Es ist eine oft gesehene kurze Szene aus einer Diskussionsveranstaltung mit dem Satz „Wir töten auf der Basis von Metadaten“. Sie bringt auf den Punkt, welche Macht Datensammlungen entfalten können. Sie lässt einen auch erschaudern ob der Kaltschnäuzigkeit und des sichtbaren Machtbewusstseins, mit der die Aussage vorgebracht wird. Dass die massenhafte geheimdienstliche Datensammlung, auf die sich die kurze Sequenz aus dem Jahr 2014 bezieht, später als teilweise rechtswidrig erkannt wurde, hilft den Betroffenen nicht mehr. Der Mann, der für diesen Satz international Bekanntheit erlangte, ist Michael Hayden, einst mächtiger Geheimdienstchef von sowohl NSA als auch CIA und heute krankheitsbedingt außer Dienst.
Hayden lobt einen Mann mit Macht über Milliarden Metadatensätze über den grünen Klee, dem ein Gutteil eines aktuellen Kinofilms gewidmet ist: Alexander Karp, Geschäftsführer von Palantir, einem der größten US-Tech-Konzerne, spezialisiert auf Datenanalysen für das Militär.
Der Film heißt „Watching You – Die Welt von Palantir und Alex Karp“ und folgt den Spuren des US-Amerikaners Karp über mehrere Jahrzehnte. Kinostart ist der 6. Juni. Regisseur Klaus Stern und Kameramann Thomas Giefer versuchen, das als verschlossen und fast mysteriös geltende Milliarden-Unternehmen zu beleuchten, dessen Geschicke seit der Gründung 2003 maßgeblich durch Karp gesteuert werden.
Heraus kommt ein Portrait von Karp als einer selbstverliebten Figur, die sich gern reden hört, aber selten auf gestellte Fragen eingeht. Er ist ein immens Reicher, der sich zugleich als politisch links und unangepasst inszeniert, aber keine Skrupel erkennen lässt, sich mit Militärs zu umgeben. Dass sein Datenkonzern aktiv an militärischen Tötungen mitwirkt, räumt er unumwunden ein. „Unser Produkt wird gelegentlich zum Töten von Menschen verwendet“, sagt er. Wie immer sind es die Terroristen, die er töten helfen will.
Sprechen will Karp mit dem Filmemacher darüber nicht, obwohl er es ihm mehrfach verspricht. So jagt Klaus Stern einem Phantom hinterher, reist zu öffentlichen Auftritten und nach Davos, wo Karp Hof hält, aber wieder nicht mit dem Regisseur reden will. Es drängt sich der Eindruck auf, es mehr mit einer Art Sektenboss zu tun zu haben als mit dem Geschäftsführer eines Konzerns, der an der Börse um die sechzig Milliarden US-Dollar wert ist. Und nicht nur der Chef selbst bleibt zugeknöpft, auch das Palantir-Personal will auf seinen Verkaufsständen bei Rüstungsmessen keine Kameras zulassen und keine Fragen beantworten.
„Outsider“ im Silicon Valley
Es ist der erste Kino-Dokumentarfilm zum Thema Palantir. Alexander Karp und auch Mitgründer Peter Thiel werden als Abweichler und „Outsider“ im Silicon Valley porträtiert, denen ein mittlerweile historisches Ereignis Türen geöffnet hat, die ihnen sonst wohl verschlossen geblieben wären: die Flugzeuganschläge des 11. September 2001. Die traumatischen Anschläge läuteten eine wahre Datenrallye ein, an der sich Karp und Thiel nach Kräften beteiligen wollten. Sie ließen sich von der CIA finanzieren und versprachen Militärs und Geheimdienstlern erfolgreich, dass man mit Software und Daten Terroristen fangen und künftige Anschlagspläne vereiteln könne. Die Schmach des Nicht-Wissens war groß, die politischen Schuldzuweisungen ebenfalls, so fielen die Ideen auf fruchtbaren Boden: Die ersten Vertragspartner des aufstrebenden Datenanalyseunternehmens waren allesamt Behörden, Geheimdienste und Militärs.
Gewinnbringend war das Geschäft mit Überwachungs- und Analysesoftware nicht. Fast zwanzig Jahre konnte sich der bis heute militärnahe Konzern Zeit lassen, um einen Überschuss einzufahren: Das vergangene Jahr war das allererste profitable seit der Gründung, mit einem zuletzt ausgewiesenen schmalen Gewinn von 93 Millionen US-Dollar im vierten Quartal 2023.
