InnenministeriumBAMF soll Cloud-Speicher von Asylsuchenden auslesen

Das Bundesinnenministerium will noch tiefer als bisher in die Privatsphäre Geflüchteter eingreifen. Behörden wie das BAMF sollen nicht nur ihre Smartphones, sondern ganze Cloud-Speicher auslesen. Das unterläuft ein aktuelles Gerichtsurteil, sagt die Gesellschaft für Freiheitsrechte.

Menschen an einer Handyladestation in Idomeni
Für Menschen auf und nach der Flucht sind Smartphones wichtige Begleiter. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / imagebroker

Das Bundesinnenministerium (BMI) will noch tiefer in die Privatsphäre schutzsuchender Menschen eingreifen. Das geht aus einem Diskussionsentwurf hervor, der das Asyl- und Aufenthaltsgesetz anpassen soll. Eigentlich hätte ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die Rechte von Asylsuchenden stärken sollen. Demnach soll das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht mehr die Handys Geflüchteter auswerten, wenn es auch mildere Mittel gibt, Hinweise auf ihre Identität und Staatsangehörigkeit zu finden. Der Fall einer afghanischen Klägerin hatte die jahrelange Praxis der Asylbehörde in Frage gestellt.

Der nun vorgelegte Gesetzentwurf zur „Verbesserung der Rückführung“ geht aber in eine andere Richtung. Zunächst unternimmt das BMI einen Kunstgriff und teilt die Datenträgerauswertung in zwei Teile: das Auslesen und die Auswertung der Daten. Bislang erfolgte im BAMF beides in einem Schritt. Wenn eine geflüchtete Person keinen anerkannten Pass oder Passersatz vorlegte, konnte das BAMF ihre Datenträger auslesen, nach Zugangsdaten fragen und die Informationen auswerten. Diese Auswertung erfolgte automatisiert, ein Ergebnisbericht wurde gespeichert. Wollten BAMF-Mitarbeitende diesen Bericht sehen, musste ein:e Volljurist:in der Behörde den Bericht freigeben.

Mehr statt weniger Einblicke für Behörden

„Das frühzeitige Auslesen von Mobiltelefonen zur Identitätsklärung einer Person ist auch weiterhin möglich“, heißt es nun im Entwurf des BMI. Lediglich die Auswertung wird auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, wenn es keine milderen Mittel gibt. Stellt sich also vor der Anhörung heraus, dass die Antragstellenden andere Identitätshinweise wie Heiratsurkunden oder ähnliches liefern können, soll die Behörde die Daten wieder löschen.

Die Änderung bedeutet aber auch: Statt einem zusammenfassenden Bericht über den Datenträger müsste das BAMF nun die gesamten Daten aufheben, die für diesen Bericht notwendig sind. Und das BMI will noch mehr als Handy-Daten. Im entsprechenden Paragrafen des Aufenthalts- sowie Asylgesetzes erwähnt der Entwurf nun auch ausdrücklich Cloud-Dienste, die ausgelesen werden dürfen.

In den Erläuterungen steht hierzu: „Mit der Änderung wird zudem klargestellt, dass auch mobile Geräte wie Mobiltelefone einschließlich Smartphones und externer Datenwolken, also Daten-Clouds, etwa bei Anbietern wie Google Drive, vom Begriff des Datenträgers umfasst sind.“ Das solle klargestellt werden wegen „der zunehmenden Bedeutung dieser Form der Datenspeicherung bei Personen aus vielen Herkunftsländern“. Damit bekäme die Behörde einen vollständigen Einblick in das gesamte digitale Leben der schutzsuchenden Personen.

Behörden sollen Wohnungen nach Handys durchsuchen

Die Juristin Sarah Lincoln arbeitet bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unter anderem zu Migration. Die GFF hat auch die Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht koordiniert. Lincoln ist von dem BMI-Entwurf enttäuscht. „Das Bundesverwaltungsgericht hat die Praxis des BAMF, Handydaten von Geflüchteten auf Vorrat auszulesen, auf unsere Klage hin für rechtswidrig erklärt“, schreibt Lincoln. Doch anstatt dieses Urteil umzusetzen, „will das BMI die Handydatenauslesung nun ausweiten und Handy- sowie Cloud-Daten frühzeitig und routinemäßig speichern lassen, falls sie später noch gebraucht werden.“ Das unterlaufe nicht nur das Urteil, „sondern verletzt auch verfassungsrechtliche und europarechtliche Vorgaben zum Datenschutz“.

