Wer in Deutschland keine Aufenthaltserlaubnis hat, für den gelten die in der Verfassung verankerten Grundrechte nur eingeschränkt. Die Wohnungen dieser Menschen können durchsucht werden, wenn die Behörde darin Ausweispapiere vermutet. Und auch in ihren Mobiltelefonen und Computern darf die Ausländerbehörde stöbern – so sieht es das Aufenthaltsgesetz vor. Dort steht: Als Teil ihrer Mitwirkungspflicht müssen Ausländer:innen ohne gültige Papiere alle Unterlagen und auch ihre technischen Geräte auf Verlangen der Behörde übergeben. Diese darf darin nach Hinweisen auf ihre Identität oder Staatsangehörigkeit suchen, damit sie abgeschoben werden können. Diese Menschen gelten in Deutschland als „geduldet“, ihre Abschiebung ist nur ausgesetzt.
Auch in Hamburg verlangt die Ausländerbehörde in solchen Fällen die Geräte von Geduldeten. Zuständig ist dafür eine eigene Abteilung im Amt für Migration, die „ausreisepflichtige Personen“ betreut. Ein Fokus liege auf der „Identitätsklärung“, schreibt ein Sprecher auf Anfrage. Doch wie oft die Behörde in den vergangenen Jahren Geräte durchsucht hat, dazu kann niemand etwas sagen. Weder das Amt selbst noch der verantwortliche rot-grüne Senat. „Dies wird statistisch nicht erfasst“, antwortet der Senat auf eine Anfrage der Linken-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft.
Wie oft hat das Amt eingezogene Geräte tatsächlich ausgewertet? In wie vielen Fällen hat eine Durchsuchung gar zu einer Klärung der Identität geführt? Der Senat habe dazu keine Daten. Dabei wären diese Informationen wesentlich für eine Einschätzung, wie geeignet der tiefe Eingriff in die Privatsphäre Schutzsuchender ist, um die erhofften Hinweise zu erhalten. Bringt die Durchsuchung überhaupt etwas? Oder ist das Amt für Migration am Ende genauso wenig schlau wie vorher?
Nicht mal zur Frage, in wie vielen Fällen die Durchsuchungen zu einer Abschiebung geführt haben, können die Verantwortlichen etwas sagen: „Zur Beantwortung der Frage müssten sämtliche Akten seit 2018 zu erfolgten Rückführungen durchgesehen werden (circa 1.350). Dies ist im Rahmen der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.“
LKA und Hauptzollamt helfen bei der Durchsuchung
Beten, Sexting, Nachrichten an die Psychotherapeutin: Auf einem Mobiltelefon findet heutzutage all das statt, was zum „Kernbereich der privaten Lebensgestaltung“ zählt. So nennt das deutsche Recht den Teil der Privatsphäre, der vor Blicken des Staates besonders geschützt bleiben soll. Auch das Bundesverfassungsgericht hat das mehrfach klargestellt. Doch in Hamburg weiß man noch nicht einmal, wie oft das Amt in diesem Kernbereich ausgiebig blättern durfte.
Klar ist nur, die Behörde bekommt dabei Hilfe von außen. Denn das Amt kann Geräte von Geduldeten zwar einfordern. Aufbrechen kann es sie im Zweifel nicht. „Das Amt für Migration verfügt weder über die technischen Möglichkeiten noch über entsprechendes Personal zur Auswertung“, schreibt der Senat. Moderne Handys sind mit Passwörtern oder biometrischen Daten gesichert. Wenn Geduldete diese Daten nicht freiwillig herausgeben, muss das Gerät technisch aufgebrochen werden – und das funktioniert nur mit forensischen Profi-Werkzeugen.
Beim Hacken und Durchsuchen der Geräte bekommt das Amt deshalb Hilfe von Hamburger Strafverfolgungsbehörden. Mit dem Landeskriminalamt Hamburg arbeite das Amt seit November 2016 zusammen, schreibt der Senat. Seit 2021 werde auch das Hauptzollamt Hamburg um Amtshilfe gebeten. Die gleichen Fachleute für Forensik, die in Hamburg die Geräte von mutmaßlichen Verbrecher:innen knacken, helfen dabei, die Mobiltelefone von Geduldeten zu durchsuchen – damit diese abgeschoben werden können.
„Sämtliche Daten“: Ein Blick ins gesamte Privatleben
Wonach sucht die Behörde? Ein Sprecher sagt, das sei von Fall zu Fall unterschiedlich. Neben gewählten Telefonnummern könnten auch gespeicherte Kontakte, Fotos oder Notizen für die Identitätsklärung hilfreich sein. Der Senat verliert sich hier gar nicht erst in Details: „Sämtliche Daten, die mithilfe der vorhandenen technischen Möglichkeiten zugänglich gemacht werden, werden zunächst gesichert und sodann an das Amt für Migration weitergeleitet.“
Sämtliche Daten, das sind im Falle eines Mobiltelefons zum Beispiel intime Fotos, Angaben zur letzten Periode oder Sprachnachrichten, die man mit der Geflüchtetenberatung ausgetauscht hat. Kaum ein Lebensbereich findet heutzutage nicht mehr auch auf dem Mobiltelefon statt.
