Polizei SachsenKritik an „Fantasiezahlen“ zum Erfolg der Videoüberwachung in Görlitz

Die Polizei in Sachsen hält große Stücke auf die stationäre Videoüberwachung in Görlitz. Mit der Technik sollen fast 800 Straftaten aufgeklärt worden sein. Doch an den Zahlen und ihrer Erhebung gibt es Kritik.

Kamerasäule auf der Altstadtbrücke in Görlitz
Kamerasäule auf der Altstadtbrücke in Görlitz – Alle Rechte vorbehalten IMAGO

Laut einem Bericht der Sächsischen Zeitung sollen die 2019 eingeführten Überwachungskameras in der Stadt Görlitz angeblich fast 800 Straftaten aufgeklärt oder bei deren Aufklärung geholfen haben. Die Görlitzer Überwachungstechnik „PerIS“ kann auch Kennzeichen von durchfahrenden Kraftfahrzeugen sowie Gesichtsbilder der Fahrer:innen und Beifahrer:innen aufnehmen und automatisch auswerten.

Zuletzt kam über eine Beschwerde der Piraten-Politikerin Anne Herpertz bei der sächsischen Datenschutzbeauftragten heraus, dass die Görlitzer Polizei in 21 Ermittlungsverfahren automatisierte Nummernschild- und Gesichtserkennung nachweislich eingesetzt hat. Die Datenschutzbehörde hält diese Technik für verfassungswidrig. Doch wie verhalten sich diese 21 Ermittlungsverfahren zu den angeblich „fast 800“ aufgeklärten Straftaten aus dem Bericht in der sächsischen Zeitung? Wir haben nachgefragt.

Auch Verfahren aus anderen Bundesländern

Die Polizei in Görlitz sagt auf Anfrage, dass sich die Zahl der Straftaten auf das Stadtgebiet Görlitz bezögen. Die Zahl beziehe sich auf die Frage „Gibt es konkrete Zahlen zu Straftaten, die in Görlitz durch die Videoüberwachung aufgeklärt und/oder verhindert worden sind?“

Unklar bleibt, wie die Zahl eigentlich erhoben wurde, hierzu liefert die Antwort der Polizei nur Anhaltspunkte. In Bezug auf die automatisierte Erkennung verweist die Polizei darauf, dass ein Verfahren mehrere Straftaten beinhalten könne. Außerdem sei eine einzelne Auflistung der Straftaten „nur bedingt möglich“, da nur neun der Verfahren, bei der die Nummernschild- und Gesichtserkennung eingesetzt wurde, auch sächsische Verfahren seien.

Die Mehrheit der Verfahren wird demnach in anderen Bundesländern geführt. Bekannt sind bislang weitere Verfahren in Berlin und in Niedersachsen, in die Treffer aus dem Görlitzer Überwachungssystem eingeflossen sind. Auch würde nicht erhoben, ob der Treffer über Biometrie oder einer Kennzeichenerkennung erfolgt ist, berichtet die Polizei.

Aus den Angaben der Polizeisprecherin geht hervor, dass der „Hauptanteil“ der Kameraaufnahmen „händisch“ ausgewertet würde. Dabei komme es vor allem auf die Expertise des auswertenden Beamten an, der das Material sichte. Im Rahmen von Ermittlungen schauten sich die Beamten Videoclips an – beispielsweise auf der Suche nach Tatbeute. Werde ein Fahrrad oder Fahrzeug erkannt, würden dann weitere klassische polizeiliche Fahndungswege bedient.

Kritik an „Fantasiezahlen“

Anne Herpertz ist mit der Herleitung der Zahlen nicht zufrieden: „Es ist im negativen Sinne beeindruckend, dass sich die Polizei Sachsen beim Einsatz von Überwachungstechnik mit Fantasiezahlen schmückt. Mit tatsächlicher Evidenz haben diese 800 genannten Fälle nämlich nichts zu tun.“ Der Fall zeige aus ihrer Sicht, das „viele Mittel recht“ seien, um Überwachungsmechanismen zu rechtfertigen – auch Fantasiezahlen. Herpertz geht davon aus, dass die Polizei „vermutlich auch Fälle präventiver Überwachung hinzugerechnet“ habe. Dabei gehe es allerdings nicht einmal ersichtlich um Strafverfolgung.

