US-PräsidentschaftswahlkampfFacebook erlaubte hunderte Werbeanzeigen mit irreführenden Aussagen über Joe Biden

Mehrere Lobbygruppen haben hunderte Anzeigen mit irreführenden Aussagen geschaltet, kritisiert die NGO Avaaz. Obwohl dies gegen Facebooks Regeln für Wahlwerbung verstößt, sei der Konzern nicht dagegen vorgegangen. Offenbar blieben selbst solche Anzeigen stehen, deren Inhalt von Facebooks Faktenchecks bereits als irreführend erkannt wurde.

Ex Vize-Präsident Biden
Der demokratische Präsidentschaftsbewerber Joe Biden CC-BY-SA 2.0 Gage Skidmore

Facebook setzt nicht mal seine ohnehin schwachen Regeln zur Bekämpfung irreführender politischer Werbung ordentlich durch. Zu diesem Schluss kommt ein noch nicht veröffentlichter Report der Nichtregierungsorganisation Avaaz, über den CNN berichtet. Dem Medium zufolge konnten diverse politische Lobbygruppen, sogenannte Super PACs, hunderte Werbeanzeigen mit falschen oder verzerrten Aussagen an Nutzer:innen in besonders umkämpften US-Staaten wie Florida oder Wisconsin ausspielen.

Unangefochtener Fakenews-Spitzenreiter ist der Untersuchung zufolge die Gruppe „America First Action“. Sie wird von ehemaligen Mitgliedern der Trump-Administration geführt und brachte in Facebook-Anzeigen unter anderem die Falschaussage in Umlauf, dass der demokratische Präsidentschaftsbewerber Joe Biden alle illegalen Einwanderer mit kostenloser Krankenversicherung versorgen wolle. Außerdem würden Bidens Steuerpläne Geringverdiener genau so hart treffen wie Reiche. Diese Aussagen wurden von Faktenprüfer:innen wie factcheck.org, aber auch von CNN selbst, widerlegt.

Der Bericht hebt auch ein demokratisches Super PAC hervor, das durch überzogene Aussagen in der Debatte um die staatliche US-Post und ihre Bedeutung für die Briefwahl aufgefallen sei. Die Gruppe „Stop Republicans“ habe in Facebook-Anzeigen behauptet, der US Postal Service würde bis Ende des Jahres komplett verschwinden, wenn der Kongress nicht mehr Mittel bewillige, um der Behörde durch die Corona-Krise zu helfen. Laut Faktenchecks ist dies eine deutliche Übertreibung, selbst wenn die US-Post zuletzt unter schweres politisches Störfeuer geraten ist.

Vergleichbar sind die Verfehlungen der Gruppen jedoch nur bedingt. Sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zur faktengetreuen Wahlwerbung überträfen die Ausgaben der pro-republikanischen Gruppe für irreführende Anzeigen die der pro-demokratischen Gruppe deutlich, heißt es im Bericht.

Online trotz Faktencheck

Nach dem Cambridge-Analytica-Skandal und der Einmischung der russischen Internet Research Agency im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 diskutieren die USA über Wahlmanipulation durch Online-Werbung. Von den drei für Online-Wahlwerbung besonders relevanten Unternehmen Google, Twitter und Facebook hat letztgenanntes die schwächsten Schutzmaßnahmen ergriffen. Während Google beispielsweise die Nutzung von datengetriebenem Microtargeting für politische Werbung stark einschränkte, verbannte Twitter Wahlwerbung komplett. Facebook kündigte lediglich an, in der Woche vor der Stimmabgabe keine neuen Anzeigen von politischen Akteur:innen mehr anzunehmen.

Auch gegen irreführende Werbung gehen Google und Twitter konsequenter vor. So erlaubt Facebook weiterhin Wahlwerbung mit offensichtlichen Lügen, solange diese von einem Politiker geäußert werden. Deshalb kursieren auf Facebook unter anderem von Donald Trump geschaltete Anzeigen, auf denen Joe Biden mit Bildbearbeitung älter gemacht wurde. Für unterstützende Kampagnenorganisationen wie Super PACs gilt diese Ausnahme jedoch nicht – eigentlich. Denn wie Avaaz jetzt zeigt, hat Facebook hunderte Anzeigen durchgewunken, die im besten Fall als irreführend bezeichnet werden müssen.

Besonders eklatant ist, dass Avaaz zufolge viele Anzeigen darunter sind, die bereits Faktenchecks von Facebooks journalistischen Partnern durchlaufen hatten und von diesen als irreführend eingestuft wurden. Weniger als zehn Prozent der Anzeigen seien daraufhin von Facebook gelöscht worden, den Großteil ließ das Unternehmen stehen. Online blieben selbst Anzeigen, die identisch mit solchen waren, die Facebook aufgrund der Faktenchecks bereits gelöscht hatte.

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3 Ergänzungen

  1. Regelkonsistenz und Korrekturprozesse bei Beachtung des Aufwandes für Benutzer, wie wär’s?

    Alternative? Netzsperre?

      1. Ein kurzer Wurf.

        Die EU könnte von Unternehmen mit großer Reichweite verlangen, einfach(er) nachvollziehbare Regeln anzuwenden, und diese dann auch allgemein konsequent anzuwenden. Ohne verrückte Ausnahmen für verrückte Leute/Akteure, sowie ohne die Benutzer mit Abwimmelmechanismen zu „bedienen“, z.B. bei der Meldung von Inhalten.

        Was dem nicht nachkommt… wird gesperrt o.ä. Natürlich ist das alles komplizierter, aber die Forschungsrichtung gehört zur Vorbereitung einer Demokratie auf die letzten 20 Jahre, finde ich.

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