Auch deswegen hatte die ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff die Durchsuchung eines Handys als „massiven Eingriff in das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ bezeichnet. Damals ging es um das Bundesamt für Migration (BAMF), das die Handydaten von Asylsuchenden auswerten wollte.
Bei den Ausländerbehörden gilt deswegen: Nur eine Person mit einem juristischen Staatsexamen darf die Daten durchsuchen und freigeben. So soll laut Senat sicher gestellt werden, das nicht „ausschließlich Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensführung erlangt würden“, das wäre verboten.
Eine Person mit Staatsexamen ist allerdings keine unabhängige Richterin. Sondern eine Angestellte des Amtes, das die Daten später verwenden will. Auch das hatte Voßhoff damals kritisiert. Und auf welchem Telefon findet sich schon „ausschließlich“ Hochprivates? Sobald auch eine Wettervorhersage dabei ist, wäre die Durchsuchung nach jetziger Rechtslage erlaubt.
Im Fall der Ausländerbehörden gilt immerhin: Die Durchsuchung soll das letzte Mittel sein. Sie kommt erst zum Einsatz, wenn es keine „milderen Mittel“ zur Feststellung der Identität gibt, darauf weist auch der Senat hin. Was solche milderen Mittel sind und wann die Durchsuchung angeordnet wird, das entscheidet allein die zuständige Person in der Ausländerbehörde. Das ohnehin steile Machtgefälle zwischen Behörde und Ausländer:innen – es wird damit noch steiler.
„Sensible Informationen“
Dass der Hamburger Senat keine Statistik über die Handyauswertungen führt, ist bemerkenswert. Hamburg ist nicht das einzige Bundesland, das vom Paragrafen im Aufenthaltsgesetz Gebrauch macht. Auch Berlin, Bayern und Rheinland-Pfalz werten Geräte aus. In diesen Bundesländern konnten die zuständigen Ämter jeweils sagen, in wie vielen Fällen sie Geräte durchsucht haben – teils sogar, wie oft dies scheiterte und woran.
Wenn schon nicht das Amt für Migration selbst, so müsste zumindest das LKA genau wissen, wie viele Geräte es im Auftrag der Behörde geknackt und ausgewertet hat. Auf Anfrage von netzpolitik.org schreibt ein Sprecher lediglich, das LKA sei „der falsche Ansprechpartner“, Angaben dazu könnte nur das Amt für Migration machen, nicht die Behörde, die Amtshilfe leistet. Und überhaupt habe der Senat „bereits Position bezogen“.
Dem Hamburger Senat fehlen aber offenbar nicht nur statistische Daten im Zusammenhang mit den Durchsuchungen. Er möchte auch an anderen Stellen möglichst wenige Details offenlegen. Etwa zur Frage, mit welchen forensischen Werkzeugen die Geräte aufgebrochen und durchsucht werden. Oder dass dies überhaupt geschieht.
Auf die Fragen, wie und wie oft in den vergangenen Jahren Geräte geknackt worden seien, antwortet der Senat, es handele sich hier um sensible Informationen: „Einer öffentlich zugänglichen Beantwortung der Frage stehen überwiegende Belange des Staatswohls entgegen.“
Senat verschweigt, was längst bekannt ist
Mit dieser Geheimhaltung um die technischen Werkzeuge und Möglichkeiten steht Hamburg bislang alleine da. In Berlin und auch in Bayern hatten die Regierungsverantwortlichen auf Anfragen aus dem Parlament jeweils Auskunft erteilt. Das Staatswohl stand dem nicht im Weg. Die Fraktion der Linken in der Hamburger Bürgerschaft, die die Anfrage stellte, will die fehlenden Antworten einfordern. Und auch eine Begründung, warum das Staatswohl damit gefährdet sein soll – diese fehlt in der Antwort des Senats bislang.
Skurril ist der Verweis des Senats auch deshalb, weil es sich um längst bekannte Informationen handelt. Das Amt für Migration hatte auf eine Presseanfrage bereits vor einem Jahr mitgeteilt, mit welchen forensischen Werkzeugen die Strafverfolgungsbehörden arbeiten: In Hamburg kommen Produkte der israelischen Firma Cellebrite und des schwedischen Konkurrenten MSAB zum Einsatz, sagte ein Sprecher. Der Senat verweigert also mit Hinweis auf das Staatswohl Informationen, die seit einem Jahr öffentlich sind.
