KommentarPatente helfen nicht gegen Pandemien

Solange nicht alle Menschen Zugang zu Corona-Impfstoffen und -Medikamenten haben, können sich auch bereits geimpfte Menschen nicht sicher fühlen. Ein Hindernis am Weg zu besserer Versorgung sind Patente. Sie auszusetzen ist aber erst der Anfang. Ein Kommentar.

Bild von Covid-19-Impfstoffampullen
– Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Daniel Schludi

Noch während das Virus sich weltweit ausbreitete, begannen die Anstrengungen auf der Suche nach lebensrettenden Medikamenten. Das Ziel: mit massiven öffentlichen Investitionen in die Forschung die Ausbreitung und den Verlauf der potenziell tödlichen Krankheit aufzuhalten. Doch obwohl die Anstrengungen letztlich von Erfolg gekrönt waren, mussten Millionen Menschen sterben. Sie hatten schlicht keinen Zugang zu Medikamenten.

Diagramm: Zahl der HIV-Toten in Afrika und in den USA im Zeitverlauf
Als in den USA die Zahl der HIV-Toten bereits stark zu sinken begann, stieg die Zahl der Toten in Afrika noch über Jahre weiter an. - Alle Rechte vorbehalten Nkengasong et al. (2020), Nature 586, 197-199

So lässt sich die Geschichte im Kampf gegen HIV/AIDS kurz zusammenfassen. Alleine in Afrika starben schätzungsweise rund 12 Millionen (!) Menschen zwischen 1997 und 2007 an der Immunschwächekrankheit, während die Todeszahlen in reichen Industrieländern abrupt zurückgingen (siehe Abbildung). Mitverantwortlich dafür: der strenge Patentschutz im TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) und die viel zu zögerliche Nutzung von Ausnahmebestimmungen.

Heute können wir beobachten, wie sich die Geschichte im Fall von Covid-19 quasi im Zeitraffer wiederholt. Wieder drohen wir den Wettlauf mit der Zeit zu verlieren und wieder dauert es zu lange, Ausnahmen im TRIPS-Abkommen auszuschöpfen. Denn das TRIPS-Abkommen sieht explizit die Möglichkeit vor, im Notfall Patentschutz auszusetzen. Und wenn die Corona-Pandemie kein Notfall ist, der ein Aussetzen des Patentschutzes rechtfertigt, was dann? 

Bereits im Oktober 2020 forderten Indien und Südafrika, genau das zu tun. Vor allem die reicheren Industriestaaten blockierten einen solchen Verzicht auf die Durchsetzung von Patentrechten während der Pandemie. Besonders bedauerlich ist hier die Position der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Erst als die USA ein Ende der Blockade ihrerseits verkündeten, zeigte sich EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen plötzlich zumindest gesprächsbereit

Pharmafirmen profitieren von der Blockade

Ein erstes Indiz dafür, wer die größten Profiteure des herrschenden Patentregimes in Pandemiezeiten sind, lieferten übrigens die US-Börsen. Unmittelbar nach der Verkündung Bidens, dass die USA dem Aussetzen der Patente zustimmen würden, rasselten die Aktienkurse von Pfizer, Biontech, Novavax und Moderna in den Keller.

Selbst wenn es also jetzt doch noch zu einem Aussetzen des Patentschutzes kommen sollte, wurden seit Oktober über sieben Monate verschwendet, die dringend für den Aufbau von Produktions- und Distributionskapazitäten für Impfstoffe in den Ländern des Globalen Südens benötigt worden wären. Letztlich stellt sich angesichts der enormen öffentlichen Investitionen in die Impfstoffentwicklung die Frage, warum Impfstoffe und Medikamente in Zeiten von Pandemien nicht überhaupt Open Source entwickelt werden?

Bestehende Versuche offener Impfstoffentwicklung, etwa jene der „Open Source Pharma Foundation“ (OSPF) und deren Covid19-Projekt OpenVAX, scheitern an fehlender Finanzierung vor allem der kostenintensiven Phase-3-Studien sowie an Haftungsfragen. Beides sind keine unlösbaren Probleme. Die langen Verzögerungen bei der Nutzung von Ausnahmen im bestehenden TRIPS-Regulierungsregime zeigen aber, dass es sich auch für zukünftige Gesundheitskrisen lohnen dürfte, ab sofort verstärkt in Infrastruktur für grundsätzlich offene Impfstoffentwicklung zu investieren.

