Meerbusch-Iran-ConnectionDeutsche Firma in Aufbau des abgeschotteten Internets im Iran verstrickt

Ein deutsches Unternehmen aus Meerbusch in Nordrhein-Westfalen ist zusammen mit dem iranischen Internetunternehmen ArvanCloud in den Aufbau eines abgeschotteten Internets im Iran verwickelt. Das zeigen gemeinsame Recherchen von Correctiv, taz und netzpolitik.org. Deutsche Ministerien und Sicherheitsbehörden sind alarmiert.

Das Logo des Unternehmens ArvanCloud vor Servern
In der Meerbusch-Iran-Connection spielen das Unternehmen ArvanCloud und Softqloud eine zentrale Rolle – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Taylor Vick und netzpolitik.org

Eine deutsche Firma aus Meerbusch in Nordrhein-Westfalen steht im Verdacht, als Tarnfirma des iranischen Internetunternehmens Abr Arvan die Abschottung des Internets im Iran mit voranzutreiben. Wie gemeinsame Recherchen von Correctiv, taz und netzpolitik.org belegen, betreibt das Unternehmen mehrere Datenzentren in Europa, die bei einer Abschottung des Internets den Betrieb des internen iranischen Netzes gewährleisten könnten.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagt zu dieser Recherche in einem Interview, das heute Abend in der Carolin-Kebekus-Show ausgestrahlt wird: „Das ist dramatisch, wenn eine deutsche Firma bei solchen Verbrechen auch unterstützen und helfen sollte.“ Die entsprechenden Sicherheitsbehörden würden laut Baerbock den Fall prüfen. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, könnte dies auch strafrechtliche Konsequenzen haben.

Dienstleister des iranischen Staates

Aus einem unscheinbaren Reihenhaus-Klinkerbau in Meerbusch heraus wird die Kontrolle über das iranische Internet mit ausgebaut. Kaum vorstellbar, doch hier in der Hegelstraße residierte bis vor kurzem die Softqloud GmbH, bevor sie eine neue Adresse in Düsseldorf annahm. Softqloud ist eng verbunden mit dem iranischen Unternehmen Abr Arvan, das im Internet unter ArvanCloud.com zu erreichen ist. Abr heißt auf persisch „Wolke“, also Cloud.

ArvanCloud präsentiert sich im Netz und auf Konferenzen als modernes, aufstrebendes Unternehmen eines digitalen Iran. Auf Fotos spielen junge Männer Kicker, Frauen sitzen mit Hidschabs in den Firmenfarben lächelnd an Computern. Die deutsche Außenhandelskammer in Teheran bezeichnet das Unternehmen als „größten Cloud-Service-Anbieter des Iran“. Doch iranische Oppositionelle und Internetaktivist:innen warnen vor der Firma: Sie soll dem Regime nahestehen und an dem Aufbau eines abgeschotteten iranischen Netzes nach chinesischem Vorbild beteiligt sein.

Und tatsächlich: Das Unternehmen, das im Iran Abr Arvan heißt, pflegt enge Geschäftsbeziehungen zur iranischen Regierung – und verantwortet unter anderem den Ausbau einer so genannten IranCloud im Rahmen des „National Information Network“, mit dem sich das Land vom internationalen Internet isolieren will.

ArvanCloud ist zudem in vielerlei anderer Hinsicht als Dienstleister des iranischen Staates tätig. Auf seinen Servern tummeln sich – wie Recherchen von Correctiv, taz und netzpolitik.org zeigen – unter anderem das Innen- und Außenministerium sowie staatliche Fernsehsender der islamistischen Diktatur.

Welche Folgen dieses deutsch-iranische Firmengeflecht hat, wird deutlich, wenn man sich zunächst dessen Struktur und insbesondere die Meerbusch-Iran-Connection anschaut. Wie eng die Verbindung auch zum iranischen Staat ist, belegen die Personen, Investor:innen und Kund:innenen die hinter den jeweiligen Unternehmen stehen.

Anhand der Dienstleistungen, die Softqloud in Kooperation mit dem iranischen Unternehmen anbietet, zeigt sich, welche Rolle die deutsche Firma für das iranische Unternehmen spielt, das bei der Abschottung des iranischen Internets und damit der Internetkontrolle des iranischen Regimes mitwirkt.

