Was Medienwissenschaftler über die EU-Reform des Urheberrechts sagen

Eine Rundfrage unter Wissenschaftlern ergibt einen klaren Konsens: Artikel 13 führt zu Uploadfiltern – und könnte die Infrastruktur für Zensurmaßnahmen schaffen. Gegen die Reform formiert sich an vielen Orten Widerstand.

Bald wird in der ganzen EU gefiltert: Die Urheberrechtsreform soll Ende März beschlossen werden. CC-BY-SA 2.0 jonolist

Das Science Media Center hat sieben Professoren und Wissenschaftlern aus den Bereichen Medienrecht, Medienwissenschaft, Medieninformatik und Datenwissenschaften Fragen zur EU-Urheberrechtsreform und deren Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit gestellt. Die Antworten der Forscher – leider wurden nur Männer gefragt – sind einmütig. Alle Befragten sind der Ansicht, dass Artikel 13 der Reform zu automatisierter Inhaltskontrolle führen würde, zu verpflichtenden Filtersystemen. Die Wissenschaftler stimmen überein, dass es zumindest möglich wäre, die Filter zur Zensur zu verwenden.

Allerdings warnen sie, den Zensur-Begriff in Zusammenhang mit  Uploadfiltern leichtfertig zu verwenden. Es handle sich um einen politisch aufgeladenen Begriff, sagt der Medienforscher Stephan Dreyer. Da es um private Unternehmen gehe, die Inhalte auf Urheberrechtsverletzungen überprüfen sollen, könne nicht von politisch gewollter Zensur gesprochen werden. Aus rechtswissenschaftlicher Perspektive müsste bei Zensur staatliches Handeln vor einer Veröffentlichung erfolgen, betont Tobias Keber, Professor für Medienrecht.

Verlust an Meinungsfreiheit

Insgesamt, so die Einschätzung von Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der TU Dortmund, bietet Artikel 13 „zunächst keine Rechtsgrundlage, um unerwünschte Meinungen zu filtern“. Auch wenn nicht von staatlicher Zensur gesprochen werden kann, sehen die Experten dennoch die Gefahr, dass es zu einem Verlust an Meinungsvielfalt durch Filtern von Uploads kommen könnte. Artikel 13 könne ein „Haftungsregime“ etablieren, das den Plattformanbietern starke Anreize setzt, im Zweifel für Rechteinhaber:innen und gegen den Nutzer:innen zu entscheiden. Davon geht Stephan Dreyer vom Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg aus.

Diese Einschätzung teilt Gostomzyk von der TU Dortmund: Durch Upload-Filter könnte es zu einem Verlust an Meinungsvielfalt kommen, weil viele Beiträge nicht veröffentlicht würden, etwa bei Zitaten oder Satire. Insgesamt, so resümiert er, biete Artikel 13 ein „hohes Risiko für Kollateralschäden.“

Je mehr Marktmacht die Plattformen besäßen und je automatisierter ihre Verfahren seien, desto näher rückten die Systeme dann in den Bereich von zentralen „Infrastrukturen“. Gerade kleinere Anbieter hätten wohl nicht die Ressourcen, eigene Lösungen zu etablieren; eine Folge könnte sein, dass dann die Verfahren der großen Anbieter von den Kleinen zugekauft werden, sagt Stephan Dreyer. „Am Ende stünde der eine Uploadfilter, der über große Teile unserer öffentlichen Kommunikation entschiede.“

Uploadfilter machen Zensur technisch möglich

Einige Forscher warnen, dass das Filtern von Inhalten über urheberrechtliche Kriterien hinausgehen könnte. Die Filter würden es ermöglichen, die Veröffentlichung von allen möglichen Arten von unliebsamem Audio- oder Videomaterial zu verhindern, sagt der Professor für Medieninformatik, Florian Gallwitz. Die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten arbeiten bereits an einem Gesetz, das das verpflichtenden Filter von „terroristischen Inhalte“ vorschreiben soll. (Wir berichteten.)

