Die gestern angetretene, neue österreichische Regierung läutet einen Paradigmenwechsel ein: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik sind die Grünen an einer Regierung beteiligt. Ein bemerkenswertes Comeback für eine Partei, welche die letzten Jahre außerhalb des Parlaments verbringen musste. Einziger, schwacher Trost war die Tatsache, mit Alexander Van der Bellen den Bundespräsidenten zu stellen, ebenfalls ein Novum in der Zweiten Republik.
Auf eine (hoffentlich) andere Tonalität in der Regierung wird sich die Kanzlerpartei, die ins Türkise umgefärbte Volkspartei (ÖVP) unter Bundeskanzler Sebastian Kurz, einstellen müssen. Zuletzt hatte man sich noch an die rechts-außen Partei FPÖ angeschmiegt und unter anderem akzeptiert, das Innenministerium vom rechten Hetzer Herbert Kickl leiten zu lassen. Doch nach der von der Ibiza-Affäre ausgelösten Selbstdemontage der FPÖ war der bisherige Partner kaum tragbar geworden – und auf das Risiko, eine Koalition mit den auch in Österreich schwächelnden Sozialdemokraten einzugehen, wollte sich die ÖVP offensichtlich nicht einlassen.
Blieben nur die Grünen, die bei der Neuwahl im vergangenen Herbst den Wiedereinzug in den Nationalrat schafften und dabei gleich das beste Ergebnis ihrer Geschichte einfuhren. Ob diese für österreichische Verhältnisse ungewöhnliche Koalition ein Erfolg wird lässt sich selbstverständlich noch nicht beurteilen. Aber das Programm von Türkis-Grün gibt in vielen, wenn auch nicht allen Bereichen Anlass zur Hoffnung.
Querschnittsthema Netzpolitik
Ganze elf Seiten widmet die Koalition dem Bereich „Digitalisierung und Innovation“, darüber hinaus durchzieht das Querschnittsthema Netzpolitik fast das gesamte, über 300 Seiten starke Dokument. So auch in den Bereichen, in denen sich die frischgebackenen Partner jeweils durchgesetzt haben: Der Abschnitt zu „Klimaschutz und Energie“ stellt etwa eine „Technologieoffensive, Digitalisierung und Innovation“ in Aussicht, die Österreich als internationalen Vorreiter im Bereich der erneuerbaren Energie positionieren soll.
Potenziell brisanter für die Koalition als Klimaschutz – immerhin zog sogar die traditionell wirtschaftsfreundliche ÖVP schon vor Jahrzehnten unter dem Motto „ökosoziale Marktwirtschaft“ in Wahlkämpfe, während Umweltschutz generell eine wichtige Rolle in Österreich spielt – dürften die geplanten sicherheitspolitischen Eckpunkte für einigen Streit sorgen.
Präventivhaft für „Gefährder“
Herausstechend ist dabei die neu zu schaffende, sogenannte „Sicherungshaft“. Mit diesem rechtsstaatlich fragwürdigen Instrument sollen „gefährliche Personen“, die aus Sicht der Behörden die öffentliche Sicherheit gefährden würden, ohne Gerichtsverfahren aus dem Verkehr gezogen werden.
Zwar betonen die Koalitionäre im Vertrag, der zusätzliche Hafttatbestand solle verfassungskonform sowie im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Unionsrecht ausgestaltet werden. Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler zeigt sich zumindest rhetorisch skeptisch und schätzte die Sicherungshaft kürzlich als „juristisch sehr schwierig“ ein, zuvor bezeichnete er die Präventivhaft für „Gefährder“ noch als verfassungswidrig und menschenrechtsfeindlich.
Auch der Rest der Sicherheitspolitik trägt klar erkennbar die Handschrift der Volkspartei. So will Türkis-Grün einen neuerlichen Anlauf nehmen und prüfen, den erst im vergangenen Dezember vom Verfassungsgericht gekippten Staatstrojaner wieder einzuführen. Damit soll verschlüsselte Kommunikation gleich an der Quelle abgefangen werden.
