EU-RatKI-Verordnung erhält grünes Licht

Die EU-Mitgliedstaaten haben heute den Kompromisstext der KI-Verordnung bestätigt. Das größte Regelwerk der Welt für Künstliche Intelligenz wird damit wahrscheinlich noch vor den EU-Wahlen in Kraft treten – ungeachtet der breiten Kritik am gesetzgeberischen Prozess und an der drohenden Massenüberwachung.

Eine Ampel, die grün leuchtet, frei hängend
Die KI-Verordnung hat grünes Licht vom Rat erhalten – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Carlos Alberto Gómez Iñiguez / Unsplash

Die Entscheidung war mit Spannung erwartet worden: Der Ausschuss der stellvertretenden ständigen Vertreter der einzelnen EU-Mitgliedstaaten (AStV I) hat heute mehrheitlich den endgültigen Kompromisstext der KI-Verordnung bestätigt. Damit wird die Verordnung nach drei Jahren Verhandlung sehr wahrscheinlich noch vor den EU-Wahlen im Juni in Kraft treten.

Die Ausschussabstimmung geht dem Beschluss des EU-Rats voraus. Er setzt sich aus den zuständigen Minister:innen aller EU-Regierungen zusammen und hat die offizielle Entscheidungsbefugnis. Aller Voraussicht nach wird sich der Rat dem heutigen Wahlergebnis anschließen.

Deutsche und französische Regierung zögerten

Noch vor wenigen Tagen war ungewiss, ob der Ausschuss der Trilog-Einigung zustimmen wird. Erst am Dienstag gaben Bundesdigitalminister Volker Wissing (FDP) sowie das Justizministerium unter Marco Buschmann (FDP) und das von Robert Habeck (Grüne) geführte Wirtschaftsministerium die Entscheidung bekannt: Die Bundesregierung werde der Verordnung zustimmen. Das Justiz- und das Wirtschaftsministerium sind bei der KI-Verordnung im Kabinett federführend. Das Digitalministerium ist in den Beratungen lediglich mit eingebunden.

Wissing hatte sich zuvor für „innovationsfreundlichere“ Regeln eingesetzt und Verbesserungen für kleine und mittlere Unternehmen gefordert. Der Minister kritisierte vor allem die unzureichende Regulierung kleinerer KI-Basismodelle und die aus seiner Sicht zu niedrigen Hürden für die nachgelagerte biometrische Überwachung.

Auch die französische Regierung zeigte sich unzufrieden mit dem vorliegenden Entwurf. Sie strebte einen Aufschub der heutigen Abstimmung um mindestens eine Woche an. Präsident Emmanuel Macron befürchtet – anders als Wissing – eine Überregulierung der Basismodelle und fordert laxere Regeln bei der biometrischen Überwachung.

Hätte sich die Bundesregierung im Vorfeld auf die Seite Frankreichs, Italiens und anderer kleiner EU-Länder wie Ungarn geschlagen, wäre das Gesetz wahrscheinlich gescheitert.

„Intransparenter“ und „chaotischer“ Prozess

Die Entscheidung für den KI-Entwurf wird von vielen Seiten begrüßt. Bereits im Vorfeld hatte der Startup-Verband dafür geworben, die Verordnung anzunehmen. Auch ein „Bündnis aus Wissenschaft, Thinktanks, Wirtschaft und Zivilgesellschaft“ sprach sich in einem von der Mercator-Stiftung initiierten offenen Brief dafür aus. Ebenso befürwortete die Kultur-, Kreativ- und Medienwirtschaft ein zustimmendes Votum.

Die sieben quälendsten Fragen zur KI-Verordnung

Aber es gibt auch weiterhin deutliche Kritik. So beschreibt Kai Zenner den gesetzgeberischen Prozess als „intransparent“ und „chaotisch“. Im Ergebnis sei die Verordnung „an vielen Stellen extrem vage geworden, zum Teil auch fehlerhaft“, so der Büroleiter des Europaabgeordneten Axel Voss (EVP) gegenüber heise online.

Zum anderen warnen Fachleute davor, dass die KI-Verordnung europaweit Massenüberwachung ermögliche. So kritisiert EDRi, der Dachverband von Organisationen für digitale Freiheitsrechte in Europa, dass die Verordnung „das Ergebnis eines großen Machtungleichgewichts zwischen den EU-Institutionen“ sei. Die nationalen Regierungen und die Lobbys der Strafverfolgungsbehörden hätten sich gegen jene Kräfte durchgesetzt, „die das öffentliche Interesse und die Menschenrechte vertreten“.

Auch AlgorithmWatch sieht die Einigung kritisch. Der Kompromiss offenbare „einen systemischen Fehler“ bei der EU-Gesetzgebung: „Die nationalen Regierungen und die Strafverfolgungslobby haben einen unverhältnismäßig großen Einfluss“, so Angela Müller, Policy- & Advocacy-Leiterin bei der Nichtregierungsorganisation. Im Ergebnis lege die Verordnung zwar „wichtige grundlegende Transparenzpflichten fest“, ergänzt Müllers Stellvertreter Kilian Vieth-Ditlmann. Sie biete „aber keinen ausreichenden Schutz vor biometrischer Massenüberwachung“.