5 Ergänzungen

  1. Was erwartet Frau Herperts als Beweis? Die Vorgänge mit Aktenzeichen?

    Die Anlage steht sei 2019. Das sind mehr als 5 Jahre. Da muss bei bestimmten Delikten bereits nach 3 Jahre aus dem Polizeisystem gelöscht werden (soweit mir bekannt).

    Es wird dort sicher auch kein Buch liegen, in welches man Notizen macht, wenn man eine Straftat aufgeklärt hat. Und alle zweit Tage eine Straftat aufgeklärt, finde ich jetzt nicht so abwegig. Zumal wie der Bericht schreibt, nicht nur Straftat aus Sachsen verfolgt wurden.

    1. > Die Anlage steht sei 2019. Das sind mehr als 5 Jahre. Da muss bei bestimmten Delikten bereits nach 3 Jahre aus dem Polizeisystem gelöscht werden (soweit mir bekannt).

      Hmmm. also wenn in den 5 Jahren 800 Straftaten aufgeklärt worden wären, aber man nur Aufzeichnungen über diel letzten 3 Jahre hätte, dann könnte man erwarten dass für etwa 800/5*3 = 480 Straftaten entsprechende Nachweise für den “Erfolg der Videoüberwachung” vorliegen. Nicht irgend etwas in der Größenordnung von 21.

      Gut, das ist eine grobe Abschätzung, vielleicht sind ja all diese Erfolge älter als drei Jahre (bis auf 21, natürlich). Dann stellt sich die Frage: Hat sich Görlitz wie durch ein Wunder just 2021 von Gotham City zum Auenland gewandelt? Und wenn neuere Erfolge offenbar ausbleiben, können wir das dann wieder abbauen?

      Oder ist es nicht vielleicht realistischer anzunehmen, dass unser “Freund und Helfer” täuscht, trickst und lügt um weiter grundrechtfeindliche Technologie ensetzen zu können?

      > Es wird dort sicher auch kein Buch liegen, in welches man Notizen macht, wenn man eine Straftat aufgeklärt hat.

      Nicht? Woher kommen dann so Behauptungen dass man 800 Straftaten aufgeklärt hätte? Hirngespinnst vielleicht?

    2. In DELand wird alles dokumentiert und statistisch ausgewertet. Auch nach Löschung personenbezogener Falldaten sollten die Fälle als statistische Werte erhalten bleiben.

      Mit 800 aufgeklärten Straftaten zu werben und auf Nachfrage 21 konkrete Fälle vorlegen zu können, ist eine schwache Kür. Da hilft der Verweis auf andere Bundesländer nicht wirklich – denn auch Fälle von Amtshilfe sollten als statistische Kennzahlen vorhanden sein.

      Im besten Fall ist die statistische Auswertung grottig – was bei einem so brisanten Thema auf keinen Fall vorkommen sollte. Es war schon vor Errichtung der Anlagen klar, dass diese später zu rechtfertigen sein würden. Da erwarte ich eine saubere wissenschaftliche Begleitung eines solchen Projektes.

  2. So richtig es ist, auf die Probleme der Überwachung im öff. Raum aufmerksam zu machen: Die mitschwingende These, Videoüberwachung würde bei der (nachträglichen!) Erkennung von Tätern doch in Wahrheit gar nicht oder kaum helfen, ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht haltbar. Hier könnten die Argumente negiert als Bumerang zurückgeflogen kommen. Weniger wespennestig könnte die Strategie sein, dass man laut hinterfragt, ob sich Kriminalität tatsächlich so dramatisch entwickelt, dass ein stärkere Überwachung unausweichlich sei. Da wird von einigen Medien usw. oft ein verzerrtes Bild erzeugt. Und selbst wenn die öff. Sicherheit mal tatsächlich akut gefährdet ist: Verhindern lassen sich bereits geplante Straftaten am besten durch Polizeipräsenz, die unmittelbar einschreiten kann – nicht durch Kameras. PimEyes & Co lassen sich dann argumentativ nutzen, warum Videoüberwachung eine Menge Probleme für alle (scheinbar) Unbeteiligte bringt. Auch die Kosten für die Technik usw. kann man mal erwähnen, die waren zumindest in Berlin nicht ganz unerheblich, davon hätte man ne Menge Jugend- und Sozialarbeit bezahlen können….

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