Biometrische ÜberwachungWeiterhin scharfe Kritik am neuen Berliner Polizeigesetz

Die Regierungskoalition des Landes Berlin hat ihr neues Polizeigesetz nach einer Anhörung von Sachverständigen nur minimal angepasst. Bei der automatisierten Gesichtserkennung soll die Überwachung sogar noch weiter ausgebaut werden als bisher geplant.

Polizist mit Aufschrift "Polizei Videoüberwachung" auf dem Rücken.
Das geplante Gesetz erweitert die Befugnisse der Polizei bei der Videoüberwachung und beim biometrischen Abgleich von Daten massiv. (Archivbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Jürgen Heinrich

Die Berliner schwarz-rote Landesregierung möchte der Hauptstadt ein neues Polizeigesetz (ASOG) verpassen. An diesem gab es schon bei der Sachverständigenanhörung Ende September viel Kritik. Dort sprachen Expert:innen von einer „Abkehr von der grundrechtsfreundlichen Politik“: So soll neben einem automatischen Datenabgleich mit biometrischen Daten auch der Einsatz von Videoüberwachung mit Verhaltensscannern sowie der Einsatz von Staatstrojanern möglich werden.

Heute fand die 2. Lesung im Berliner Innenausschuss statt. Eingeflossen ist die Kritik der Sachverständigen in einen aktualisierten Vorschlag jedoch kaum, laut Opposition hat sie die Koalition in ihrem Änderungsantrag nicht ausreichend berücksichtigt. Von Kosmetik ist die Rede.

Besonders brisant: Eine Änderung erweitert nun sogar die Befugnisse der Polizei noch einmal. Demnach soll die Polizei künftig biometrische Daten zu Gesichtern und Stimmen auch von Kontakt- und Begleitpersonen der Verdächtigen mittels automatisierter Anwendungen biometrisch mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet abgleichen dürfen.

„Grundrechtsbeeinträchtigungen unbeteiligter Personen“

In einer Stellungnahme (PDF) kritisiert die Berliner Datenschutzbeauftragte, dass die ausdrückliche Einbeziehung von Kontakt- und Begleitpersonen den Personenkreis der Betroffenen erheblich erweitere. Damit würde die Streubreite des ohnehin intensiven Eingriffs weiter erhöht. Die Polizei erlange einen „erheblichen Beurteilungsspielraum“. Entsprechend berge das Gesetz das Risiko, dass Personen einbezogen werden, die tatsächlich in keiner Weise an der Straftatenbegehung beteiligt sind.

Dabei verweist die Datenschützerin, dass dies im Kontext der biometrischen Fernidentifizierung, die bereits aufgrund der Nutzung künstlicher Intelligenz und der Vielzahl durchsuchter Internetquellen eine hohe Streubreite aufweist, zu einer „Potenzierung der Grundrechtsbeeinträchtigungen unbeteiligter Personen“ führe. Die Datenschutzbeauftragte hält dies für nicht verhältnismäßig.

„Abkehr von der grundrechtsfreundlichen Politik“

Einfallstor für eine Superdatenbank

Kritik kam in der Ausschusssitzung von den Grünen und der Linken. Gegenüber netzpolitik.org mahnte der grüne Innenpolitiker Vasili Franco, dass die Kritik aus der Sachverständigenanhörung nicht genug berücksichtigt worden sei. „Stattdessen wird der biometrische Abgleich im Internet von Kontakt- und Begleitpersonen und die weitgehende Verwendung von Verkehrs- und Nutzungsdaten zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen möglich gemacht. Durch das Polizeigesetz kann zukünftig jedermann in Berlin zur Gefahr gemacht werden, sobald man in das Visier der Polizei gerät“, so Franco weiter.

Uns fehlen dieses Jahr noch 297.605 Euro.

Dass in der Vergangenheit Informationen durch Sicherheitsbehörden nicht rechtzeitig zusammengeführt wurden, dürfe nicht als Einfallstor für eine Superdatenbank und Datenanalysen mit unklarer Zweckbestimmung dienen, so Franco. „Ein gutes Polizeigesetz muss konkrete Antworten darauf geben, was die Polizei darf und was sie nicht darf.“

„Grundrechtseingriffe von extremer Intensität“

Auch der linke Innenpolitiker Niklas Schrader sagt, dass die Koalition mit ihrem Änderungsantrag vor allem redaktionelle und kosmetische Änderungen vorgenommen habe. „Insgesamt bleibt es bei einem massiven Überwachungsausbau, den CDU und SPD planen“, sagt Schrader gegenüber netzpolitik.org.

Mit neuen Instrumenten wie der KI-gestützten Videoüberwachung mit Verhaltensanalyse oder der Verknüpfung und automatisierte Auswertung von Polizeidaten könnten potentiell alle Berliner:innen polizeilich erfasst werden, so Schrader weiter. Das geplante ASOG enthalte „verfassungsrechtlich bedenkliche Regelungen und Grundrechtseingriffe von extremer Intensität und Streubreite“. Sein Fazit fällt dementsprechend kritisch aus: „SPD und CDU in Berlin oder CSU in Bayern, das nimmt sich in der Innenpolitik mittlerweile nichts mehr.“

Protest von Bürgerrechtsorganisationen

Mehrere Bürgerrechtsorganisationen hatten zuletzt die Pläne für das neue Polizeigesetz kritisiert und einen Stopp des Gesetzgebungsverfahrens gefordert. In einem offenen Brief monieren die Organisationen den möglichen Einsatz einer orts- und verhaltensübergreifenden Analyseplattform zum biometrischen Abgleich mit über das Internet öffentlich zugänglichen personenbezogenen Daten und die automatisierte Verhaltensmustererkennung.

