Der österreichische Verfassungsgerichtshof verbietet den österreichischen Behörden den Einsatz des Staatstrojaners. Die Polizei dürfe auch nicht in Wohnungen und andere Räumlichkeiten eindringen, um Spähsoftware auf Geräten von Zielpersonen zu installieren, urteilten die Richterinnen und Richter heute in Wien. Das Gericht erklärte große Teile des sogenannten „Überwachungspakets“ für verfassungswidrig.
Österreich hatte die Überwachungsmaßnahmen erst im Vorjahr beschlossen. Sie wurden im Eilverfahren mit den Stimmen der konservativen ÖVP und der Rechtsaußen-Partei FPÖ verabschiedet.
Die Gesetzesänderungen legalisierten den Einsatz von Staatstrojanern, der 2020 hätte beginnen sollen. Die Änderung erlaubten der Polizei auch das Eindringen in Wohnungen, um Spähsoftware auf den Geräten von Zielpersonen zu installieren.
Die Behörden sollten außerdem auf Videokameras von Autobahnen zugreifen dürfen. Große Teile des Autoverkehrs in Österreich wären durch den geplanten Einsatz automatischer Kennzeichen-Scanner kontrollierbar gemacht worden. Die Daten sollten anlasslos zwei Wochen lang gespeichert werden dürfen.
Abgeordnete der Sozialdemokraten und der liberalen NEOS brachten das Gesetzespaket vor den österreichischen Verfassungsgerichtshof. Die Maßnahmen seien unverhältnismäßig, die anlasslose Erhebung von Daten im Straßenverkehr komme etwa einer Vorratsdatenspeicherung gleich, argumentierten die Abgeordneten gegenüber dem Gericht.
Das Gericht schloss sich der Einschätzung an. Die verdeckte automatische Datenerfassung könne etwa „in großen Teilen der Bevölkerung das Gefühl der Überwachung entstehen lassen“ und damit Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit schaden, sagte VfGH-Vizepräsident Christoph Grabenwarter.
Bezüglich des Staatstrojaners berief sich das Gericht auf die Europäische Menschenrechtskonvention, deren Bestimmungen in Österreich im Verfassungsrang stehen. Die verdeckte Überwachung sei nur in engen Grenzen zulässig und müsse die Rechte mitbetroffener Dritter wahren, das sei aber im beschlossenen Gesetz nicht der Fall.
Der NEOS-Abgeordnete Nikolaus Scherak bejubelte das Urteil als „Sieg der Bürgerrechte“. Er hoffe, dass eine neue Regierung „nicht wieder solche verfassungswidrigen Überwachungsfantasien“ habe, sagte Scherak laut einer Pressemitteilung.
Überwachung als Koalitionsthema
Das „Überwachungspaket“ enthält allerdings noch andere strittige Punkte. Die Behörden erhalten Zugriff auf praktisch alle Videokameras im öffentlichen Raum. Anonyme SIM-Karten sind nun verboten. Sogar das Briefgeheimnis wurde aufgeweicht. All das soll der Polizei helfen, Drogenbestellungen aus dem Darknet leichter abfangen zu können. An diesen Maßnahmen ändert sich vorerst nichts.
Der Beschluss des Verfassungsgerichts platzt mitten in laufende Koalitionsgespräche. Die ÖVP will nach dem Scheitern der Koalition mit den Rechten wegen der Ibiza-Affäre erneut eine Regierung bilden, diesmal mit den Grünen.
Das Scheitern der Rechtskoalition bremste bereits Pläne für die Einführung eines digitalen Ausweiszwangs, der inzwischen von allen Parteien mit Ausnahme der ÖVP abgelehnt wird.
Noch dringt aus den Koalitionsgesprächen wenig nach außen. Doch das Wahlprogramm der Grünen wendet sich gegen „jede Form von anlassloser Massenüberwachung“. Das Überwachungspaket müsse dringend evaluiert werden, hieß es im Wahlprogramm.
Eine neue Regierung könnte dem Überwachungspaket die Giftzähne ziehen. Das nun getroffene Urteil bietet einen Anlass, das Paket umfassend zu überprüfen und Eingriffe in die Grundrechte zurückzunehmen.
Wir brauchen endlich Strafvorschriften bei hartnäckigen und/oder offensichtlichen Verstößen gegen Verfassungsnormen. Verfassungsverstöße dürfen kein rechtsfreier Raum sein.
In den deutschen Medien ist diese Nachricht aber noch nicht wirklich angekommen, oder? Zumindest auf den Webseiten der großen Verlage habe davon noch nichts gelesen.
Das ist schade, denn die allgemeinen Begründungen (nicht nur die formal-juristischen) lassen sich auch in Deutschland anwenden.
Deutliche Formulierungen wie „…Einblick in sämtliche, auch höchstpersönliche Lebensbereiche“ , „Rückschlüsse auf die Gedanken, Vorlieben, Neigungen, Orientierungen und Gesinnungen der Anwender“ bzw. „Dies sei nur in äußerst engen Grenzen zum Schutz gewichtiger Rechtsgüter zulässig“ sind natürlich bemerkenswert, gerade wenn sie von einem Verfassungsgericht stammen. Auch sind sie eine Bestätigung mancher Entscheidung des Deutschen Bundesverfassungsgerichtes.
Eine Nachfrage hätte ich noch: Ist in Ö. das Thema Bundestrojaner damit -aller Voraussicht nach- nun endgültig vom Tisch? In manchen österreischichen Medien klingt das so. Oder besteht nicht doch eher die Möglichkeit, dass der Zombie zurückkommt, wenn die genannten „engen Grenzen“ angeblich gewahrt sein würden?
Ich stelle immer öfter fest, dass den deutschen Medien Österreich egal ist. Ein typisches Kleines-Großes-Land-Phänomen. Die Franzosen scheren sich auch nicht, Belgien ernst zu nehmen.
Was Österreich selbst angeht – ich kann mir gut vorstellen, dass die nächste ÖVP-geführte Regierung einen neuen Anlauf für einen Bundestrojaner macht. Wir werden sehen, was deren künftiger Koalitionspartner dazu sagt.
„Endgültig vom Tisch“ ist denke ich erstmal gar nichts, aber doch recht unwahrscheinlich. Eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ gilt als „quasi-ausgeschlossen“ und die Anderen werden das nicht mitmachen. SPÖ sowieso nicht, die haben ja dagegen geklagt. Grüne wohl auch eher nicht, sind sie doch zumindest offziell gegen Massenüberwachung und für Stärkung des Datenschutzes. Und mit denen wird ja gerade exklusiv über eine Koalition verhandelt. Dabei gehen Analysen davon aus, dass ÖVP generell im Nachteil ist bei den Verhandlungen, weil in Zugzwang bei der Regierungsbildung. Theoretisch könnten natürlich ÖVP & FPÖ im Alleingang ohne den Koalitionspartner noch Gesetze beschließen, die dafür ausreichende, einfache Mehrheit haben sie ja nach wie vor. Aber einen weiteren Regierungsbruch kann die ÖVP sich nicht leisten, also eher unwahrscheinlich. Und von der 2/3 Mehrheit für verfassungsrechtliche Änderungen sind sie glücklicherweise wieder ein ganzes Stück weit weg.
Man wird sehen, was am Ende dabei heraus kommt – aktuell sieht es aber so aus, als würde es vorerst besser werden hier…