Halbstaatlicher Charakter

Abr Arvan ist in ein dichtes Netz iranischer Unternehmen und Banken eingebunden. Ein Tochterunternehmen der FANAP hat Beteiligungen an Abr Arvan. Die FANAP ist ein Technologie-Unternehmen der iranischen Pasargad Bank mit vielen Untergliederungen. Die Pasargad Bank wurde von den USA auf die Sanktionsliste gesetzt, weil sie die Revolutionsgarden unterstützen soll. Auf der Webseite der FANAP gibt es eine eigene Seite über ArvanCloud, auf der es heißt, dass das Unternehmen 200 Mitarbeiter:innen habe.

Neben dieser Verbindung gibt es ein Foto, das der ehemalige iranische Kommunikationsminister Mohammad-Javad Azari Jahromi auf Instagram gepostet hat. Es zeigt Pouya Pirhosseinloo, den Geschäftsführer von Abr Arvan, zusammen mit dem Minister beim High-Five.

Gute Stimmung zwischen ArvanCloud-CEO Pouya Pirhosseinloo und dem ehemaligen Kommunikationsminister Mohammad-Javad Azari Jahromi. - Screenshot / Instagram

Das Vertrauen zwischen Regierung und dem hippen Unternehmen war offenbar so groß, dass der Minister sogar auf Twitter persönlich die Nutzung von ArvanCloud als „Produkt der iranischen Jugend“ für Start-Up-Unternehmen empfahl. Der ehemalige Minister wurde wegen seiner Rolle für die iranische Zensur mit weitreichenden US-Sanktionen belegt. Gleiches hat die EU erst jüngst mit seinem Nachfolge getan.

Die Meerbusch-Iran-Connection

Die deutsche Softqloud GmbH in Meerbusch firmierte zeitweise im Impressum auf ArvanCloud.com als Ansprechpartner mit deutscher Adresse. ArvanCloud sei „ein internationaler Cloud Server Anbieter in Deutschland“, hieß es bis kurzem auf der „Über uns“-Seite von ArvanCloud – und dass das Unternehmen von der Softqloud GmbH in Meerbusch „etabliert“ worden sei. Seitdem Internetaktivist:innen von Anonymous diese Verbindungen veröffentlicht haben, löscht ArvanCloud Bezüge zur Softqloud GmbH von seinen Seiten.

Im Impressum auf ArvanCloud.com war bis vor kurzem die Softqloud GmbH angegeben. - Screenshot

Netzpolitik.org hat Screenshots der Webseite gesichert, auf denen die alten Einträge zu sehen sind. Normalerweise lassen sich solche Änderungen auf Webseiten mit den Snapshots aus dem WebArchive belegen. ArvanCloud.com hat diese Snapshots im gemeinnützigen Internetarchiv allerdings gesperrt, was ungewöhnlich ist.

Offenbar sollte bis vor kurzem suggeriert werden, dass ArvanCloud eine Art deutsche Firma sei. Auf YouTube findet man sogar ein deutschsprachiges Imagevideo, auf dem jemand auf einer Brezel mit einer Deutschlandfahne „die Wolken“ reitet.

Allerdings ist es zweifelhaft, wie Softqloud ArvanCloud hierzulande etabliert haben soll. Softqloud wurde in Deutschland erst im Jahr 2019 gegründet, während das iranische Unternehmen schon seit 2015 operiert.

In einer Archivversion der Geschäftsbedingungen von ArvanCloud taucht die Softqloud GmbH auf, gleichzeitig war bei der Softqloud GmbH eine Mailadresse von ArvanCloud angegeben. Das deutsche Unternehmen aus Meerbusch hat unter seinem Namen 16 Domains von ArvanCloud und eines wichtigen Mitarbeiters des iranischen Unternehmens registriert, darunter die Hauptdomain ArvanCloud.com, die es im April 2021 übernahm.

Solche Hinweise zeigen, wie eng ArvanCloud und Softqloud verbunden sind oder waren. Sie deuten darauf hin, dass es sich bei Softqloud nicht um eine wirklich eigenständige Firma handelt, sondern dass diese unter der Kontrolle des iranischen Internetunternehmens stehen oder gestanden haben könnte.

