Offener Brief zu KI-VerordnungBundesregierung soll Biometrie-Überwachung zumindest in Deutschland verbieten

Die neuen europaweiten Regeln für Künstliche Intelligenz lassen biometrische Überwachungstechniken wie Gesichtserkennung teilweise zu. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern nun, dass dem zumindest in Deutschland ein Riegel vorgeschoben wird.

Mehrere Dome-Überwachungskameras, im Hintergrund ein Fernsehturm
Mobiler Kameramast auf einer Veranstaltung in Düsseldorf. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Michael Gstettenbauer

Mehr als ein Dutzend Digital- und Bürgerrechtsorganisationen fordern die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, jede Form der biometrischen Fernidentifizierung zu verbieten. Anlass für den offenen Brief ist die Verabschiedung des Artificial Intelligence Acts auf EU-Ebene, ein Gesetz zur Regulierung Künstlicher Intelligenz. Das Gesetzeswerk enthält viele Schlupflöcher, die eine biometrische Überwachung ermöglichen.

Die Unterzeichnenden des offenen Briefes, unter ihnen der Chaos Computer Club, Wikimedia und Amnesty International, kritisieren diese Schlupflöcher. „Diese weitreichenden Ausnahmen für Strafverfolgung und Sicherheitsbehörden laden europaweit zum Ausbau öffentlicher Überwachung ein.“ Eine solche Überwachungsinfrastruktur führe dazu, dass Menschen unter dem ständigen Gefühl der Kontrolle ihre Freiheitsrechte nicht mehr ungehindert ausüben könnten. Deswegen verweisen sie auf die Möglichkeit, dass die Bundesregierung die im AI Act vorgesehene Möglichkeit der nationalen Verschärfung europäischer Regeln sowohl für Echtzeit- als auch für nachträgliche biometrische Fernidentifizierung nutzen sollen. Im offenen Brief heißt es: „Wir fordern Sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages daher auf, jede Form der biometrischen Fernidentifizierung in Deutschland zu verbieten!“

Koalitionsvertrag bezieht Position gegen biometrische Überwachung

Die zivilgesellschaftlichen Organisationen verweisen dabei auf den Koalitionsvertrag der Ampel. Dort wird gleich an zwei Stellen biometrische Überwachung abgelehnt, wenn es etwa heißt:

Biometrische Erkennung im öffentlichen Raum sowie automatisierte staatliche Scoring Systeme (sic) durch KI sind europarechtlich auszuschließen.

Und in einem anderen Absatz:

Flächendeckende Videoüberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken lehnen wir ab.

Die Ampel müsse nun, nachdem ein europarechtliches Verbot der biometrischen Überwachung „nicht vollständig umzusetzen“ war, mit einem nationalen Verbot gegenhalten. Andernfalls drohten dystopische Verhältnisse, in denen jeder Mensch bei jeder Bewegung im öffentlichen Raum permanent identifizierbar und überwachbar würde. „Anonymität im öffentlichen Raum ist eine der Grundvoraussetzungen für freie Meinungsäußerung und demokratischen Protest“, so die Unterzeichner:innen.

Erik Tuchtfeld, Co-Vorsitzender von D64 und Mitunterzeichner, sagt zudem: „Unser Ziel ist es, Digitalpolitik faschimussicher zu machen. Dafür müssen alle demokratischen Kräfte zusammenarbeiten, um Möglichkeiten des institutionellen Machtmissbrauchs zu verhindern.“ Die ständige Erkennbarkeit im öffentlichen Raum treffe marginalisierte Gruppen besonders hart.

Parteien der Ampel hatten zuletzt gesagt, dass sie bei der KI-Verordnung nachbessern wollen. So hat die SPD im Bundestag angekündigt, biometrische Echtzeit-Identifizierung und Emotionserkennung verbieten zu wollen.


Offener Brief vom 13. März 2024

Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,

heute, am 13. März 2024, beschließt das Europäische Parlament den Artificial Intelligence (AI) Act. Als erstes umfassendes Gesetz zur Regulierung Künstlicher Intelligenz (KI) weltweit schafft der AI Act in der gesamten Europäischen Union einheitliche Regeln für die Entwicklung und den Einsatz von KI.

Die finale Fassung des AI Acts verbietet biometrische Überwachung im öffentlichen Raum zwar grundsätzlich, lässt jedoch eine Vielzahl an Ausnahmen zu. Diese weitreichenden Ausnahmen für Strafverfolgung und Sicherheitsbehörden laden europaweit zum Ausbau öffentlicher Überwachung ein. Eine solche Überwachungsinfrastruktur führt dazu, dass Menschen unter dem ständigen Gefühl der Kontrolle ihre Freiheitsrechte nicht mehr ungehindert ausüben. Der Schutz von Menschenrechten darf jedoch nicht unter Vorbehalt stehen. Insbesondere im aktuellen politischen Klima müssen die demokratischen Kräfte gemeinsam die Möglichkeit des institutionellen Machtmissbrauchs minimieren. Deshalb gilt es nun, die im AI Act explizit vorgesehene Möglichkeit der nationalen Verschärfung europäischer Regeln sowohl für Echtzeit- als auch für nachträgliche biometrische Fernidentifizierung zu nutzen.

