Videoüberwachung ist in Europa auf dem Vormarsch. In Deutschland soll ein „Videoüberwachungsverbesserungsgesetz“ seit einem Jahr dafür sorgen, dass Ladenbesitzerinnen und Restaurantbetreiber es leichter haben, den öffentlichen Raum zu filmen. An vielen Orten wird mit sogenannter „smarter“ Überwachung experimentiert, bei der Menschen oder deren auffälliges Verhalten automatisch identifiziert werden sollen.
Die europäischen Datenschutzbehörden sehen diesen Trend mit Sorge. In einem Richtlinienpapier [PDF] zeigen sie nun die Grenzen auf, in denen Videoüberwachung nach der Datenschutzgrundverordnung stattfinden darf.
Gleich zu Beginn halten die Behörden fest: Die weitreichende Videoüberwachung in vielen Lebensbereichen führe zu einem steigenden Druck auf das Individuum, jegliches Verhalten zu verbergen, das als nicht normal gesehen werden könnte. Die Technologie schränke sowohl die Möglichkeiten der anonymen Fortbewegung als auch die der anonymen Nutzung von Diensten ein. „Die Datenschutzfolgen sind massiv“. Eine große Gefahr liege darin, dass Individuen zwar mit der Aufzeichnung ihres Verhaltens für einen ganz konkreten und begrenzten Zweck einverstanden sein könnten, die Aufnahmen dann aber unbemerkt für andere Zwecke genutzt werden.
Die Richtlinien sollen nun dafür sorgen, dass derartige Übergriffe nicht geschehen. Erarbeitet hat sie der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA). Das gemeinsame Gremium der nationalen Datenschutzbehörden wurde 2018 durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) etabliert und ist für deren Durchsetzung zuständig. Auch die Aufsichtsbehörden von Island, Liechtenstein und Norwegen, die Mitglieder des Europäischen Wirtschaftsraums sind, gehören dem Kreis an.
Bis zum 9. September nimmt der Datenschutzausschuss Kommentare zu den Richtlinien an, sie können an edpb@edpb.europa.eu geschickt werden.
Abwägung zwischen unterschiedlichen Interessen
Wie jede Verarbeitung personenbezogener Daten braucht auch jede Videoüberwachungsmaßnahme eine spezifische Rechtsgrundlage. Dem EDSA zufolge kommen hierfür drei Möglichkeiten in Frage: Zum ersten die informierte Einwilligung (Artikel 6 1 a DSGVO), welche im Bereich der Videoüberwachung aus Gründen der Praktikabilität allerdings kaum zum Einsatz kommt. Wenn auf die Einwilligung gesetzt wird, müsse diese „aus freien Stücken gegeben, spezifisch, informiert und eindeutig“ gegeben werden. Wird sie zurückgezogen, müssen die Aufnahmen gelöscht werden. Zum zweiten ist eine Verarbeitung im öffentlichen Interesse (Artikel 6 1 e DSGVO) denkbar.
Die bei weitem relevanteste Rechtsgrundlage ist jedoch die sogenannte Interessenabwägung (Artikel 6 1 f DSGVO). Hierbei muss das berechtigte Interesse des Überwachenden, zum Beispiel an der Sicherheit seines Geschäfts, mit den Risiken für die Betroffenen und deren Grundrechte abgewogen werden. Jeder Fall, in dem Videoüberwachung eingesetzt werden könnte, muss in seiner Gesamtheit genau abgewogen werden, schreibt der EDSA.
Eine eng konstruierte Ausnahme bildet die sogenannte „Haushaltsausnahme“. Sie gilt für die Videoüberwachung „durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten“. Soll heißen: Besitzer:innen dürfen ihre eigenen Privaträume überwachen. Öffentlich zugängliche Räume müssen dafür unkenntlich gemacht werden, und nur die überwachende Person und Familienmitglieder dürfen auf den Aufnahmen zu sehen sein. Auch Videoaufnahmen, die eine Mountainbikerin mit einer Helmkamera aufnimmt, während sie auf einer abgelegen Strecke unterwegs ist, würden unter diese Ausnahme fallen, erklärt der Datenschutzausschuss. Wichtig ist, dass die Aufnahmen keinen professionellen „Umfang oder Bandbreite“ haben sollten und die Auswirkungen auf die überwachten Personen genau eingeschätzt werden.
