„Ihre Handynummer und Vorratsdaten sind bei der Polizei gelandet“ – diese Information haben gestern einige Menschen per SMS bekommen, weil sie in der Vergangenheit in eine Funkzellenabfrage geraten sind. Das Land Berlin hat erstmals solche Benachrichtigungen per SMS verschickt. Damit gibt es endlich konkrete Ergebnisse der jahrelangen Auseinandersetzungen.
Bei einer Funkzellenabfrage fragen Polizei und Justiz bei Mobilfunkbetreibern nach allen Handys, die sich in einem bestimmten Zeitraum in einem bestimmten Gebiet aufgehalten haben. Die Anbieter geben den Ermittlungsbehörden Datensätze mit zehn- oder hunderttausenden Verbindungsdaten, die diese dann rastern und durchsuchen, um Verdächtige zu finden.
Sieben Jahre Streit
Vor zehn Jahren wurde diese Handy-Rasterfahndung durch Fälle in Dresden und Berlin einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Der damalige Berliner Datenschutzbeauftragte bezeichnete die Funkzellenabfrage als Routinemaßnahme, die regelmäßig Gesetze verletzt. Schwere Straftaten, Ultima Ratio, Verhältnismäßigkeit, Prüfpflichten, Löschbestimmungen, Protokollierung – viele der rechtlichen Vorgaben vor und während der Maßnahme wurden nicht eingehalten.
Darüber hinaus müssen Betroffene von Überwachungsmaßnahmen darüber informiert werden. Das fordert das Gesetz, trotzdem wurde diese Benachrichtigungspflicht politisch bekämpft. Polizei, Staatsanwaltschaften und konservative Politiker erfanden jede Menge Ausreden, warum die Benachrichtigung nicht notwendig oder möglich sei. Datenschutzbehörden protestierten heftig: Die Benachrichtigung ist nicht optional und sehr wohl möglich, zum Beispiel per SMS.
In Berlin hat das Abgeordnetenhaus 2014 beschlossen, ein System zur Benachrichtigung per SMS einzuführen. Vier Jahre später ging das Funkzellenabfragen-Transparenz-System an den Start und ermöglichte, sich für eine Benachrichtigung zu registrieren. Jetzt, nochmal drei Jahre später, wurden die ersten Betroffenen informiert.
„Ihre Nummer wurde erfasst“
Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) und der Projektverantwortliche (und Mitblogger) Ulf Buermeyer haben das System gestern präsentiert. Wir veröffentlichen die Folien. Auf einer Pressekonferenz verschickten sie die ersten Benachrichtigungen an die Betroffenen: eine SMS mit Link auf eine Webseite mit Details zum Verfahren und der Funkzellenabfrage.
Rechtliche und organisatorische Hürden
Die technische Basis des Systems ist relativ unspektakulär. Auf fts.berlin.de kann jede:r die eigene Handynummer registrieren. Weil Nummern auf- und weitergegeben werden können, muss man die Registrierung alle drei Monate bestätigen. Wenn die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren mit Funkzellenabfrage abschließt, schickt die Polizei die Daten per verschlüsselter E-Mail an das Transparenz-System. Das FTS prüft, welche Handynummern betroffen sind und versendet die Benachrichtigungen.
Die IT-Infrastruktur des Systems kostete weniger als 50.000 Euro. Es besteht aus virtuellen Linux-Maschinen und zwei SIM-Karten mit SMS-Flatrate. Andere Bundesländer können das Transparenz-System ebenfalls einsetzen, Hamburg und Baden-Württemberg haben bereits angefragt.
Dass es sieben Jahre gedauert hat, bis der Auftrag des Berlin Parlaments vollständig umgesetzt ist, hat vor allem rechtliche und organisatorische Gründe. Während die Senatsverwaltung für Justiz das Projekt antrieb und die Polizei gut kooperierte, bremste vor allem die Generalstaatsanwaltschaft. Auf den letzten Metern wurden rechtliche Bedenken ausgeräumt, im Justizgesetz im Januar und per Verordnung und Dienstanweisung in den letzten Wochen.
Alle 15 Stunden eine Funkzellenabfrage
Jetzt steht das System. Zu tun gibt es genug. Letztes Jahr haben Polizei und Justiz in Berlin in 559 Ermittlungsverfahren 592 Funkzellenabfragen durchgeführt – alle 15 Stunden eine. Hochgerechnet ist jede:r Einwohner:in der Hauptstadt mindestens einmal im Monat betroffen.