Softqloud selbst sagt, dass ArvanCloud ein gemeinsames Projekt von Abr Arvan und Softqloud gewesen sei, um internationalen Kunden eine Cloudinfrastruktur bereitzustellen. Die jüngsten Ereignisse hätten dazu geführt, dass das Unternehmen seine Verträge mit Abr Arvan gekündigt habe. Von einer erfolgten Kündigung durch Softqloud am 30. September spricht auch der Chef von Abr Arvan, Pouya Pirhosseinloo, auf Anfrage. Doch die Zusammenarbeit läuft laut den Recherchen bis heute weiter.

6.000 Domains aus dem Iran

Auf die Softqloud GmbH ist ein so genanntes autonomes System (AS), ein großes Netzwerk das Teil des Internets ist, mit tausenden IP-Adressen, eingetragen. Konkret betreibt die Firma dort – laut Netzwerkspezialisten, die das Netzwerk eingehend analysiert und diese Informationen mit Correctiv, taz und netzpolitik.org geteilt haben – Datenzentren in Frankfurt am Main und im niederländischen Dronten. Demnach laufen auf der Infrastruktur von Softqloud mehr als 6.000 Domains und zahlreiche Dienste von ArvanCloud selbst. Sogar das iranische Uber-Pendant namens Snapp! wird bei Softqloud in Europa gehostet.

Auch der iranische Staat hostet offizielle Seiten in den europäischen Rechenzentren: So sind die iranischen Botschaften in Südafrika, Tunesien und Zypern sowie das iranische Agrarministerium bei Softqloud gehostet – als eine Art Backup zu den Servern im Iran.

Viele andere iranische Seiten auf diesem Server liegen nur in diesen Rechenzentren in Europa. Werden ihre Inhalte aus dem Iran abgerufen, geht die Anfrage nach Europa und dann zurück in den Iran.

ArvanCloud machte lange Zeit kein Geheimnis daraus, dass es eine verbundene Firma in Deutschland gebe. In einem Interview mit dem iranischen Digitalmagazin Digiato sagte der CEO Pouya Pirhosseinloo im Oktober 2021 sogar, dass man über eine eigene Firma in Deutschland verfüge. Die Recherchen legen somit die Vermutung nahe, dass die Softqloud GmbH kein eigenständiges Unternehmen ist, sondern von Abr Arvan kontrolliert wird oder wurde. Dem widerspricht Softqloud. Das Unternehmen sei nicht „vertraglich oder in sonstiger Weise von ArvanCloud abhängig“, sondern treffe Entscheidungen in alleiniger Verantwortung.

Verbindungen zum iranischen Geheimdienst

Als die Softqloud GmbH am 24. Februar 2019 als Unternehmen angemeldet wird – damals noch mit Sitz in der Dorfstraße in Meerbusch –, tritt ein Mann mit pakistanischem Pass als Gründer im Büro eines Düsseldorfer Notars auf. Das geht aus Dokumenten des Handelsregisters hervor. Dieser Mann hat seinen Wohnsitz in Dubai und ist heute Chef einer IT-Firma, die Ableger in Dubai und Pakistan hat, und unter anderem die Webseiten der Pasargad Bank hostet. Das große iranische Finanzinstitut wurde wegen Verbindungen zu den Iranischen Revolutionsgarden im Oktober 2020 von den USA mit Sanktionen belegt. Von der Pasargad Bank gibt es auch eine Verbindung zu Abr Arvan: Die mit der Bank assoziierte IT-Firma Fanap ist Investor bei dem Cloud-Anbieter.

Bei der Gründung von Softqloud ist ein weiterer Mann anwesend, dem der Verfassungsschutz in den achtziger Jahren Verbindungen zum iranischen Nachrichtendienst attestierte. Sein Name taucht in einer Auskunft des Bundesamtes für Verfassungsschutz von 1993 auf, in der es um das Mykonos-Attentat geht. Bei dem Mordanschlag wurden im Auftrag des iranischen Geheimdienstes am 17. September 1992 vier kurdisch-iranische Exilpolitiker im Berliner Lokal „Mykonos“ erschossen.

Der Mann ist heute Geschäftsführer einer deutschen GmbH mit Bezug zum Iran, die auch unter US-Sanktionen steht. Über seinen Anwalt bestreitet er, Verbindungen zum Geheimdienst und zu Softqloud zu haben.

