Neues aus dem Fernsehrat (97)Gemeinsame Plattform, getrennte Portale

Bereits in naher Zukunft werden die Mediatheken von ARD und ZDF wechselseitig sämtliche Inhalte zugänglich machen können. Doch manchen geht das nicht weit genug, sie fordern eine Zusammenlegung der Mediatheken und eine Öffnung für Privatsender. Beides würde jedoch mehr Probleme bereiten als lösen.

Stilisierter Flachbildschirm als Symbolbild für ein zentrales Portal
Ist eine gemeinsame Mega-Mediathek, ein zentrales Portal die Lösung? Eher nicht. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Zoltanski

Die Serie „Neues aus dem Fernsehrat“ beleuchtet seit 2016 die digitale Transformation öffentlich-rechtlicher Medien. Hier entlang zu allen Beiträgen der Reihe.

Vor knapp zwei Jahren angekündigt wird es schön langsam Realität: das gemeinsame „Streaming-Netzwerk“ von ARD und ZDF, also die technische Verschränkung ihrer Mediatheken. Zwar gibt es schon länger einen gemeinsamen Login, bislang konnten die Mediatheken aber noch nicht wechselseitig auf Inhalte zugreifen. Eine Suche nach „Tatort“ in der ZDF-Mediathek spuckte also keine Links zu konkreten Tatortfolgen aus, sondern führte nur zur Einblendung eines blauen Banners mit dem Hinweis „Zu ‚Tatort‘ gibt es ein Angebot der ARD“.

Screenshot eines Querverlinkungsbanners zur ARD aus der ZDF Mediathek
Mit solchen Bannern verweisen die Mediatheken von ARD und ZDF derzeit noch wechselseitig aufeinander - Alle Rechte vorbehalten ZDF

Wie in der letzten Sitzung des ZDF Fernsehrats am 10. März 2023 angekündigt, werden „in den nächsten Wochen“ (O-Ton ZDF-Pressemeldung im Anschluss) die Mediatheken von ARD und ZDF auf sämtliche Inhalte zugreifen können und diese dann unmittelbar abspielen können. Das hat einerseits Folgen für die Suche, andererseits aber auch für Empfehlungsbänder, in denen dann eben auch in der ARD-Mediathek ZDF-Inhalte auftauchen und umgekehrt (siehe Abbildung).

Mockup Empfehlungsband ZDF Mediathek
Beispiel für eine Empfehlungsband aus der ZDF-Mediathek mit ARD-Inhalten - Alle Rechte vorbehalten ZDF

Was im Ergebnis wenig spektakulär aussieht, war durchaus voraussetzungsreich. Neben technisch-organisatorischen Fragen wie einheitlichen Metadaten-Standards oder der Bereitstellung von Vorschaubildern in unterschiedlichen Formaten, galt es auch zu klären, wie hoch der Anteil quasi externer Inhalte in den eigenen Empfehlungen sein soll oder wie der Austausch von Nutzungsdaten erfolgt. Letzteres ist ja von großer Bedeutung für Reichweitenanalysen sowie personalisierte beziehungsweise vielfaltsfördernde Empfehlungssysteme.

Braucht es eine gemeinsame Mediathek?

Entspricht diese Zusammenführung des Mediathek-Unterbaus von ARD und ZDF der vonseiten der Medienpolitik immer wieder geforderten „gemeinsamen Plattform“? Schließlich wären dann ja sämtliche öffentlich-rechtlichen Inhalte – soweit sie online zugänglich sind – über die Mediatheken von ARD und ZDF erreichbar. Oder braucht es nicht doch eine gemeinsame Mediathek von ARD und ZDF, in der auch Platz für Inhalte von Privatsendern ist? Eine Idee, die der ehemalige ARD-Chef Ulrich Wilhelm einmal als „Supermediathek“ bezeichnet hatte, die aber auch beim aktuellen ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke und bei Bert Habets, Chef von ProSiebenSat.1, Anklang findet.

