Das Bundesjustizministerium will die Mindeststrafe für den Besitz und die Verbreitung von sogenannter „Kinderpornografie“ senken. Das Ministerium hat einen entsprechenden Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung gebracht. Damit würde Justizminister Marco Buschmann (FDP) eine einhellig kritisierte Verschärfung seiner Vorgängerin rückgängig machen.
Der Begriff Kinderpornografie kommt aus dem Strafgesetzbuch; viele Betroffene sexualisierter Gewalt lehnen ihn ab. Wir verwenden das Wort hier im juristischen Zusammenhang. Im Jahr 2021 verabschiedete der Bundestag eine Gesetzesänderung der damaligen Justizministerin Christine Lambrecht (SPD). Die Strafrechtsverschärfung setzte die Mindeststrafe für „Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte“ (§184b StGB) auf 12 Monate hoch. Dadurch sind die Straftatbestände dieses Paragrafen seitdem Verbrechen und keine Vergehen mehr. Das führt dazu, dass Richter:innen und Staatsanwält:innen Verfahren nicht mehr einstellen können, etwa wegen Geringfügigkeit. Zuvor war genau das allerdings möglich.
Die Folge dieser Änderung war eine Reihe von zweifelhaften Verfahren, wie beispielsweise erst vor wenigen Wochen in Rheinland-Pfalz: Wie der SWR berichtete kursierte dort ein intimes Video einer 13-Jährigen. Eine Lehrerin hatte das mitbekommen und die Mutter des Mädchens informieren wollen. Dazu hatte sie sich das Video besorgt. Die Staatsanwaltschaft geht nach SWR-Bericht davon aus, dass die Frau nur helfen wollte, muss sie aber trotzdem anklagen. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtet (€) von einem ähnlichen Fall aus Baden-Württemberg.
Helfende Eltern und Lehrer:innen im Visier der Justiz
In München klagte ein Amtsrichter vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Reform des Paragrafen. Er weigert sich, das Gesetz gegen eine Mutter anzuwenden, deren Kind ein Nacktbild geschickt wurde, woraufhin die Mutter das Bild an andere Eltern zur Warnung weiterleitete.
Ein zusätzliches Problem der Verschärfung: Oft geraten Minderjährige selbst in den Fokus der Ermittlungen, wenn sie Aufnahmen versenden oder empfangen. Was das zum Beispiel bedeuten kann, veranschaulicht etwa ein SZ-Bericht (€) aus dem Jahr 2022. Wenn etwa in einer Chatgruppe mit Schüler:innen entsprechende Bilder auftauchen, dann können im Zweifel alle Mitglieder der Chatgruppe belangt werden. „Das ist ein riesiger Aufwand“, sagte der Berliner Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner der Zeitung. „Wir sehen uns einer Verfahrensflut ausgesetzt.“
Die geplante Entschärfung ist offenkundig eine Reaktion auf solche Fälle. Die Verhältnismäßigkeit der Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr sei „insbesondere dann fraglich, wenn die beschuldigte Person offensichtlich nicht aus pädokrimineller Energie gehandelt hat“, heißt es laut SZ in dem neuen Gesetzesentwurf.
40 Prozent der Verdächtigen selbst minderjährig
Nach einem jüngst veröffentlichten Lagebild des Bundeskriminalamts (BKA) sind 40 Prozent der Tatverdächtigen im Bereich „Kinderpornografie“ minderjährig. Ende September hatte das BKA selbst eine Kampagne gestartet, um Kinder und Jugendliche über die Gesetzeslage aufzuklären.
Das ist auch das erklärte Ziel einer weiteren Kampagne namens „Sounds Wrong“ aus dem Bundesinnenministerium (BMI). Dessen Fortsetzung hatte das Innenministerium erst am Dienstag angekündigt. Die BMI-Kampagne will Kinder, Jugendliche und Eltern über die Strafbarkeit von „kinderpornografischen Inhalten“ aufklären. Ziel sei aber auch „die Hinweisbereitschaft in der Bevölkerung zu erhöhen“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Die Bedenken gegen die Reform von 2021 sind nicht neu, Jurist:innen hatten die Verschärfung bereits im damaligen Gesetzgebungsprozess kritisiert. Das Parlament verabschiedete die Gesetzesänderung dennoch. Vor etwa einem Jahr forderte dann auch die Justizministerkonferenz, dass die Verschärfung zurückgenommen werde.
Genau das soll nun passieren. Wie mehrere Medien übereinstimmend berichten, soll die Mindestfreiheitsstrafe wieder abgesenkt werden. Nach SZ-Informationen auf mindestens sechs Monate bei Kauf oder Verbreitung sowie auf mindestens drei Monate bei Besitz. Damit sind Besitz und Verbreitung von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern wieder ein Vergehen und kein Verbrechen. Die durch die letzte Reform hochgesetzte Höchststrafe von zehn Jahren (für Verbreitung) beziehungsweise fünf Jahren (für Besitz) bleibt bestehen.
Richterbund und Anwaltverein begrüßen die Reform
Die Reaktionen von Jurist:innen sind positiv: Der Deutsche Richterbund (DRB) bezeichnet die Reform der Reform als überfällig. „Es ist höchste Zeit, dass der Bundesjustizminister die Hilferufe aus der Justiz und Betroffener aufnimmt und die gut gemeinten, aber schlecht gemachten Strafverschärfungen gegen Kinderpornografie aus dem Jahr 2021 korrigieren will“, sagte der DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.
Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) begrüßt den Vorschlag. „Die derzeitige Rechtslage verfehlt nicht nur ihr Ziel, sondern ist auch verfassungswidrig“, sagt Jenny Lederer vom DAV. Staatsanwaltschaften und Gerichten werde die nötige Flexibilität genommen, um der tatsächlichen Schuld des Täters gerecht zu werden. Gleichzeitig entstehe für die ohnehin überlastete Justiz weiterer Aufwand. „Die Reform muss rückgängig gemacht werden“, fordert Lederer.