Nicht bekannt ist, welche Produkte das LKA und das Hauptzollamt in Hamburg einsetzen, dazu sagte das Amt damals nichts. Im Portfolio von Cellebrite befindet sich etwa das System Cellebrite Premium. Laut Hersteller lassen sich damit viele iOS- und Android-Geräte knacken. Chats, E-Mails, selbst gelöschte Daten und auf dem Gerät gesicherte Passwörter soll das System aus einem Handy extrahieren können. Mit der Software Pathfinder kann man diese Daten analysieren, etwa auf einen Blick erkennen, welche Sprachen verwendet wurden, wonach Nutzer:innen im Internet suchten oder wo sie sich aufgehalten haben. MSAB verkauft vergleichbare Produkte.
„Parlamentarische Kontrolle nicht möglich“
Der Hamburgische Linken-Abgeordnete Metin Kaya bezeichnet die Weigerung des Senats als Skandal: „Die Öffentlichkeit und wir Parlamentarier:innen haben ein Recht zu erfahren, welche Methoden und Werkzeuge in Abschiebeverfahren verwendet werden.“ Die Funktionsweise der Werkzeuge sei unbedingt transparent zu machen, wenn sie eine Rolle dabei spielten, wohin aus Hamburg abgeschoben wird. Kaya kritisiert auch, dass der Senat nicht mal statistisch erfasst, wie oft Geräte durchsucht wurden. „Eine parlamentarische Kontrolle ist somit nicht möglich.“
In Hamburg regiert seit 2015 eine rot-grüne Koalition. Für das Amt für Migration zuständig ist der SPD-Innensenator Andy Grote. Deutschlandweit war er 2021 bekannt geworden, nachdem die Staatsanwaltschaft die Wohnung eines Nutzers durchsuchen ließ, der Grote auf Twitter als „Pimmel“ bezeichnet hatte. Im Hamburger Senat verteidigte sich Grote zuletzt gegen Vorwürfe der AfD mit dem Satz: „Zeigen Sie mir einen einzigen Fall, in dem es an mangelnder Konsequenz der Hamburger Ausländerbehörden gelegen hat, dass eine Rückführung nicht funktioniert.“
Berliner Ausländerbehörde filzt Handys mit Überwachungs-Software
Bundesregierung hält an Durchsuchung fest
Konsequent? Im Grunde erfüllt die Ausländerbehörde nur das, was im Aufenthaltsgesetz zum Umgang mit Ausreisepflichtigen vorgesehen ist. Man könnte auch sagen: Das Amt setzt um, was politisch gewollt ist. Und dieser Wille hat sich auch mit dem Machtwechsel von der Großen Koalition zur Ampelregierung von SPD, Grünen und FDP nicht geändert.
Die Ampel hatte im Koalitionsvertrag angekündigt, das System der Duldungen neu zu ordnen. An der Erlaubnis, Geräte zu durchsuchen, möchte sie allerdings festhalten. Das zuständige Bundesinnenministerium schrieb dazu auf Anfrage: „Eine Aufhebung der Rechtsgrundlage zur Auswertung von Datenträgern ist in diesem Zusammenhang nicht beabsichtigt.“ Im Gegenteil: Auch das Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz und den Länderchef:innen auf dem Flüchtlingsgipfel hätte nochmal „bekräftigt, dass das frühzeitige Auslesen von Mobiltelefonen zur Identitätsklärung auch weiterhin ermöglicht werden soll“.
Auf dem Gipfel Anfang Mai haben Scholz und die Ministerpräsident:innen weitere Maßnahmen beschlossen, um ausreisepflichtige Personen effizienter abschieben zu können. So soll die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von derzeit zehn auf 28 Tage verlängert werden. Widerspruch und Klagen gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote sollen keine aufschiebende Wirkung haben.
Zu den Handydurchsuchungen heißt es: „Das frühzeitige Auslesen von Mobiltelefonen zur Identitätsklärung einer Person soll auch weiterhin ermöglicht werden; der Bund wird den Anpassungsbedarf prüfen, der sich aus einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt.“ Im Februar hatte das Bundesverwaltungsgericht geurteilt, dass das BAMF Geräte von Asylantragsteller:innen nicht standardmäßig auswerten darf, um Rückschlüsse auf ihre Identität zu ziehen. Das sei nur erlaubt, wenn Betroffene keine Heiratsurkunden oder sonstige Dokumente vorlegen könnten. Im Asylgesetz steht dazu, die Datenträger dürften nur dann ausgewertet werden, wenn eine Feststellung von Identität und Staatsbürgerschaft nicht durch mildere Mittel erreicht werden kann.
Fachleute bezweifeln dagegen, dass die Durchsuchungen überhaupt verhältnismäßig und sinnvoll seien. Daten aus dem Mobiltelefon könnten schließlich in der Regel nur Indizien bieten, als Nachweis für eine Staatsangehörigkeit seien sie unbrauchbar.
Das Mindeste was man hier ermöglichen sollte, wäre ein Recht auf Rechtliche Prüfung eines solchen extremen Eingriffes. Die betroffene Person sollte die Möglichkeit haben sich gegen so etwas wehren zu können.