Dass die vorgeschlagene Änderung die Kritikpunkte des Bundesverwaltungsgerichts aufhebt, liegt nach Einschätzung Lincolns fern. Als Leitsatz steht noch über dem Urteilstext explizit: Das Auslesen eines Datenträgers gehört zur Auswertung. Denn der Grundrechtseingriff beginnt bereits da, auch wenn noch kein Mensch sich die Daten anschaut. Das Innenministerium behauptet in der Gesetzesbegründung jedoch: „Das frühzeitige Auslesen stellt dabei den am wenigsten intensiven Eingriff dar.“

Gleichzeitig will das Innenministerium die Möglichkeiten erweitern, Informationen zu finden. Nicht nur Ausreisepflichtige und ihre mitgeführten Sachen sollen künftig zur Identitätsklärung nach Unterlagen und Datenträgern durchsucht werden können. Künftig sollen nach Richterbeschluss auch ihre Wohnungen „und andere Räumlichkeiten“ durchsucht werden dürfen.

GFF-Juristin Lincoln nennt die geplante Erweiterung „völlig unverhältnismäßig“. Sie kündigt an, dass die GFF erneut klagen werde, sollte das Gesetz so verabschiedet werden. „Es ist erschreckend, dass das BMI diese Praxis nun trotz unseres Erfolgs vor dem Bundesverwaltungsgericht ausweiten will. Jetzt bleibt nur der Weg vors Bundesverfassungsgericht.“

Die neuen Regeln würden nicht nur für das BAMF, sondern auch für Ausländerbehörden gelten. Auch sie durchkämmen Datenträger geflüchteter Menschen, die abgeschoben werden sollen. Erst kürzlich kritisierte die Datenschutzbehörde Berlins die Praxis des Landesamtes für Einwanderung, dafür forensische IT-Tools einzusetzen. Die Ausländerbehörde stellte die Computer-gestützte Auswertung daraufhin ein und will Geräte künftig ausschließlich manuell sichten.

Der Diskussionsentwurf des von Innenministerin Nancy Faeser geführten Hauses sorgte für Unmut, auch bei den Koalitionspartnern. Das Ministerium veröffentlichte ihn vor einer Abstimmung innerhalb der Regierung. „Es ist Zeit, dass das Bundesinnenministerium den Dauerwahlkampf für Hessen beendet und sich wieder an das vereinbarte Arbeitsprogramm hält“, kritiserte etwa die grüne Bundestagsabgeordete Filiz Polat gegenüber der Tagesschau. Das eigentliche Gesetzgebungsverfahren soll nach der Sommerpause starten.

Offenlegung: Die Autorin des Texts hat in Zusammenarbeit mit der GFF die Studie „Das Smartphone, bitte! Digitalisierung von Migrationskontrolle in Deutschland und Europa“ erstellt.

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3 Ergänzungen

  1. Faesers Ministerium scheint ja ziemlich hart am Wahlerfolg ihrer noch-Ministerin zu arbeiten. Die Selbst-Befreiung von einer Tyrannin rechtfertigt niedrigste Beweggründe.

    Verschiedenste Sicherheitsbehörden sind ganz gierig danach, ihre technologischen Fähigkeiten in der Praxis zu erproben. Als Versuchspersonen mussten schon immer jene herhalten, die am Rande der Gesellschaft stehen oder außerhalb. Sie können sich ja kaum wehren, die perfekten Missbrauchsopfer also denen selbst Menschenrechte vorenthalten werden.

    Doch wer das noch gut findet (und dafür meine vollste Verachtung hat) wir es wohl nie begreifen, das das gewetzte Messer später als routiniertes Verfahren gegenüber allen missliebigen Gesellschaftsgruppen eingesetzt werden wird. Das ist dann weniger eine Frage von (ohnehin kaum vorhandener) Moral, sondern von opportuner Möglichkeit.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.