Mit seinem heute veröffentlichten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht die Befugnisse zur BND-Überwachung bestimmter internationaler Kommunikation teilweise für verfassungswidrig erklärt. Die entsprechende Grundlage (Artikel 10-Gesetz) für den deutschen Auslandsgeheimdienst muss bis spätestens Ende 2026 neu geregelt werden, bis dahin dürfe die Überwachung mit Einschränkungen weitergehen.
Konkret geht es darum, dass der BND zur Abwehr von „Cybergefahren“ die Kommunikation zwischen Menschen im In- und Ausland überwachen darf. Solche Gefahren sind etwa digitale Spionage und Sabotage. Im Zuge der Überwachung darf der Geheimdienst Datenströme abfangen und die Daten nach Suchbegriffen filtern und händisch sichten.
Grundsätzlich sei solche Überwachung zwar durchaus mit Artikel 10 des Grundgesetzes, dem Fernmeldegeheimnis, vereinbar, argumentiert das Gericht. Allerdings sei das für den BND nicht verhältnismäßig ausgestaltet.
Allzu private Suchbegriffe, zu wenig Kontrolle
Zunächst kritisiert das Gericht, dass bei der beschriebenen Überwachung auch zu viel Kommunikation aus dem Inland in den Händen des Auslandsgeheimdienstes landet: „Derzeit fehlt eine hinreichende Regelung zur Aussonderung von Daten aus rein inländischen Telekommunikationsverkehren“, so das Gericht.
Auch bei Menschen im Ausland gehe die Überwachung zu weit: Der „Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung“ sei demnach unzureichend. Konkret weist das Gericht auf die Begriffe hin, mit denen der Geheimdienst nicht-öffentliche Kommunikation filtert. Suchbegriffe, „die den Kernbereich der Lebensgestaltung betreffen“ dürften auch gegenüber Personen im Ausland nicht eingesetzt werden.
Einfach ausgedrückt: Keine gezielte Suche nach allzu privaten Themen. Das Gericht schreibt: „Zur Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge, Überlegungen und Erlebnisse höchstpersönlicher Art zum Ausdruck zu bringen.“
Ein weiterer Kritikpunkt: Der Geheimdienst lässt sich bei seiner Überwachung offenbar zu wenig auf die Finger schauen. So rüffelt das Gericht, dass die Aufbewahrungsfristen für die Dokumentation der durchgeführten Überwachung „zu kurz“ seien. Das unabhängige Kontrollorgan der Geheimdienste – die sogenannte G10-Kommission – habe eine nur „unzureichend“ ausgestaltete Kontrolle.
Hierzu beschreibt das Gericht ein konkretes Szenario: Demnach würden Betroffene der BND-Überwachung laut Gesetz erst dann informiert, wenn die Maßnahme endgültig eingestellt sei. Viel damit anfangen können Betroffene aufgrund der kurzen Aufbewahrungsfristen aber offenbar nicht. Denn: „Dass die Protokolldaten zu diesem Zeitpunkt noch vorhanden sind, ist nicht sichergestellt.“
„Wichtiges Signal“
Die G10-Kommission müsse laut Verfassungsgericht besser ausgestattet sein. So bringt das Verfassungsgericht zum Ausdruck: Das ist kein Job, den man nebenbei macht. Es genüge nicht, „dass die Mitglieder der G10-Kommission lediglich ein öffentliches Ehrenamt innehaben statt wie verfassungsrechtlich geboten hauptamtlich tätig zu sein.“ Zudem stelle die aktuelle Regelung nicht sicher, dass der Kommission Mitglieder mit richterlicher Erfahrung angehören.
Bis zu einer Neuregelung dürfe der Geheimdienst jedoch weitermachen, schreibt das Gericht – „für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“. Allerdings müsse der BND Daten rein inländischer Kommunikation aussortieren und dürfe keine Suchbegriffe einsetzen, die „den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betreffen“.
Angestrengt hatte die Beschwere vor dem Bundesverfassungsgericht ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Amnesty International im Jahr 2016.
„Das jüngste Urteil aus Karlsruhe beweist, dass unsere strategischen Klagen für einen besseren Schutz der Privatsphäre Wirkung zeigen“, kommentiert GFF-Anwalt Bijan Moini den Beschluss. „Stück für Stück holen die von uns errungenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Geheimdienstarbeit auf den Boden des Grundgesetzes zurück.“
Menschenrechts-Expertin Lena Rohrbach von Amnesty International führt weiter aus, was auf dem Spiel steht: „Wenn Menschenrechtsorganisationen befürchten müssen, dass ihre sensible Kommunikation im Zuge von anlassloser Massenüberwachung mitgelesen wird, gefährdet das ihre Arbeit.“ Der Beschluss des Gerichts sei ein wichtiges Signal, „auf das wir allerdings über sieben Jahre warten mussten“.
Der aktuelle Beschluss ist Teil einer Reihe von strategischen Klagen gegen die Befugnisse deutscher Geheimdienste – und dürfte nicht der letzte sein. Immer wieder musste der Gesetzgeber seine Geheimdienst-Gesetze reformieren, immer begleitet von Kritik aus Perspektive von Grund- und Menschenrechten gibt.
Wie kann zuverlässig bestimmt werden, ob Daten aus einem Datenstrom digitaler Kommunikation einem deutschen Grundrechtsträger zuzuordnen sind?
Betroffen ist die Kommunikation Deutscher ins/vom Ausland, und zweier Deutscher im Ausland.
Einem Datenpaket ist nicht anzusehen, welchen Pass der Absender oder Empfänger hat.
