Digitale LiteraturGefährliche Menschen können die Welt verändern

Lesen muss nicht linear sein, das beweist der Polyplot „Gefährliche Menschen“ von Christiane Hütter und Frank Rieger. Die beiden Autor:innen haben eine Erzählung geschaffen, in der Lesende vor zahlreichen Entscheidungen stehen. Eine Rezension.

Cover von "Gefährliche Menschen"
Gefährliche Menschen ist ein nichtlinearer Roman. Düster, aber mit Hoffnung. – Alle Rechte vorbehalten polyplot

Gerade noch auf der Flucht über Leitern und Schächte, muss Taktuq sich entscheiden: Lieber als Cosplay-Girl oder leicht verstrahlter Raver im Club tanzen oder weiter das Ziel verfolgen? Der Polyplot „Gefährliche Menschen“ von Christiane Hütter und Frank Rieger versetzt die Lesenden in eine nicht ganz so ferne Zukunft, die von Staaten und MegaCorps dominiert ist. In dieser Welt leben auch sogenannte gefährliche Menschen, die zum Problem für das System werden könnten.

Polyplot steht für „mehrere Handlungen“. Dabei konsumieren die Lesenden nicht nur eine Geschichte, sondern sie müssen immer wieder selbst Entscheidungen treffen. Mal verändern die nur Kleinigkeiten, mal den großen Lauf der Dinge. „Wir wollten unterschiedliche Erzählparadigmen zusammenschmeißen und mehr Freiheitsgrade“, sagt die Autorin Christiane Hütter. Sie beschäftigt sich schon länger mit Game Design und Storytelling. „Die Leser:innen überlegen, wo sie hingucken möchten, welche Brille sie tragen möchten“, sagt Hütter.

Der interaktive Erstlingspolyplot ist mehr als ein 1000-Abenteuer-Buch aus Kindertagen. Es geht nicht nur darum, ob man den Protagonisten als nächstes den zugewachsenen Trampelpfad laufen lässt oder ob sich die Hauptfigur am Berg abseilen soll. Die Lesenden müssen sich entscheiden, welche Identität die Hauptfigur Taktuq annehmen soll, nicht nur im Club. Denn am Ende geht es darum, ob das System – der Komplex – weiterbesteht oder ob es eine Alternative geben kann zu allgegenwärtiger Überwachung und Unterdrückung.

Auf der ganzen Skala von Utopie bis Dystopie

Sieben verschiedene Enden gibt es bei „Gefährliche Menschen“. Auf der ganzen Skala von Utopie bis Dystopie, sagt Frank Rieger. Der Sprecher des Chaos Computer Club hat vorher nur Sachbücher geschrieben, aber sagt: „Ich wollte schon immer Science Fiction schreiben, aber normalerweise muss man als Autor ständig Entscheidungen treffen und macht mit jedem Schritt ganze Welten zu. Ich fand es spannend, etwas zu schreiben, das nicht linear ist.“

Durch das digitale Lesen lässt sich noch mehr abbilden als eine dynamische Handlung, frühere Hyperfiction-Werke haben beispielsweise bereits multimediale Inhalte eingebunden. Hütter schweben noch weitere Möglichkeiten für spätere Polyplots vor: „Wir können können den Text immer wieder verändern, wenn er online ist. Wir müssen überlegen, was digitale Literatur allein sein kann. Man könnte beispielsweise die Geschichte auch aufgrund tagesaktueller Informationen anpassen. Wie das Wetter ist zum Beispiel.“

Doch wie schreibt man einen nicht-linearen Roman? „Es ist ein Mittelding zwischen Schreiben und Programmieren“, sagt Rieger. Am Anfang seien die beiden recht linear vorgegangen, es hat sich dann eine Struktur entwickelt, die die Entscheidungen enthält. Hütter vergleicht den Prozess mit dem Bau eines Hauses. „Man fragt sich: Wie soll das Haus gebaut werden? Wo gibt es Shortcuts, Korridore, Türen und schöne, aber nicht so wichtige Aussichten.“

Nach dem Lesen bleibt die Hoffnung, dass „Gefährliche Menschen“ nicht der letzte Polyplot bleibt. Ansatzpunkte für weitere Geschichte gäbe es schon im Erstling selbst genug. Die vielen kleinen Seitenhiebe auf real existierende Gruppen und Ereignisse machen Lust, mehr zu lesen, zu entscheiden – oder die Geschichte selbst weiterzuführen.

„Gefährliche Menschen“ lässt sich auf iOS- oder Android-Geräten lesen und kostet 7,97 Euro. Bezahlt werden kann nicht nur digital, sondern auch über einen toten Briefkasten.

3 Ergänzungen

  1. Alles supi, wenn denn das PolyPlot „geliefert“ werden würde. Echt schade, dass der Shop so unterirdisch funktioniert und sich auch kein Support kümmert.

    1. Der Support kümmert sich schon, aber irgendwie ist das Team schon etwas überfordert.

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