Es ist ein Kreuz mit diesem Whistleblowing-Gesetz. Zuerst hatte es die damalige schwarz-rote Koalition versäumt, die Vorgaben des EU-Gesetzes aus dem Jahr 2019 umzusetzen. Dann mühte sich die Ampel ab, ihre vollmundigen Versprechen aus dem Koalitionsvertrag in ein Gesetz zu gießen – und musste erst recht Kompromisse eingehen, weil sie es sonst nicht durch den von der Union dominierten Bundesrat gebracht hätte.
Nun wird auch nichts aus der für Mitte 2025 vorgesehenen Evaluierung des Gesetzes, wie eine Sprecherin des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) auf Anfrage mitteilt. Zwar sei weiterhin geplant, das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) extern und wissenschaftlich evaluieren zu lassen. Allerdings ist Geduld gefragt.
Die Ausschreibung für die Evaluierung soll „nach derzeitiger Planung zeitnah nach der Verabschiedung des Bundeshaushalts 2025 erfolgen“, so die Sprecherin. Mit einem Abschluss des Evaluationsvorhabens sei voraussichtlich im Jahr 2026 zu rechnen. „An der bisherigen Planung, eine Evaluation bis Mitte 2025 zu ermöglichen, konnte aufgrund der vorläufigen Haushaltsführung nicht festgehalten werden.“
Verzögerung mit Anlauf
Diese Verzögerung hatte sich bereits abgezeichnet. Schon im Vorjahr kritisierte das Whistleblower-Netzwerk, dass kein Budget für die Evaluierung bereitgestellt wurde. Die Lage dürfte sich mit der vermutlich kommenden, erneuten Auflage von Schwarz-Rot kaum verbessern, sagt Annegret Falter, Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation: „Das Hinweisgeberschutzgesetz war von Anfang an ein ungeliebtes Kind der CDU/CSU. Je weniger man davon hört, desto weniger Whistleblower“, sagt Falter.
In Kraft ist die deutsche Umsetzung des EU-Gesetzes seit bald zwei Jahren. Es soll Menschen besser schützen, die auf Missstände in Unternehmen, Behörden und anderen Organisationen aufmerksam machen. Bestimmte Verfehlungen sollen sie internen oder externen Meldestellen bekanntgeben können, ohne dabei Repressalien am Arbeitsplatz fürchten zu müssen, wie dies in der Vergangenheit immer wieder passiert ist.
Kaum bekanntes Gesetz
In der Praxis sei das Gesetz jedoch ein „zahnloser Tiger“, kritisiert Laura Kuttler von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Die Juristin hatte an einer kürzlich veröffentlichten Studie über das Hinweisgeberschutzgesetz im Polizeibereich mitgewirkt. Unter anderem hatte die Untersuchung ergeben, dass sich die Möglichkeit, potenzielle Verfehlungen vertraulich melden zu können, bis heute kaum herumgesprochen hat – oder Mitarbeitende trotz aller Schutzvorkehrungen offenbar lieber den Mund halten, als sich mit ihren Kolleg:innen oder Vorgesetzten anzulegen.
„Eine frühzeitige Evaluation hätte nicht nur Schwachstellen aufgedeckt, sondern auch politischen Druck erzeugt, dringend notwendige Nachbesserungen vorzunehmen“, sagt Kuttler. Damit hätte sich etwa klären lassen, warum Unternehmen und Behörden sich so wenig Mühe geben würden, funktionierende Meldestrukturen zu etablieren. „Vielleicht wäre sie sogar ein Warnschuss gewesen, um das Gesetz aus seiner aktuellen Wirkungslosigkeit herauszuholen“, sagt Kuttler.
So wollte die GFF auch eine eigene Studie über die Funktionsweise der Meldestellen in Polizeibehörden durchführen, am Ende wollte jedoch niemand teilnehmen, berichtet Kuttler. „Unsere Vermutung und was auch in Gesprächen durchklang, ist, dass diese Stellen entweder gar nicht oder nur unzureichend eingerichtet sind.“ Dies zeige, wie wenig bislang passiert ist. „Eine Evaluation hätte helfen können, das Gesetz schnell schlagkräftiger zu machen, bevor die Meldestellen in der Bedeutungslosigkeit versinken“, sagt die Juristin.
An Meldestellen vorbei
Die Meldestellen sind deshalb so wichtig, weil sie der gesetzlich vorgesehene Weg sind, um vom Hinweisgeberschutzgesetz tatsächlich geschützt zu werden. Anonyme Meldungen an beispielsweise die Presse sind davon in aller Regel weiterhin so nicht abgedeckt. „Wenn aber kaum jemand diese Stellen kennt, suchen sich Hinweisgebende andere Wege – etwa über Vorgesetzte oder externe Organisationen – die nicht den gleichen Schutz bieten“, sagt Kuttler. Die Gefahr bestünde also, dass der Hinweisgeberschutz weiterhin nur auf dem Papier existiert, aber „in der Realität ins Leere läuft.“
Neben internen Meldestellen in Unternehmen und Behörden ab einer bestimmten Größe sieht das Gesetz auch externe Meldestellen vor. Diese betreibt etwa das Bundeskartellamt oder die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Die wichtigste davon dürfte jedoch die externe Meldestelle des Bundes beim Bundesamt für Justiz (BfJ) sein. Dort lassen sich etwa, wenn man der internen Meldestelle nicht traut, verfassungsfeindliche Äußerungen von Beamt:innen auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle melden, beispielsweise einschlägige Äußerungen in Chats.
“Kernstück“ BfJ-Meldestelle
Zumindest diese eine BfJ-Meldestelle werde derzeit gemeinsam evaluiert, teilt die BMJ-Sprecherin mit. „Ergebnisse hierzu sollen im Sommer dieses Jahres vorliegen und dem Deutschen Bundestag übermittelt werden“. Tatsächlich sei die Meldestelle beim BfJ das „Kernstück der gegenwärtig bestehenden Schutzvorkehrungen für externes Whistleblowing“, sagt Annegret Falter.
Doch zum einen müssten dessen Statistiken über Meldungen, deren Berechtigung und Weiterleitungen ohnehin jährlich an die EU-Kommission gemeldet werden. Zum anderen sieht auch Falter die Gefahr, dass „bisher nicht einmal allen Beschäftigten das Gesetz, geschweige denn die Meldestelle bekannt ist.“ Auch das sollte eigentlich Gegenstand einer fundierten Einschätzung sein, fordert Falter.
Geld fließt – wegen Strafe
Mit der EU-Kommission steht Deutschland in dem Bereich ohnedies im Konflikt. Diese hatte ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, weil Deutschland die EU-Richtlinie zweieinhalb Jahre zu spät umgesetzt hat. Anfang März verurteilte der Europäische Gerichtshof deshalb Deutschland zu einer Geldbuße von 34 Millionen Euro. „Es spricht viel dafür, dass es hier nicht an Geld, sondern am politischen Willen für einen angemessenen Whistleblowerschutz fehlt“, sagt Falter.
Zugleich riskiert Deutschland weitere Strafen, fürchtet Falter. So habe die EU-Kommission in einem Evaluationsbericht zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht unter anderem bemängelt, dass der Schutz im Bereich der nationalen Sicherheit unzureichend geregelt sei. Diesen klammert das Hinweisgeberschutzgesetz vollständig aus, genauso wie Beamt:innen, die bei Nachrichtendiensten des Bundes oder der Länder arbeiten. Außerdem fehle es an Regelungen zu Schmerzensgeldansprüchen, so Falter. „Aber es scheint der politische Wille zu den dringend erforderlichen Nachbesserungen zu fehlen.“
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