Welche pragmatische Lösung des Problems bietet sich an, zumal auch zwei Nicht-Deutsche im Ausland in deutscher Sprache kommunizieren können?
Mittels Selektoren werden aus massenhaften Datenströmen nach Relevanz Daten ausgeleitet. Die Selektoren können Metadaten betreffen, aber auch Inhalte. Zur rechtmäßigen Verwendung gehört die Überprüfung der Staatsangehörigkeit der Beteiligten, und die sofortige Löschung falls es sich um Deutsche handelt. Kann das überhaupt technisiert und rechtskonform immer gewährleistet werden?
Wie viele verfassungswidrige Gesetze darf eine Partei beschließen, ohne dass sie vom “Verfassungs””schutz” als gesichert verfassungsfeindlich eingestuft wird? Frage für eine Freundin.
Bonusfrage: Haben die Karlsruher Richterinnen keine Eierstöcke, um solchen Zuständen unverzüglich ein Ende zu bereiten?
10 Jahre cyber-cyber im Kernbereich der privaten Lebensgestaltung sind ein Armutszeugnis der Gewaltenteilung. Da drängt sich langsam der Verdacht auf, dass Karlsruhe nur Verbalakrobatik betreibt, in der Sache aber hinter anlassloser Massenüberwachung steht.
Gibt es dazu eine Stellungnahme des Unabhängigen RichterKontrollrats?
Offenbar haben doch im Ergebnis Richter den Bruch mit dem Wesensgehalt unserer Verfassung zugelassen – mich zumindest erschreckt das.
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Die Klage ist aus 2016 – also 8 Jahre alt … – da gab es den Unabhängigen Richter-KontrollRat tatsächlich noch gar nicht ( 2022 ). Habe ich nicht bedacht in meinem ersten Kommentar !
… es wäre aber auch schön, wenn unsere Verfassungsverteidiger in Karlsruhe nicht 8 Jahre (!) brauchten (während denen das Objekt der Klage ja nicht gestoppt ist).
Es ist alles so traurig.
Falschdarstellung auf tagesschau.de
Die Tagesschau schreibt, das BVerfG hätte Überwachung von inländischer Kommunikation („zwischen München und Hamburg“) verboten. Tatsächlich ging es allerdings um die Kommunikation zwischen BürgerInnen, die sich momentan im Ausland aufhalten, und deren Überwachung trotzdem unterbleiben muss.
https://www.tagesschau.de/inland/bundesverfassungsgericht-bnd-befugnisse-102.html
Es wäre schön, wenn Ihr hier eine Gegendarstellung schreiben könntet. Laut WDR-Gesetz muss die Tagesschau sie veröffentlichen.
doch, es ist richtig, was tagesschau.de schreibt. das entspricht in unserem artikel der passage „Allerdings müsse der BND Daten rein inländischer Kommunikation aussortieren“; bzw im beschluss selbst der maßgabe 3a) „dass Daten aus rein inländischen Telekommunikationsverkehren herausgefiltert und unverzüglich automatisiert gelöscht werden“
Der BND führt aber keine Inlands-Überwachung durch. Das macht wenn dann der Verfassungsschutz.
Der Schutz inländischer Kommunikation kommt nur dann zum Tragen, wenn sich einer der Kommunizierenden im Ausland befindet.
Eine Verfassungsklage von 2016 wird nach 8 Jahren abgeschlossen und die verfassungswiedrigen Praktiken dürfen noch lang genug angewendet werden um die 10 Jahre voll zu machen. Bis dahin wird die nächste Regierung (vermutlich mit der CDU als stärkste Kraft und März als Kanzler) wie üblich, ein neues Gesetz erlassen um die angeklagten Praktiken des BND wieder zu legaliseren oder noch zu erweitern (selbstsverständlich ohne ohne die Verfassungsmäßigkeit sicherzustellen, in der hoffnung die Grenzen des Erlaubten zu verschieben) und wenn das nächste Verfahren wieder so lange dauert (angenommen eine Klage kommt im selben Jahr wie das Gesetz) dann wird wieder ein Verfassungswiedriges Gesetz bis vorraussichtlich 2036 angewendet werden. Dieses Spielchen mit vor Gericht gescheiterten Gesetzen wird bei Themen wie Vorratsdatenspeicherung, Safe Harbor bzw. US-EU Data Privacy Framework und Geheimdienstbefugnissen doch schon seit zig Jahren gespielt. Warum kann so ein Verfahren so lange dauern und konsequenzlos bleiben. Wie können regierende Politiker und wiederholt für solche Gesetze stimmende Parlamentarier der Letzten Jahrzehnte, noch behaupten auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen.
Und was macht eigntlich der Verfassungsschutz beruflich?
„Und was macht eigntlich der Verfassungsschutz beruflich?“
In der So-kratie, also dem juristisch eingedampften, ansonsten bereits sinnentleerten Mussjakonsens der Apparatserhaltung, tut der Verfassungsschutz genau das, was auf dem Papier steht. Zugegeben, auch in anderen Szenarien, die vielleicht noch einen Tick wahrscheinlicher sind. ABER, berechtigte Frage, wer oder was hier eigentlich noch die Verfassung schützt?
> In der So-kratie, also dem juristisch eingedampften, ansonsten bereits sinnentleerten Mussjakonsens
Verstehen Sie selbst, was sie da schreiben?
Was verstehen Sie unter „So-Kratie“, und „Mussjakonsens“, und zu welchem Zweck benutzen Sie diese Begriffe?
Wie warum? Finden Sie lieber Fehler!