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16 Ergänzungen

  1. Leider hat ein Grossteil der deutschen Politik sehr klar gemacht, dass Massen an Toten, Langzeitgeschaedigten und Ruinierten zu Gunsten kurzfristiger Konzern- und Kapitalgewinne in Kauf zu nehmen sind. Zehntausende vor Ort, Millionen weltweit: das sind nur Statistiken, real ist alleine der freundliche Lobbyist, der lockende Beratervertrag und das eigene Konto.

    1. Und die Groko liefert:

      »Der Schutz von geistigem Eigentum ist Quelle von Innovation und muss es auch in Zukunft bleiben«, teilte eine Regierungssprecherin in Berlin mit. Der US-Vorschlag für eine Aufhebung des Patentschutzes für Covid-19 Impfstoffe habe »erhebliche Implikationen für die Impfstoffproduktion insgesamt«. [SpOn]

      Ist natuerlich eine glatte Luege, denn die Forschung wird und wurde voellig zu Recht mit oeffentlichen Mitteln bezahlt. Entspricht ebenso natuerlich der herrschenden Logik: Kosten solidarisieren, Gewinne privatisieren, Opfer ignorieren.

      1. Forschungsausgaben sind nur ein Aspekt – der heute teilweise absurd anmutende Aufwand für die Zulassungsverfahren ein anderer. Wie so oft ist die Wirklichkeit viel komplexer, als es viele gern hätten.

        Klar, klingt natürlich erst mal toll: Patente enteignen, geldgeile Pharmakapitalisten bestrafen! Aber tatsächlich bestraft man damit exakt diejenigen, die gerade den größten Beitrag zur Lösung der Corona-Krise erbringen.

        Kein Staat wird davon abgehalten, ärmeren Ländern Impfdosen zu finanzieren. Das ist der beste Weg, wenn man wirklich und schnell helfen möchte. Die EU hat sich hier – zumindest im Ansatz – vorbildlich verhalten.

        1. Wer liefert den größten Beitrag? Der Dosenstülper?

          Dann machen die Staaten eben die Zulassung selbst.

        2. In einer Pandemiesituation ist die Zulassung sinnvollerweise eine ebenso staatlich unterstuetzte Aufgabe wie die Entwicklung. Man will und braucht gute Ergebnisse, gerne auch innovativ, das darf nicht an fehlenden Invesitionsmitteln oder administrativen Huerden scheitern.

          Solche Huerden halten innovative aber kleine Player aus dem Markt, zu Gunsten der grossen.

  2. Das Ganze ist weit komplizierter als oben geschildert. Wie genannt exisitiert die Notfallklausel in Patentschutzabkommen und eigentlich sollte damit der Patentschutz von dem, der den Notfall erklärt aufgehoben werden können. In der Praxis wird aber die Zustimmung abgewartet, weil niemand gerne von den USA verklagt wird oder schlimmeres.
    Dazu kommt, das die Patente nur beantragt aber noch nicht erteilt sind und die Offenlegungsschriften (~18 Monate in EU) noch gar nicht exisitieren. Das heisst um die Methoden die im Patent beschrieben sind zu nutzen, muß man mit dem Anmelder kooperieren.
    Dann ist es in der Pharmabranche nicht nur üblich den Wirkstoff oder das Medikament zu patentieren (was übrigens eher schwierig ist) sondern Prozessschritte um den Wirkstoff herzustellen.
    Und dann ist der wirklich begrenzende Faktor: Das know-how eine Medikamentenproduktion zu starten oder eine Produktion aufzubauen ist sehr konzentriert an manchen Orten und in sehr wenigen Firmen.

    Wenn du einen zZ zugelassenen Impfstoff für Covid-19 hast, ist das eine Lizenz zum Gelddrucken; trotzdem ist die Produktionsrate bei den Originalherstellern auch nur langsam gestiegen.

