Haben Ministerien eigentlich Lieblingsdatenbanken? Falls ja, wäre das Ausländerzentralregister – auf Bürokratiedeutsch als AZR abgekürzt – sicherlich in den Top 3 des Innenministeriums. Bereits zum dritten Mal innerhalb von fünf Jahren hat das Haus von Horst Seehofer diese Datenbank, in der allerlei persönliche Daten von Nicht-Deutschen lagern, gesetzlich überarbeitet. Nach dem „Datenaustauschverbesserungsgesetz“ und dem „Zweiten Datenaustauschverbesserungsgesetz“ folgte vergangene Woche das „Gesetz zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters“. Das Bundeskabinett beschloss vergangenen Mittwoch den entsprechenden Entwurf.
Das bedeutet: Asylbescheide, Gerichtsentscheidungen zu Verfahren, eingescannte Ausweise und andere Dokumente von in Deutschland lebenden Ausländer:innen sollen künftig an einem Ort zentral gespeichert werden. Sie ergänzen dort einen Pool von Daten, die bereits heute im AZR gespeichert sind, etwa Informationen über den Gesundheitszustand oder biometrische Daten wie Fotos und Fingerabdrücke.
Deutschland als Digitalisierungsvorreiter im Ausländerwesen
In der Begründung zum Gesetz klingt es, als sei der neueste Umbau vor allem ein Service-Plus für Ausländer:innen. Diese müssten künftig nicht mehr mühsam bei verschiedenen Behörden die immer gleichen Angaben machen und Dokumente vorlegen. Auch bei einem Umzug in eine andere Gemeinde und damit zu einer anderen Ausländerbehörde hätten sie weniger Aufwand. „Once-Only“ heißt dieses Prinzip, mit dem Deutschland und die EU-Staaten auch an anderen Stellen den Verwaltungsaufwand für ihre Bürger:innen reduzieren wollen.
Nur handelt es sich in diesem Fall genau genommen gar nicht um Staatsbürger:innen. Und Kritiker:innen bezweifeln, dass es dem Ministerium bei der erneuten Reform des Gesetzes primär um mehr Kundenfreundlichkeit ging. Sie weisen darauf hin, dass das Gesetz vor allem den Interessen der Verwaltung diene, während die Anliegen der Betroffenen kaum berücksichtigt werden.
So klagt der Paritätische Wohlfahrtsverband in seiner Stellungnahme, das „Once-Only-Prinzip“ sei keine Einbahnstraße. Zentral seien auch Punkte wie die Zustimmung der Betroffenen zur Weitergabe von Daten – die sich im aktuellen Entwurf nirgends findet.
Daten hinter dem Rücken der Betroffenen verschieben
Thilo Weichert, Jurist und ehemaliger Datenschutzbeauftragter von Schleswig Holstein, beschäftigt sich seit Jahren mit dem AZR und hält diese Entwicklung für gefährlich. In seiner Stellungnahme zur neuerlichen Reform weist er darauf hin, dass das Gesetz seit seinem Inkrafttreten 40 Mal geändert wurde, der Trend aber nur in eine Richtung ging: Die Behörden dürfen immer mehr, ohne dass Betroffene mehr Rechte bekommen. „Dies hat dazu geführt, dass das AZRG immer stärker in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bzw. in das Grundrecht auf Datenschutz der betroffenen Ausländer sowie in weitere Grundrechte eingreift,“ schreibt Weichert.
Er bezweifelt, dass das Gesetz, wie vom Ministerium erhofft, die Qualität der Daten im legendär schlecht gepflegten AZR verbessern wird, weil Behörden in Zukunft weiter Informationen über die Betroffenen hinter deren Rücken hin- und herschieben können, ohne diese mit einzubinden.
Konkret sieht das Gesetz folgende Änderungen vor: Für alle im Register gespeicherten Personen – also alle aus dem Ausland, die länger als drei Monate im Land leben oder gelebt haben – sollen künftig weitere Merkmale gespeichert werden. Dazu zählen etwa das Geburtsland, der Doktorgrad, die ausländische Personenidentitätsnummer sowie die jetzige und alle bisherigen Anschriften im Bundesgebiet. Je nachdem, ob es sich beispielsweise um Geflüchtete oder Visums-Inhaber:innen handelt kommen zusätzliche Daten dazu, etwa Informationen zur Visumsverlängerung, Angaben zu Arbeitsvermittlung oder zu Integrationskursen.
