Wir starten ins Ende einer Woche mit einem erneuten Urteil über die Vorratsdatenspeicherung des EuGH und wieder aufflammenden Diskussionen über Uploadfilter. Klassiker der Netzpolitik. Genau so habe ich mir das vorgestellt, als ich mich vor einer Weile als Praktikant in der Redaktion beworben habe. Ich freue mich, an Bord zu sein. Hallo, freut mich, ich bin Leonard.
Unter den netzpolitik.org-Praktis steht also nächste Woche eine Staffelübergabe an. Bevor sie sich verabschieden, waren Jana und Charlotte nochmal zu Gast im Netzpolitik-Podcast NPP für eine „Prakti-Special Edition 2020“. Sie sprechen mit Ingo über ihre Recherchen während des Praktikums, wie sie ihre journalistische Ausbildung mit den Werten von netzpolitik.org verbinden und Ingo versucht noch ein wenig Kritik aus ihnen herauszukitzeln. Hört selbst.
Keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Europa
Anfang der Woche fällte der Europäische Gerichtshof ein mit Spannung erwartetes Urteil zur Vorratsdatenspeicherung. Demnach ist die allgemeine, massenhafte Speicherung von Kommunikations- und Standortdaten nicht mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar. In Ländern wie Großbritannien oder Frankreich wurden Telekommunikationsdaten bislang im großen Stil ohne konkreten Anlass für Ermittlungszwecke gespeichert. Das untersagte der EuGH nun, macht aber eine Hintertür auf: Ist die nationale Sicherheit eines Mitgliedstaates ernsthaft bedroht, kann die massenhafte Datensammlung für einen begrenzten Zeitraum zulässig sein.
Das Urteil ist nicht unumstritten. Die Menschenrechtsorganisation Privacy International hat Antworten auf die wichtigsten Fragen dazu veröffentlicht, die wir für euch übersetzt haben. In dem Q&A ordnet Privacy International auch ein, um welche Daten es überhaupt geht, warum diese etwas mit unserer Privatsphäre zu tun haben und welche Auswirkungen die Entscheidung des EuGH auf die Rechtslage in Deutschland haben könnte.
Trotz des neuen Urteils ist zu erwarten, dass die EU-Mitgliedsstaaten die Vorratsdatenspeicherung weiter am Leben erhalten wollen. Ein Bericht der NGO European Digital Rights (EDRi) zeigt, warum das keine gute Idee ist. Bei uns ist die umfassende Analyse zur Unvereinbarkeit der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung mit europäischem Recht und den früheren Urteilen des EuGH übersetzt als Gastbeitrag erschienen.
Auch in Frankreich war die Vorratsdatenspeicherung aktuell Thema: Die Polizei nahm in Grenoble mindestens fünf Café- und Barbesitzer fest, weil diese die Daten der Gäste, die ihr WLAN nutzten, nicht speicherten. Ein 14 Jahre altes Anti-Terror-Gesetz setzt jedoch alle Personen, die der Öffentlichkeit ein WLAN-Netzwerk zur Verfügung stellen, mit Telekommunikationsanbietern gleich und verpflichtet sie, Kommunikationsdaten ein Jahr lang aufzubewahren. Laut EuGH-Urteil dürfte auch dieses Gesetz nun endgültig überholt sein.
Die vielen Wege, die zu Uploadfiltern führen
Mit dem Digital Services Act (DSA) geht die EU-Kommission derzeit an die grundlegende Substanz der Internetregulierung ran: Wann haften Betreiber für Inhalte von Nutzer:innen? Soll die Mitmachkultur im Netz durch Uploadfilter laufen? Eine EU-Studie bewertet nun den aktuellen Stand der Debatte und die Frage, unter welchen Umständen Uploadfilter sinnvoll sein könnten.
Nach der Verabschiedung der EU-Urheberrechtsrichtlinie war man bemüht zu betonen, dass die Reform in Deutschland ohne die umstrittenen Uploadfilter auskommen würde. Nun werden sie wohl doch kommen. Das geht aus dem aktuellen Referentenentwurf hervor, den wir veröffentlichen. Arne Semsrott kommentiert ihn als Erfolg für die Presseverlage, die Druck für eine harte Auslegung der EU-Richtlinie machen.
Ob ein:e Klickworker:in Moderationsentscheidungen trifft oder ein Algorithmus, macht wohl keinen Unterschied. Oft wirkt es einfach willkürlich, wenn legale Inhalte wegmoderiert werden. Von YouTube gelöscht wurden zum Beispiel Videos der NGO „Women on Waves“, die Schwangerschaftsabbrüche in internationalen Gewässern vornimmt. Was den Betroffenen fehlt, ist ein Weg zum Einspruch und die Chance zur Verteidigung gegenüber den Löschorgien. Solch ein Recht will die Kampagne „my content, my rights“ der europäischen Grünen nun im Digital Services Act verankern.
Im Inland brodelt es derweil auch: Bundespräsident Steinmeier verweigert der GroKo seine Unterschrift. Das Gesetzespaket zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität, das bereits beim Bundespräsidenten lag, sei möglicherweise grundgesetzwidrig. Dabei geht er selbst einen Weg, der nicht im Grundgesetz vorgesehen ist. Anstatt das Gesetz mit der fragwürdigen Überwachung von Social-Media-Inhalten scheitern zu lassen, lässt er die Bundesregierung nacharbeiten.
Überwachung Made in Germany
In Ägypten werden aktuell Menschenrechtsgruppen mit dem Staatstrojaner FinSpy angegriffen, hergestellt wird er von der Firma FinFisher aus München. Dokumente aus der ägyptischen Staatssicherheit zeigen, dass die Überwachungssoftware schon 2011 gegen die Zivilgesellschaft eingesetzt wurde. Dazu gibt’s den Amnesty-Bericht über FinSpy als Übersetzung zu lesen.
