Auch wenn sich die bundesweite Vergabe verzögert, viele Kommunen, Landkreise und einige Bundesländer haben sie schon eingeführt: die Bezahlkarte für Asylbewerber:innen. Im Gegensatz zu einem normalen Konto ist diese vielerorts mit Auflagen verbunden: nur wenig Bargeld, eingeschränkte Überweisungen, gültig nur in der Region. Geflüchtete stellt das vor große Probleme.
An einigen Orten bildet sich praktischer Widerstand gegen dieses Kontrollinstrument. In Hamburg und in München können Bezahlkarten-Nutzer:innen durch einen Tausch Bargeld erhalten, über das sie dann frei verfügen können.
Wir haben mit Katharina Grote von der Initiative “Offen bleiben!” München über die Tauschaktionen geredet – und wie man sie nachmachen kann.
netzpolitik.org: Seit wann gibt es in Bayern Bezahlkarten für Asylsuchende?
Katharina Grote: Die ersten Pilotprojekte haben am 1. April 2024 angefangen. Der Rollout auf das gesamte Landesgebiet ist danach ziemlich schnell erfolgt. Die Stadt München war gar nicht besonders erpicht darauf, Bezahlkarten so schnell wie möglich einzuführen. Aber auf Druck der Staatsregierung wird sie eigentlich bayernweit in allen Kommunen und Landkreisen bis Ende Juli umgesetzt.
netzpolitik.org: Wer hat so eine Karte? Alle, die als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind?
Katharina Grote: Karten bekommen die Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Nach ihrer Ankunft bekommen Asylbewerber:innen diese Leistungen für 36 Monate – außer sie fangen vorher schon an zu arbeiten. Das ist aber nicht so einfach.
Wenn man im Dublinverfahren ist, darf man nicht arbeiten. Wenn man alle paar Monate wieder in eine neue Unterkunft umziehen muss, ergibt es für die Arbeitgeber keinen Sinn, die Leute anzustellen und die zuständigen Ämter brauchen dann noch rund ein halbes Jahr, um über Anträge auf Arbeitsaufnahme zu entscheiden.
Außerdem bekommen auch Personen Asylbewerberleistungen, deren Asylanträge abgelehnt werden und die eine Duldung haben. Diese Personen erhalten meist keine Arbeitserlaubnis und sind in den Leistungsbezug gezwungen.
Kein normales Konto
netzpolitik.org: Wie unterscheidet sich so eine Bezahlkarte von einem normalen Konto mit einer Giro-Karte?
Katharina Grote: Der große Unterschied für die Asylbewerber:innen sind die Restriktionen, die mit einer Bezahlkarte verbunden sind.
In Bayern ist es so, dass man nur Überweisungen an Empfänger einrichten kann, die vorher geprüft worden sind – zum Beispiel an Anwält:innen oder an den Sportverein. Zu Beginn musste das einzeln freigeschaltet werden. Die Leute müssen dann für jede Überweisung zum Amt gehen. In Zukunft soll es so sein, dass an bestimmte freigegebene Empfänger auch selbst Überweisungen eingerichtet werden können. Da muss man schauen, wie gut das in der Umsetzung funktioniert.
netzpolitik.org: Und wie kommt man damit an Bargeld?
Katharina Grote: Leute dürfen pro Monat nur 50 Euro Bargeld mit der Karte abheben. Diese Begrenzung ist vor allem auf dem Land ein großes Problem, wo oft nicht überall Kartenzahlung möglich ist. Da kann man im Bus nicht einfach mit Karte zahlen.
Wenn die Leute eine Residenzpflicht haben, also sich nur in einem bestimmtem Gebiet aufhalten dürfen, kann die Karte auch zusätzlich eine regionale Beschränkung haben. Dann können sie zum Beispiel nur in einem Landkreis mit der Karte bezahlen. Wenn die günstigen Supermärkte im Landkreis nebenan sind, können sie dort nicht einkaufen.
Und viele fahren auch gern in größere Städte, um dort bestimmte Dinge zu kaufen. Zum Beispiel Lebensmittel aus ihren Heimatländern, die man nicht überall bekommen kann, die sie aber gerne essen.
Keine Lösung für niemand
netzpolitik.org: Euer Ziel ist es, dass die Menschen mehr als diese 50 Euro Bargeld zur Verfügung haben.
Katharina Grote: Weil wir die massiven Einschränkungen von den Leuten in ihrem Alltag sehen. Das ist eine Diskriminierung. Die Betroffenen müssen ständig darüber nachdenken: „Kann ich jetzt das noch kaufen?“ Wenn Schuldgeld anfällt, müssen sie erstmal zur Leistungsbehörde gehen und einen Mehrbedarf melden.
Das ist keine gute Lösung. Nicht für die geflüchteten Personen, nicht für die unterstützenden Strukturen und auch nicht für die Ämter. Es wurde ja gesagt, dass Bezahlkarten die Behörden entlasten sollen. Das sehen wir überhaupt nicht.
netzpolitik.org: Wie funktioniert das, wenn Asylbewerber:innen bei euch Bargeld tauschen wollen?
Katharina Grote: Die Personen gehen mit ihrer Bezahlkarte in einen Super- oder Drogeriemarkt einer größeren Kette und kaufen Gutscheine für den Laden. Wir empfehlen 50 Euro. Diese Gutscheine bringen sie an unsere Tauschorte und bekommen dafür Bargeld.
Dorthin kommen auch Leute, die sich solidarisch zeigen und diese diskriminierende Symbolpolitik nicht unterstützen. Die können für Bargeld die Gutscheine abholen. Dann können sie damit in den entsprechenden Läden einkaufen gehen.
netzpolitik.org: Wie viele solcher Tauschstellen gibt es?