„Individualisierungspflicht“ für Mobilfunknutzer
Die Wiedereinführung einer allgemeinen Vorratsdatenspeicherung sieht die Koalition nicht vor, will jedoch Netzbetreiber dazu verpflichten, beim vor allem im Mobilfunkbereich eingesetzten „Carrier-grade NAT“ – eine Technik, die standardmäßig die öffentliche IP-Adresse von einzelnen Nutzern verschleiert – eine „Individualisierungspflicht“ zu schaffen.
Zudem soll es der Polizei erlaubt werden, ohne unabhängige richterliche Überprüfung auf Bestandsdaten, die gegebenenfalls anlassbezogen („Quick Freeze“) angefragt wurden, „unverzüglich“ zugreifen zu dürfen. Ebenfalls im Programm findet sich die akustische Überwachung in Fahrzeugen, die in Österreich bislang nicht erlaubt ist.
Ein größerer Brocken dürfte die angekündigte „umfassende Neuaufstellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT)“ werden. Der Nachrichtendienst steckt seit 2016 in einer tiefen Krise, eine noch von der letzten, über die „Ibiza-Affäre“ gestolperten Regierung ins Leben gerufene BVT-Reformgruppe konnte den Umbau nicht rechtzeitig zu Ende bringen.
Dies soll nun unter der Schirmherrschaft des neuen ÖVP-Innenministers Karl Nehammer erneut versucht werden, schon allein, um das schwer beschädigte Vertrauen „seitens der Bevölkerung und von Partnerdiensten“ wiederherzustellen, heißt es im Vertrag. Organisatorisch soll eine klare strukturelle Trennung in eine „nachrichtendienstliche und eine Staatsschutzkomponente“ einige Probleme beseitigen, genauso wie die in den letzten Jahren aufgezeigten Sicherheitsmängel irgendwann der Vergangenheit angehören sollen.
Ein Cyber Cop an jedem Hop
Bei der normalen Polizei soll es in den kommenden fünf Jahren ganz schön cybern. Das Internet sei kein rechtsfreier Raum, schreiben die Koalitionäre. Deshalb sollen sich IT-Spezialisten zu „Cyber Cops“ ausbilden lassen können, um Cybercrimes zu bekämpfen. Cyberaufgaben im Innenministerium sollen in einer neuen Stelle gebündelt, die Cybersicherheitsstrategie aktualisiert und ein neues, staatliches Cybersicherheitszentrum geschaffen werden.
Die Aufgaben sowie Ansiedlung letzterer Behörde sind nicht ganz klar, an anderer Stelle im Koalitionsvertrag findet sich jedoch eine „Prüfung der Einrichtung einer Kompetenzstelle für IT-Sicherheit, Cybersicherheit sowie Datenschutztechnik“. Diese soll als „Prüf- und Beratungsstelle für die öffentliche Verwaltung, Wirtschaft sowie Bürgerinnen und Bürger“ dienen, was an das deutsche Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik erinnert.
Künstliche Intelligenz und „Justiz 3.0“
Im Justizbereich cybert es zumindest rhetorisch spürbar weniger, dafür wird dort der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) großgeschrieben. Herzstück ist die bereits vor Jahren angestoßene Initiative „Justiz 3.0“, die weitergeführt werden soll.
Relativ wenig anrüchig ist hierbei die Ankündigung, innerhalb der nächsten zwei Jahre ein „verpflichtendes digitales Verfahrensmanagement für die gesamte Gerichtsbarkeit“ einzuführen, eine Akteneinsicht samt Informationen zum Verfahrensstand „orts- und zeitunabhängig “ (vermutlich ist das Internet gemeint) zu ermöglichen sowie eine „personenbezogene Übersicht zu Verhandlungsterminen“ samt Terminpräferenzen zur Verfügung zu stellen. Zu erwartende Datenschutzprobleme – unabhängig von potenziellen Sicherheitsproblemen – soll eine mit „ausreichenden Ressourcen“ ausgestattete Datenschutzbehörde sicherstellen.
