Als erstes und einziges Bundesland erlaubt Bayern seinem Verfassungsschutz jetzt auf die Internet- und Kommunikationsdaten seiner Bürger zuzugreifen. Laut dem Gesetz können die Geheimdienstler bei Beginn einer Telekommunikationsüberwachung nun abfragen, mit wem die Betreffenden in den vorangegangenen zehn Wochen in Kontakt waren. Einzige Einschränkung: Eine Zustimmung der G10-Kommission des Bayerischen Landestages ist notwendig.
Die CSU stimmte mit ihrer Regierungsmehrheit für das neue Verfassungsschutzgesetz. Gegen das Gesetz stimmten die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die Freien Wähler enthielten sich.
Bayerns Innenminister Herrmann, CSU, sagte, dass man mit dem Gesetz an die Grenzen gehe, was gesetzlich und vom Bundesverfassungsgericht erlaubt sei. Er forderte zudem andere Bundesländer auf, nachzuziehen. Die Grünen im Landtag halten das Gesetz für verfassungswidrig. Dies hatten auch unabhängige Experten im Innen- und Rechtsausschuss moniert.
„Verstoß gegen das Trennungsgebot“
Franz Schindler, SPD, ist Mitglied der bayerischen G10-Kommission und des parlamentarischen Kontrollgremiums. Er sagt gegenüber netzpolitik.org:
Diese Befugnis gibt es nur in Bayern, weder im Bund, noch in den anderen Bundesländern. Die Staatsregierung schießt wieder einmal über das Ziel hinaus.
Die grüne Abgeordnete Katharina Schulze ist Mitglied des parlamentarischen Kontrollgremiums. Gegenüber netzpolitik.org kritisiert sie:
Die CSU münzt das Landesamt kurzerhand zur Gefahrenabwehrbehörde um, denn nur solche Behörden dürfen laut Bundesgesetz auf die Daten aus der Vorratsdatenspeicherung zugreifen. Doch diese Auslegung der Staatsregierung verstößt klar gegen das verfassungsrechtlich verankerte Trennungsgebot von Polizei und Verfassungsschutz: Die Polizei hat die Aufgabe der Gefahrenabwehr, der Verfassungsschutz hingegen hat die Aufgabe der Beobachtung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen.
Bayerischer Verfassungsschutz darf jetzt auch Kinder beobachten
Das neue bayerische Verfassungsschutzgesetz enthält noch mehr Erweiterungen von Geheimdienstbefugnissen. So dürfen ab jetzt Informationen über Personen unabhängig von ihrem Alter gespeichert werden. Konkret heißt das: In Bayern dürfen sogar Kinder vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Das Gesetz erlaubt zudem die Anwerbung krimineller V-Leute und schränkt die parlamentarische Kontrolle ein. Darüber hinaus stellt Bayern im Jahr 2016 fast 100 neue Inlandsgeheimdienstler ein.
Bayerns Innenminister Herrmann, CSU, sagte, dass man mit dem Gesetz an die Grenzen gehe, was gesetzlich und vom Bundesverfassungsgericht erlaubt sei.
Vermutlich hält er dies für eine besonders hervorzuhebende Leistung. Gerade noch legal. Ausgereizt bis zum Äußersten. Extrem auf Kante genäht. Den Bogen nur ganz knapp nicht überspannt.
Allerdings ist es vielmehr so, dass man als verantwortungsbewusster Politiker vielmehr respektvoll etwas Abstand zu den gesetzlichen Grenzen und gerade den vom BVerfG aufgestellten „roten Linien“ halten sollte.
Jo mei – mia san mia… und mir wissn, dass da Bauer des Sogn hod – und ned da Knecht!
Da regt man sich noch mit einem Kumpel über die Inkompetenz der Verfassungsschutz- und Aktemschredderämtern auf und liest 10 Minuten später das hier. Da staut sich so viel Wut an, dass das nicht mehr gesund sein kann.
Kriminelle V-Leute anwerben haben wir das nicht schonmal irgentwo erlebt #NSU
Wieso Inkompetenz des Verfassungsschutzes? Er schützt doch die Politiker vor der Verfassung aka Grundgesetz hervorragend, wie dieses Beispiel einmal mehr zeigt. Was will man Politikern erwarten, die sich sogar vor Kindern fürchten.
Bezeichneten die Nazis nicht München als die Wiege ihrer Bewegung? Aus der Geschichte eben doch nichts gelernt.
Dass das Bundesgesetz zur Vorratsdatenspeicherung umgehend entsprechend genutzt wird ueberrascht jetzt wen?
Weißte, mit der Haltung dürfte uns doch gar nichts mehr überraschen und wir können gleich alle Grund- und Bürgerrechte aufgeben, weil sie erwartbar ständig angegriffen werden. Ich kann ja deine Frustration verstehen, aber meines Erachtens habt das bayerische Verfassungsschutzgesetz die Vorratsdatenspeicherung auf eine neue Stufe.
D’accord, das war auch keine Abwertung der Meldung als solches.
Es ist halt mE nicht ueberraschend, dass eine nach Ansicht der Befuerworter maximale Ausschoepfung der Moeglichkeiten implementiert wird, die erneut vom BVerfG ueberprueft werden muss. Es sollte jedem klar sein, dass das kein Zufall oder Ausnutzen einer versehentlichen Schwaeche ist, das ist ein geplantes Vorgehen.