Streiks oder Demonstrationen sind besonders geschützt
Ein solches „berechtigtes Interesse“ könnte etwa sein, materiellen Schaden zu verhindern. So könne Videoüberwachung zum Schutz vor Raub oder Vandalismus legitim sein, allerdings müsse dafür eine „wirkliche und gefährliche Situation“ vorliegen, „und es muss sich um ein tatsächliches Problem handeln (also darf es nicht fiktional oder spekulativ sein).“ Eine Ladenbesitzerin könne zum Beispiel Statistiken vorlegen, die ein hohes Risiko von Vandalismus in ihrer Gegend belegen. Für besonders gefährdete Läden wie Juweliere oder Tankstellen dürfte es dabei einfacher sein, eine Gefährdung nachzuweisen.
Aktuell wird nun von Behörden und Gerichten ausgelotet, wann denn ein berechtigtes Interesse vorliegt und wie es abzuwägen ist. So durfte eine brandenburgische Zahnärztin den Eingangsbereich ihrer Praxis nicht überwachen, weil sie nicht nachweisen konnte, dass es ein tatsächliches Risiko von Verbrechen gab. In den Niederlanden entschied die dortige Datenschutzbehörde währenddessen, dass ein Anwohner nach einem Vorfall auf seinem Grundstück auch die anliegende Straße überwachen darf.
Besonders schützenswert sind dabei Aufnahmen, die beispielsweise Rückschlüsse auf die politischen Ansichten, die Religion, den Gesundheitszustand oder die sexuelle Orientierung der Überwachten zulassen. Das könnten Aufnahmen von Streiks, Demonstrationen oder Clubs sein. Diese Aufnahmen müssen besonders begründet sein, zum Beispiel mit dem Schutz von lebenswichtigen Interessen bei einem ohnmächtig ins Krankenhaus eingelieferten Patienten, so der Datenschutzausschuss.
Nur zulässig, wenn es keine Alternativen gibt
Die Richtlinien betonen, dass Betreiber von Videokameras die negativen Konsequenzen für Betroffene abmildern müssen. Mögliche Stellschrauben seien etwa die Art der gesammelten Informationen (einfaches Video, Wärmebild) oder ihr Umfang (Größe des überwachten Raums, Anzahl der überwachten Personen). Die Aufnahmen von Kameras müssen auch nicht vollständig gespeichert werden: Mit einer „Black-Box-Lösung“ werden Aufnahmen nach einer Weile automatisch gelöscht und nur dauerhaft gespeichert, wenn das veranlasst wird, etwa nach einem Vorfall. Oder die Aufnahmen können in Echtzeit nachverfolgt und überhaupt nicht aufgezeichnet werden.
Der EDSA empfiehlt außerdem, immer mögliche Alternativen zur Videoüberwachung zu prüfen, die das Recht auf Datenschutz weniger einschränken. Wenn andere Maßnahmen erfolgversprechend sind, sei eine Überwachung in Bild und Ton nicht notwendig. Im Fall der deutschen Zahnärztin waren das Schließfächer zum Schutz von Wertgegenständen. Ansonsten können Grundstücke umzäunt oder eine Leuchte installiert werden, Fenster und Türen können besser gesichert und mit Schlössern ausgestattet werden. Die Weitergabe von Videoaufnahmen – zum Beispiel durch die individuelle Weiterleitung oder das Veröffentlichen im Internet – stellt einen eigenen Verarbeitungsvorgang dar und muss separat begründet werden.
In vielen Fällen verlangt die DSGVO auch eine Datenschutzfolgenabschätzung. Die wird benötigt, wenn ein hohes Risiko für die Rechte von Personen vorliegt, ein öffentlicher Raum mit vielen Menschen überwacht wird oder spezielle Kategorien von Daten, zum Beispiel biometrische, in großem Umfang verarbeitet werden. Wenn dieses interne Gutachten zur Abschätzung der Datenschutzfolgen zu dem Schluss kommt, dass die Verarbeitung trotz Schutzvorkehrungen ein hohes Risiko für die Betroffenen bedeuten würde, muss vor dem Überwachen auch die Datenschutzbehörde kontaktiert werden.