Technisch werden dazu die Daten, die die Ausländerbehörden bisher dezentral in eigenen Datenbanken gepflegt haben, ins AZR gehievt und die Systeme miteinander synchronisiert. Werden Daten im AZR von einer Behörde geändert oder abgelegt, können künftig alle rund 600 Ausländerbehörden diese Änderungen sehen.
Aber nicht nur sie: Auch Jobcenter, Sozialhilfeträger, Jugendämter, Gesundheitsämter, der Zoll oder Staatsanwaltschaften können inzwischen vereinfacht zugreifen. Vereinfacht heißt: ohne Antrag. Insgesamt sind es laut Bundesverwaltungsamt „14.000 Behörden und Organisationen mit über 100.000 Nutzern“, die das AZR nutzen, darunter auch das Bundeskriminalamt und die Geheimdienste, die das Register für Fahndungen verwenden können – ganz ohne richterlichen Beschluss. „Die Verantwortung für die Zulässigkeit des einzelnen Abrufs trägt die abrufende Stelle“, heißt es dazu im Gesetz.
Asylbescheide könnten ins Herkunftsland gelangen
Heikel an den beschlossenen Änderungen ist die ausländische Personenidentitätsnummer. Der Ansicht sind gleich mehrere der Datenschutzexperten und Verbände, die mit einer Frist von beeindruckenden vier Tagen zum Entwurf befragt wurden. Sie soll eine eindeutige Identifizierung auch bei Namensänderung gewährleisten, etwa für die Sozialbehörden, heißt es in der Begründung zum Gesetz.
Sie erlaubt es den Behörden aber zugleich, auf weitere Daten im Herkunftsland zuzugreifen oder Daten dorthin zu schicken. „Dadurch wird das Risiko massiv erhöht, dass Daten aus dem Ausland am Betroffenen vorbei erhoben oder dorthin übermittelt werden“, schreibt Thilo Weichert. Er verweist auf die Datenschutzregeln der EU, die den Einsatz solcher Nummern nur „unter Wahrung geeigneter Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person“ erlauben. Derartige Schutzvorkehrungen sehe der Entwurf nicht vor. Daher hält er die geplante Regelung für europarechtswidrig.
Das größte Problem bergen aber laut den Verbänden die Asylbescheide, die in Zukunft ebenfalls ins AZR wandern und automatisiert an die Behörden übermittelt werden sollen. In diesen stehen nämlich nicht nur möglicherweise sensible Gesundheitsdaten, sondern auch alle anderen Angaben, die Personen im Asylverfahren gemacht haben. Wurde jemand aufgrund seiner Religion, Weltanschauung, sexuellen Orientierung oder Gewerkschaftstätigkeit im Heimatland verfolgt: im Asylbescheid steht es drin. „Die zentrale Verfügungsmöglichkeit der Daten kann zu einem massiven Schaden und zu einer starken Verunsicherung für die Betroffenen führen“, schreibt Weichert.
Adressen werden zentral gespeichert
Zwar soll die Speicherung dieser Dokumente nur erfolgen, sofern „überwiegende schutzwürdige Interessen des Ausländers dem nicht entgegenstehen“. Jedoch wird aus dem Gesetz nicht klar, wie eine betroffene Person das geltend machen könnte oder wie dies im Einzelfall überprüft werden soll. Der Paritätische Wohlfahrtsverband geht davon aus, dass ein solches Interesse in aller Regel ohnehin besteht. Insbesondere Menschen, die Schutz vor der Verfolgung durch ihren Herkunftsstaat suchten, müssten auf besondere Weise davor geschützt werden, dass ihre Daten in genau diese Staaten gelangen, schreibt der Verband. „Eine Speicherung und automatisierte Weitergabe von Asylbescheiden und Gerichtsentscheidungen muss aus diesem Grund unterbleiben.“
Staaten wie die Türkei waren in der Vergangenheit bereits auf anderen Wegen an persönliche Daten von Regimegegner:innen gelangt, die in Deutschland Asyl beantragt hatten. Damals fürchtete die Bundesregierung, Schutzsuchende könnten bedroht werden.
