Es liest sich wie ein Who is Who rechtskonservativer US-Medien und Kommentatoren. Fox News, Daily Wire oder Breitbart belegen häufig die Spitzenplätze der beliebtesten Nachrichtenseiten im englischsprachigen Facebook-Universum, zeigen regelmäßig durchgeführte Untersuchungen.
Das ist kein Zufall. Facebook-Chef Mark Zuckerberg verstehe sich zunehmend als politischer Akteur, berichtete kürzlich das Wall Street Journal. In der politischen Situation der jüngeren Vergangenheit bedeutet das in den USA vor allem, nach rechts zu rücken.
Inzwischen soll sich Zuckerberg laut WSJ regelmäßig mit rechten Kommentatoren wie Ben Shapiro austauschen, konservative Aktivisten zum Abendessen einladen und einen direkten WhatsApp-Draht zum Trump-Berater und Schwiegersohn Jared Kushner pflegen.
Wachsende konservative Nutzerschaft
Dahinter steckt die Furcht vor Regulierung. Spätestens seit 2016 werden die Rufe danach immer lauter – ein Gräuel in den Augen vieler Unternehmen aus dem Silicon Valley, die möglichst ungestört ihrem Geschäft nachgehen wollen. Stellt es sich Facebook mit einflussreichen Politikern und deren Umfeld gut, so die Überlegung, könne das Schlimmste schon im Vorfeld unterbunden werden.
Zudem will Zuckerberg die vorgeschobenen Vorwürfe entkräften, allzu „liberal“ zu sein und konservative Stimmen zu unterdrücken, wie es unter anderem Donald Trump behauptet. Dieses Spiel beherrschen die Republikaner meisterhaft und setzen es seit Jahrzehnten gegen Medien ein, ob TV, Radio oder nun soziale Netzwerke.
Geschuldet ist das alles auch der sich wandelnden Nutzerschaft der Plattform. Zwar liegt Facebook weiterhin unangefochten an der Spitze, was Marktanteile und aktive Nutzer:innen in den USA betrifft. Statistiken zufolge nutzen über 200 Millionen Nutzer:innen die Plattform, über zwei Drittel davon besuchen den Dienst täglich.
Doch sie werden zunehmend älter und konservativer. Darauf müsse man Rücksicht nehmen, soll Zuckerberg laut WSJ seinen Mitarbeiter:innen aufgetragen haben, die gegen hetzerische, aber stehen gelassene Postings von Donald Trump protestiert hatten.
Alte Bekannte
Mittlerweile besteht ein guter Teil der Facebook-Führungsriege aus langjährigen Republikanern. Neben dem rechtslibertären Vorstandsmitglied Peter Thiel zählt Joel Kaplan zu den einflussreichsten Managern im Unternehmen. Er leitet das Lobby-Büro in Washington und ist zudem Vizepräsident für Global Public Policy bei Facebook.
Der Jurist ist gut in konservative Netzwerke eingebunden: Zuvor arbeitete er für den Ex-Präsidenten George W. Bush, dem er, gemeinsam mit illustren Gestalten wie den Trump-Vertrauten Roger Stone oder Matt Schlapp, mit fragwürdigen Methoden zum Wahlsieg verholfen hat. Als er sich bei einer Kongress-Anhörung demonstrativ hinter seinen guten Freund stellte, den nunmehrigen US-Höchstrichter Brett Kavanaugh, hat das nicht nur Facebook-intern Tumulte verursacht.
Über die Jahre ist der Einfluss Kaplans dennoch stetig gewachsen. Ihm ist es etwa zu verdanken, dass das reaktionäre Online-Medium The Daily Caller, das es mit der Wahrheit regelmäßig nicht so genau nimmt, zu Faktenchecks auf Facebook herangezogen wird.
Kaplan spielte auch eine entscheidende Rolle dabei, Projekte einzustampfen, mit denen Facebook die Qualität der Plattform verbessern wollte. „Common Ground“ etwa sollte nach den US-Wahlen 2016 den Hass auf Facebook eindämmen, das „Projekt P“ – P für Propaganda – die Flut an Desinformation. Beide Projekte soll Kaplan persönlich abgewürgt haben, weil sie „überproportional Konservative“ getroffen hätten.