So müssten Hinweisschilder auf Videoüberwachung aussehen
Ebenfalls wichtig sind die Erwartungen der Überwachten. „Das entscheidende Kriterium muss sein, ob ein objektiver Dritter vernünftigerweise erwarten und zu dem Schluss kommen könnte, dass er in dieser spezifischen Situation einer Überwachung unterworfen ist“, schreibt der EDSA. Das sei besonders bei öffentlichen Erholungsräumen wie Restaurants, Parks oder Kinos der Fall: „Hier werden die berechtigten Interessen oder Rechte und Freiheiten der Datensubjekte den berechtigten Interessen der Datenverantwortlichen oft übergeordnet sein.“
Essenziell für die Rechtmäßigkeit von Videoüberwachungsmaßnahmen sei deshalb die Aufklärung möglicher Betroffener. Der EDSA empfiehlt zwei Transparenzschichten. Zuerst muss eine gut sichtbare Warnung vor der Aufzeichnung außerhalb des überwachten Gebiets angebracht werden, zum Beispiel auf einem Schild. Die zweite Schicht sind ausführliche Informationen über die Überwachung, die bei Bedarf eingesehen werden können. Der EDSA empfiehlt, einen QR-Code oder einen Link zu einer Webseite auf dem Warnschild. Die Informationen sollten aber auch offline einfach zugänglich sein, zum Beispiel in einer Broschüre oder auf einem Plakat.
Schon allein den Anforderungen, die die Aufsichtsbehörden an das öffentliche Hinweisschild stellen, werden die meisten derzeit nicht gerecht. Die Schilder sollten Informationen wie den Zweck der Aufzeichnung, die Identität des Überwachenden und die Rechte der Überwachten enthalten. „Zusätzlich sollte das Schild auch alle Informationen enthalten, die das Datensubjekt überraschen könnten“, schreibt der EDSA. Dazu gehören zum Beispiel besondere Übertragungen an Dritte oder eine besondere Dauer der Lagerung.
Nichts passiert? Aufnahme löschen
Wer von einer Videokamera aufgezeichnet wird, hat für diese Aufnahmen die gleichen Rechte, wie sie auch für andere Daten gelten würden. Er darf etwa Auskunft verlangen, ob und wie die Aufzeichnungen gespeichert und weiterverarbeitet werden und Zugriff darauf verlangen. Befinden sich auf den Aufnahmen weitere Personen, müssen diese unkenntlich gemacht werden, um deren Rechte nicht einzuschränken. Anfragen sollten also spezifische Zeitfenster angeben.
Aufnahmen sollen gelöscht werden, wenn eine überwachte Person ihre Einwilligung zur Überwachung zurückzieht und keine anderen Gründe für die Speicherung vorliegen. Wenn zum Beispiel ein Laden seine Räume aufzeichnet, um Vandalismus zu verhindern, und eine überwachte Person nach einer Woche die Löschung der Aufnahmen beantragt, müssen diese gelöscht werden – denn es hat ja kein Vandalismus stattgefunden, der ursprüngliche Grund für die Aufnahme ist also nicht mehr gegeben.
Löschen muss dabei nicht unbedingt bedeuten, dass ganze Dateien gelöscht werden. Als Löschung gilt schon das Unkenntlichmachen der betroffenen Person, zum Beispiel durch einen Weichzeichner. Verantwortliche sollten ohne unnötige Verzögerung löschen, haben aber bis zu einen Monat Zeit.
Biometrische Aufzeichnungen sind besonders geschützt
Ein Sonderfall sind biometrische Daten. Die Identifizierung von Personen durch Abgleiche mit einer biometrischen Datenbank darf nur mit expliziter Einwilligung erfolgen und es müssen Alternativen angeboten werden. Das betrifft etwa Flughäfen: Sie dürfen also biometrische Kontrollen einrichten, es muss aber auch weiterhin eine manuelle Passkontrolle geben. Es dürfen keine Passanten erfasst werden, da diese nicht in die Identifizierung einwilligen können.
