Seit Februar 2023 beschäftigen sich Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses wieder in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss mit dem sogenannten Neukölln-Komplex. Dabei handelt es sich um eine rechtsextreme Anschlagsserie zwischen den Jahren 2009 bis 2021. Wie viele Straftaten genau zu der Serie gehören, ist nicht eindeutig. Die mobile Beratung gegen Rechtsextremismus geht von mindesten 157 Straftaten aus, während von behördlicher Seite mehr als 70 Straftaten dazu gezählt werden.
Die Ermittlungen gegen die rechtsradikalen Straftäter verliefen schleppend und waren unter anderem von IT-Pannen, fragwürdigen Ermittlungsansätzen und Skandalen begleitet – sogar der Vorwurf von Beteiligten aus den Sicherheitsbehörden steht im Raum.
Im Jahr 2022 wurde schon einmal ein Untersuchungsausschuss einberufen, dessen Sitzungen aber wegen der Wiederholungswahlen im Februar 2023 unterbrochen wurden. Das Ziel der parlamentarischen Untersuchungen ist vor allem, das Ermittlungsvorgehen der Behörden zu untersuchen. Hierzu werden Zeug:innen aus den Behörden befragt, genauso wie die Anwält:innen der Angehörigen und Mitglieder von Beratungsstellen für Betroffene von rechter Gewalt.
Befragung zum Mord an Burak Bektaş
Am vergangenen Freitag fand die 28. Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses Neukölln II statt. An diesem Tag sollte es um das behördliche Ermittlungsvorgehen zum Mord an Burak Bektaş und dem Mordversuch an seinen Freunden am 5. April 2012 gehen. Bektaş wurde in Neukölln erschossen, die Tat ist seit zwölf Jahren nicht aufgeklärt.
Die letzten Sitzungen hatten gezeigt, dass sich viele der geladenen Zeug:innen aus den Behörden nicht zu relevanten Sachverhalten äußern: Sie begründen dies mit mit mangelnder Erinnerung oder weil ihnen keine Aussagegenehmigung vorliege. Hinzu kommt, dass manche Zeug:innen sich zu bestimmten Fragen nur im nicht-öffentlichen Teil der Sitzungen äußern wollen.
Vergangene Woche waren der ehemalige Hauptkommissar Alexander H. und der Staatsanwalt Dieter H. als Zeugen geladen. Sie waren von 2012 bis 2019 für die Ermittlungen am ungeklärten Mord an Burak Bektaş sowie dem Mordversuch an seinen Freunden zuständig. Zusätzlich war auch der Anwalt, der die Familie im Strafprozess in der Nebenklage vertritt, geladen.
Behörden mauerten bei den Akten
Hauptkommissar H. und die Staatsanwaltschaft hätten Informationen in Bezug zu die Ermittlungen zum Mord an Burak Bektaş auch gegenüber der Familie Bektaş zurückgehalten, war einer der Vorwürfe. Die Staatsanwaltschaft konnte zwar entscheiden, dass Informationen geheim zu halten sind, weil sie laufende Ermittlungen gefährden. In der Nebenklage haben Betroffene und Angehörige jedoch besondere Rechte. Dazu zählt es Einsicht über den Umfang der Ermittlungen und den Ermittlungsstand durch Akteneinsicht zu gewinnen.
Der Anwalt der Familie kritisierte, dass ihm dies damals als rechtlicher Vertreter der Familie mehr als üblich erschwert worden sei. Die Versuche scheiterten zum Beispiel daran, dass die Akten zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Kommissariat hin und her gereicht worden seien und sich gerade dann beim Staatsanwalt befunden hätten, als sie beim Hauptkommissar angefragt wurden. Weiterhin seien die Akten teilweise unvollständig oder gar nicht vorgelegt worden.
Mit der Einstufung einer Information als „Verschlusssache, nur für den Dienstgebrauch“ hätte man teilweise ohne erkennbaren Grund ein Geheimhaltungserfordernis suggeriert, obwohl dies lediglich die Information schützte, dass die Ermittlungen zu keinem Ergebnis geführt hätten, so der Anwalt.
„Super genau und super zuverlässig“?
Die Tatort-Arbeit sei „super genau und super zuverlässig“ gelaufen, sagte der Hauptkommissar am vergangenen Freitag. Dass man keine Erfolge erzielt habe, hätte nicht am Vorgehen der Polizei gelegen. Der damalige Staatsanwalt vertraute ebenfalls voll und ganz in die Arbeit des Kommissariats. Seinen Vorschlag, die Ermittlungen einzustellen, habe man dort sogar abgelehnt.
Die Arbeit des Kommissariats und der Staatsanwaltschaft blieb jedoch in vielerlei Hinsicht undurchsichtig. Unterschiedliche Anwält:innen seien in den letzten Jahren ohne Erfolg mit Fragen an die Ermittelnden des Landeskriminalamtes herangetreten.
2020 forderte die Nebenklägerin und ihre anwaltliche Vertretung erfolglos die Übernahme der Ermittlungen durch die Generalstaatsanwaltschaft Berlin. Jedoch führte ein personeller Wechsel im selben Jahr doch noch zu einer verbesserten Kommunikation zwischen den Angehörigen, ihrer rechtlichen Vertretung sowie der leitenden Ermittlerin und der Staatsanwaltschaft. In der Folge habe die neue Kommissarin auch insgesamt 22 unbeantwortete Fragen der Anwält:innen beantwortet und herausgestellt, dass ihre Vorgänger:innen die Untersuchungsmethoden nicht gezielt eingesetzt hätten, um Verbindungen in die weit vernetzte Neonaziszene in Berlin-Neukölln auszuschließen.
An diesem Punkt angekommen zeigt sich, dass die Ermittlungen noch nicht am Ende sind. Nach zwölf Jahren sind Angehörige und die Initiative Burak Bektaş immer noch im Ungewissen, auch wenn alles darauf hindeute, das das Mordmotiv Rassismus war. Ihrer Ansicht nach sollten auch die Protokolle des öffentlichen Teils des Untersuchungsausschusses transparent gemacht werden, um die Aufklärung zu ermöglichen.
Die nächste öffentliche Sitzung des Untersuchungsausschusses findet am 26. April 2024 im Abgeordnetenhaus in Berlin in der Niederkirchnerstraße 5 statt.
danke fuer den artikel!
> habe die neue Kommissarin auch insgesamt 22 unbeantwortete Fragen der Anwält:innen beantwortet
gibt’s die irgendwo – wenn auch ggfs paraphrasiert – … nachzulesen?