Das Bündnis Reclaim your Face kritisiert ebenfalls den „verwässerten Schutz gegen die rückwirkende Gesichtserkennung“. Sie sei „eine weitere Enttäuschung in unserem Kampf gegen eine biometrische Überwachungsgesellschaft“.

Nationalstaaten können Überwachung noch beschränken

Auch Alexandra Geese, Digitalexpertin der Fraktion Greens/EFA und stellvertretende Fraktionsvorsitzende, ist nicht ganz zufrieden. Zwar setze die EU mit der KI-Verordnung „einen globalen Standard für Künstliche Intelligenz, auf den auch die USA mit großer Aufmerksamkeit schauen“. Zugleich sagte die EU-Abgeordnete gegenüber netzpolitik.org, dass es nicht gelungen sei, besonders grundrechtswidrige Anwendungen wie die biometrische Massenüberwachung „zu zähmen“. Dies müsse nun auf Ebene der Mitgliedstaaten geschehen.

Diesen Plan verfolgt offenbar auch die FDP. Deren digitalpolitischer Sprecher Maximilian Funke-Kaiser fordert die Bundesregierung auf, den Einsatz biometrischer Überwachung nun „so weit wie möglich“ auf nationaler Ebene einzuschränken.

Nachdem der EU-Rat über die Verordnung abgestimmt hat, muss voraussichtlich bis April noch das Parlament in den zuständigen Ausschüssen und im Plenum abschließend den finalen Gesetzestext verabschieden. Erst dann wird dieser im Amtsblatt der EU veröffentlicht, womit er in Kraft tritt. Bis die neuen Regeln vollständig angewandt werden, vergehen zwei weitere Jahre.

4 Ergänzungen

  1. Die EU ist eine der größten Bedrohungen für Freiheit und Menschenrechte, mit der wir es akut zu tun haben und steht China, Russland und den USA in nichts nach.

    1. zum mittag lese ich immer die kommentarspalte bei netzpolitik punkt org um die dümmsten kommentare meinen kolleg:innen shcicken zu können ja mei herzl glückwuncsh postdemo user sie haben heut gewonnen

  2. Fakt ist: Es wird alles gemacht, was irgendwie machbar ist und irgendwann wird wirklich ALLES LÜCKENLOS überwacht werden, bis es nichts mehr zu überwachen gibt! Wir werden dann in einer Welt leben, in der nahezu alles irgendwie kriminalisiert wird und wir Freiheit und Menschenrechte nur noch aus Geschichtsbüchern kennen werden…sofern man diese natürlich nicht bereits indiziert hat, den Besitz oder auch nur darüber zu sprechen unter Strafe stellen wird. Ironie aus!

  3. Die Verknüpfung von biometrischer Strafverfolgung mit KI Act zeigt nicht nur ein Ungleichgewicht beim Einbezug von Bürgerrechten, sondern auch auf welch hinterhältige Weise es bewusst herbei geführt wird. Wenn es schließlich um „Innovation“ und „Rechtssicherheit“ für „die Wirtschaft“ gegangen wäre, hätte man den ganzen Abfall bzgl. Biometrie und Strafverfolgung ausklammern bzw gar nicht erst in den gleichen Act einbringen müssen. Es wären genug Anwendungsbereiche und Innovationsfelder für KI in der Wirtschaft geblieben! Aber in Wahrheit wurde beides _bewusst_ verwurstet, damit schwere Grundrechtsangriffe mit beschlossen werden können und „die Wirtschaft“ ihren größtmöglichen Teil zum „Unabdingbarkeitsgetöse“ eines Beschlusses beisteuert bzw. selbstständig aktiv Druck auf all jene ausübt, die dazu nicht bereit sind. Kommission, Regierungen, Ratsvorsitz und der ganze Apparat, der solche Vorschläge ausarbeiten spielen dieses Spiel immer wieder. Es ist ein bewusstes Ausspielen von Wirtschaftsinteressen und Bürgerinteressen, damit die Strafverfolgungsbehörden und Regierungen ihre Überwachungsziele mit durch die Tür bekommen. Der Eindruck drängt sich jedenfalls auf, dass eine gewisse Verachtung für Bürgerrechte in Kommission und Rat besteht. Planlosigkeit unterstelle ich dabei aber nicht. Im Gegenteil. Diverseste Einzelmaßnahmen der letzten Jahre greifen zu gut ineinander und erwecken eher den Eindruck einer langfristig angelegten Gesamtarchitektur bzgl. „Total Awareness“. Dieses Ziel steht aber nicht zur Debatte. Zur Debatte stehen stets nur Einzelmaßnahmen und damit entlang welcher Kompromisslinien sich nationale und internationale Polizeibehörden dem Ziel stetig nähern. Wo es dagegen nicht vorwärts geht ist grenzübergreifende Steuerkriminalität, denn da schlägt die Axt nicht in die Kerbe der Bürgerrechte sondern nationaler Steuersouveränität.

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