Vor wenigen Monaten verkündete die hessische Generalstaatsanwaltschaft einen spektakulären Deal: Sie verkaufte in einem Drogenverfahren beschlagnahmte Kryptowährungen im Wert von 100 Millionen Euro. Der konkrete Betrag ist aufsehenerregend, das Vorgehen jedoch längst nicht außergewöhnlich: Polizeien der Länder und Bundesbehörden beschlagnahmten und veräußerten in den vergangenen Jahren dutzende Male Kryptogeld.
„Mittlerweile werden in nahezu jedem Ermittlungsverfahren im Bereich der Cybercrime im engeren Sinne Kryptowährungen festgestellt“, sagte ein Sprecher des Bundeskriminalamt (BKA) zu netzpolitik.org. Unter diese Kategorie fallen etwa Ransomware-Erpressungen, bei denen Unbefugte sich Zugang zu einem IT-System verschaffen und dort alle Daten verschlüsseln. Erst gegen ein Krypto-Lösegeld geben die Angreifer:innen die Daten wieder frei. „Aber auch in den Bereichen der Wirtschafts- und Finanzkriminalität ist die Verwendung von Kryptowährungen bereits umfassend belegt“, heißt es vom BKA.
Wie häufig Ermittlungsbehörden inzwischen Bitcoin und Co. sichern, darüber gibt eine bislang nicht öffentliche Statistik Aufschluss. Zugang dazu erhielt netzpolitik.org durch eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Seit 2017 sammeln die Behörden statistische Daten über die Beschlagnahme von Kryptowährungen. Laut der Statistik, die wir veröffentlichen, wurden von 2017 bis 2020 in 89 Verfahren Coins beschlagnahmt. Sie stammen von insgesamt 96 Personen.
Aufbewahren oder gleich verkaufen?
Der Wert der gesicherten Kryptowährungen: insgesamt 68.104.613 Euro. Das entspricht nach heutigen Kurs 1.850 Bitcoin, jedoch war der Kurs der Währung in den betreffenden Jahren weitaus niedriger. Von welchen Kryptowährungen tatsächlich Coins beschlagnahmt wurden, kann das BKA nicht sagen. Diese Auskunft könnten nur die jeweiligen Staatsanwaltschaften geben, heißt es. Auch liege noch keine Jahresstatistik für 2021 vor. Der spektakuläre Verkauf aus Hessen ist also noch nicht in der Summe enthalten.
Bislang nicht einheitlich geregelt ist die Frage, ob die Behörden Kryptowährungen gleich verkaufen oder für die eventuelle Rückgabe an ihre Eigentümer aufbewahren sollen. Denn Bitcoin, Ethereum und andere gängige Kryptowährungen sind hohen Kursschwankungen unterworfen. Wenn der Staat zu früh oder zu spät verkauft, könnten Millionen Euro an Wert verloren gehen
Generell erlaubt der Paragraph 111p der Strafprozessordnung die Notveräußerung von gepfändeten Sachen, bei denen ein hoher Wertverlust droht. Die Entscheidung über eine Notveräußerung liegt bei der zuständigen Staatsanwaltschaft. Einen bundesweit einheitlichen Prozess für die Veräußerung von Kryptowährungen gibt es nicht. Jedes Bundesland ist selbst dafür verantwortlich. In Hessen hat das Land für den Verkauf beschlagnahmter Coins etwa einen Rahmenvertrag mit dem Bankhaus Scheich abgeschlossen. Dieses rechnet mit einer "langfristigen Partnerschaft" – und guten Geschäften.
Aus den USA gibt es regelmäßig Schreckensgeschichten, wo unter dem Deckmantel des „asset forfeiture“ legalisierter Diebstahl betrieben wird. Das betrifft dort jede Menge Personen, die gar keine Anklage ereilt (da der Prozess gegen das Eigentum geführt wird). Es bleibt zu hoffen, dass hierzulande die Hürden hoch genug gesetzt sind, dass die Pfändungen nur „die Richtigen“ treffen.
Die Gefahr einer Fehlsteuerung der Sicherheitsbehörden, die in den USA aus der „Asset Forfeiture“ – Thematik entstanden ist, besteht allerdings auch hier. Ganz konkret etwa im Bereich Clankriminalität.
In den USA darf dürfen die Behörden, die das Eigentum beschlagnahmen, die Gewinne daraus behalten und AUSSERHALB DER BUDGETREGELN ausgeben. Also für „zivile“ Polizeiautos, „Entertainment“, Büroeinrichtung, die eigentlich nicht zulässig wäre. Da sind die Beamten hochmotiviert, möglichst umfangreich zu beschlagnahmen.
