Die Bundesregierung legte Ende August den Gesetzentwurf zur digitalen Ton-und Videoaufzeichnung im Gericht vor. Das sogenannte Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG) beinhaltet den Vorschlag, die strafrechtliche Hauptverhandlung in Ton- und optional in Bildaufnahmen aufzuzeichnen. Die vorhandene Tonaufnahme soll dann automatisiert in ein Textdokument transkribiert werden.
Im November letzten Jahres hatte das Bundesministerium der Justiz (BMJ) den Referentenentwurf vorgelegt. Dieser sah noch eine bindende Videoaufzeichnung vor. Im Mai diesen Jahres folgte ein Entwurf, der es den Ländern überlässt, ob sie durch eine Rechtsverordnung eine teilweise oder flächendeckende Videodokumentation einführen möchten. Die Tonaufnahme bleibt verpflichtend. Wenn ein Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, sollen die Aufzeichnungen gelöscht werden. Wer die Aufnahmen veröffentlicht oder verbreitet, macht sich strafbar. Die Regelungen sollen ebenfalls für das Jugendstrafverfahren gelten.
Formales Protokoll nicht ausreichend
Aktuell dient ein schriftliches Hauptverhandlungsprotokoll als einzige Form der Dokumentation. Es enthält keine Information über inhaltliche Geschehnisse. Zudem gibt es keine Auskunft über wesentliche Ergebnissen der Beweisaufnahme. Darunter fallen zum Beispiel Zeugenaussagen. Das Protokoll beschränkt sich auf formale Angaben.
Um sich im Laufe eines Strafprozesses auf inhaltliche Aspekte beziehen zu können, sind alle Verfahrensbeteiligten bisher auf eigene Mitschriften angewiesen. Seit 2004 sind allerdings Tonaufnahmen auf Amtsgerichtsebene während der Hauptverhandlung bereits üblich. Jedoch konnte sich dies nicht auf Landes- und Oberlandesgerichtsebene durchsetzen.
Das BMJ kritisiert die bisherige Protokollierung. Es sei unzumutbar, dass Verfahrensbeteiligte auf eigene Mitschriften angewiesen sind. Die Erinnerung an Einzelheiten würde im Laufe des Verfahrens nachlassen. Zudem sei der Fokus während der Verhandlung beeinträchtigt. Im Entwurf ist daher vorgesehen, nach jedem Verhandlungstag Zugriff zu den Aufzeichnungen und zum Transkript zu geben. Mit dieser Vorgehensweise soll das Verfahren „objektiv“, „einheitlich“ und „verlässlich“ bleiben. Das Ministerium verweist auf Länder wie Spanien und Schweden, die bereits Ton- und Videoaufnahmen im Strafverfahren verwenden.
Verbände warnen vor Missbrauch
Opferhilfeorganisationen wie der Weiße Ring lehnen den Entwurf ab (pdf). Es sei ein zu großer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, vor allem für die Opfer. Die Wahrheitsfindung im Strafprozess zu vereinfachen, sei angesichts der Rechte der Opfer kein überzeugendes Ziel. Das BMJ schlägt Verpixelungen und spezielle Aufnahmewinkel zu ihrem Schutz vor. Diesen Vorschlag hält die Hilfsorganisation allerdings für nicht ausreichend. Sie fragt sich, ob eine Strafverfolgung bei missbräuchlicher Veröffentlichung praktisch umsetzbar sei. Den Ursprung der verbreitenden Quelle zu finden, sei äußerst schwierig.
Der Arbeitskreis für Opferhilfen (ado) warnt in seiner Stellungnahme ebenfalls vor der rechtswidrigen Verbreitung bloßstellender Aufnahmen. Die Befürchtung sei auf die Sensationsgier in den sozialen Medien zurückzuführen. Es bestehe ein großes Interesse an „echten“ Verbrechen und somit auch an „echten Opfern“.
Der Weiße Ring und ado lehnen also die Videoaufnahme ab. Eine Tonaufzeichnung hingegen sei ihrer Meinung nach vertretbar. Es erreiche dasselbe Ziel mit geringerem Missbrauchsrisiko.
Die Stellungnahme des Bundesrates zu dem Entwurf beinhaltet die Bitte, insbesondere die Aussagen von Zeug*innen und Opfern von Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu schützen. Die Bundesregierung möchte im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahren auf diese Bitte eingehen. Wie die IT- und Datensicherung erfolgen werden soll, ist im Gesetzesvorschlag noch nicht ausgeführt.
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