Das macht es natuerlich nur wichtiger, sich dagegen zu wehren.
Mir ist uebrigens nicht klar, warum man etwas aufgeben sollte, nur weil es staendig angegrifen wird oder weil man diese Angriffe voraussehen kann. Auf den Gedanken waere ich nicht gekommen.
Der Gedanke laesst mich wirklich nicht los.
Jedes Recht des einzeln Schwaecheren ist erkaempft worden, Buerger vs Staat, Arbeitnehmer vs Arbeitgeber, Arm vs Reich, Menschen vs Herrschende. Und jedes dieser Rechte wird jederzeit auf Grund der unterschiedlichen Interessenlagen angegriffen und muss verteidigt werden, denn die Gesellschaft ist nunmal dynamisch und heterogen. Nichts davon ist immanent statisch oder „Gott gegeben“.
Also braucht man Mechanismen, um diese Dynamik moeglichst kooperativ und ohne unnoetige Schmerzen abzubilden. Paranoia ist dabei genauso hinderlich wie naives Glauben an das Gute in allen Menschen. Wen dieses neue Gesetz ueberrascht, der sollte sich fragen, warum. Den entsprechenden Politikern diese Chuzpe nicht zugetraut zu haben ist dabei eine andere Antwort als ihnen den Willen dazu nicht unterstellt zu haben. Letzteres hielte ich fuer naiv, wenn man sich die juengere Geschichte so anguckt…
Richtig, da bin ich in fast allen Punkten bei dir. Mich störte nur dieses „wen überrascht das jetzt“, was ich in dieser oder ähnlicher Form gerade in letzter Zeit sehr oft höre. Wir haben uns schon so daran gewöhnt, dass Grundrechte permanent angegriffen werden, dass es uns allen immer schwerer fällt, uns aufs Neue zu empören. Da gibt es einen Abnutzungseffekt, der der Demokratie nicht gut tut.
Ja, und auch das ist kein Zufall und auch da sind Interessengruppen im Vorteil, die Leute jahrzehnte lang dafuer bezahlen koennen, ihre Interessen durchzusetzen. Hilft natuerlich, wenn Parteikategorien wie die sog. Sozialdemokraten vollstaendig umfallen.
Als „Betriebsunfall“ kommen dann Trump, Brexit und AfD dabei heraus 8-/
@Markus
Das kann man auch anders interpretieren. Dieses „wen überrascht das jetzt“, ist der Ausdruck dafür, dass man dem politischen Gegner auch das zugetraut hat, also damit gerechnet hat.
Ja, wir haben uns schon daran gewöhnt, dass Grundrechte permanent angegriffen werden, und die Angriffe kommen ja auch immer aus der selben Ecke. Wo soll sich denn da auch noch „Überraschung“ hinzugesellen?
> Da gibt es einen Abnutzungseffekt, der der Demokratie nicht gut tut.
Das mag man beklagen, aber diese Abnutzungseffekte haben jene zu vertreten, die repräsentative Demokratie als Herrschaft auf Zeit stets aufs Vollste ausnutzen.
Ich möchte gerne auf die heutige Rede von Katharina Schulze verweisen:
https://www.youtube.com/watch?v=g2xCpd1Qyhg
Sie spricht dort klar und verständlich die neuen verfassungsfeindlichen Bestrebungen der CSU an. Ich bin geschockt, wie zurückhaltend sich die Parlamentarier*innen der anderen Parteien positionieren.
Wenn sich alle an die Gesetze halten würden, gäbe es vielleicht positive Vorbilder.
So dominieren halt die negativen. In dem anderen Freistaat auch.
Kann ich als nicht-Bayer eigentlich gegen das Gesetz beim BayVGH oder beim BVerfG klagen?
Müsstest Du Deine persönliche Betroffenheit zeigen können.
Hmm. Ich könnte in Tränen ausbrechen.
Wäre das genug persönliche Betroffenheit?
nicht richtig. Popularklage, Art. 98 S.4 Bayer. Verfassung
sorry, das soll heißen: Popularklage kann auch ohne persönliche Betroffenheit vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof erhoben werden.
„dass man mit dem Gesetz an die Grenzen gehe, was gesetzlich und vom Bundesverfassungsgericht erlaubt sei.“
Das Grundgesetz nicht so wichtig zu nehmen, hält die bayerische CSURegierung sowieso für normal.
Und ist die bayerische G10-Kommission genau so …….effektiv wie die vom Bundestag……….. .
Maximaltherapie für Therapierefraktäre führt fast immer zur Kostenexplosion mit vielen unerwünschten Nebenwirkungen aber ohne wirklich erkennbaren Nutzen. Und hinterlässt viele, die sich vom System endgültig verabschieden.
Wer durch diese Gesetze neue Befugnisse erhält, wird natürlich über jeglichen charakterlichen und intelligenzbezogenen Kritikanlass erhaben sein
Mentalität, in progress
Ja, dann bin ich mal gespannt, ob die Blender der SPD und der Grünen aus Bayern vor das Verfassungsgericht ziehen, wenn sie ein Verstoß gegen das Trennungsgebot sehen.
Schwätzen können sie immer sehr viel.