    1. Danke für den Kommentar, in dem verlinkten Text zur Frage warum es eigentlich kein Open-Source-Vaccine gibt, beschäftige ich mich genau mit dieser Komplexität.

      In Ergänzung dazu kurz: der beantragte Patent-Waiver bezieht sich aber nicht nur auf Wirkstoff, sondern auch auf Prozesspatente. Und: der Waiver ist trotzdem essenziell, weil potenzielle Alternativproduzenten sonst keine Investitionen in den Aufbau von Produktionskapazitäten finanziert bekommen.

      1. Produktionsstätten reichen allerdings auch kaum für ein halbes Argument hin.

        Hätten wir uns auf die Hersteller verlassen, gäbe es jetzt weltweit etwas fünf Fabrikchen, bei einer bis hier produzierten Gesamtzahl von Dosen, vielleicht so 4711 Stück, jew. zu einem Preis von knappen 12 Mio. Pfundsteilen.

        Da wird doch kaum ein Finger gerührt, ohne massive Staatspuste. Klar gibt es die juristischen Argumente, und mehr als einen Initialaufwand. Wollen wir den Fehler wieder machen?

        Wenn ihr die nächsten 5-25 Jahre ein Auslöschungsszenario weniger haben wollt, müsst ihr weltweit betrachtet mehr Impfstoff von jeder einzelnen vielversprechenden Sorte produzieren können, als ihr verimpfen könnt. Und ihr müsst impfen… vielleicht so innerhalb von ein bis zwei Monaten?

        Alternativ den Atomkrieg beenden (konzeptionell), und die Bunker als hermetische Genpools betreiben, jew. mit 138 * N + M Insassen, falls es noch richtig schiefgeht :).

    2. Nur ist all das kein von der Groko vorgebrachtes Argument, da geht es ausschliesslich um den Schutz von „geistigem Eigentum“. Mit den Standardargument, dass es ohne absurde Profite (nicht nur operational sondern speziell auch an der Boerse) keine „Innovation“ geben wuerde.

      Abgesehen davon ist ein beschraenkter Nutzen kein Gegenargument.

      1. Für dieses Standardargument gibt es übrigens keinerlei Evidenz. Dagegen spricht die gesamte menschliche Geschichte.

        Aber auch bei diesem Thema ist Politik schon lange wissenschaftsleugnend unterwegs, bei Covid19 fällt es nur mehr auf.

  3. Das Extremmodell der kompletten Freistellung für alle halte ich auch für problematisch.

    Also am realistischten finde ich den Verzicht auf alles Mögliche für den Zweck, und zu Gunsten vertrauenswürdiger Institutionen, mit Handelseinschränkung etc. D.h. die eigene Bevölkerung impfen und die von Staaten ohne Kapazitäten ja, handeln nein.

    Kann man noch verkomplizieren mit minimalen Lizenzabgaben und Erlaubnis des Selbstkostenpreises (was dann allerdings wieder zu Konkurrenz führt).

    Es gibt da wohl kein so sehr ausgewogenes Konzept. Insofern dampft sich das aus meiner Sicht auf zwei Varianten ein, und keine läuft ohne Staat:
    1. Staat only. Forschung, Entwicklung, Produktion alles weltweit staatlich. Austausch nur zw. staatlichen Institutionen. Internationales rechtliches Rahmenwerk für Austausch gemäß Zweck. Beschlagnahme bzw. Klau möglich von alles und jedem durch den Staat, aber dem Zweck gemäß und an das Rahmenwerk gebunden.
    2. Staat in Krisensituation als Vermittler, auch wenn nur andere Länder Krisen haben (Epedemien). Dabei ist die staatliche Aufgabe, Geschwindigkeit und Effizienz herzustellen, z.B. auch durch internationales rechtliches Rahmenwerk. Dann folgt eine kurzfristige Vereinbarung zur Nutzung von Technologie, Know How, vielleicht sogar Lieferung +- Verleih von Maschinen und Grundstoffen, sowie Weiterentwicklungserlaubnis bei Rückfluss von Information und Forschungs- und vielleicht sogar weitergehende Nutzung solcher (z.B. Biontech wird weiterentwickelt -> Biontech darf es auf ewig nutzen, vlt. Lizenzrückfluss), sowie Aushandeln von den jew. Staaten angemessenen Lizenzkosten (staatlich kann hier privat unterbieten, wenn keine Einsicht ist, Entschädigung nur bei realen kurzfristigen Kosten), usw. Also fast noch ein bischen mit privat.