Doch erst kürzlich konnte wieder ein neuer Multimillionenvertrag an Land gezogen werden, denn selbstverständlich sprang Palantir auch auf den rasenden-KI-Hype-Zug auf und werbetrommelt nun für das erste KI-gestützte Fahrzeug der US-Armee. Mittlerweile machen US-amerikanische Militär- und Regierungsaufträge mit KI-Bezug etwa 60 Prozent des Konzernumsatzes aus.
Expansion nach Europa
Klaus Stern beschränkt sich in seinem Film nicht nur auf Palantirs Heimatmarkt und die US-amerikanische Perspektive, auch weil Karp zeitweise in Frankfurt gelebt, studiert und gearbeitet hat. Der auch deutschsprechende Konzernchef residiert mittlerweile in der Schweiz. Denn der Konzern expandiert längst nach Europa: Europol band sich schon vor mehr als zehn Jahren vertraglich an die Software „Gotham“ von Palantir, beendete die Nutzung aber im Jahr 2021.
Palantir ist seit mehreren Jahren auch in Deutschland Geschäftspartner von Behörden, zuerst bei der Polizei in Hessen. Stern besucht die Büros der hessischen Polizisten, die auch ein paar Schreibtische für Palantir-Leute umfassen. Aber sie sind nicht anwesend, noch nicht eingeflogen, eben Phantome, mit der Kamera offenbar nicht einzufangen.
Redseliger sind da die hessischen Polizisten, die von dem Palantir-Produkt offenkundig überzeugt sind. Sie berichten gern von einem Einzelfall, als die Software einen Anschlag verhindert habe. Eine hessische Oppositionspolitikerin übt dagegen im Film Kritik an den intransparenten Vergabepraktiken und an der Art der Datenanalyse: Es sei schließlich für den Bürger „nicht unerheblich, wenn demnächst der Staat die Daten aus sozialen Netzwerken mit Polizeidaten vergleicht“. Die hessische Oppositionspolitikerin und damalige innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag ist Nancy Faeser (SPD), heute Bundesinnenministerin.
Was im Film nur am Rande Erwähnung findet: Faeser hat sich auch als Innenministerin bisher explizit gegen die Nutzung von Palantir-Software in Bundesbehörden gestellt. Es besteht zwar ein Rahmenvertrag mit der deutschen Tochter des Tech-Konzerns, der eine Nutzung ermöglichen würde, aber die Bundespolizei oder das Zollkriminalamt arbeiten weiterhin nicht mit Palantir-Software.
Palantir
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Was aber macht Palantir, was bringt die Software der Polizei? Geboten wird vor allem eine Suchmaske für den Zoo an unterschiedlichen Inhalten der polizeilichen Datenbanken. Sie werden verknüpft und durchsuchbar gemacht. Die Software soll auch gefährliche Sachverhalte und Personen automatisiert identifizieren und aus den verknüpften Datenbanken fischen, damit sie polizeilich bearbeitet werden können. Diese Idee ist wahrlich nicht neu, weshalb im Film die deutschen Ursprünge der Automatisierung der Polizeiarbeit aufgegriffen werden: die Ideen des berüchtigten ehemaligen BKA-Chefs und „Computerfetischisten“ Horst Herold, der sich ab den 1970er-Jahren für die automatisierte Massendatenverarbeitung bei der Polizei starkmachte.
Der im Film befragte bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri glaubt, dass Herold von dieser Art Rasterfahndung wohl „begeistert“ gewesen wäre. Petri nennt die Palantir-Software „sehr, sehr eingriffsintensiv“ und kritisiert besonders die enorm hohe Zahl an Zugriffsberechtigten in der Polizei: „Es sind Tausende.“ Dass diese Vielzahl an Beamten alle mit Schwerkriminalität und Terrorismus beschäftigt seien, hält er für unglaubwürdig.
Die erheblichen juristischen Bedenken münden in Verfassungsbeschwerden: Der Einsatz bei der Polizei in Hessen wird ein Fall für das Bundesverfassungsgericht, zu dessen Anhörung Stern reist. Im Februar 2023 stellt das Gericht in seinem Urteil fest, dass die gesetzliche Grundlage teilweise verfassungswidrig ist, weil sie der Polizei erlaube, „mit einem Klick umfassende Profile von Personen, Gruppen und Milieus zu erstellen“. In Zukunft müssen gesetzliche Regelungen zur automatisierten Datenanalyse konkret ausgestalten, welche polizeilichen Datenquellen in welcher Form zum Data-Mining genutzt werden dürfen. Dazu muss auch eine aussagekräftige Dokumentation über die Datenanalyse-Software „in einer öffentlich zugänglichen Weise“ vorgelegt werden.
