NetzausbauWarum das Gesetz für schnelleres Internet so lange braucht

Mehrfach wurde es bereits verschoben, am Mittwoch soll es nun endlich soweit sein: Das Bundeskabinett will einen Gesetzentwurf beschließen, der den Netzausbau beschleunigt. Seit einem Jahr stockt die Einigung, weil sich Digital- und Umweltministerium um ein entscheidendes Wörtchen streiten.

Ein Funkmasten inmitten der Natur
Ein Wörtchen könnte darüber entscheiden, wie schnell manche Mobilfunkmasten aufgestellt werden könnten. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Craig Garnham

Fast 20.000 Wörter, das ist ganz schön viel für ein geplantes Gesetz. Und doch liegt es an einem Wörtchen, weswegen sich die Ampelkoalition seit bald einem Jahr in den Haaren liegt. Soll der Ausbau digitaler Infrastruktur im „öffentlichen Interesse“ liegen oder im „überragenden öffentlichen Interesse“?

Auch wenn es sich um einen „unbestimmten Rechtsbegriff“ handelt, könnte der Vokabelstreit spürbare Folgen haben – wenn es etwa gilt, neue Funkmasten oder Leitungstrassen zu genehmigen. Bei einer Abwägung unterschiedlicher Interessen könnte eine Behörde dann leichter zugunsten von Netzbetreibern entscheiden, während beispielsweise der Natur- oder Denkmalschutz zurückstecken müsste.

Ein „rechtsfreier Raum“ entstünde dabei aber nicht, betont der SPD-Digitalpolitiker Johannes Schätzl auf Anfrage von netzpolitik.org. Es würde nur so manche „Abwägungsentscheidung von Landesämtern ändern“, sagt der Bundestagsabgeordnete und fordert: Der rasche Ausbau digitaler Infrastruktur müsse dem der erneuerbaren Energien gleichgesetzt werden, der inzwischen ganz offiziell im überragenden öffentlichen Interesse liegt.

Derzeit sei es etwa kaum möglich, Funkmasten in Naturschutzgebieten aufzustellen oder für durchgängige Mobilfunkversorgung in denkmalgeschützten Bahntunnels zu sorgen, sagt Schätzl. Das soll sich ändern, fordert der Abgeordnete und betont, dass dies nicht hieße, dass dann denkmalgeschützte Gebäude oder Naturparks zerstört würden.

Langsam den Ausbau verschnellern

Der Streit um den Begriff ist Teil des sogenannten Telekommunikations-Netzausbau-Beschleunigungsgesetzes (TK-Nabeg). Die Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) zielt vor allem darauf ab, bisher langwierige Genehmigungsverfahren zu verkürzen und mit einem aufgebohrten Gigabit-Grundbuch die Planung zu verbessern. Das soll den Ausbau von Fest- und Mobilfunknetzen schneller und billiger machen.

Indes lässt das Tempo der Regierung selbst zu wünschen übrig: Die Vorschläge sind im Groben seit drei Jahren im Koalitionsvertrag und seit zwei Jahren in der Gigabit-Strategie festgeschrieben. Ein Referentenentwurf des Gesetzes stammt bereits aus dem Sommer des Vorjahres und ist das letzte Lebenszeichen, das die Tempooffensive öffentlich von sich gegeben hat.

Diesen Mittwoch soll es nun endlich so weit sein. Nach mehreren erfolgslosen Anläufen soll das Bundeskabinett einen abgestimmten Vorschlag beschließen: Sofern sich das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) auf der einen und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) auf der anderen Seite bis dahin einigen. Selbst Gespräche im Bundeskanzleramt sollen bislang nicht den erhofften Durchbruch gebracht haben.

Auf Anfrage wollen die beiden beteiligten Ministerien die laufenden regierungsinternen Abstimmungen „grundsätzlich nicht kommentieren“, wie es aus dem BMDV heißt. Beide geben sich jedoch zuversichtlich, dass es diesmal klappt. Als Bremser will sich das Umweltministerium jedenfalls nicht dargestellt wissen. Ein schneller Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur liege im Interesse aller beteiligten Ressorts, sagt ein BMUV-Sprecher.

„In Fällen, in denen es tatsächlich einmal zu einem Konflikt zwischen TK-Ausbau und dem Umwelt- und Naturschutz kommt, muss eine ausgewogene Abwägung stattfinden“, so der Sprecher. Was die Frage der „pauschalen gesetzlichen Festlegung eines überragenden öffentlichen Interesses“ betreffe, habe das BMUV stets für eine differenzierte Betrachtung geworben, sagt der Sprecher.

