Mit einiger Verspätung will die EU in einem Jahr ihr „Einreise-/Ausreisesystem“ (EES) starten. Dann müssen auch Reisende aus Ländern, mit denen Brüssel die gegenseitige Visafreiheit vereinbart hat, an den Außengrenzen vier Fingerabdrücke und ihr Gesichtsbild abgeben. Die spanische EU-Präsidentschaft warnt nun in einem Schreiben die 27 Mitgliedstaaten vor einer „Überlastung der Grenzübergangsstellen“ und kündigt eine Reihe von Maßnahmen an, mit denen die Behörden Chaos vermeiden sollen. Das Dokument hat die britische Organisation Statewatch online gestellt.
Für den Aufbau und den Betrieb des EES ist die EU-Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen (eu-LISA) in Tallinn zuständig. Die inzwischen zweijährige Verzögerung des Systems lastet die Agentur den Firmen an, die das EES entwickeln und bereitstellen sollten. Diese Hauptauftragnehmer sind Atos mit einem Konsortium aus IBM und dem Rüstungskonzern Leonardo.
Deutlich längere Wartezeiten an den Grenzen
Mit dem EES müssen Behörden und Reisende viel mehr Zeit für die Grenzkontrollen einplanen. Wegen der Pflicht zur Abgabe der biometrischen Daten erhöht sich die Zeit für jede einzelne Grenzkontrolle deutlich. So rechnen etwa die deutsche und die kroatische Regierung damit, dass die Kontrollzeiten mit Einführung des EES „deutlich zunehmen“ oder „deutlich länger“ werden. Die österreichische Regierung spricht von einer „Verdoppelung“ der Bearbeitungszeiten.
Jeder Schengen-Mitgliedstaat muss bis zum kommenden Jahr ein nationales System zur Erfassung der erforderlichen Informationen für das EES einrichten. Noch nicht alle Länder haben Vollzug gemeldet oder das System in seiner Beta-Version ausreichend getestet. „Durch Verzögerungen bei einem Mitgliedstaat werden alle anderen Mitgliedstaaten bei der Inbetriebnahme in Verzug geraten“, warnt deshalb der Ratsvorsitz.
Diesen Schwierigkeiten will eu-LISA nun mit einem abgestuften Konzept begegnen: In einzelnen Grenzabschnitten könnten bei Bedarf Ausnahmeregelungen möglich sein, sodass auf die Abnahme der biometrischen Daten verzichtet werden kann. Die Länder können auch bestimmen, dass ihr Start des EES „nicht in Zeiträumen liegt, in denen Großveranstaltungen stattfinden“. Mit der Olympiade rechnet etwa Frankreich im kommenden Jahr mit einem hohen Reiseaufkommen.
Grenzkontrollen müssen automatisiert werden
Weil die Umsetzung des EES „erhebliche Änderungen“ bei der Durchführung von Grenzkontrollen zur Folge hat, sollen diese weitgehend automatisiert werden. Zusätzlich zu den Fingerabdruckscannern und biometrischen Kameras, die an jeder Grenzübergangsstelle vorhanden sein müssen, sollen die Schengen-Staaten an „wichtigen“ Kontrollpunkten „so weit wie möglich“ mit Biometrie-Automaten ausgestattet werden, schreibt der EU-Vorsitz. Dort müssen die Reisenden ihre Fingerabdrücke und Gesichtsbilder ohne Aufsicht in das EES einspeisen.
Erstmals kündigt der Rat auch an, dass bis zum Start des EES die „mobile App für die Vorabregistrierung“ fertiggestellt sein soll. Diese App wird von der Bundespolizei und Frontex entwickelt und in München in einer Pilotphase getestet. In einem Jahr soll sie allen Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen und flächendeckend eingesetzt werden.
Mit Selbstbedienungskiosken, automatischen Kontrollsystemen und -gates sowie einer App zur Ankündigung des Grenzübertritts verändert sich die Routine für Grenzbeamte grundlegend. Deshalb warnt der Ratsvorsitz in seinem Papier vor möglichen „technischen Problemen, die sich aus der komplexen Architektur ergeben“. Alle Mitgliedstaaten müssten deshalb alle mit der neuen Routine verbundenen Abläufe „testen, einüben und verfeinern“ und ihre Grenzschutzbeamten in der Anwendung dieser Verfahren rechtzeitig schulen.
Fünf Bausteine der „Interoperabilität“
Das EES ist nur einer der fünf Bausteine, mit dem die EU derzeit ihr ehrgeiziges Projekt der „Interoperabilität“ aufbaut. Diese „umfassendste und modernste Architektur im Bereich des Grenzmanagements“ umfasst auch das 2025 startende Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS), mit dem visafrei Reisende schon Wochen vor dem geplanten Grenzübertritt eine verpflichtende Anmeldung machen müssen.
Außerdem sollen 2025 – ebenfalls deutlich verspätet – das überarbeitete Visa-Informationssystem (VIS) und das Europäische Strafregisterinformationssystem für Drittstaatsangehörige (ECRIS-TCN) in Betrieb gehen. Zusammen mit dem Schengener Informationssystem (SIS) sollen die neuen Datenbanken dann in einem auf Biometrie basierenden „Gemeinsamen Speicher für Identitätsdaten“ (CIR) zusammengefasst werden. Als letzte Komponente der „Interoperabilität“ folgt schließlich 2026 der „Detektor für Mehrfachidentitäten“ (MID), mit dem alle biometrischen Daten im Hintergrund überprüft und abgeglichen werden.
Sorry, alles Sicherheitstheater und Vorwand wenn zugleich in Ländern wie Zypern, Rumänien, Bulgarien oder für Russen besonders interessant in Ungarn einfach „kaufen“ kann.
Kann bitte diese Technikgläubigkeit zu Lasten der Allgemeinheit aufhören. Es gibt Dinge, die lassen sich mit Automatisierung oder Apps nicht lösen. Diese verbrannten Mrd wären deutlich besser in mehr Personal aufgehoben.
Ich war letzten Monat in Hong Kong, Taiwan und Süd-Korea. Fingerabdruck und Foto war obligatorisch. Ich hätte mich vor Ort auch für einen sog. „E-Pass“ registrieren können um nicht persönlich mit jemand von „Immigration“ sprechen zu müssen, aber das war mit für diesen Urlaub zu viel des Guten.
Umgekehrt können Einwohner dieser Länder und Hong Kong auch in Deutschland den sog. „Easy Pass“ bei der Einreise austellen lassen und damit weitgehend automatisiert einreisen.
Das System existiert also schon.
Sofern man mehrere Male einreist, ist das sicher von Vorteil. Für eine Urlaubsreise aber unnötiger Mehraufwand.
Ach und: In HongKong erfolgt das Boarding des Flugzeugs per Gesichtserkennung! Ich war begeistert!“