Unsere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat in der FAS einen Meinungsbeitrag zum Thema Internet-Charta veröffentlicht. Irgendwie ist sie über die Charta von Jeff Jarvis gestolpert, die dieser mal vor über einem Jahr gebloggt hat. Leutheusser-Schnarrenberger nimmt diese zum Anlass, den Wunsch zu kommunizieren, dass „die Netzgemeinde“ so eine Charta / Werte entwickeln sollte. Das kommt mir etwas kopiert vor. Ich hab noch im Kopf, dass diese Idee / Forderung bereits zu einem früheren Zeitpunkt von einer anderen Ministerin (Ilse Aigner oder Brigitte Zypries?) artikuliert wurde, finde aber auf die schnelle keine Quelle. (Siehe Update unten)
Auf jeden Fall nutzt Leutheusser-Schnarrenberger die Jarvis-Charta für einen Rundumschlag gegen Post-Privacy und Netzsperren. Nur einmal frage ich mich, ob der kurze Absatz zu Netzneutralität lediglich beschreibend ist oder eine Fordrung darstellt, dass man die Netzneutralität auch besonders schützen müsste. Letzteres wird ja von der Koalition momentan dem Markt überlassen, hier könnte das Bundesjustizministerium natürlich seinen Einfluss dafür nutzen, dass in der laufenden Reform des Telekommunikationsgesetzes auch die Netzneutralität festgeschrieben wird.
Während einige Normen auf zentrale Grundrechte wie Rede-, Versammlungs- und Handlungsfreiheit abstellen, sieht die Präambel von Jarvis’ Charta, ein „Recht der Vernetzung“ vor. Den Menschen dürfe der Zugang zum Internet als Ausgangspunkt aller damit verbundenen Rechte nicht verweigert werden. Damit wird auf die Debatte um Netzneutralität Bezug genommen. Erst eine neutrale und gleichberechtigte Datenübertragung für alle privaten Internetnutzer ist Garant eines freien Informationsaustausches. Netzneutralität muss daher geschützt werden.
Zum Abschluß heißt es dann:
Universale digitale Werte zu entwickeln ist ein fortlaufender Prozess. Die Debatte selbst, getragen von neuen Vorschlägen wie Jarvis Internet-Charta, ist ein unverzichtbarer Beitrag zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den Chancen und Risiken der digitalen Welt. Die Netzgemeinde muss diesen Diskussionsprozess vertiefen, die Politik wird ihr dabei Partner sein. Je mehr Verantwortung wir alle für die digitale Welt übernehmen, desto weniger bedrohlich kann sie jedem Einzelnen werden
Einzig die Netzgemeinde stört noch. Können wir den Begriff zumindest in diesem Fall einfach mal gegen Gesellschaft tauschen, damit alles passt?
(Deutlich älter, aber immer noch aktuell und dazu aus Deutschland ist übrigens die Charta der Bürgerrechte für eine nachhaltige Wissensgesellschaft.)
Update: Danke für den Hinweis in den Kommentaren auf die Internet Rights & Principles Coalition (IRPC) mit ihrer aktuellen Definition von zehn Rechten und Prinzipien.
Danke an Tim in den Kommentaren: Die Original-Idee stammt von Ilse Aigner aus dem Juni 2010:
Die Welt: Brauchen wir also doch differenziertere Regeln für das Internet?
Aigner: Wir bräuchten einen Ehrenkodex, eine Art Knigge für das Internet, zehn goldene Regeln – kurz, knapp und klar.
Die Welt: Wer soll einen solchen Knigge aufstellen?
Aigner: Solche Regeln können nur aus der Internetcommunity kommen. Es wäre schön, wenn die Nutzer selbst Vorschläge machen würden. Orientieren könnte man sich dabei auch an den sozialen Netzwerken, die bereits eine “Netiquette” haben.
Auch wenn „Zitat“ (von SLS!), es geht um universelle Rechte oder Werte. ;-)
P.S.: http://www.netzpolitik.org/2011/zehn-internet-rechte-und-prinzipien/
Danke für beide Hinweise.
Ich gehe mal davon aus das es als Forderung von SLS zu verstehen ist, sonst wäre der wechsel von Konjunktiv zu Indikativ falsch (glaube ich mit meinen bescheidenen Grammatikkenntnissen). Es müsste dann heißen:
Erst eine neutrale und gleichberechtigte Datenübertragung für alle privaten Internetnutzer wäre Garant eines freien Informationsaustausches. Netzneutralität müsse daher geschützt werden.