Zudem lasse das Polizeigesetz zu, dass Datenbestände der Polizei losgelöst von konkreten Anlässen dauerhaft zusammengeführt werden könnten. Hierdurch entstünde eine Superdatenbank mit „Möglichkeiten zum Erstellen von Bewegungsprofilen, Verhaltensmuster- und Sozialkontaktanalysen“. In einem Interview mit der taz kritisierte Lukas Theune, Geschäftsführer des Republikanischen Anwalt:innenverbandes (RAV), der Gesetzentwurf solle der Polizei gläserne Bürger:innen ermöglichen.

Das neue Polizeigesetz soll am 4. Dezember im Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen werden.

3 Ergänzungen

  1. Die geplante Ausweitung polizeilicher Befugnisse im ASOG stellt einen tiefen Einschnitt in die Grundrechte der Berliner Bevölkerung dar. Unter dem Vorwand erhöhter Sicherheit etabliert die Koalition aus SPD und CDU ein System der Massenüberwachung, das nicht nur verfassungsrechtlich höchst bedenklich ist, sondern einen gefährlichen Paradigmenwechsel markiert: weg von einem demokratischen Rechtsstaat, hin zu einem präventiven Sicherheitsapparat, der potenziell jeden Bürgerin unter Generalverdacht stellt.

    Die Einführung von KI-gestützter Videoüberwachung mit Verhaltensanalyse sowie die automatisierte polizeiliche Auswertung verknüpfter Datenbestände schafft eine Infrastruktur, in der Überwachung nicht mehr Ausnahme, sondern Normalzustand ist. Wenn „Verhaltensauffälligkeiten“ algorithmisch definiert werden, droht ein System der permanenten sozialen Kontrolle, dessen Fehleranfälligkeit, Diskriminierungspotenzial und Intransparenz längst gut dokumentiert sind.

    Hinzu kommt ein grundlegendes sicherheitspolitisches Missverständnis: Mehr Daten bedeuten nicht automatisch mehr Sicherheit. Der ehemalige NSA-Analyst William Binney hat eindrücklich beschrieben, dass die massenhafte Erfassung von Daten den sprichwörtlichen Heuhaufen nur vergrößert und damit die Suche nach relevanten Informationen erschwert. Effektive Sicherheit entsteht durch gezielte, verhältnismäßige Maßnahmen, nicht durch das pauschale Sammeln aller verfügbaren Informationen.

    Massenüberwachung tritt zentrale Demokratieprinzipien mit Füßen: die Unschuldsvermutung, das Recht auf Privatheit, die Freiheit von Angst vor staatlicher Kontrolle. Eine Gesellschaft, in der jede Bewegung, jede Interaktion, jeder Protest beobachtbar und auswertbar wird, verliert den Raum, in dem freie BürgerInnen zu politischen Subjekten werden. Sicherheit darf niemals zur Chiffre für den Abbau von Freiheit verkommen.

  2. Wenn William Binney von „dem Ausspähen von Individuen“ spricht, meint er weit mehr als nur die massenhafte Erfassung globaler Kommunikationsdaten. Für den ehemaligen technischen Direktor der NSA beginnt Überwachung nicht erst dort, wo ein Geheimdienst eine bestimmte Person ins Visier nimmt – sie beginnt mit der Architektur der Totalerfassung selbst. Denn sobald Kommunikations- und Bewegungsdaten weltweit gesammelt, gespeichert und automatisiert durchsuchbar sind, verwandelt sich jede Bürgerin und jeder Bürger potentiell in ein Objekt gezielter Analyse.

    Binney unterscheidet deshalb strikt zwischen Bulk Collection – der systematischen Abschöpfung nahezu aller digitalen Spuren – und dem eigentlichen Schritt des personalisierbaren Zugriffs darauf. „Spying on individuals“ bedeutet: Geheimdienste können aus Jahre zurückliegenden Archiven soziale Netzwerke rekonstruieren, Aufenthaltsorte nachzeichnen, Suchverläufe auswerten und Inhalte filtern – alles ohne formale Verdachtslage. Die Überwachung wird rückwirkend, umfassend und vor allem: individuell adressierbar.

    Im globalen Kontext der Five Eyes und ihrer Partner hat dieses Prinzip eine radikale Konsequenz: Die technische Infrastruktur der Massenüberwachung erzeugt die Möglichkeit, praktisch jeden Menschen auf dem Planeten in ein durchleuchtetes Subjekt zu verwandeln. Binney sieht darin weniger einen technischen Fortschritt als ein politisches Risiko: Ein System, das alles sammelt, schafft die Grundlage, jede Einzelperson ohne Kontrolle zu analysieren – ein Übergang von abstrakter Datenmacht zu konkreter sozialer Kontrolle.

    Für Binney ist damit der Kern des Problems benannt: Nicht die Sammlung allein ist gefährlich, sondern die Fähigkeit, sie in instrumentelle Macht über Individuen zu übersetzen. Massenüberwachung wird so zum permanenten Reservoir personalisierter Eingriffsmöglichkeiten – und damit zu einer strukturellen Bedrohung demokratischer Freiheit.

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