Doch ist eine All-Inclusive-Mediathek wirklich die beste Antwort auf eine zunehmend fragmentierte, digitale Öffentlichkeit? Oder droht damit nicht eher, was Peer Schader beim Branchendienst DWDL als „das Gruselszenario von der Monster-Mediathek“ beschreibt – gerade auch aus Nutzer:innenperspektive:

Schon heute ist eines der größten Probleme etablierter Streaming-Anbieter, dass sich das zur Auswahl stehende Gesamtangebot kaum sinnvoll sichtbar machen lässt – egal, ob Nutzer:innen dafür zahlen oder zwischendrin Werbung ansehen. […] In einer gemeinsamen Mediathek von ARD, ZDF, ProSiebenSat.1 und RTL würde sich die Unübersichtlichkeit, unter der Streaming-Angebote heute schon leiden, noch einmal potenzieren, weil jedes Programmgenre ein Vielfaches an zur Auswahl stehenden Inhalten abbilden müsste[.]

Probleme einer Mega-Mediathek

Schon bisher ist es so, dass die größere Vielfalt an Inhaltstypen eine Herausforderung für die Mediatheken von ARD und ZDF darstellt. Im Unterschied zum oft zitierten Vorbild Netflix gibt es dort ja nicht nur Unterhaltung und Dokumentationen, sondern auch Livestreams und Nachrichteninhalte. Ganz zu schweigen von dem grundsätzlichen Problem unterschiedlicher Logiken zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Medien, das natürlich auch Folgen für die Präsentation von Inhalten in einer gemeinsamen Mediathek hätte.

Privaten, primär profit-orientierten Medien geht es in erster Linie um maximale Verweildauer und Reichweite, die dann über Werbung monetarisiert werden können. Öffentlich-rechtliche Medien folgen hingegen einem demokratischen Auftrag. Empfehlung und Hervorhebung von Inhalten darf damit nicht nur einer reinen Reichweitenlogik folgen, sondern muss auch anderen Zielen wie Vielfalt und Ausgewogenheit dienen. Dafür braucht es dann aber andere, demokratische Algorithmen. Diese teilweise konträren Interessen in eine Mediathek zu packen ist nicht nur praktisch schwierig, sie unterläuft auch den wichtigsten Beitrag öffentlich-rechtlicher Medien zu demokratischer Öffentlichkeit: dass sie eben einer anderen, demokratischen Logik bei Gestaltung und Präsentation ihrer Inhalte folgen, als die privat-profitorientierten Mitbewerber.

Bei näherer Betrachtung zeigt sich also, dass die Idee der einen, großen Megamediathek keine Antwort auf die Frage nach der digitalen Neuaufstellung öffentlich-rechtlicher Medien liefert, sondern eher neue Probleme bereiten würde. Vielleicht würde es der Debatte dienlich sein, stärker zwischen Plattform und Portalen zu unterscheiden. Denn natürlich ist es sinnvoll, dass ARD-Inhalte auch in der ZDF-Mediathek stattfinden können. Mehr noch, gerade wenn es um das Abbilden von Vielfalt und Ausgewogenheit geht, ermöglicht die gemeinsame technische Plattform erst, öffentlich-rechtlichen Binnenpluralismus in die digitale Auslage zu stellen.

Mehr Portale wagen!

Gleichzeitig macht es gerade eine gemeinsame technische Plattform leichter, verschiedene Portale mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten, unterschiedlichen Empfehlungsalgorithmen und unterschiedlichen Ausrichtungen zu gestalten. Was spricht beispielsweise gegen ein öffentlich-rechtliches Bildungsportal, in dem nicht nur Inhalte von ARD und ZDF, sondern auch von YouTube entlang von Lehrplänen oder Studiengängen kuratiert angeboten werden? Warum nicht eine Nachrichtenplattform, in der Inhalte von ZDF Heute, ARD Tagesschau und Deutschlandfunk nebeneinander präsentiert werden? Warum nicht ein Portal, das ausschließlich frei lizenzierte Inhalte von ARD, ZDF und Deutschlandfunk bündelt?

