Seit Jahren reden sich Hunderte von IT-Expertinnen und Sicherheitsforschern, Juristinnen, Datenschützern, Digitalorganisationen, Tech-Unternehmen, Messengern, UN-Vertretern, Kinderschützern, Wächterinnen der Internetstandards, Wissenschaftlerinnen weltweit den Mund gegen die Chatkontrolle fusselig.
Eine unglaubliche Breite der Zivilgesellschaft lehnt die Chatkontrolle ab, weil sie die größte und gefährlichste Überwachungsmaschine Europas werden würde. Also wirklich jeder, der klar sieht und Gutes im Schilde führt, lehnt die Pläne der EU-Kommision ab.
Warum ist die Chatkontrolle ein Problem für die Demokratie?
Mit der Chatkontrolle sollen auf Anordnung an die Betreiber von Diensten etwa alle digitalen Nachrichten, die wir schreiben, auf bestimmte Inhalte untersucht werden. In der jetzigen Planung geht es dabei erst einmal um Darstellungen von sexuellem Kindesmissbrauch (ehemals Kinderpornografie genannt), die so entdeckt werden sollen. Die Chatkontrolle soll so gestaltet sein, dass das System, wenn es anschlägt, identifizierte Inhalte und den Nutzer der Polizei meldet.
Das Problem ist: Die Chatkontrolle schafft einen Zugang, eine Hintertüre, auf den Handys und Endgeräten von allen. Millionen Menschen werden so unter Generalverdacht gestellt, ihre Nachrichten können permanent durchleuchtet werden. Die Chatkontrolle ist deswegen eine neue Form der anlasslosen Massenüberwachung, mit der Milliarden von privaten Nachrichten täglich überwacht werden können.
Anlasslos heißt: Es braucht keinen Verdacht, um durchsucht zu werden, sondern alle, die einen Dienst nutzen, werden durchsucht. Alle sind verdächtig. Es widerspricht den Grundprinzipien der Demokratie, dass unverdächtige Menschen in den Fokus des Staates geraten. Damit eine Demokratie eine Demokratie ist, muss zudem sichergestellt sein, dass Menschen privat und unbeobachtet kommunizieren können. Das wird mit dieser Technik ausgehebelt.
Ist die Technik beliebig ausweitbar?
Die Technologie hinter der Chatkontrolle, das so genannte Client-Side-Scanning, lässt sich im Handumdrehen auch auf andere Inhalte anwenden. Während heute noch nach Darstellungen von Missbrauch gesucht wird, kann morgen schon das Protestvideo einer Demokratiebewegung im Fokus sein. Oder das geheime Dokument, das die Korruption einer Regierung belegt – und das jemand an ein Medium weitergegeben hat.
Deswegen sind auch Journalist:innenverbände weltweit aufgeschreckt von den Plänen, denn mit der Chatkontrolle ließen sich Journalisten belauschen und deren Quellen herausfinden. Diese Verbände sprechen zum Beispiel von einem „massiven Angriff auf die Pressefreiheit“, denn Journalismus ist auf private, umbelauschte und verschlüsselte Kommunikation angewiesen.
Die Chatkontrolle ist also ein zauberhaftes Werkzeug auch für Diktatoren und zukünftige faschistische Machthaber. Autoritäre Staaten werden diese Technik mit Handkuss nutzen, sie können dann sogar sagen, dass sie von der Europäischen Union eingeführt wurde. Überwachung im demokratischen Gewand.
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Warum ist die Chatkontrolle gefährlich für unsere IT-Sicherheit?
Die Chatkontrolle wird die IT-Sicherheit von uns allen schwächen, denn sie ist ein Frontalangriff auf die in der digitalen Welt lebenswichtige Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.
Was ist das eigentlich? Vereinfacht dargestellt stellt Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sicher, dass der Sender einer Nachricht diese Nachricht in einen nur vom Empfänger zu öffnenden Behälter stecken kann. Wie eine Schatulle, die mit einem Schloss verschlossen ist, deren Schlüssel nur der Empfänger hat.
Wenn das Schloss so gut ist, dass niemand es unterwegs knacken kann, gibt es eine andere Idee: Es soll vor dem Verpacken in die Schatulle durchleuchtet und durchsucht werden, ob bestimmte Inhalte in der Nachricht stehen, die in die sichere Schatulle soll. Beim Brief schreiben wird quasi über die Schulter in die private Kommunikation geschaut. Und dazu braucht es im Digitalen einen Zugang zu unserem Endgerät.
Das Problem an solchen Hintertüren ist aber, dass nicht nur die vermeintlich „Guten“ sie nutzen könnten, sondern auch findige Kriminelle oder nicht wohlgesonnene andere Staaten. Gibt es also technisch Zugang zur Kommunikation, dann werden auch andere diesen Zugang finden und nutzen. Die Sicherheit von Milliarden Endgeräten – vom Handy bis zum Computer – wäre in Gefahr. IT-Experten sprechen von einem Sicherheitsalbtraum.
