Auf der Welt passiert gerade gefühlt wieder sehr viel, ob netzpolitisch oder nicht. Auch wenn politische und gesellschaftliche Ereignisse immer komplex sind und die Welt immer chaotisch, hilft es manchmal, darüber zu schreiben. Die Ereignisse hoffentlich begreiflich und einfacher darzustellen, als sie eigentlich sind. Das schafft innere Ordnung und bildet weiter.
Unsere Themen der Woche sind deshalb wie gewohnt breit angelegt. Wir haben uns wieder mal kritisch mit der Polizei beschäftigt. Die Corona-Pandemie beeinflusst weiterhin unsere Berichterstattung – jetzt sogar in einer groß angelegten Recherche. Und natürlich haben wir auch die digitalen Konzerne und die EU-Gesetzgebung nicht aus den Augen gelassen.
Immer mehr Befugnisse für die Polizei
Wenn es nach Plänen der EU-Kommission geht, sollen Polizeibehörden zu Ermittlungszwecken europaweit bald leichter auf persönliche Daten von Nutzer:innen zugreifen können. Die sogenannte E-Evidence-Verordnung sieht vor, dass Internetunternehmen wie Facebook Daten an jede Strafverfolgungsbehörde in der EU herausgeben müssen. Chloé Berthélémy vom NGO-Dachverband European Digital Rights erklärt in einem Gastbeitrag, warum diese Pläne Bürgerrechte verletzen und zu Missbrauch verleiten können, und was sie zum Beispiel für friedliche Proteste bedeuten würden.
Die österreichische Polizei setzt neuerdings Gesichtserkennung bei ihren Ermittlungen ein. In dieser Woche wurde bekannt, dass sie den Lichtbildvergleich auch bei politischen Versammlungen nutzt. So zum Beispiel bei Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremen und linken Aktivist:innen in Wien im Sommer. Es war einer der ersten Einsätze der Gesichtserkennung durch die österreichische Polizei, die Technologie stammt übrigens aus Dresden.
Mehrere europäische Polizeibehörden entwickeln derweil ein neues System, um Informationen in Echtzeit untereinander auszutauschen. Das System ist für Ermittlungen in Fällen von Großereignissen und Terroranschlägen gedacht und nennt sich Quick Response for Operational Centers (QROC). Jeder EU-Mitgliedsstaat soll dafür eine Kontaktstelle benennen, die Einsatzzentren tauschen dann unter anderem Video- und Drohnenaufnahmen untereinander aus.
Corona lässt nicht locker
Die Corona-Apps mehrerer europäischer Länder können seit dieser Woche Infektionsmeldungen und Kontaktinformationen untereinander austauschen. Die EU-Kommission hat zunächst einen Testlauf mit ausgewählten Ländern, darunter Deutschland und Italien, gestartet. Im Oktober soll der Regelbetrieb starten. Bislang waren die Corona-Apps der verschiedenen Länder nicht miteinander kompatibel.
In einer groß angelegten Recherche haben sich Daniel Laufer und Markus Reuter in die Finanzierung der Anti-Corona-Bewegung eingewühlt. Ihre Funktionäre werben um Spenden und sammeln bei zahlreichen Organisationen viel Geld ein. Teilweise handelt es sich um sechsstellige Beträge, bei einer mutmaßlichen Briefkastenfirma im Ausland sollen nach sogar Millionenbeträge gesammelt werden. Wer diese Geldsummen verwaltet und was damit wirklich geschieht, ist nach unseren Recherchen völlig intransparent.
Die Pandemie ist in alle Lebensbereiche vorgedrungen und hat viele notwendige Einschränkungen mit sich gebracht. So auch für Gefangene, die über Monate kaum noch Besuch empfangen konnten. Hamburg hat ihnen als einziges Bundesland Handys zur Verfügung gestellt, damit sie den Kontakt zu Angehörigen halten können. Jetzt will die Justiz die Geräte einziehen, weil Besuche wieder möglich sind. Nicht nur die Gefangenen finden das falsch.