Das zweite Problem ist, dass bei Asset forfeiture der übliche Papierkram entfällt, insbesondere das Problem, Beweise zu finden, die auch vor Gericht Bestand haben.
Wenn man stattdessen – wie beim Bespiel Encrochet – einfach Überwachungsdaten nutzen kann, um einen „hinreichenden Verdacht“ zu krimineller Aktivitäten zu konstruieren, die Beschlagnahmen rechtfertigt: Dann kann man sich die ganze Beweissammlung sparen, jedenfalls, wenn man sich damit zufrieden gibt, das Vermögen der Kriminellen zu beschlagnahmen und die dann laufen zu lassen.
Strafverfolgung ist das wohl nicht mehr. Aber der Aufwand ist minimal und der Mehrwert – für die beteiligten Behörden jedenfalls – astronomisch.
Schöne neue Welt.
Korrigier mich, aber in D gibt es keine Asset Forfeiture nach US-Art, und ich weiß auch nicht wie du darauf kommst dass es dazu kommen könnte.
In den USA wird im Asset Forfeiture-Verfahren ein Verfahren Staat vs. Objekt geführt. Es wird ggf. überhaupt keine Anklage gegen den Besitzer eröffnet. Der „erleichterte“ Mitbürger muss dann in einem weiteren Verfahren das vorhergegangene Verfahren anfechten.
In D gibt es mit §76a StPO lediglich die Möglichkeit, in einem nicht aufklärbaren Sachverhalt, der von StA und Gericht bearbeitet wurde, trotzdem noch Vermögen abzuschöpfen. Ich habe eine schönes Beispiel gefunden, wo die StA dies versucht hat, aber nicht damit durch kam: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Pdf/Y-300-Z-BECKRS-B-2021-N-6531?all=False
Unser Gesetz bezieht sich also relativ explizit auf Fälle wo man zB bei einer mutmaßlichen Tätergruppierung nicht schafft, einen konkreten Täter ausfindig zu machen.
Und es gibt bei uns keine offensichtlichen Anreize, Abschöpfung ohne erfolgreiches Strafverfahren durchzuführen. Es dürfte für den StA stets der größtmögliche Erfolg sein, ein möglichst hartes Urteil zu erwirken. Die Abschöpfung bei gescheitertem Verfahren scheint mir eher eine Krücke, um sich nicht vollends zu blamieren und delegitimieren.
Die Anklage gegen das Objekt erfolgt bei „civil asset forfeiture“. Die Pfändung in diesem Fall gleicht eher der „criminal asset forfeiture“, wo das Einziehen des Vermögens Teil des Prozesses gegen eine Person ist, die kriminelle Taten begangen hat. Das Vermögen muss bei Freispruch zurückgegeben werden. Criminal asset forfeiture bringt gesetzwidrig gewonnenes Vermögen zurück in die Gesellschaft (zumindest vordergründig, am Ende versackt das Vermögen gar in einem Panzer, der gegen protestierende Gesellschaftsteile eingesetzt wird. [Ersetze Panzer zur Not mit beliebigem Neusprech-Begriff]). Von daher ist die Pfändung in diesem Fall, inkl. „drei im Juli verurteilten Rauschgifthändlern“ (Zitat DerStandard) keine schlechte Sache.
> Korrigier mich, aber in D gibt es keine Asset Forfeiture nach US-Art, und ich weiß auch nicht wie du darauf kommst dass es dazu kommen könnte.
Mein originaler Kommentar versuchte die Hoffnung auszudrücken, dass die verruchte „civil asset forfeiture“ in D keinen Fuß in die Tür bekommt.
Sofort umtauschen in Euro. Hier besteht das Risiko das sich daran Broker, Ämter bereichern und Verluste dem Steuerzahler auslasten. Mit Euro passiert nichts.
Das Geld sollte die Behörde verstärken die es kassiert hat und nicht in allgemeine Töpfe versickern. Damit würden die Strafverfolgung mit ihrem Nutzen wachsen und schrumpfen.
Zur Verschleierung von Finanzströmen nutzt die rechtsextreme Szene offenbar zunehmend Kryptogeld. Das zeigen Recherchen von Report München. Der Staat tut sich schwer mit der Kontrolle der Zahlungsströme.
https://www.tagesschau.de/investigativ/br-recherche/rechtsextreme-finanzierung-kryptowaehrungen-101.html