Was die Einbindung von privaten Medien betrifft, so wäre der erste und wichtigste Schritt, bei der Entwicklung der gemeinsamen technischen Plattform endlich konsequent auf freie Software und offene Standards zu setzen. Damit wäre sie automatisch auch offen für Beiträge und Beteiligung von privaten Medienanbietern und könnte auf beiden Seiten zu niedrigeren Kosten und besseren technischen Lösungen führen. Für die Öffnung der Portale hin zum Publikum gilt dasselbe: auch hier geht es um die Nutzung offener Standards und Protokolle, die eine Anbindung an das Fediverse ermöglichen – egal ob ein Portal dann von einem öffentlich-rechtlichen oder einem privaten Anbieter betrieben wird.

4 Ergänzungen

  1. Wenn nur eine möglicherweise geringere Übersichtlichkeit und unterschiedliche Algorithmen dagegen sprechen, sind das aber keine besonders guten Argumente dagegen – und vor allem wären die Probleme durchaus lösbar.

    Was ist, wenn man eben doch eine übersichtliche Seite mit guter Suche hinbekommt und Pro7Sat1 die Algorithmen von ARD/ZDF akzeptiert?

    Wichtigster Punkt ist aber, was die Nutzer:innen wollen: Da fordert eben niemand „noch mehr Portale“, sondern sind im Gegenteil extrem genervt von der Vielzahl und wollen ausdrücklich lieber „alles an einem Ort“. Auch wenn’s auf Kosten der Übersicht geht, denn meist wissen die Nutzer:innen ja was sie wollen und wonach sie suchen müssen.

    1. Die unterschiedlichen Algorithmen sind kein Nebenaspekt, sondern Dreh- und Angelpunkt: eigene öffentlich-rechtliche Portale braucht es ja genau deshalb, weil sich die Empfehlungs- und Sortierungslogik von privaten Plattformen unterscheidet. Das ist meiner Meinung nach eben genau nicht lösbar, weil kein technisches Problem, sondern polit-ökonomisch inhärent widersprüchliche Interessenslagen.

      Alles an einem Ort gäbe es ja trotzdem, soweit es um öffentlich-rechtliche Inhalte geht: wer weiß, was er/sie möchte, wird das dann ja in dem Portal finden, das ihm/ihr am meisten zusagt.

  2. „Braucht es eine gemeinsame Mediathek?“ – Klare Antwort: Jein.

    Ja: Es braucht eine gemeinsame Mediathek aller Angebote aller Öffis. Seit vielen Jahren schon genieße ich, dass ich mit dem Programm https://mediathekview.de/ über alle ÖR Sender suchen kann. Dank des Engagements der Freiwilligen hinter dem Programm und der ständig aktualisierten Datenbank kann man hier schon ahnen, was eine offiziell gemeinsame Mediathek der ÖR leisten könnte.

    Nein: Die an rein kommerziellen Zielen ausgerichteten Angebote der Privaten und der Streaming-Dienste sollen keinesfalls in diese Mediathek hinein. Die können, wenn sie denn wollen, eine oder mehrere eigene Mediatheken bauen.

    Das Wichtigste: Der Medienstaatsvertrag muss weg! Bisher VERBIETET er den Öffis, sogar ihre eigenen Produktionen zeitlich unbegrenzt in der eigenen Mediathek anzubieten! Das ist ein Unding, das wir der Lobby-Arbeit der Privaten zu verdanken haben. Weg damit. Ich möchte beispielsweise die hervorragende ARD-Dokumentation von 2018 „Das Microsoft-Dilemma“ auch im Jahre 2023 verlinken können, ohne auf wechselnde Uploads durch Freiwillige zu YouTube angewiesen zu sein.

  3. Es gibt eine fix- Plattform, die merkt sich, welcher Serienteil dran ist, wenn man einschaltet. Und es gibt welche, eine 1. und eine 2. fallen mir ein, da muss der Inhalt immer wieder neu gesucht werden. Und erstere merkt sich den Login, das ZDF verweigert das.

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