Kompromissbereitschaft angesagt

Wie diese aussehen könnte, bleibt vorerst offen. An Vorschlägen mangelt es allerdings nicht. SPD-Berichterstatter Johannes Schätzl kann sich etwa eine zeitliche Befristung des „überragenden“ öffentlichen Interesses vorstellen. Sonst ließen sich beispielweise die geplanten Versorgungsauflagen der Bundesnetzagentur für Mobilfunkbetreiber kaum umsetzen, die bis zum Jahr 2030 eine praktisch flächendeckende Abdeckung vorsehen.

Betont kompromissbereit gibt sich auch Tabea Rößner, die grüne Vorsitzende des Digitalausschusses. Der Kompromiss müsse jedoch „tragfähig“ ausfallen und dabei weder den Umweltschutz noch die „notwendige Beschleunigung“ des Netzausbaus aus den Augen verlieren. „Ich finde eine geografische Eingrenzung des überragenden öffentlichen Interesses auf Gebiete, wo es wirklich gebraucht wird, sehr charmant“, sagt Rößner.

Etwas abgehängt fühlen sich derweil die Bundesländer, die mehrheitlich auf schnellere Verfahren drängen. „Dass der Streit um das überragende öffentliche Interesse ohne Einbindung der Länder geführt wird, ist eine Ausnahme zur sonst in der Regel guten Zusammenarbeit mit dem BMDV“, beklagt etwa ein Sprecher des niedersächsisches Digitalministeriums gegenüber netzpolitik.org.

Unter niedersächsischer Federführung sei im Länderkreis „vorsorglich ein Kompromissvorschlag zum Diskurs um das überragende öffentliche Interesse erarbeitet“ worden, weist der Sprecher hin. Jetzt könnten die Länder „nur abwarten“, ob dieser Kompromiss, eine andere Regelung oder gar keine Festlegung im Gesetzesvorschlag enthalten sein wird. Vielleicht bleibt es aber auch beim ursprünglichen Entwurf, in dem lediglich vom „öffentlichen Interesse“ die Rede ist.

Weniger Aufwand für Landes- und Kommunalbehörden

Die praktischen Auswirkungen des Wortes „überragend“ sollten aber weder über- noch unterschätzt werden, heißt es aus Niedersachsen: „Die Festlegung eines überragenden öffentlichen Interesses ist nur für einige wenige Genehmigungsverfahren überhaupt relevant“.

Außerdem gehe es in solchen Fällen ohnehin nur vornehmlich darum, dass bestimmte Sachen „erneut gesondert begründet und dokumentiert“ werden müssten – etwa die Verfügbarkeit von Mobilfunk für Notrufe, auch und gerade in dünn besiedelten Gebieten. „Die Festlegung im Gesetz würde diesen Aufwand vermeiden“, sagt der Sprecher des niedersächsischen Digitalministeriums.

Dabei gehe es um Entbürokratisierung und nicht darum, der Umwelt zu schaden: „Der einzige nennenswerte Eingriff in Natur und Umwelt entsteht während der Bauphase, die meist nach wenigen Tagen beendet ist.“ Anders als Autobahnen, deren Ausbau jüngst ein überragendes öffentliches Interesse beigemessen wurde, verursachten Telekommunikationsleitungen und Mobilfunkmasten „weder umweltrelevante Emissionen noch langfristige Baumaßnahmen mit entsprechenden Belastungen für Mensch und Umwelt“, betont der Sprecher.

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3 Ergänzungen

  1. Wenn schon Autobahnen und Erneuerbaren ein überragendes Interesse beigemessen wird, jetzt bald vielleicht auch dem Netzausbau, dann wird vielleicht irgendwann allen wichtigen Sachen dieses Wort angehängt? Was kommt danach, um wieder eine Differenzierung zu ermöglichen? „Besonders überragend …“ oder „Bedingt überragend …“? :D

  2. … die Benennung der Akteure in der Koalition mit ihren jeweiligen Positionen. Es reicht nicht zu sagen, die Ampel ’streite über einen Begriff‘ oder man ‚liege sich in den Haaren‘.

    Man kann es nennen wie man will, aber Auseinandersetzung und Abwägung von Rechtsgütern ist wesentlicher Bestandteil beim Zustandekommen politischer Entscheidungen in einer Demokratie.

    Welche Positionen haben die Koalitionsparteien denn in dieser Sache, und wie werden die Positionen begründet? Das in einem Artikel herauszuarbeiten, wäre ein Gewinn für den Leser.

  3. Und wenn wir dann endlich das Gesetz für schnelleres Internet haben, können wir dann anfangen am Gesetz für ein stabiles, ausfallsicheres Internet zu arbeiten?

    (triggerwarnung): Es gibt kein Internet.

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