Bis es soweit ist, muss der Vorschlag von Justizminister Buschmann noch einige Hürden nehmen. Bisher ist er nur ein Referentenentwurf. Das heißt, er wird nun zwischen den verschiedenen Ministerien abgestimmt und erst bei Einigkeit im Kabinett beschlossen. Anschließend geht die geplante Reform in den Bundestag.
Was mich bei allen Nachrichten zu diesem Thema wundert: warum wird der Straftatbestand immer verkürzt dargestellt?
„Die Strafrechtsverschärfung setzte die Mindeststrafe für „Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte“ (§184b StGB) auf 12 Monate hoch.“
Diese Aussage ist so nicht ganz richtig, da die Mindeststrafe nicht in allen Fällen 12 Monate betrug. Hier muss man ganz einfach ein „in den meisten Fällen“ o. ä. einbauen. Auch wundert mich die Aussage „sechs Monate bei Kauf“. Würde der „Kauf“ nicht unter „Besitzverschaffung“ in Absatz 3 beheimatet sein?
Wenn dem nicht so ist dann kommen hier immense Widersprüchliche Konstellationen zusammen;
– Besitz, Herstellung und Weitergabe an Einzelne sind, auf erkennbar fiktive Inhalte beschränkt, nicht strafbar
– Verbreitung ist strafbar
– Kauf ist strafbar
Möchte der Gesetzgeber das die Interessenten solcher Inhalte kein Geld fließen lassen? Wie sieht es aus, wenn jemand in einem Spiel einen „Skin“ für einen Charakter kauft, oder eine Zeichentrickserie die aufgrund einer Szene „kinderpornographisch“ ist? Insb. im Zeitalter digitaler Dienste ist diese Konstellation extrem unlogisch.
Der Gesetzesentwurf wurde mittlerweile veröffentlicht. Es wurden nur die Mindesstrafen angepasst, also „ein Jahr“ durch „sechs Monaten“ und „drei Monaten“ ersetzt.
Er ist hier zu finden:
https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/2023_Aend_184b_StGB.html
Mit „Kauf“ ist Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 § 184b StGB gemeint. Denn dort werden auch Personen bestraft, die es anderen ermöglichen es bspw. „zu liefern“. Ohne Kauf würde die Person eine Lieferung nicht vornehmen. Hier wird allerdings auf Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 verwiesen und dieser wiederum setzt ein „tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen“ voraus. Die einzige Konstellation die in Nummer 4 eine Anwendung findet ist wenn eine Person es bspw. importiert, oder herstellt um es im Sinne der Nummer 1 zu verwenden (Verbreitung).
Längst überfällig und bei der Gelegenheit auch mal andere Paragraphen überarbeiten.
Stimmt, die Strafverschärfung des § 184b StGB. Noch so ein Beispiel für die Schattenpolitk der Verlage und ihrer selbsternannten Journalisten. — Besonders widerwärtig, wie die selbsternannten Journalisten gerade voller Empörung ein schnelles Rückgängigmachen der Verschärfung fordern – während exakt die gleichen selbsternannten Journalisten jahrelang für eben diese Verschärfung getrommelt haben. Ganz vorne mit dabei natürlich TAZ und ZEIT. — „Wer gegen eine Verschärfung ist, ist wohl selber Täter“, „Jugendliche sind damit gar nicht gemeint“ und so weiter. — Wäre nett, wenn Netzpolitik.org die Verantwortung der selbsternannten Journalisten noch in einem Absatz hinzufügen wurde. — Denn ausgerechnet das(!) fehlt mal wieder: Wer Schuld an der Verschärfung hat – Die Schattenpolitik selbsternannter Journalisten.
Auf welche konkreten Artikel beziehen Sie sich denn? Es würde mich jetzt persönlich überraschen, wenn da ausgerechnet die TAZ und die ZEIT „ganz vorne mit dabei“ gewesen wären.
Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG >> § 184b Abs. 3 StGB
https://www.brak.de/fileadmin/05_zur_rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2023/stellungnahme-der-brak-2023-30.pdf
Was mein Umfeld und ich uns fragen: wie wurde denn mit den betroffenen Jugendlichen umgegangen? Drohte denen auch ein Jahr Gefängnis? Wurde das so verhängt? Oder wie konnten Jugendliche dem „entkommen“? Ich denke, wenn Jugendliche deswegen in Haft gekommen wären, hätte man das in der Presse mitbekommen. Wie ich es verstanden habe, mussten ALLE Fälle vor Gericht, auch die mit jugendlichen Beteiligten.
Bewährung oder Jugendstrafrecht. Bestraft werden mussten Sie sonst begehen die Beamten Strafvereitelung.
So wie ich dem Artikel verstanden habe, ist aber die Mindeststrafe mit der Überarbeitung des Gesetzes immer noch drei Monate.
Die Lehrerin aus dem Artikel müsste dann ja trotzdem noch 3 Monate ins Gefängnis, inkl. Verlust des Beamtenstatus.
Das hört sich für mich nach ein Verbesserung auf ziemlich niedrigem Niveau an. Oder hab ich das falsch verstanden?
Die Zurücksetzung der Mindeststrafe macht die Taten nach §184b wieder zu einem Vergehen (vorher: Verbrechen). Das ist der entscheidende Punkt der Reform, denn damit können Staatsanwaltschaften und Gerichte solche Fälle dann wieder wegen Geringfügigkeit einstellen.
Ahh, danke. Das hab ich im Artikel wohl überlesen.