Kritischer zu beäugen ist der geplante Einsatz von KI, um unter anderem bei automatisierter Literaturrecherche oder Aufbereitung von digitalen Akten zu helfen. Auch Beweismittel sollen mit KI-Unterstützung durchsucht werden, ablaufen soll dies auf einem gemeinsamen System für Staatsanwaltschaften und Polizei. Die Ankündigungen im Koalitionsvertrag gleichen im Großen und Ganzen der bislang öffentlich bekannten Roadmap. Auf Anfrage betont das Justizministerium, dass „KI einzig und allein unterstützend zum Einsatz kommen soll“, das letzte Wort also stets Menschen haben sollen.
AMS-Algorithmus bleibt wohl bestehen
Dies entspricht den noch näher zu bestimmenden „roten Linien in der Anwendung von KI durch den österreichischen Staat“. Jedenfalls sollen Entscheidungen in der Verwaltung, die unmittelbare Auswirkungen auf Menschen haben, maschinell unterstützt, aber nicht durch Maschinen getroffen werden. Je nach genauer Ausgestaltung und Implementierung könnte sich „Justiz 3.0“ zu einem Vorzeigeprojekt entwickeln.
KI könnte, zumindest auf längere Sicht, auch beim umstrittenen „AMS-Algorithmus“ eine Rolle spielen. Derzeit noch im Testbetrieb sortiert die Software des Arbeitsmarktservice Arbeitssuchende in unterschiedliche Kategorien, was wiederum Auswirkungen hat, etwa darauf, ob eine bestimmte Person eine Weiterbildung finanziert bekommt oder nicht. Im Koalitionsvertrag heißt es nun, der AMS-Algorithmus werde evaluiert, adaptiert und weiterentwickelt, aber offenbar nicht abgeschafft werden.
Immerhin will sich Österreich dafür einsetzen, Initiativen auf internationaler Ebene zu stärken, um den durch den Einsatz von KI entstehenden Problemen für „Menschenrechte, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie“ etwas entgegenzusetzen – eine Formulierung, die durchaus stärker hätte ausfallen können.
Durchleuchtete Geflüchtete
Geflüchtete hingegen müssten fürchten, künftig noch stärker digital durchleuchtet zu werden. Zwar wolle man von Erfahrungen anderer EU-Mitgliedstaaten lernen, um anschließend eine „Prüfung der Einführung eines Sprachanalysetools ‚voice biometrics‘ zur leichteren Bestimmung des Herkunftslandes“ in Aussicht zu stellen. Unseren Recherchen zufolge ist die Technik jedoch ausgesprochen unzuverlässig und könnte mehr Schaden als Nutzen bringen.
Ebenfalls geplant sind nicht näher spezifizierte „technische Hilfsmittel“, um die EU-Binnengrenze zu überwachen sowie ein automatisierter Datenabgleich mit nationalen und internationalen Datenbanken. Zudem soll ein europaweiter Abgleich biometrischer Daten im Asylverfahren geprüft werden. Gelten soll dies auch für alle, die ein Visum für die Einreise benötigen. In solchen Fällen sollen sämtliche dabei erhobenen biometrischen Merkmale mit den Fahndungsdatenbanken abgeglichen und für mindestens fünf Jahre nach der Ausreise gespeichert werden.
Damit nicht genug soll eine „gesamtheitliche Datenbank über Integrationsmaßnahmen von Drittstaatsangehörigen und Flüchtlingen“ aufgebaut werden. Enthalten soll diese Angaben über „Aufenthaltsstatus, Sozialleistungen, Integrationsfortschritte etc.“, also weite Teile des Lebens von Geflüchteten.
Mehr Transparenz in der Verwaltung – jo dürfens denn des?