Chinas Macht im Westen
Der Bieterstreit um das US-Geschäft von TikTok hat noch kein Ende: Anfang der Woche wurde bekannt, dass sich das Software-Unternehmen Oracle gegen die Favoriten Microsoft und Walmart durchgesetzt hat. TikTok will allerdings weiterhin nicht verkaufen. Das Unternehmen schlägt der Trump-Regierung einen Kompromiss vor, in dem Mutterkonzern ByteDance die App halten und Oracle als „Technologie-Partner“ aus dem Deal hervorgeht. Oracle soll damit die Hoheit über die Daten der US-amerikanischen Nutzer:innen erhalten. Wie das Ganze technisch funktionieren soll, ist bislang nicht geklärt.
ByteDance will nun offenbar den Hauptsitz von TikTok in die USA verlegen, wie wenige Tage später bekannt wurde. Das weltweite Geschäft soll von dort aus weitergeführt werden. Dafür soll der Mutterkonzern die Mehrheit der Anteile an TikTok behalten dürfen. Oracle wird laut diesen Plänen die Verwaltung aller TikTok-Daten weltweit übernehmen. ByteDance könnte sich damit Donald Trumps Forderungen nach einem Verkauf entziehen und TikTok trotzdem weiter in den USA anbieten. Doch Trump sperrt jetzt erstmal TikTok und WeChat in den amerikanischen Appstores. Die Soap geht weiter.
Die chinesische Regierung mischt nicht nur gern in Konzerngeschäften mit. Sie bemüht sich auch um einen positiven Ruf Chinas im Ausland, trotz Massenüberwachung und Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land. Jetzt findet sich in drei deutschen Thalia-Filialen ein ungewöhnlich breites Sortiment an chinesischer Literatur – zusammengestellt von einem regierungstreuen Verlag. Das sorgt online und offline für Irritationen.
Grundrechte und Datenschutz im Netz
Der europäische Gerichtshof hat erstmals ein Urteil zur Netzneutralität gesprochen. Demnach dürfen Provider den Zugang zu Internet-Diensten nicht selektiv drosseln, wenn Nutzer:innen ihr Datenvolumen verbraucht haben. Die Provider dürfen gemäß der Verordnung zur Netzneutralität nicht einzelne Internetangebote bevorzugt behandeln. In dem vorliegenden Fall hatte ein ungarischer Provider geklagt. Er hatte Nutzer:innen mit aufgebrauchtem Datenvolumen nur den Zugriff auf Whatsapp, Instagram und Spotify ungedrosselt ermöglicht.
Deutschlands Behörden haben indes ein Faible für Microsoft 365-Produkte wie Word, Excel oder Teams. Datenschützer:innen von Bund und Ländern fanden jedoch heraus, dass die Software nicht datenschutzkonform eingesetzt wird. Das Problem ist auch auf EU-Ebene bekannt. Die Behörden räumen dem Konzern zu viele Befugnisse beim Umgang mit Daten ein.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bezeichnet das geplante Gesetz gegen Hasskriminalität im Netz in einem Gutachten als verfassungswidrig. Das Gesetz ist eine Erweiterung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG). Die Gutachter:innen werten Teile des Hasskriminalität-Gesetzes als unverhältnismäßig, weil Eingriffsschwellen für das Bundeskriminalamt und Telekommunikationsdienstleister fehlen.
Und sonst so?
Constanze Kurz hat mit einem ehemaligen Crew-Mitglied des Rettungsschiff Iuventa gesprochen. Die Seenotretter:innen machen aktuell auf einer Website auf die Ermittlungen der italienischen Justiz gegen sie aufmerksam. Der Vorwurf: Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Den Crew-Mitgliedern drohen bis zu 20 Jahre Haft, dafür dass sie Menschenleben gerettet haben.
Google und Facebook haben sich lange mit einer offenen internen Debattenkultur gerühmt. Jetzt gehen die Konzerne zeitgleich dagegen vor, indem sie ihre internen Diskussionsforen stärker moderieren und politische Themen in Nischen verbannen wollen. Ein Großteil der Belegschaft arbeitet derzeit aus dem Homeoffice, Diskussionen finden vor allem online statt. Die Firmen begründen ihre Schritte mit einer gestiegenen Zahl an diskriminierenden Äußerungen im Zusammenhang mit der Black Lives Matter-Bewegung und dem Konflikt zwischen Hongkong und China.
Wir wünschen euch ein schönes Wochenende!
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