Konservative Medien bevorzugt
Nun wurde ein weiterer Eingriff Kaplans bekannt, der in dieses Bild passt und erklärt, warum Facebook inzwischen als Tummelplatz für gefährliche Hetzer gilt. Auch hier sollte die Überarbeitung des News Feeds eigentlich die gesellschaftliche Polarisierung abschwächen – nur, um sie letztlich weiter zu verstärken.
Persönlicher sollte die Auswahl an Beiträgen werden, die Nutzer:innen zu Gesicht bekommen und „Menschen näher zueinander bringen“, verkündete Facebook damals. Postings von Freunden und Familien sollten Priorität haben, Nachrichtenseiten wurden herabgestuft. Schlimm genug: Für Medien, die ihr Geschäftsmodell auf Facebook-Klicks ausgerichtet hatten, war das eine überraschende wie desaströse Entscheidung.
Wie das WSJ jüngst enthüllte, ging Facebook dabei aber vor allem gegen progressive Medien vor, während rechte Postillen vergleichsweise verschont blieben. Zunächst soll in einer ersten Version der veränderte Algorithmus Websites wie das von Ben Shapiro gegründete Daily Wire am stärksten getroffen haben, ein für das Verbreiten von hetzerischer Desinformation bekanntes Medium.
Nach einer Intervention des Policy Teams von Facebook folgte ein neu gewichteter Algorithmus. Wie bestellt traf er linksgerichtete, aber seriöse Medien wie Mother Jones stärker als konservative – und das mehr als ursprünglich geplant, sagten anonyme Quellen dem WSJ. Zuckerberg soll den Plan persönlich abgesegnet haben. Rund eine halbe Million US-Dollar Umsatzverlust habe die Änderung verursacht, sagt die Chefredakteurin von Mother Jones, Clara Jeffery.
Konservatives Nachrichtenökosystem
Eine aktuelle Studie US-amerikanischer Forscher bestätigt den Eindruck, Facebook habe eine rechte, sich selbst verstärkende Empörungsmaschine erschaffen. Im Unterschied zu anderen sozialen Medien wie Reddit sorge die Struktur der Plattform dafür, dass konservative Nutzer:innen im rechten Ökosystem bleiben, selbst wenn sie bei externen Quellen landen – die oft genug Fox News, Daily Caller oder Breitbart heißen.
„In Monaten, in denen typische Konservative Facebook öfter besucht haben als sonst, haben sie Nachrichten konsumiert, die rund 30 Prozent konservativer waren als jene, die sie sonst gelesen haben“, fasst die Washington Post die Studie zusammen.
Jüngere Bemühungen Facebooks, dem sichtbaren Rechtsruck etwas entgegenzusetzen, wirken bloß halbherzig. Ein interner Audit stellte zwar die richtigen Fragen, hinterließ Bürgerrechtler jedoch ratlos zurück. Inzwischen gelöschte QAnon-Gruppen formieren sich unter neuen Namen neu – und erfreuen sich Zustimmung von höchster Stelle im US-Politsystem, die kaum abreißen wird.
Facebook muss sich endlich der Frage stellen, warum es sich auf womöglich gewalttätige Auseinandersetzung nach der US-Wahl vorbereiten muss, wie jüngst durchgesickert ist. Und welche Rolle das Unternehmen dabei gespielt hat, dass es so weit gekommen ist.
Originell finde ich (in diesem Zusammenhang) auch, dass Facebook sich aus „Datenschutzgründen“ dagegen wehrt, dass es eine universitäre Studie gibt, die die (zugesicherte) Markierung politischer Werbung auf Facebook untersucht: https://www.theregister.com/2020/10/27/facebook_nyu_ads/
Jup, echt unglaublich, allerdings auch ein wenig kompliziert, siehe den (etwas anders gelagerten) Fall von Cambridge Analytica. Wir haben das gestern im bits erwähnt.
Wie opportunistisch ist Zuckerberg? Höhlt er das Monster von innen aus? Mit einem anderen Monster? Ist er das Monster?
Sollte man hier die Vorsicht walten lassen, die man bei Trump bereits zu einem früheren Zeitpunkt hätte walten lassen sollen? Und wenn ja, was bedeutet das in diesem Falle?
Man bedenke wie es jew. anfing, und wie die Lage bzgl. Facebook derzeit so ist.