In diesem Haus hatte Softqloud einige Zeit seinen Sitz. - Screenshot: Apple Maps

Und noch ein Name taucht im Gesellschaftervertrag auf: Es ist der der Geschäftsführerin der Softqloud GmbH. Auch sie wohnt in Meerbusch. Die Firma war zuerst auf zwei Privatadressen in Meerbusch registriert und ist nun in Düsseldorf in einem Unternehmenskomplex in der Monschauer Straße 12 gelistet, in dem auch virtuelle Büros – also Briefkastenfirmen – einen Firmensitz erhalten können. Softqloud selbst sagt, dass das Büro dort nicht mehr genutzt werde, weil das Mietverhältnis durch den Vermieter beendet worden und Softqloud bereits umgezogen sei.

Die Geschäftsführerin von Softqloud ist noch bei zwei weiteren Firmen als solche eingetragen: bei einer Rheinmond GmbH, die angeblich Internetdienstleistungen anbietet, und einer VAS Europhoenix GmbH. Diese Firmen sind weiterhin auf eine Privatadresse registriert – ebenfalls in einem Klinker-Reihenhaus in der Hegelstraße in Meerbusch.

Softqloud nimmt Zahlung von ArvanCloud an

Fest steht, dass ArvanCloud zahlreiche westliche Software-as-a-Service-Produkte auf seiner Webseite anbietet. Da der Iran wegen Sanktionen vom internationalen Zahlungsverkehr ausgenommen ist, muss ArvanCloud diese Produkte über Firmen im Ausland beziehen.

Die Betreiber eines oppositionellen Twitter-Accounts, die uns im Rahmen der Recherche zahlreiche Informationen zugespielten, halten Softqloud für ein Konstrukt, über das ArvanCloud Zahlungsdienstleistungen abwickelt.

Und tatsächlich: Kauft man beim iranischen Unternehmen Cloud-Services per Kreditkarte ein, wird der Rechnungsbetrag über einen Account beim Zahlungsdienstleister Stripe abgerechnet. In der Abrechnung steht beim Account von ArvanCloud eine längere Nummer – sie entpuppt sich als die im Impressum der Softqloud GmbH angegebene Telefonnummer.

Stripe sitzt in den USA und unterliegt zahlreichen US-Regularien, die Transaktionen mit dem Iran weitreichend sanktionieren und unter anderem einen Zugang des Irans zum US-Finanzsystem verbieten. Stripe selbst erklärt auf seiner Webseite, dass es die Nutzung seiner Dienste für Geschäfte verbietet, die direkt oder indirekt mit Ländern verbunden sind, die der Bezahldienst als hochriskant einstuft – darunter auch der Iran.

Kurz nach unserer Presseanfrage an den Zahlungsdienstleister funktioniert der Stripe-Account auf der Seite von ArvanCloud nicht mehr. Stripe sagt, dass es sich generell nicht zu einzelnen Kunden äußert, scheint aber direkt gehandelt und das Konto nach unserer Anfrage gesperrt zu haben.

Softqloud sagt dazu, dass es keine Sanktionen umgehe. „Wir verwenden Stripe ausschließlich, um Zahlungen von Kunden auf der ganzen Welt zu erhalten, die Cloud-Computing-Dienste wie CDN, IaaS und DNS von internationalen Diensten von Softqloud und ArvanCloud.com erwerben.“ Aus interner Kommunikation, die uns vorliegt, ist jedoch nachvollziehbar, dass ein Berater von Softqloud davon ausgeht, dass man damit die Vorwürfe eingeräumt hätte.

Cloud-Server in Deutschland und den Niederlanden

Doch Softqlouds Tätigkeiten sind nicht auf die in der Recherche gezeigte Finanzabwicklung beschränkt. Das deutsche Unternehmen verantwortet zudem ein so genanntes autonomes System für ArvanCloud. Ein autonomes System ist ein größeres Netzwerk und Teil des Internets. In der Regel betreiben Telekommunikationsdienstleister, Universitäten und Internetfirmen solche Systeme, die Daten austauschen, Peering betreiben, Routen zu Servern kommunizieren – und so zusammen das Internet bilden.

Das autonome System von Softqloud heißt AS208006. Es ist die Verbindung von ArvanCloud nach Europa und enthält mehr als 6.000 IP-Adressen. AS208006 ist mit autonomen Systemen der westlichen Unternehmen I3D/Ubisoft und mit Serverius verbunden – und mit der Inlandscloud von Abr Arvan, dem AS202468, das etwa 30.000 IP-Adressen umfasst. Über diese Inlandscloud gibt es eine Verbindung vom Iran zu Softqloud und andersherum. Softqloud räumt auf Nachfrage ein, dass dies so sei. Im Vertrag stünde, dass die „Softqloud GmbH Infrastruktur as a Service gegen technischen Support“ von Abr Arvan bereitstelle.