Gibt es eigentlich kein Briefgeheimnis mehr?
Die Befürworter der Chatkontrolle behaupten, dass die Schatulle – in diesem Bild die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung – nicht geöffnet würde und damit die Kommunikation ja noch sicher und verschlüsselt wäre. Das ist ein schäbiger und durchschaubarer Taschenspielertrick: Denn was ist die schützende Schatulle noch wert, wenn standardmäßig vor dem Verschicken durchleuchtet wird, was wir an andere Menschen versenden?
Die Verpflichtung für WhatsApp und Co., in die Daten zu schauen, ist vergleichbar damit, dass die Post vor dem Verschließen des Briefes nochmal schnell auf das Briefpapier schauen muss, ob da nicht etwas Verbotenes drin steht. Es klingt absurd, aber die Chatkontrolle ist genau das. Und wenn wir die Post nicht draufschauen lassen, dann gibt es keine Briefmarke und wir dürfen keine Post mehr verschicken.
Sie fragen sich jetzt bestimmt: Wo ist eigentlich unser gutes altes Briefgeheimnis? Und warum gilt das nicht für unsere digitalen Briefe auf WhatsApp, Signal oder Threema? Mit welchem verdammten Recht soll eigentlich auf dem Handy, Tablet und Computer von mir überwacht werden, was ich tue oder verschicke?
Was fällt denen eigentlich ein?
Das wissen wir auch nicht, denn es ist klar, dass diese krasse Überwachung gegen die Grundrechte verstößt, die in der Europäischen Union gelten. Und wie oben erwähnt: Selten hat ein Thema von so vielen Seiten so viel Gegenwind bekommen. Und das jetzt schon über vier Jahre. Wir haben fast 300 Artikel zum Thema geschrieben, uns so eingängig mit der Sache befasst – und wirklich kein Argument gefunden, warum die Chatkontrolle eine gute Idee sein sollte.
Fakt ist: Es ist technisch nicht möglich, gleichzeitig alle Inhalte zu überwachen und trotzdem private und sichere Kommunikation zu garantieren. Das geht einfach nicht. Auch wenn die Befürworter:innen immer wieder das Gegenteil behaupten.
Wie schützen wir dann Kinder?
Die Überwachungsfanatiker geben vor, dass sie Kinder besser schützen wollen, erzählen Schauermärchen auf fragwürdiger Zahlengrundlage, doch von Anfang an war offenkundig, dass es bei der Chatkontrolle darum geht, einen Angriff auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu fahren – und damit auf die sichere und private Kommunikation von Milliarden von Menschen. Denn wenn die EU mit ihren 450 Millionen Einwohner:innen die Chatkontrolle einführt, dann wird das weltweit Strahlkraft haben und eine Lawine der Überwachung auslösen.
Von Anfang an hat ein mit dem Sicherheitsapparat verflochtenes Lobbynetzwerk die Chatkontrolle gepusht. Es ging nie wirklich um die Kinder, sonst würde man an der Wurzel von Missbrauch und Gewalt ansetzen, statt Menschen ohne jeden Anfangsverdacht zu überwachen.
Es geht darum, dass dem Sicherheitsapparat verschlüsselte Kommunikation ein Dorn im Auge ist. Deswegen versucht dieser, unsere private und verschlüsselte Kommunikation seit Jahren auf verschiedenen Wegen zu bekämpfen.
Wenn wir Kinder schützen wollen, dann brauchen wir klassische Polizeiarbeit und sehr viel Aufklärung. Wir müssen den Missbrauch stoppen, bevor er geschieht. Dafür braucht es Aufklärungsinitiativen, Kinderschutz-Hotlines und Präventionsprogramme, eine kinderfreundlichere Justiz und viele andere gesellschaftliche Maßnahmen. Das Problem wird nicht technisch zu lösen sein – und erst recht nicht, indem wir einfach alle Menschen überwachen.
Druck auf Ministerien nötig
Die Bundesregierung wird sich vermutlich vor dem 14. Oktober auf eine Position einigen, dann wird im EU-Rat abgestimmt. Zur Debatte steht der dänische Vorschlag, der eine verpflichtende Chatkontrolle und Client-Side-Scanning beinhaltet.
Das Bündnis „Chatkontrolle stoppen“ ruft dazu auf, die relevanten Personen und Organisationen zu kontaktieren. Das sind vor allem die beteiligten Bundesministerien sowie die Fraktionen und Abgeordneten der Regierungsparteien im Bundestag. Am besten wirken direkte E-Mails und Telefonanrufe, oder auch rechtzeitig ankommende Briefe. Auf der Webseite des Bündnisses gibt es Tipps und Adressen, um selbst aktiv zu werden.