    Dann die Diskussion Krebs vs Corona :).

  4. Bei den Aussetzungen der Patente geht es wie beschrieben nur um die Endprodukte ( u.a. Comirnaty von Biontech/Pfizer) und deren Herstellung – hier liegen die Patente in Europa.
    Was hier und in der Politik nicht beleuchtet wurde ist, dass für die Herstellung der mRNA-Impfstoffe Vorprodukte eingekauft werden müssen, wo die Patente in den USA liegen. Über eine Aufhebung der Patente für Lipide u.a. habe ich noch nichts gelesen.
    Quelle (s. auch Kommentare) : https://www.zeit.de/2021/13/corona-impfstoff-eu-export-stopp-usa-astrazeneca-biontech/seite-2

    Zudem würde eine Aufhebung der Patente (vermutlich) das Vertrauen in das deutsche Patentsystem erschüttern. Das die Firmen an dem Verdienen an dem sie vorher Jahrzehnte (ohne Gewinn) dran geforscht haben, ist Teil unserer Wirtschaft.

    Ich hoffe Sie sehen das Ihr Artikel zu kurz greift. Eine ausführlichere Analyse der Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen HIV und SARS-CoV-2 wäre sehr interessant, vor allem in wie weit sich ihr gezeigter Fall auf die Covid19 Pandemie adaptieren lässt.

    1. Wobei das auch zeigt, dass sich die Staatengemeinschaft hier nicht auf die Privatwirtschaft verlassen kann. Wenn nur eine Variante von einem Grundstoff oder einem wichtigen Produktionsprozess existiert und die Patente in einer Hand liegen, ist es entweder sehr früh, oder wir haben wieder mal einen unerklärlichen Fall von Marktselbstheilungsverweigerung. Vielleicht ist es auch kein Markt, dann sollte es wohl doch staatliches Terrain werden?

      Ich schätze mal, der Staat wird bei Fördergeldern in Zukunft noch genauer auf die Verwendbarkeit und Bereitstellung von Alternativen achten müssen. Bzgl. Monopolpositionen jeglicher Art muss der Staat markzerstörend vorgehen, steht eigentlich ja auch in der Satzung, hat den Sprung in Gesetzesform aber nur stark verkürzt geschafft.

      1. Das impliziert auch eine Art Versorgungslogik. Ein essentieller Stoff oder Produkt, der nur von einem Hersteller hergestellt werden kann, soll sichergestellt werden, bedingt also auch die Sicherstellung der Grundkomponenten.

        So ein Hersteller kann versuchen sich querzustellen, u.a. Forschung zu behindern oder zumindest selbst offiziell einzustellen, was im Zweifel dann die Liquidierung bedingen würde. Abziehen von Know-How und verstaatlichung, oder zumindest Zuführung zum Wissenschaftsapparat unter Aussetzung von Patenten u.ä.

        Das ist hart und problematisch, aber das ist so wie mit dem Bürger: Ohne Regeln, keine Zivilisation. Dass man das bei Wirtschaft überhaupt noch erwähnen muss…

        1. Also die Think tanks, die sich generell mit der Kartätschung des Bürgers beschäftigen, nehmen da auch nicht zu viele Blätter vor den Mund. Wir erinnern uns an „harte Maßnahmen“, nicht zu vergleichen mit einem einfachen Lockdown, allerdings.

          WIR KÖNNEN HELFEN!

          Ist Glyphosat wieder „in“? Schafft ihr noch 5-25 Jahre mit weniger als 95% Toten? Ab wann lohnt sich ein globaler thermonuklearer Krieg mehr als das Weitermachen?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.