehlenden politischen Gestaltungswillen einer Großen Koalition, die nur deshalb noch zusammen hält, weil alle Beteiligten Angst vor Neuwahlen haben.
Wissenschaft und Zivilgesellschaft sollten das Gutachten künftig trotzdem als Maßstab nehmen, an dem sie die Digitalpolitik der Bundesregierung messen.
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