Update 6.10.25:
Mittlerweile gibt es auch eine spontan gestartete Petition gegen die Chatkontrolle. Sie richtet sich an Bundeskanzler Friedrich Merz sowie Innenminister Alexander Dobrindt, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Dr. Stefanie Hubig sowie Digitalminister Karsten Wildberger.

Jeder sollte sich darüber im Klaren sein das die Chatkontrolle die komplette Abschaffung der Vertraulichen Kommunikation und das de-facto Ende der Privatspähre darstellt. Niemand kann mehr sicher kommunizieren und muss immer im Hinterkopf haben das die Kommunikation rund um die Uhr abgehört und ggf. mitgeschnitten wird. Auch sollte völlig klar sein das diese garantiert auf andere Bereiche (und Geräte) des Lebens ausgeweitet wird und auch hier der EIngriff immer weiter ausgeweitet und verschärft werden wird. Wir haben das immer wieder und wieder bei anderen Gesetzten rund um „Sicherheit“ gesehen. Dieses Instrument der Totalen Überwachung darf niemals Wirklichkeit werden oder wir werden dann sehr schnell feststellen wie schnell das ausgeweitet und missbraucht wird!
warum denkt denn niemand an die kinder
JEDE freiheitseinschränkende Maßnahme wird mit blumigen Worten gerechtfertigt. Der Kinderschutz (und ich habe 3 Kinder!) ist das Feigenblatt, es geht um Überwachung ungeliebter Einstellungen. Der Kampf gegen Kinderp0rn0 wird vernachlässigt, KP wird sogar geduldet (Edathy ist immer noch geschätztes SPD-Mitglied). Oder möchtes du eine Kamera in jedem Raum? Orwell war Optimist…
Ich frage mich warum die Mainstream Medien dieses Thema so verschweigen. Schließlich gefährdet das ja auch die Pressefreiheit und dennoch herrscht schweigen überall. Ist das ein Qualitätsproblem oder gibt es da Anweisungen von oben nicht darüber zu berichten ?
Seien wir ehrlich: Beim Betreten des Internets oder dem Anschalten des Handys, verlassen wir quasi den Boden des Grundgesetzes. Der Satz von Phil Zimmermann „If privacy is outlawed, only outlaws will have privacy.“ gewinnt mit der Chatkontrolle zusehends an Bedeutung.
Ich habe das BSI gefragt: Wie steht das BSI zur Chatkontrolle? Widerspricht die nicht dem Auftrag des BSI?
Antwort des BSI:
„Unsere Haltung dazu ist klar: Jedes Brechen der E2E-Verschlüsselung erhöht die Angriffsfläche und birgt hohe Risiken.“
https://social.bund.de/@bsi/115311284058833826
🤔
An der Stelle sei auch wegen der Alterskontrollen in dem Gesetz folgender Bericht erwähnt
https://www.msn.com/de-de/nachrichten/digital/discord-kundendienst-gehackt-ausweis-und-f%C3%BChrerschein-scans-kopiert/ar-AA1NT0sr?ocid=winp2fp&cvid=e4833cf2f92b4c41eee7f2582a47e4ea&ei=14
Noch einen eindeutigeren Beweis, dass diese ganzen Ausweiskontrollen eine extrem dumme Idee sind – vor allem, wenn man sie dann nicht mal sichert – kann man fast nicht bekommen
Welche Alternativen bleiben, um eine sichere und private Kommunikation zu gewährleisten? PGP/e-mails? Fax?
Sind sich die Entscheidungsträger bewusst, dass sie selbst und ihre Familien ebenfalls anlasslos überwacht werden?
Ich arbeite in der Mobilfunk/Telco Branche und wir haben die gesetzliche Vorraussetzung, wer ein öffentlich zugängliches Netz betreibt, muss Abhören für die entsprechenden Akteure zulassen bzw. aufbauen. Heisst manchmal lawful interception.
Seit einigen Jahren schreibe ich in NP.org Kommentare, das es unvermeidlich ist, das die OTT (over-the-top, d.h. Dienste, die über bestehende IP Verbindungen betrieben werden) sich das selbe System irgendwann eintreten werden.
Ich bin nicht direkt erfreut darüber, aber *told you so*.
nehmen wir nur mal an, dass die, die das fordern die guten sind. aber die bösen stehen schon da und scharren mit den hufen und freuen sich auf das gemacht bett in dass sie da steigen können. ein polizeistatt in dem alles vorbereitet ist um die gesellschaft zu knechten. wenn es also die guten sind, warum sehen sie es nicht, was sie da vorbereiten?
ich nehme an, es sind nicht die guten, das fordern. es sind die vorboten.