Wir fordern Sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages daher auf, jede Form der biometrischen Fernidentifizierung in Deutschland zu verbieten!

Im Koalitionsvertrag verpflichten sich die Regierungsparteien gleich an zwei Stellen, biometrische Überwachung in Deutschland zu verhindern. So heißt es, dass „[b]iometrische Erkennung im öffentlichen Raum“ europarechtlich auszuschließen sei, auch der „Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken“ wird explizit abgelehnt. Nachdem das europarechtliche Verbot biometrischer Überwachung nun nicht vollständig umzusetzen war, muss ein nationales Verbot das Mittel der Wahl sein.

Die Durchführung biometrischer Echtzeit-Fernidentifikation im öffentlichen Raum öffnet die Tür in dystopische Verhältnisse, in denen jeder Mensch bei jeder Bewegung im öffentlichen Raum permanent identifizierbar und überwachbar wird. Ähnliches gilt auch für nachträgliche biometrische Fernidentifikation, die ebenfalls die Bildung umfassender Personenprofile ermöglicht. Anonymität im öffentlichen Raum ist eine der Grundvoraussetzungen für freie Meinungsäußerung und demokratischen Protest. Insbesondere Angehörige marginalisierter Gruppen werden von der Ausübung ihrer Meinungs- und Demonstrationsfreiheit abgehalten, wenn sie Repressalien befürchten müssen. Auch der Ampel-Koalitionsvertrag betont: „Das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet ist zu gewährleisten.“

Wir fordern Sie deshalb auf, sich für den Schutz der Menschen in Deutschland und das Recht auf ein Leben frei von Massenüberwachung und Kontrolle einzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen

  1. AlgorithmWatch
  2. Amnesty International
  3. Antidiskriminierungsverband Deutschland e.V.
  4. Chaos Computer Club
  5. D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt
  6. Dachverband der Fanhilfen e.V.
  7. Digitale Freiheit e.V.
  8. Digitale Gesellschaft e.V.
  9. Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V.
  10. Humanistische Union e.V.
  11. LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik
  12. netzforma* e.V. – Verein für feministische Netzpolitik
  13. Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.
  14. SUPERRR Lab
  15. Topio e.V.
  16. Wikimedia Deutschland e. V.

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5 Ergänzungen

  1. Vu zu wenig nimmt der Buerger die Gefahr des Faschismus wahr. Die meisten in Deutschland sind eine angepasste, homogene Mehrheit und dazu wenig an Buergerrechte, Freiheit interessiert. Besonders im Osten ist das so. Wo noch immer die zwei Diktaturen nachwirken.
    Vielen Dank für den Artikel und das Engagement von netzpolitik. org.

    1. > Die meisten in Deutschland sind eine angepasste, homogene Mehrheit

      Das glaubt nur wer ganz weit weg lebt oder wenig Ahnung von dem Land hat.

      1. Oder viel Ahnung von seiner Geschichte hat. Ein weltweiter Stereotyp über Deutschland ist (unteranderem auch der Drang nach) „Zucht und Ordnung“. Der Begriff „Polizeistaat“ ist deutschen Ursprungs. Vielfach von historischen Autoren und Philosophen beschrieben wurde der sog. „deutsche Untertanengeist“. Der bekannte Roman „Der Untertan“ stammt aus der prä-NS Zeit (Kaiserreich). Der Begriff „Militarismus“ geht auf Preußen zurück. Davor gab es das Heiligische Römische Reich mit Inquisition, Kreuzzügen und Hexenverbrennung. Zumindest Tacitus hat den alten Germanen noch einen „ausgeprägten Freiheitswillen“ nachgesagt.

  2. Selbst wenn(!!) dieses Verbot kommen sollte(!!), wird es bald wieder stufenweise aufgeweicht werden. Schliesslich müssen die ganzen Raubmordkopiererterroristen ja bekämpft werden.
    Heute noch Einsatz gegen Aktionen, welche die nationale Sicherheitgefährden, demnächst zur Erkennung von Fslschparkern…..

  3. Der Brief müsste sich nicht nur an den Bund, sondern auch an die Länder richten. Denn die Kompetenz zur Regulierung der (präventiven) Gefahrenabwehr liegt größtenteils bei den Ländern. Wenn diese die Fernidentifizierung nicht verbieten, der Bund aber schon, könnte zB die Polizei solche Techniken einsetzen, wenn auch nur für beschränkte Zwecke. Am Ergebnis, nämlich der Durchführung dieser Erkennung für jede erfasste Person, ändert sich daran aber nix.

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