Auf dem Weg zum abgeschotteten Netz

Seit 2005 will der Iran ein so genanntes „National Information Network“ (NIN) aufbauen – eine Art Intranet im Iran, das vom weltweiten Internet unabhängig ist. Als Vorbild dient China, das mit der „Great Firewall“ ein solches Netz schon aufgebaut hat. Auch Russland will ein solches abgekapseltes Netz schaffen.

Mit Hilfe einer Infrastruktur wie dem National Information Network kann das iranische Regime seine Kontrolle über jedweden digitalen Informationsfluss im Land weiter ausbauen. Derzeit weist das Zensursystem im Iran noch Lücken auf, die auf diese Weise geschlossen werden sollen. Gelänge es dem Regime, ein abgeschottetes nationales Netz zu schaffen, hätte dies zur Folge, dass die Iraner:innen gar nicht mehr auf ausländische Informationen zugreifen können. Derzeit nutzen viele Iraner:innen noch VPN-Dienste oder das Tor-Netzwerk, um die Zensur im Inland zu umgehen. Sie können auf diesem Umweg auf eigentlich zensierte Seiten im Ausland zugreifen und gesperrte soziale Netzwerke wie Twitter oder Telegram nutzen.

Mit einem gut ausgebauten abgeschotteten nationalen Netz könnte das Regime das internationale Internet blockieren – und gleichzeitig könnten iranische Firmen und Regierungsinstitutionen bei einer Abschaltung des Internets für die Bevölkerung dann trotzdem weiterarbeiten.

Derzeit bringen die Internetabschaltungen, mit denen das Regime regelmäßig Proteste, Mobilisierungen und Informationsflüsse behindert, das Land digital zum Erliegen – mit entsprechenden Kosten für die iranische Wirtschaft. Allein der Online-Handel macht nach Angaben der iranischen Handelskammer in jeder Stunde, in der das Internet abgeschaltet wird, etwa 1,5 Millionen Euro Verlust.

Weil die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen von Internetabschaltungen so dramatisch ausfallen, fährt der Iran gegen die derzeitige Revolte eine Strategie temporärer Teilabschaltungen: Mal wird das Mobilfunknetz abgeschaltet, dann das ganze Internet in einer bestimmten Region. Eine Komplettabschaltung über einen längeren Zeitraum vermeidet das Regime nach Möglichkeit. Bei der derzeitigen großen Revolte, gegen die das Regime mit aller Härte vorgeht, wurden in den vergangenen Wochen etwa 200 Menschen getötet.

Seit 2013 hat die iranische Regierung die Arbeit an einem funktionierenden unabhängigen, nationalen Netz intensiviert. Im Jahr 2020 stellte das Regime umgerechnet rund 200 Millionen US-Dollar für diese Pläne zur Verfügung. Zudem schloss es Verträge mit Firmen, die dabei helfen sollen, das iranische Netz abzuschotten. Einer der Vertragsnehmer ist Abr Arvan.

Nur wenige Brücken aus dem Iran nach außen

Mehrere Netzwerkspezialist:innen, deren Namen der Recherchekooperation bekannt sind, die aber anonym bleiben wollen, haben sowohl die Netze von Softqloud, ArvanCloud als auch das gesamte iranische Internet gescannt und analysiert. Correctiv, netzpolitik.org und taz konnten diese Informationen einsehen.

Aus diesen Untersuchungen geht hervor, dass das iranische Netz nur über wenige „Brücken“ nach außen in das internationale Internet verfügt. Diese Brücken heißen nicht wirklich Brücken, sondern es handelt sich um so genanntes Peering zwischen Autonomen Systemen.

Die größte und wichtigsten Brücke ist das Autonome System, AS49666 über das 7.552 Routen nach außen führen. Diese Routen kontrolliert die Telecommunication Infrastructure Company (TIC), die direkt dem iranischen Staat untersteht. Eine zweite Brücke bildet das iranische Wissenschaftsnetz mit 163 Routen aus dem AS6736, das über Ungarn nach außen führt. Eine dritte, vergleichsweise kleine Verbindung besteht über den iranischen Telekommunikationsdienstleister Shatel. Sie führt auf direkten Weg mit kurzer Latenz nach Frankfurt am Main. Alle anderen Internetverbindungen von Shatel erfolgen über das große staatlich kontrollierte AS49666.