Das Lieferkettengesetz hat eine erhebliche netzpolitische Dimension. Es soll auch deutsche Hersteller von Überwachungssoftware verpflichten, die Einhaltung von Menschenrechten zu achten. Amnesty klagt an, dass Deutschland einer der fünf größten Exporteure dieser Produkte ist, die Staaten einsetzen können, um die eigene Bevölkerung zu unterdrücken. Derzeit stockt das geplante Gesetz in der Abstimmung zwischen den Ministerien. Das Bundeswirtschaftsministerium vertrete Positionen, die Überwachungshersteller wie FinFisher aus der Verantwortung entlassen würden, kritisiert unsere Gastautorin Maren Leifker von Brot für die Welt.
Fragwürdige Datenabfragen bei den Polizeien
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer pflegt einen fragwürdigen Umgang mit Geflüchteten in seiner Stadt und kooperierte dafür bislang mit der Polizei: In einer Liste ließ er Daten über asylsuchende Personen sammeln, von denen vermeintlich eine Gefahr ausging. Die Liste ging auf polizeiliche Informationen zurück. Diese Praxis untersagte nun der Landesdatenschutzbeauftragte Baden-Württembergs, Stefan Brink: Der Datenaustausch sei rechtswidrig und ohne Rechtsgrundlage.
Nicht nur Beamt:innen der Landespolizeien fragen private Informationen aus Datenbanken ab. Es gibt auch Fälle bei Bundespolizei und Bundeskriminalamt, wie jetzt bekannt wurden. Als Grund gaben die Beamt:innen zum Beispiel „private Interessen“ an. Kontrollen von Datenabrufen finden bei Bundespolizei und BKA entweder gar nicht oder äußerst selten statt.
Die US-Präsidentschaftswahl wirft ihre Schatten voraus
In 25 Tagen wird in den USA ein Präsident gewählt. Sollte Trump verlieren, ist ein friedlicher Machtwechsel nicht selbstverständlich. Facebook und die Unternehmenstochter Instagram bereiten sich nun offenbar auf chaotische Tage nach dem Wahltag vor. Sie verbieten politische Werbung in der Woche vor der Wahl und auf unbestimmte Zeit danach.
Zugleich zieht Facebook die Zügel im Kampf gegen Desinformation und Verschwörungstheorien weiter an und löscht Seiten, Gruppen und Instagram-Konten mit QAnon-Inhalten. Das Verbot begründet Facebook mit der Einschätzung, dass es sich um eine „militarisierte soziale Bewegung“ handele. Anhänger:innen des Superverschwörungsmythos verehren Trump und bekämpfen seine Widersacher womöglich mit Gewalt. Facebook hatte zuvor dieser Bewegungen zu größerer Bekanntheit außerhalb der dunkelsten Ecken des Internets verholfen, auch in Deutschland.
Breaking Big Tech
Big Tech geht’s in den USA langsam an den Kragen. 16 Monate lang untersuchten US-Abgeordnete den Markt der digitalen Plattformen. Ergebnis des Berichts ist, dass nun mit Regulierung für mehr Wettbewerb rund um Google, Amazon, Facebook und Apple gesorgt werden soll. Die Demokraten haben teils drastische Forderungen.
Unter anderem steht dabei auch die Marktdominanz von Amazon in der Kritik. Der Konzern erweist sich erneut als äußerst gewerkschaftsfeindlich. Ein Leak offenbart eine neue Amazon-interne Software, die eine Art datengetriebenes Früherkennungssystem von Gefahrensituationen sein soll. Gewerkschaftliches Organisieren der Beschäftigten zählt aus Sicht des Versandgiganten als solche Gefahr. EU-Abgeordnete klagen die Überwachung von Angestellten in einem Brief an Chef Jeff Bezos an.
Und sonst so?
Die Ukraine rüstet sich mit türkischer Drohnentechnologie zur Kriegsführung. Jetzt wurden Details eines Deals bekannt, diese Angriffsdrohnen in der Ukraine zu fertigen. Die beträchtliche Größe des Auftrags habe den Schritt nahe gelegt. Außerdem soll beim türkischen Rüstungshersteller Baykar ein neues unbemanntes Luftfahrzeug bald in Serie gehen, das für die Langstrecke ausgelegt ist und mit 900 Kilogramm Waffen bestückt werden kann.
App per Rezept, das ist seit einem Jahr laut Gesetz möglich. Etwa bei Panikattacken oder Tinnitus könnten digitale Anwendungen zur Versorgung von Patient:innen beitragen und das Leiden lindern. Zwei solche Gesundheitsapps können jetzt erstmals von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Es gibt aber erheblichen Klärungsbedarf zum Datenschutz, der elektronischen Patientenakte und dem Nachweis der Wirksamkeit dieser Gesundheitsanwendungen. Und die Krankenkassen selbst fürchten, dass wir alle bald für verkappte Lifestyle-Apps bezahlen.
Instagram ist zehn Jahre alt geworden. Nach dieser Dekade zeigen sich die Spuren des Insta-Style längst IRL. Es gibt wenige Orte auf der Welt, die den Einfluss des sozialen Netzwerks besser verdeutlichen als das mexikanische Tulum. Instagrammability ist nicht nur dort ein Wirtschaftsfaktor geworden, der die Tourismusbranche stark verändert. Markus Reuter bleibt die Gratulation während seines Besuchs in dieser Instagram-Hölle unter Palmen im Halse stecken.
Wir wünschen euch ein schönes Wochenende
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