Für Palantir bedeutet das Urteil einen Rückschlag. Der Fuß, den der Konzern schon in der Tür hatte, steckt erstmal fest. Und es wird nicht das letzte Mal sein, dass Karlsruhe allzu datenheischenden Praktiken einen Riegel vorschieben muss: Denn auch die Verfassungsmäßigkeit der Norm im Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, wo ebenfalls Palantir-Software im Einsatz ist, wird beim Bundesverfassungsgericht derzeit geprüft.
Offenlegung: Als Sachverständige bei der Anhörung des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz von Palantir hat mich Klaus Stern für den Film interviewt.
Andrej Hunko hält Hessendata für eine Rasterfahndungssoftware.
Innere Sicherheit/ Gotham am Main (SZ, 18.10.18)
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/innere-sicherheit-gotham-am-main-1.4175521
Wie sieht es mit DAR (NRW) und VeRA (Bayern) – ebenfalls auf Palantir-Gotham-Basis – aus?
Zuletzt war VeRA in die Kritik geraten..
https://police-it.net/category/polizeiliche-informationssysteme/recherche-analyse-auswertung-polizei/vera-verfahrensuebergreifende-recherche-und-analyse
Um den Preis, den Hessen für die polizeiliche Verbundsdatenbank gezahlt hat, wurde unter dem ehemaligen Hessischen Innenminister Peter Beuth stets ein Staatsgeheimnis gemacht.
Über Qualität und Risiken von Hessendata, VeRA und Co. berichtete häufig Annette Brückner für Police IT.
https://police-it.net/tag/hessendata
https://police-it.net/category/akteure/it_anbieter/palantir
Peter Thiel fand „V for Vendetta“ gut und baut jetzt Fate, zusammen mit Musk.
Das passt ja gut zu den Aktivitäten die das ZDF Magazin Royal herausgefunden hat, siehe: https://fuckoffai.eu
Palantir USG Inc., Palo Alto, California, was awarded a $480,000,000 firm-fixed-price contract for the Maven Smart System prototype. One bid was solicited via the internet with one received. Work locations and funding will be determined with each order, with an estimated completion date of May 28, 2029. U.S. Army Contracting Command, Aberdeen Proving Ground, Maryland, is the contracting activity (W911QX24-D-0012).
https://www.defense.gov/News/Contracts/Contract/Article/3790490/
The MAVEN Smart System (MSS) by Palantir along with National Geospatial Agency (NGA) Broad Area Search – Targeting (BAS-T) uses AI generated algorithms and memory learning capabilities to scan and identify enemy systems in the Area of Responsibility (AOR). MAVEN fuses data from various Intelligence Surveillance & Reconnaissance (ISR) systems to identify areas of interests. MAVEN is not replacing the Intelligence Analyst’s job but The MAVEN Smart System (MSS) by Palantir along with National Geospatial Agency (NGA) Broad Area Search – Targeting (BAS-T) uses AI generated algorithms and memory learning capabilities to scan and identify enemy systems in the Area of Responsibility (AOR). MAVEN fuses data from various Intelligence Surveillance & Reconnaissance (ISR) systems to identify areas of interests. MAVEN is not replacing the Intelligence Analyst’s job but simply speeding up the processes while enhancing workflow and efficiency. while enhancing workflow and efficiency.
https://ky.ng.mil/News/Article/3691233/138th-field-artillery-brigade-incorporates-artificial-intelligence/
– So schnell und gründlich Algorithmen Datenbanken durchsieben können, unfehlbar sind sie nicht. Es werden Wahrscheinlichkeiten berechnet, keine Wahrheiten. Falsch positive Ergebnisse: nur Kollateralschäden?
– Beamte können korrumpiert, bedroht oder erpresst werden. Software kann gehackt werden. Was könnte das organisierte Verbrechen oder ein Diktator anrichten?
– Sollten einmal nichtdemokratische Gruppierungen an die Regierung kommen, hätten sie Mittel, politische Gegner auszuschalten, von denen Gestapo oder Stasi nicht mal zu träumen wagten.
– Auch Beamte sind Menschen. Schon jetzt wurden polizeiliche Systeme für persönliche Zwecke (Stalking, Adressenweitergabe an politische Freunde) missbraucht. Einzelfälle zwar, aber je mächtiger das Tool, um so gefährlicher.
– Wer genug bezahlt, bekommt immer alles, egal ob lupenreine Demokratien, Schurkenstaaten, Gottesstaaten, private Multimilliardäre, kriminelle Organisationen – pecunia non olet. Ich trau den Anbietern dieser Stasi-Software nur so weit, wie ich einen Kapitalisten schmeißen kann.