Um Lecks von biometrischen Daten zu verhindern, sollten diese individuell auf Ausweisen oder Smartphones gespeichert werden. Die Datenbank sollte so gut wie möglich verschlüsselt und der Zugang auf sie so stark wie möglich eingeschränkt sein. Wenn der Aufbau einer zentralen Datenbank, wie sie in der EU derzeit angestrebt wird, nötig ist, sollten Daten zumindest getrennt übertragen und auf unterschiedlichen Servern gespeichert werden.
Auf dem Flughafen…
„Es dürfen keine Passanten erfasst werden, da diese nicht in die Identifizierung einwilligen können.“
OK KESY!
Ach falsch. Ist ja Strasse.
https://netzpolitik.org/2019/ueberwachung-am-suedkreuz-soll-jetzt-situationen-und-verhalten-scannen/
Ach auch falsch.Ist ja Schiene.
Bevor diese DS-GVO in Kraft getreten ist, haben soviele Juristen ihre Finger darin gerührt, das schon heute jeder auch nur ansatzweise Versuch einer vollständigen Auskunft ins Leere läuft. Spätestens dann, wenn der Supermarkt aufgefordert wird die Aufnahmen zu löschen, wird es noch mehr Datenbanken mit personenbezogenen Daten geben, in denen jede Löschaufforderung mit den Daten zum Antragsteller gefüttert wird.
Es wäre ein Einfaches gewesen jeden Aufzeichner zu verpflichten seine Aufnahmen regelmäßig zu löschen. Drei Tage sind ja wohl ein vollständig ausreichendes Fenster. Alles was darüber hinaus ist, muss zur Judikative.
Viel interessanter finde ich aber, das ein Monutainbiker mit seiner Cam dauerhaft aufzeichnen dürfen soll, ein Autofahrer aber nicht. – Mir ist nicht klar, welchen Unterschied eine Helmkamera zu einer Frontscheibenkamera hat.
Die Fzg-Hersteller werden sich natürlich auch an die Vorgaben halten. – Aber da sind es ja dann keine personenbezogenen Daten.
https://lfd.niedersachsen.de/themen/datenschutz_im_kfz/kfz-und-datenschutz-148981.html
Das Dashcamthema ist doch ganz einfach: Die Helmkamera muss nach wie vor manuell montiert und bedient werden, die Scheibenkamera arbeitet einmal montiert voll automatisert. Automatisertes Filmen ist im öffentlichen Raum aber grundsätzlich erst einmal untersagt.
Dazu kommt der Zweck der Aufnahmen: Der Biker möchte seine Fahrt filmen um diesen Sport und das Erlebnis zu dokumentieren. Der Autofahrer möchte den öffentlichen Raum überwachen um eine möglicherweise einmal in seinem Leben eintretenden Lage unklarer Spurenlage einen Beweis führen zu können. Das ist kein schwerwiegendes Interesse, sondern es geht lediglich um ein paar wenige tausend Euro.
Danke fuer den tollen Artikel.
Ich lebe mitlerweile seit 5 Jahren in Schottland und hier ist eigentlich das ganze oeffentliche Leben mit Kameras festgehalten.
Wenn das eine europaeische Richtlinie ist, wie sind dann Dashcams, Kameras in jeder Ecke jedes Clubs und Pubs zu erklaeren? Werden hier europaeische Richtlinien gebrochen oder ist das dasnn wieder ein frage nationaler Entscheidungen?
Auch die Warnhinweise warum und in welchem Ausmass aufgenommen wird, gibt es hier nicht. Es reicht das beruehmte „Smile – you’re on CCTV“ und nicht mal das sieht man kaum noch.
Es wird hier froehlich alles gefilmt und die Richtlinien komplett ignoriert. Heisst das, das sind „Richtlinien“ im Sinne von „wir zwingen die Unternehmen freiwillig Massnahmen zu ergreifen, um…“ – heisst sind nicht verpflichtend?
Wuerde mich sehr ueber eine Antwort freuen.
Danke!