Einen großen Sprung nach vorne könnte die neue Regierung bei Informationsfreiheit, Open Data und Transparenz in der Verwaltung schaffen – was freilich dem großen Nachholbedarf geschuldet ist. Erstmals soll es so etwas wie ein Informationsfreiheitsgesetz geben, das Amtsgeheimnis soll abgeschafft und Informationen sollen aktiv veröffentlicht werden. Dazu braucht es jedoch eine Verfassungsmehrheit und somit Stimmen aus der Opposition.
Einfach gesetzlich zu regeln wäre der kostenlose und niederschwellige Zugang zu Informationen von allgemeinem Interesse, „insbesondere Studien, Gutachten, Stellungnahmen, Verträge ab einem festzulegenden Schwellenwert“, nennt der Vertrag einige Beispiele. Geplant ist außerdem ein zentrales Transparenzregister, das Recht auf Zugang zu Informationen, unabhängig von der Form der Speicherung, sowie der Zugang zu alten und neu angelegten Dokumenten. Zudem sollen sämtliche Verordnungen im Rechtsinformationssystem des Bundes öffentlich gemacht werden.
Allerdings sehen die Koalitionäre einige Einschränkungen vor. Das Informationsrecht erlischt, wenn etwa eine behördliche Entscheidung vorbereitet wird oder „sofern ein erheblicher wirtschaftlicher oder finanzieller Schaden einer Gebietskörperschaft oder eines sonstigen Selbstverwaltungskörpers droht“. Zudem können sich Behörden bis zu vier Wochen – und in „begründeten Fällen“ bis zu acht Wochen – Zeit lassen, bis sie die verlangten Informationen herausgeben.
Großbaustelle Digitale Verwaltung
Dem Ausbau der „Digitalen Verwaltung“ widmet der Vertrag gleich mehrere und auffallend viele Seiten. „Alle Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen sollen nach Möglichkeit Amtsgeschäfte digital abwickeln können“, heißt es ambitioniert, ohne dass der Offline-Weg zum Amt wegfallen würde. Ziel ist eine durchgängige digitale Abwicklung sämtlicher Schritte, „von der Einbringung bis zum Bescheid“. Plattformen wie das österreichische Digitale Amt sollen sich zur zentralen Schnittstelle für die Interaktion von Bürgerinnen und Bürgern mit der Verwaltung entwicklen.
Daran sind weitreichende und umfassende Maßnahmen geknüpft, unter anderem die Einführung einer digitalen Identität (E-ID), ein persönliches Bürgerkonto oder der Aufbau einer sicheren elektronischen Zustellung von Behördenkommunikation. Diese Digitalisierung soll in Folge dabei helfen, ein „Once-Only-Prinzip“ bei Verwaltungsverfahren aufzubauen – soll heißen, dass relevante Daten nur ein einziges Mal bereitgestellt werden müssen. Wie beim Bürgerkonto soll das Prinzip der bereichsspezifischen Trennung der Bürgerdaten aufrechterhalten werden.
Ein Digital-Check neuer Gesetze soll dafür sorgen, daraus entstehende Verwaltungsprozesse von Beginn an digital ablaufen zu lassen. Außerdem will die neue Regierung die Verwaltung dazu verpflichten, ausschließlich digital untereinander zu kommunizieren, was letztlich den Digitalisierungsprozess vorantreiben soll.
Intern soll der Bund seine IT-Systeme konsolidieren, das Bundesrechenzentrum (BRZ) zu einem Kompetenzzentrum für Digitalisierung in der Bundesverwaltung ausbauen und ein Konzept für „Green IT“ entwickeln. Ohne einen Zeitrahmen zu nennen soll beispielsweise das BRZ CO2-neutral betrieben werden.
Unterstützung bei der Digitalisierung soll von der aus der vergangenen Legislaturperiode eingeführten Digitalisierungsagentur kommen, die zu einem Kompetenzzentrum ausgebaut werden soll. Sie soll unter anderem als unabhängiger Servicedienstleister dienen sowie E-Government-Anwendungen entwickeln. Angedacht ist auch eine „Ö-Cloud“, die als benutzerfreundliche Ablagefläche firmieren und dabei hohen Datenschutzstandards genügen soll.