Die Wissenschaftler sind sich einig, dass automatisierte Systeme bei derzeitigem Technikstand nicht in der Lage sind, Satire und Parodien zu erkennen. So sagt Tobias Keber: „Dass ein Algorithmus [..] alle erdenklichen Formen und Kontexte in Kritik, Satire oder Zitat erkennen kann, halte ich für absolut ausgeschlossen.“ Auch Gallwitz sieht die Gefahr einer Überfilterung: „Beim Einsatz automatischer Uploadfilter kommt es deshalb bei Zitaten und Parodien unweigerlich zum Overblocking, also der Sperrung von zulässigen Inhalten“.

Proteste gegen die Reform in ganz Europa

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Die Proteste gegen die Urheberrechtsreform gehen weiter. Zuletzt hatten tausende Menschen vor CDU-Zentralen protestiert, die Proteste hatten auch an Schärfe gewonnen. In den kommenden Tagen gibt es nun Demonstrationen in Nürnberg und Bremen. Für den 23. März sind europaweit Demonstrationen angekündigt, zu denen tausende Teilnehmende erwartet werden. Die Abstimmung im Europaparlament wird vermutlich am 26. März stattfinden.

3 Ergänzungen

  1. „Da es um private Unternehmen gehe, die Inhalte auf Urheberrechtsverletzungen überprüfen sollen, könne nicht von politisch gewollter Zensur gesprochen werden. “

    Der Haken ist doch, dass spätestens bei der Nutzung der Filter auch für Terrorinhalte die Datenbanken ebenso von staatlicher Seite „gefüttert“ würden. Da wäre bei der großen Menge von zu blockendem Material ein einfaches, ein paar unliebsame Sachen einzuschmuggeln. Wer außerhalb von Behörden, zB Menschenrechtler, Parlamentarier, … könnte da noch die Übersicht behalten und eine „Filter-Gesamtrechnung“ aufstellen?

    Da fallen mir spontan 2 Fragen ein:
    * Wenn Behörden unrechtmäßig Inhalte sperren/blocken/filtern, nennt man das dann auch Zensur? Oder gibt es schon einen anderen Begriff dafür?
    * Analog zur Überwachungs-Gesamtrechnung, die vom Bundesverfassungsgericht angemahnt wurde: Kann man nicht damit argumentieren, dass auch eine Sperr-Gesamtrechnung aufgemacht werden müsse – und damit hohe Transparenz fordern? (Nicht falsch verstehen: Von mir ein klares Nein zu Filtern. Aber wenn schon Filter, dann wenigstens mit maximalem Aufwand für die Behörden)

  2. Da es um private Unternehmen gehe, die Inhalte auf Urheberrechtsverletzungen überprüfen sollen, könne nicht von politisch gewollter Zensur gesprochen werden.

    Das ist ja wie bei der Katholischen Kirche in den Inquisitionsprozessen damals. Die Kirche selbst hat niemals Ketzer selbst verbrannt, weil sie diese nach den Prozessen nonchalant dem weltlichen Arm übergab und fast immer um Milde bat. Merke: immer schön andere die unangenehme Arbeit machen lassen!

    Der Staat schafft hier enorme Anreize, um zensurähnliche Strukturen von Privatunternehmen einführen zu lassen. Natürlich kann man das Zensur nennen, auch wenn es im ganzen strengen Rechtssinn keine Zensur ist.

  3. Denkt euch irgendeinen Satz aus und tippt ihn bei Google Books ein. Ihr werdet bestimmt
    ein paar Treffer finden. „Everything has been said before, nothing left to say anymore.“ Und selbst
    diese Zeile ist urheberrechtlich geschützt. Das ist doch bescheuert. Es gibt bald keine Phrase,
    auf die nicht wer ein Copyright beansprucht. Zumindest noch keine Patente auf Algorithmen. In den USA kann man sich ja sogar, wenn ich es richtig verstehe, Handlungsabfolgen rechtlich schützen.

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