Auch dass die Adressen von Ausländer:innen künftig direkt im AZR gespeichert werden sollen, kritisieren die Expert:innen als ungerechtfertigt und unnötig. Schließlich speichern schon die kommunalen Meldebehörden die Adressen aller gemeldeten Personen. Möglichkeiten wie eine Auskunftssperre der eigenen Adresse bleiben den zwangsweise im ARZ gespeicherten damit in Zukunft verwehrt. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht darin eine Diskriminierung dieser Personen. „Zumindest erschließt sich aus der Gesetzesbegründung nicht, warum bei dieser Personengruppe eine zentrale Speicherung zwingend erforderlich ist, bei EU-Bürger*innen oder Deutschen aber nicht.“ Bisher galt diese Regelung für Geflüchtete, zukünftig soll sie alle Ausländer:innen treffen, die keinen EU-Pass haben, auch privilegierte Expats aus den USA oder Australien.
Ein Gesetz für die Behörden
Der Gesetzentwurf, der nun zur Abstimmung in den Bundestag geht, ist bereits die dritte Ausweitung des AZR binnen kurzer Zeit.
Erst 2019 hatte die Regierung eine Kennnummer eingeführt, die für Asylbeantragende zusammen mit dem Namen an alle am Asylverfahren beteiligten Behörden weitergegeben werden kann. Geht es um Personen, bei denen eine Abschiebung in Betracht kommt, werden zudem weitere Daten wie Fingerabdrücke gespeichert, um sie eindeutig zu identifizieren. Für viel Aufsehen hatte damals gesorgt, dass auch die Fingerabdrücke von Kindern ab 6 Jahren erfasst werden.
Im Februar 2016 hatte die Regierung das so genannte Kerndatensystem eingeführt. Dadurch konnten wesentlich mehr Daten im AZR gespeichert werden als zuvor, etwa Fingerabdrücke, Impfstatus oder der Name von mitreisenden Kindern und Angehörigen. Gleichzeitig können Tausende Behörden seitdem direkt auf für sie relevante Daten zugreifen, die sie bis dahin nur auf Antrag bekommen haben. Dazu gehören neben den Asylbehörden auch Jobcenter, Arbeitsagenturen oder Jugendämter.
Schon im Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung angekündigt, worum es ihr eigentlich geht: Sie will das Ausländerzentralregister, eine der größten Datenbanken der deutschen Verwaltung, weiter „ertüchtigen, um belastbarere Auskünfte erhalten zu können, allen relevanten Behörden unkomplizierten Zugriff zu ermöglichen und es auch zur besseren Steuerung der Rückführung und freiwilligen Ausreise einsetzen zu können“. Sprich: schnellere Asylverfahren und effizientere Abschiebungen.
Die neueste Überarbeitung des Gesetzes bleibt diesem Geist treu. Für Behörden wird es künftig noch leichter sein, Ausländer:innen in Deutschland zu durchleuchten. Ob das auch im Interesse der Betroffenen ist? Für die Bundesregierung war das eher zweitrangig. Das wurde schon im Verfahren deutlich: Für die Stellungnahmen der Migrationsverbände zum Gesetzentwurf hatte sie Anfang Februar vier Tage Zeit eingeräumt. Für 117 Seiten Text.
ich verstehe ehrlich gesagt das Problem nicht.
AFAIK sind schon jetzt alle Einwohner der Bundesrepublik Deutschland mit ihren Wohnadressen zentral in der Datenbank des Rundfunkbeitragsservices gespeichtert, dabei werden auch Daten wie der Bezug von Arbeitslosengeld II oder körperliche Beeinträchtigungen gespeichert.
Und der Beitragsservice ist noch nicht einmal eine Behörde sondern eine nicht rechtsfähige Verwaltungsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
Wenn sowas nötig ist um die Verwaltung der Rundfunkbeiträge schneller, einfacher und gerechter zu machen warum dieses bewerte Prinzip nicht auf die Ausländerregister anwenden?
Die Behörden sind seid Jahren nicht in der Lage (oder willens) rassistisch motivierte Todesdrohungen des NSU 2.0, die über Abfragen an Polizeicomputern möglich wurden, aufzuklären. Allein aus Wahlverhalten ist bekannt, dass über 10% der Bevölkerung Anhänger offen rassistisch geprägter Parteien sind und diese sich gerade unter Sicherheitsbehörden großer Beliebtheit erfreuen. Somit geht von solch einem Register tödliche Gefahr für die Betroffenen aus. Dies ist unerträglich vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, wo von Sicherheitsbehörden schon mal Millionen Menschen ermordet wurden – aus rassistischen Motiven!