Open Data für (fast) alle
Flankiert wird dies von der kommenden Umsetzung der Open-Data-Richtlinie (PSI-Richtlinie). Daten aus öffentlich finanzierten Diensten werden künftig leichter zugänglich, beispielsweise soll die Verkehrsauskunft Österreich als Open Service und Open Data der Öffentlichkeit bereitstehen. Nicht personalisierte Daten des Bundes sollen grundsätzlich dem Prinzip „Open by Default“ unterliegen, zum Budget gehörende Daten sollen in einer maschinenlesbaren Form veröffentlicht werden.
Hat der Bund erst mal eine „Open Data Struktur“ aufgebaut, sollen dort über einen Digital Data Hub „kuratierte, aufbereitete und anonymisierte Daten für gemeinwohlorientierte Forschung und Entwicklung“ zur Verfügung gestellt werden.
Endlich könnte auch vermehrt Open-Source-Software im Bund eingesetzt werden. Zumindest haben sich die Verhandler auf die Erstellung eines Masterplans samt Machbarkeitsstudie geeinigt, um im Folgenden eine entsprechende Strategie auf die Beine zu stellen. Sollte tatsächlich solche Software in der staatlichen IT-Infrastruktur landen, soll sie mit Hilfe von Bug-Bounty-Programmen abgeklopft werden.
Gegen Hass im Netz
Gemischt zu sehen sind die Maßnahmen, die Schutz vor Gewalt und Hass im Netz bieten sollen – hier wird es sehr auf die Details konkreter Gesetze ankommen. Bei bestimmten Fällen von Hasskriminalität soll etwa eine Ermittlungspflicht gelten, eine neu eingesetzte, „ressortübergreifende Task Force“ soll zudem gezielt gegen Hass im Netz im Netz und „andere digitale Kriminalitätsformen“ vorgehen. Dabei helfen soll auch eine Bündelung von Ressourcen bei den Staatsanwaltschaften, die mit „Cyberkriminalität“ in Verbindung stehen.
Darüber hinaus sollen neue rechtliche Instrumente und Möglichkeiten für Opfer von Online-Hetze geschaffen werden, um sich besser zur Wehr setzen zu können. Vorgesehen sind auch neue Abläufe, mit denen Betroffene Sperren gegen Accounts beantragen können, die für „festgestellte rechtswidrige Äußerungen missbraucht“ werden. Längst überfällig ist die Verpflichtung für Betreiber internationaler sozialer Netzwerke, einen Zustellbevollmächtigten zu nennen. Ab welcher Größe des Dienstes dieser Zwang gelten soll bleibt vorläufig offen.
Vorschläge wie diese dürften in die angekündigte EU-weite Reform der Haftungsregeln für Online-Dienste einfließen. Laut Türkis-Grün soll es dabei nicht nur um Hass im Netz gehen, sondern auch um den Schutz vor Desinformation. Gezielt im Blick hat die Koalition dabei große Plattformen, die rechtswidrige Inhalte löschen, wirksame Beschwerdeverfahren einführen sowie klar definierte Verantwortliche benennen sollen.
EU-Urheberrechtsreform könnte spannend werden
Ebenfalls kaum von der EU abkoppeln lassen sich Vorstöße wie der einer Schaffung eines Medienfonds im Rahmen der AVMD-Richtlinie. Zugleich sollen alle medienrelevanten Gesetze geprüft und gegebenenfalls harmonisiert werden.
Die neue Regierung wird auch die im Vorjahr beschlossene EU-Urheberrechtsreform umsetzen müssen – und das könnte durchaus spannend werden. Zwar finden sich einige zu erwartende Zielsetzungen im Vertrag, etwa die Absicht, das „Urheber- und Verwertungsrecht im digitalen Raum [zu] forcieren und [zu] schützen“. Gleichzeitig betont die neue Regierung, bei der nationalen Umsetzung der Urheberrechtsreform den Schutz der Privatsphäre gewährleisten zu wollen, „insbesondere im Zusammenhang mit Überprüfungen nutzergenerierter Inhalte (Upload-Filter)“. Welche Position sich bei dieser Abwägung durchsetzen wird, steht freilich in den Sternen.