In den ersten Funkzellen-Datensätzen, die das System von der Polizei erhielt, waren sechs Nummern aus dem Transparenz-System, diese wurden gestern benachrichtigt. Zu diesem Zeitpunkt waren 3.500 Handynummern im Funkzellenabfragen-Transparenz-System registriert und aktiv, heute sind es bereits 10.000.
Die Projektverantwortlichen sind ansprechbar per E-Mail an support@fza.berlin.
Update: In einer vorherigen Version des Artikels hieß es, dass es letztes Jahr 523 Funkzellenabfragen in insgesamt 547 Ermittlungsverfahren gab. Diese Zahlen hatten wir aus der offiziellen Pressemitteilung. Auf Nachfrage erklärt die Senatsverwaltung für Justiz, dass die Zahlen falsch sind. Wir haben die korrekten Zahlen nachgetragen.
Eine Registrierung ändert nichts daran, ob Deine Nummer bei einer Funkzellenabfrage abgefragt werden darf. Wenn Du Dich registrierst, dann wirst Du informiert, wenn Deine Nummer abgefragt wurde. Es ist ein Instrument, dass Transparenz schafft.
@Markus „dann wirst Du informiert, wenn Deine Nummer abgefragt wurde.“
Das ist nur ein drittel der Wahrheit.
Du wirst nur informiert, wenn zusätzlich:
– alle Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Abfrage abgeschlossen sind
– Du noch im Besitz der Rufnummer bist.
So die Theorie.
Das kann also schon mal Jahre dauern, bis hin zu gar nicht.
Im Übrigen heisst es immer nur „für Berliner:innen“. Gefühlt ist jede:r zweite auf der Strasse NichtBerliner:in.
Was zudem IOAM, piwik und cp.php-Scripte auf der Seite zu suchen haben, erschliesst sich mir nicht.
Das wird für die „Betroffenen“ jetzt so aussehen, als ob die Strafverfolgungsbehörden sie persönlich auf den Kieker hätten; etwa wie beim Stalking. Man selbst kann das weder richtig einschätzen oder gar abstrahieren. Mit der Benachrichtigung wird einem mitgeteilt, dass ein Fremder die eigene Rufnummer besitzt und weiß, wo man sich aufhält.
Bei der schieren Masse der Abfragungen wird das sehr schnell zum Problem.
Auf der Info-Seite steht:
A.M. schrieb „Hochgerechnet ist jede:r Einwohner:in der Hauptstadt mindestens einmal im Monat betroffen.“ Je nach Wohn- und Arbeitsort müssen viele damit rechnen, mehrmals die Woche in dieser Weise angeschrieben zu werden. Ich halte es demokratisch nicht für zielführend, wenn das Schulterzucken ob der Benachrichtigung durch den Gewöhnungseffekt erreicht wird. Da hilft auch die Beruhigungspille der Info-Seite nicht.
Meine Kritik richtet sich nicht an die Benachrichtigung, sondern dass diese Form der Kontrolle für die Masse zur Norm wird. Dann muss man das Handy so oft es geht ausgeschaltet lassen.
Wenn man annimmt, dass das System einmal Deutschlandweit ausgerollt sein wird, muss ich mir also, wenn ich reise immer sicher sein, welches System gerade zuständig ist und mich dort eintragen, damit ich informiert werde. Das ist doch unbrauchbar. Warum muss ich mich überhaupt eintragen, wenn ja meine MSISDN bereits bekannt ist nach der Abfrage, man könnte mir ja bereits eine SMS zuschicken. Und warum wird erst nach Abschluss der Ermittlung informiert? Selbst das erschliesst sich mir nicht.
Kann jemand erklären, weshalb die Vorwahl nur aus der Liste ausgewählt werden kann? Was, wenn ich eine ausländische Habdynummer habe? Dann bin ich doch trotzdem Berliner. Warum darf ich dann nicht teilnehmen?
Moin. Im Moment geht in diesem System eher nichts. Jeder Versuch sich dort anzumelden schlägt fehl. Es gibt keine Bestätigungs-SMS…….
Scheint genau so immer noch der Fall zu sein.
Wollte mich zur Feier des Tages mal registrieren. Egal auf welche Weise: nichts. Totenstille.
Ich erinnere mich auch, dass ich das System in der Frühphase mal ausprobieren wollte und das auch nicht klappte. Das ist zwar längere Zeit her, aber unter Strich bleibt’s dasselbe: das System hat bei mir nie funktioniert.
Schade, Berlin!