Katharina Grote: In München haben wir im Moment drei Tauschorte. Dreimal die Woche kann man bei uns Gutscheine zu Bargeld umtauschen oder abholen.
Nachdem die Aktion bekannter wurde, haben sich aber schon weitere Orte gemeldet, die auch gerne mitmachen wollen.
Bis zu anderthalb Stunden Anfahrt
netzpolitik.org: Wie viele Menschen nutzen euer Angebot?
Katharina Grote: Die Aktion läuft jetzt gerade die zweite Woche. Wir haben sehr viele Leute, die gerne Gutscheine abnehmen würden. Das ist sehr schön, weil wir am Anfang Bedenken hatten, dass wir auf den Gutscheinen sitzen bleiben. Diese Befürchtung hat sich gar nicht bestätigt.
In München beginnen die Behörden gerade erst, die Bezahlkarten auszugeben, da gibt es noch nicht so viele betroffene Personen. Wir haben aber sehr viele Leute, die aus den anliegenden Landkreisen kommen. Teilweise hatten die bis zu anderthalb Stunden Anfahrt und sind gekommen, um einen Gutschein einzutauschen.
netzpolitik.org: Wenn Leute euer Angebot woanders nachmachen wollen: Wie fängt man an? Wie findet man Tauschorte und macht auf sich aufmerksam?
Katharina Grote: „Offen bleiben!“ in München ist ein großes Bündnis, aber mit einer kleinen aktiven Gruppe an Personen. Uns war klar, dass wir das allein nicht stemmen können. Aber wir wussten, dass es Orte gibt, wo solidarische Menschen regelmäßig zusammenkommen – und die haben wir angefragt, ob sie sich vorstellen können, einen Kartentausch anzubieten.
Jetzt finden die Kartenaktionen zum Beispiel während der Abholzeiten einer solidarischen Landwirtschaft statt, in einem Kulturzentrum oder zu den Öffnungszeiten eines Parteibüros der Linken. Das waren die Orte, die wir sofort gewinnen konnten. Interessiert waren auch Läden im Kollektivbetrieb oder selbstverwaltete Räume. Wenn Leute mitmachen wollen, nehmen wir sie in die Liste auf der Homepage auf, damit sie gefunden werden.
Vieles danach läuft in Eigenregie: Wie wird am Anfang die Kasse gefüllt? Wer kann zu den Zeiten da sein? Aber gerade am Anfang sind wir mit den Orten in einem regen Austausch und unterstützen.
Wie ein Franchise-Prinzip
Das funktioniert ein bisschen wie ein Franchise-Prinzip. Wir haben die Idee ja auch von der Initiative „Nein zur Bezahlkarte“ aus Hamburg übernommen, die damit angefangen hat. Wir wollen das Wissen zugänglich machen: „So gehts, macht das selbst nach!“ Das ist gar nicht so schwer.
Es macht auch Freude, aus der Ohnmacht rauszukommen, die man wegen dieser wirklich ekelhaften, rechtspopulistischen Diskussion zur Bezahlkarte empfindet. Wir setzen dem was entgegen mit unserer praktischen Solidarität. Und das macht Spaß.
netzpolitik.org: Eine Frage, die mir schon oft gestellt wurde, wenn Leute über solche Tausch-Aktionen nachdenken: Ist das legal?
Katharina Grote: Das haben sich viele Leute gefragt, vor allem in den Sozialen Medien. Die Polizei München hat aufgrund der vielen Nachfragen die Info der Staatsanwaltschaft München gepostet: Ja, das ist legal. Es gibt keine Möglichkeiten, rechtlich dagegen vorzugehen.
Auch das bayerische Innenministerium ist dieser Einschätzung gefolgt. Auch, wenn es ihnen nicht passt, im Moment sehen sie keine Handhabe.
netzpolitik.org: Könnte es für die Geflüchteten zum Problem werden, wenn sie am Kartentausch teilnehmen und das jemand merkt?
Katharina Grote: Momentan eher nicht. Die Behörden können zwar den Kontostand auf den Bezahlkarten einsehen, aber nicht den gesamten Zahlungsverkehr. Sie wissen also nicht, was eine Person wo eingekauft hat und können nicht ermitteln, ob vor allem Gutscheine gekauft werden.
Wir werden aber wachsam sein und beobachten, ob eine Behörde irgendwann versucht, hier dennoch Repressionen aufzuerlegen.
Danke für dieses Interview und Danke an Menschen wie Katharina Grote und die Leute in Hamburg. Das macht Mut und zeigt, dass doch noch wirksame Handlungsmacht gegen die autoritären Übergriffigkeiten da ist. Hoffentlich verbreitet sich diese Praxis weiter!
Es ist einfach Wettbewerbswidrig den Menschen vorzuschreiben mit wem zu Geschäfte machen. Es wurden ja auch Amazon und Ebay ausgeschlossen. Die Begründung ist das dort die Empfänger nicht nachvollziehbar sind. Amazon und Ebay sind doch angeblich so Weltoffen wann gehen sie gegen diese Wettbewerbswidrige Einschränkung vor? @Netzpolitik.Org einfach mal bei der Pressableitung bei Amazon und Ebay nachfragen weshalb man Flüchtlinge mit Bezahlkarten den Zugang verwehrt! Zudem über die Kosten und Gebühren halten alle Länder den Mantel des Schweigens.
Eine andere Möglichkeit ist, im Geschäft mit der Karte zu bezahlen und die Ware dann wieder zurückzugeben. Das ist zumindest in den Filialen eines großen deutschen Drogeriemarktes möglich, in dem Rückgaben auch ohne Kassenzettel möglich sind und bar ausgezahlt werden. Wenn ihr das macht, seid bitte freundlich zum Personal.