Sozialgericht HamburgPauschale Bargeld-Limits bei Bezahlkarten sind rechtswidrig

50 Euro Bargeld für Geflüchtete und dann ist Schluss? Nein, sagt nun ein Gericht in einer Eilentscheidung. Wie viel Bargeld Betroffene für ihr Existenzminimum brauchen, hänge vom Einzelfall ab. Damit steht das Modell einer restriktiven Bezahlkarte auf der Kippe.

Bezahlkarte, im Hintergrund ein Einkaufswagen und ein EC-Karten-Terminal
Nicht überall lässt sich mit Karte zahlen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Christian Ohde

Asylbewerber:innen sollen mit Bezahlkarten nur 50 Euro Bargeld im Monat an Geldautomaten abheben können, so lautet eine Beschlussempfehlung der Ministerpräsidentenkonferenz. Bindend ist das für Bundesländer und Kommunen, die bereits Bezahlkarten an Antragstellende ausgeben, nicht. Doch vielerorts wird die Einschränkung umgesetzt – zum Beispiel in Hamburg.

Dieses pauschale Limit ist rechtswidrig, hat das Sozialgericht Hamburg nun in einer Eilentscheidung festgestellt. Das Bargeld-Limit müsse eine Ermessensentscheidung sein, dabei sollen auch Besonderheiten wie Alter, Behinderung, Krankheit oder Familienumstände berücksichtigt werden. Das bedeutet: Damit die betroffenen Personen ihren individuellen Bedarf decken können, muss das Limit gegebenenfalls angehoben werden.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Pro Asyl waren gegen die Beschränkung gemeinsam mit einer schutzsuchenden Familie vor Gericht gezogen und haben diesen Etappenerfolg errungen. Die Familie darf bisher monatlich über 110 Euro Bargeld verfügen, je 50 Euro für die zwei Erwachsenen und 10 Euro zusätzlich für das Kind.

„Die Einführung einer Bezahlkarte mit erheblichen Beschränkungen missachtet die Grundrechte der Betroffen“, so Lena Frerichs, Verfahrenskoordinatorin und Juristin bei der GFF. „Die Entscheidung aus Hamburg bestätigt, dass eine pauschale Bargeldobergrenze von maximal 50 Euro für Schutzsuchende nicht haltbar ist, ohne das menschenwürdige Existenzminimum zu gefährden.“

Günstige Einkaufsoptionen fallen weg

Durch die Bargeld-Obergrenze haben Betroffene etwa nicht die Möglichkeit, günstige Einkaufsmöglichkeiten auf Flohmärkten wahrzunehmen. Auch an Orten, wo Kartenzahlung nicht akzeptiert wird, beispielsweise bei der Zahlung von Kopiergeld an der Schule, entstehen für die Personen Probleme. Daher gibt es mittlerweile solidarische Initiativen, bei denen Betroffene in Supermärkten mit den Karten Gutscheine kaufen und in Bargeld zurücktauschen können.

Zusätzlich zum Bargeld-Limit bestehen bei den Bezahlkarten weitere Hindernisse. Überweisungen sind nicht einfach möglich, auch Online-Käufe werden eingeschränkt. Diese Fragen seien „rechtspolitisch umstritten“ und müssten „gegebenenfalls über das Hauptsacheverfahren“ geklärt werden, heißt es im Beschluss des Hamburger Sozialgerichts. Gegen die Eilentscheidung kann das Hamburger Amt für Migration Beschwerde einlegen.

Neben dem dortigen Verfahren gehen GFF und Pro Asyl gemeinsam an mehreren Orten gegen die restriktiven Zahlungsmittel vor. Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, stellt das gesamte Bezahlkartensystem in Frage. Die jetzige Entscheidung zeige auch, „welcher bürokratische Irrsinn auf die Kommunen zukommt, die eine Bezahlkarte einführen wollen. Sie sollten sich dreimal überlegen, ob sie sich diese Mehrbelastung ihrer Verwaltung wirklich leisten können.“

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4 Ergänzungen

  1. Es ist gut, dass die Gesellschaft für Freiheitsrechte und Pro Asyl solche Prozesse anstrengen. Ein Etappenziel ist erreicht. Danke dafür!

    Wünschenswert wäre es, wenn Gesetzgebung sich schon im Vorfeld daran orientieren würde, was vor Gericht auch standhält. So könnten blamable Klatschen vor Gericht vorbeugend verhindert werden, und unnötige Mehrkosten für die Staatskasse.

  2. War absehbar, auch das ausschließen von Amazon und Ebay ist rechtswidrig. Wie auch die geheimen Verträge mit den Zahlungsanbieter. Sowie das Flüchtlinge aus der Ukraine von dieser ausgenommen wurden entspricht nicht dem Gleichheitsgrundsatz. Zahlungen in die Ukraine sind also legitim und anderen Kriegsgebieten nicht? Einige Händler lehnen diese Karten bereits ab.

  3. Wir sollten nicht vergessen, die Personen zu ermitteln, die sich für die rassistische Praxis stark gemacht haben. Mittelfristig müssen diese aus dem politischen Diskurs ausgeschlossen werden, um dem Treiben der politischen Rechten ein Ende zu setzen.

  4. es mag ja wirklich sein das manche damit ihre schlepper für erbrachte „leistungen“ bezahlen oder aber auch ihre familien in den heimatländern unterstützen. aber das ist bei weitem nicht die mehrheit der flüchtlinge und solche massiven einschränkungen helfen den menschen nicht im geringsten und setzen sie nur noch weiter unter druck. eine derartige symbolpolitik ist schon zu tiefst beschämend!

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