Eine weitere Brücke führt von TIC AS49666 über zwei Autonome Systeme von Abr Arvan/ArvanCloud zu Softqlouds AS208006. Die Daten werden somit im Iran und in Europa als eine zusammenhängende Cloud gehosted.

Der Meerbusch-Connection kommt somit eine bedeutende Rolle bei der Kontrolle des iranischen Netzes zu. So kann die staatlich kontrollierte TIC an seiner Brücke das weltweite Internet aussperren und zugleich ausgewählte Verbindungen per „Whitelisting“ weiterhin zulassen – etwa zum Netzwerk von ArvanCloud und Softqloud, in dem zahlreiche iranische Webseiten, darunter auch welche des Regimes, laufen.

Auf diese Weise hätte das in Meerbusch angesiedelte Unternehmen Softqloud eine wichtige Rolle bei der Abschottung des iranischen Netzes. Softqloud selbst sagt, dass es nicht daran beteiligt war, das Internet für den Iran abzuschotten.

Was ist die Rolle von ArvanCloud bei der Abkapselung des Netzes?

Für ein abgeschottetes Internet aber sind funktionierende Cloud-Dienste ein entscheidender Faktor. Und hier kam das Unternehmen Abr Arvan alias ArvanCloud ins Spiel, das bei der Schaffung der IranCloud helfen soll. Die IranCloud ist integraler Bestandteil des nationalen Internets des Irans. Netzpolitik.org veröffentlicht an dieser Stelle die komplette Dokumentation des IranCloud-Projektes (PDF 35 MB / PDF 50MB), in der dies beschrieben ist.

Abr Arvan soll laut Berichten der BBC und Reporter ohne Grenzen aktiv beim Aufbau des „National Information Network“ beteiligt sein, dessen elementarer Bestandteil laut der Factchecking-Seite „Factnameh“ die IranCloud ist. Laut der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur IRNA ist die IranCloud ein „nationales Projekt“, das im „im Einklang mit der Entwicklung des nationalen Informationsnetzwerks“ stehe. Der Bericht der Agentur nennt auch die Beteiligung von Abr Arvan, also ArvanCloud. Die Verbindungen von Abr Arvan zur IranCloud lassen sich zusätzlich mit einem Foto belegen, auf dem im Hintergrund die Logos von IranCloud, von FANAP und von Abr Arvan zu sehen sind.

Im Kern scheint die Aufgabe von ArvanCloud.com also nicht die Zensur des internationalen Netzes zu sein, sondern vielmehr der Aufbau alternativer, verteilter und robuster Infrastrukturen – im Iran selbst und auf Servern im Ausland -, damit man das internationale Netz einfach und zu geringeren wirtschaftlichen Kosten abschalten bzw. irgendwann fast komplett ersetzen kann. Ein solches internes, streng kontrolliertes Netz ist, wie das Beispiel China zeigt, effektiver zu kontrollieren und daher auch ein Wunschtraum autoritärer Systeme.

Seite 8 und 9 eines Vertrages zwischen ArvanCloud und dem iranischen Ministerium für Informations- und Kommunikationstechnologie

Der Vertrag räumt dem iranischen Staat weitreichende Rechte ein. In dem Dokument heißt es in Artikel 4, dass die Vertragsparteien verpflichtet seien, sich im Rahmen der nationalen Verteidigung und allgemeinen Sicherheit „vor jeder Entscheidung und jedem Vorgehen erst mit dem Führungsausschuss abzustimmen bzw. das Handeln genehmigen zu lassen“. Genannt wird diesbezüglich wenige Zeilen später:

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Jadi Mirmirani warnte schon im März des vergangenen Jahres davor, dass Abr Arvan beim Ausbau des abgeschotteten Netzes im Iran mithelfe. Im Zuge der Repressionswelle bei den derzeitigen Protesten wurden Mirmirani und andere Netzaktivisten festgenommen.