Nur als Anmerkung:
Zypries hatte mehrmals (Ausführlicher auch in einem parlamentarischen Debattenmagazin, mir will aber nicht der Name einfallen…) ein Internet Gesetzbuch gefordert (NetGB). Dies geht teilweise in die selbe Richtung (Verankerung des Rechts auf Internetzugang), aber eben über einen anderen (positivistischen) Weg.
Auch wenn das Thema geklärt ist:
Der Vollständigkeitshalber der Beitrag zum NetGB von Zypries:
http://www.b-republik.de/archiv/freiheit-statt-anarchie-%E2%80%93-auch-im-internet
Moin!
Das Deja-vu kann aber auch hiervon kommen (Die Welt, Juli 2010):
Aigner: „Wir brauchen einen Knigge für das Internet“
Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner befürwortet einen Ehrenkodex für das Internet. „Solche Regeln könnten nur aus der Internetcommunity kommen“, sagt sie der „Welt“.
oder etwas ausführlicher
Die Welt: Brauchen wir also doch differenziertere Regeln für das Internet?
Aigner: Wir bräuchten einen Ehrenkodex, eine Art Knigge für das Internet, zehn goldene Regeln – kurz, knapp und klar.
Die Welt: Wer soll einen solchen Knigge aufstellen?
Aigner: Solche Regeln können nur aus der Internetcommunity kommen. Es wäre schön, wenn die Nutzer selbst Vorschläge machen würden. Orientieren könnte man sich dabei auch an den sozialen Netzwerken, die bereits eine „Netiquette“ haben.
Quelle: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Interview/2010/07/2010-07-12-aigner-welt
@Tim: Danke, das wars.
www – westlich wertfrei wunderbar
>>Einzig die Netzgemeinde stört noch. Können wir den Begriff zumindest in diesem Fall einfach mal gegen Gesellschaft tauschen, damit alles passt?<<
Da ist nicht zufällig die 'digitale' Gesellschaft mit gemeint oder?
@martin: Wenn dies so wäre, hätte ich das sicherlich auch so geschrieben.
Apropos Netzneutralität (und falls noch nicht bekannt): Das Humboldt Forum Recht der Humboldt-Universität in Berlin ruft da gerade zu juristischen Beiträgen auf. Vielleicht hat der ein oder andere Experte ja Lust?
Es gibt doch bereits RFC 1855 (Netiquette Guidelines), was will man mehr?
@markus
Eine Charta (in der es um Rechte und deren Rahmenbedingungen geht) sollte nicht mit einem Verhaltenskodex gleichgestellt werden. Auch wenn irgendwelche Bundesminister hier vielleicht schlampig mit Begriffen umgehen, sollte man sich diese Unart nicht zueigen machen, wenn man Vergleiche sucht.
Schade, dass bei netzpolitik.org digitaletrauergefühle, digitalerspaltungen, digitalerseilschaften
halber, wegen:
Den Sperr- und Löschtod finden.
So ist es eben: Wie es ist.
Eben.
„Einzig die Netzgemeinde stört noch.“
Definitiv: Kommentarspaltenskalieren.
„Können wir den Begriff zumindest in diesem Fall einfach mal gegen Gesellschaft tauschen, damit alles passt?“
Nein, ich finde nicht.
Es kommt immer drauf an, wer, wann, wie spricht.
Schade alles: Immer noch.
Und eben nicht.
Könnte mal bitte jemand erwähnen, das es „Das Internet“ nicht gibt und daher fast alle angesprochenen Probleme sich an den Schnittstellen der Netze befinden.
OT: Warum wird Leutheusser-Schnarrenberger eigentlich nicht FDP-Vorsitzende? Okay, so ganz blickt sie auch nicht die Implikationen der Digitalisierung und Vernetzung für Immaterialgüterrechte, aber neben Baum ist sie eines der seltenen Exemplare der FDP, die nicht nach 3 Sekunden Brechreiz verursachen.
Sehr guter Artikel von Frau Leutheusser-Schnarrenberger!
Sie ist und bleibt eben doch die einzige vernünftige in dieser Regierung.