Abseits der großen Plattformen soll grundsätzlich der Umgang mit urheberrechtsverletzenden Websites evaluiert werden. So sind beispielsweise Netzsperren in Österreich erlaubt und vorgesehen. Die derzeitige rechtliche Regelung ist jedoch derart schwammig, dass sich im Vorjahr Netzbetreiber sogar selbst angezeigt haben, um auf den untragbaren Zustand aufmerksam zu machen.
Kommt ein „Recht auf Remix“?
Bemerkenswert und positiv ist die Absichtserklärung, eine Art „Recht auf Remix“ einzuführen. Dabei soll der Katalog der Ausnahmen für freie Werknutzung ausgedehnt werden, um rechtssicher Remixes, Sampling oder Collagen zu erlauben. Ob sich dies auf eine rein nicht-kommerzielle Nutzung bezieht oder auch auf für professionelle Künstler gelten soll bleibt derzeit noch unklar.
Ebenfalls positiv könnte die Überarbeitung des Urhebervertragsrechts ausfallen. An mehreren Stellen finden sich Verweise auf eine überfällige Stärkung der Rechte von Urhebern. Unfaire Knebelverträge sollen künftig der Vergangenheit angehören, generell sollen „Verwertungsgesellschaften im Interesse der Künstlerinnen und Künstler sowie anderer Urheberinnen und Urheber“ evaluiert und reformiert werden. Türkis-Grün setzt hier auf mögliche „wirtschaftliche Synergien und Transparenz im Interesse der Urheberinnen und Urheber“. Als weitere Finanzierungsstütze für Künstlern könnte eine Pauschalabgabe dienen.
Erfreulich ist auch die Ankündigung, Kunstschätze vermehrt zu digitalisieren und sie als virtuelle Darstellungen von Sehenswürdigkeiten ins Internet zu stellen. Auch die Digitalisierung von Archiven des Bundes soll geprüft werden.
Kompetenz-Wirrwarr und Sollbruchstellen
Alles in allem handelt es sich um ambitionierte und in einigen Bereichen positive Ziele, insbesondere im Vergleich zur letzten österreichischen Regierung. Allerdings sind die netzpolitischen Themen auf viele unterschiedliche Ministerien verteilt, koordinierend wird bestenfalls die türkise Wirtschaftsministerin und frühere Telekom-Austria-Chefin Margarete Schramböck eingreifen.
Für anhaltendes Stirnrunzeln sorgt auch die Verlagerung des Breitbandausbaus in den Zuständigkeitsbereich von Elisabeth Köstinger (ÖVP). Diese leitet jedoch gar nicht das Infrastrukturministerium – dieses ist bei der Grünen Leonore Gewessler gelandet – kümmert sich in ihrer Funktion als Ministerin für Landwirtschaft, Tourismus, Post und Zivildienst trotzdem auch um Breitband, Post und Telekom.
Unabhängig davon zeichnen sich bereits jetzt potenzielle Sollbruchstellen ab, vor allem im Bereich der Sicherheitspolitik im weiteren Sinne. Einer der Partner wird da und dort umfallen müssen – und dabei hoffentlich nicht die Menschenrechte beschädigen.
Die österreichische Digital-NGO epicenter.works hat ebenfalls eine ausführliche und lesenswerte Analyse veröffentlicht. Zudem hat die NGO den Koalitionsvertrag durchforstet und sämtliche netzpolitisch relevanten Stellen farblich markiert.
Das Forum Informationsfreiheit wiederum ist tief in die Eckpunkte des angekündigten Informationsfreiheitsgesetzes eingestiegen und hat diese einem Realitätscheck unterzogen.
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