ArvanCloud kennt die Vorwürfe, die vor allem auch iranische Oppositionelle gegen die Firma vorbringen. Pouya Pirhosseinloo, Chef von ArvanCloud/Abr Arvan, wies auf Nachfrage die Vorwürfe zurück. Seine Firma werde zu Unrecht ins Visier genommen und würde verleumdet. „Ein Anbieter von Cloud-Diensten kann weder bei der Struktur noch bei der Zensur des Internets eine Rolle spielen, nicht nur im Iran, sondern auch in jedem anderen Land der Erde“, so Pirhosseinloo. Cloud-Anbieter seien Verbraucher und nicht Anbieter des Internets. „Folglich können diese Unternehmen keinen Einfluss auf die Qualität des Internets, Störungen oder Ausfälle nehmen.“

In einer früheren Stellungnahme, die bei Factnameh dokumentiert ist, sagte ArvanCloud-Chef Pirhosseinlo sinngemäß, dass der iranische Staat heute schon selbst bestimme, was zensiert würde. Er könne wichtige ausländische Netzwerke von der Abschaltung mit einem so genannten Whitelisting ausnehmen, was genauso effektiv sei.

Im Kern sei das richtig, sagen die Netzwerkspezialisten, deren Analysen Correctiv, taz und netzpolitik.org im Rahmen dieser Recherche einsehen konnten. Es sei allerdings komplexer und damit fehleranfälliger, wenn das Whitelisting sehr viele unterschiedliche ausländische Strukturen im Internet betreffe und man diese Informationen alle einsammeln und aktuell vorhalten müsse, damit bei einer Internetabschaltung noch alle inländischen Webseiten und Online-Dienste reibungslos weiterlaufen könnten. Bei einer Kooperation wie bei Softqloud/ArvanCloud könne der iranische Staat diese Infrastruktur aus der Abschaltung ausnehmen und gleichzeitig dafür sorgen, dass mit europäischer Infrastruktur das interne, nationale Netz flüssiger laufe, sagen die Netzspezialisten.

UN-Leitprinzipien für Menschenrechte verletzt?

Das sieht Miriam Saage-Maaß mit Blick auf Softqloud als problematisch an. Saage-Maaß ist Expertin für die juristische Verantwortung von Unternehmen bei Menschenrechtsverletzungen und Legal Director beim European Center for Constituational and Human Rights (ECCHR):

Internationale Standards wie die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verpflichten Unternehmen wie Softqloud dazu, genau zu prüfen, ob ihre Geschäftstätigkeit die Menschenrechtsverletzungen von Regierungen ermöglicht, fördert oder unterstützt. Wer der iranischen Regierung Technologien zur Verfügung stellt, die es dieser ermöglichen, den Zugang zum Internet der iranischen Bürger zu kontrollieren, verletzt diese Standards möglicherweise.

Zu den neuen Sanktionen der EU gegen den Iran, die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am vergangenen Montag bekannt gab, zählt im Bereich der Menschenrechte auch ein Verbot der Ausfuhr von Ausrüstungen, die im Iran zur Repression und zur Überwachung der Telekommunikation verwendet werden könnten.

Die ArvanCloud-Server laufen auch heute noch über die Softqloud GmbH aus Meerbusch.


Redaktioneller Hinweis:
Wir haben ein technisches Detail im Bezug auf Cloud-Konstrukt, Autonome Systeme und Peering von ArvanCloud/Softqloud im Artikel geändert und konkretisiert.


Diese umfangreiche Recherche ist zusammen mit Jean Peters von Correctiv und Jean-Philipp Baeck von der taz entstanden. Der erste Hinweis auf das Thema an netzpolitik.org stammte von der Carolin-Kebekus-Show der ARD, die in ihrer Sendung am Donnerstag um 22:50 Uhr die Meerbusch-Connection thematisieren wird. Anonyme Hinweisgeber und Netzwerkspezialisten haben bei der Recherche Einblicke gegeben, die sowohl zum Verständnis des Firmenkonstruktes wie auch der technischen Abläufe maßgeblich beigetragen haben.

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3 Ergänzungen

  1. Hmm, da haben wir die Kompetenz für das von den Jugendschützer vorangetriebene Deutschland.net ja mal im Lande …

  2. Herzlichen Dank für die hervorragende Recherche und das nicht-Wegschauen bei solchen Netzwerken, die diesen Apparat unterstützen! Nach der großen Welle und der EU Sanktionierung zieht die Firma jetzt nach Dubai um… Immerhin konnte das Netz gestern bei den landesweiten Protesten kaum abgeschaltet werden, da die Personen beschäftigt sind.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.