Die Diskussion um das seit wenigen Tagen in die Praxis umgesetzte Gesetz nimmt weiter Fahrt auf: Der Deutsche Journalisten-Verband nennt es ohne Blatt vor dem Mund eine „Gaga-Vorschrift“ und heizt die ohnehin schon breite Diskussion um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz weiter an. Auch die noch amtierende Regierung nimmt in der Bundespressekonferenz Stellung und lässt durchblicken, dass sie so bald keine Änderungen vorhat.
Bisher dreht sich der Streit vor allem um die Meinungsfreiheit und um das vorschnelle Löschen durch von den Konzernen bezahlte Kräfte, wie Robert Roßmann in einem Kommentar für die Süddeutsche Zeitung betont:
Es geht in dem Gesetzentwurf um die Meinungsfreiheit. Trotzdem wird leichtfertig mit unbestimmten Rechtsbegriffen operiert. So heißt es, die Unternehmen müssten „offensichtlich strafbare“ Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde löschen. Aber was ist ein „offensichtlich strafbarer“ Inhalt? Und warum sollen Mitarbeiter von Unternehmen darüber entscheiden, und nicht Gerichte?
Mit diesen und weiteren Fragen sah sich in der Bundespressekonferenz auch die Bundesregierung konfrontiert. Gefragt, ob das Gesetz so, wie es jetzt ausgeformt und umgesetzt ist, praktikabel und zielführend sei, erwiderte für das Bundesjustizministerium Maximilian Kall am Freitag noch:
Das beobachten wir genau, so wie wir alle Gesetzgebungsvorhaben, die aus unserem Hause kommen, genau beobachten. In der Gesetzesbegründung ist auch eine Evaluierung vorgesehen, die innerhalb der kommenden bzw. der jetzt laufenden Legislaturperiode innerhalb von drei Jahren stattfinden muss, und wie gesagt haben wir die halbjährlichen Berichte. Insofern gibt es da sozusagen eine genaue Beobachtung und auch Transparenz.
Das klingt, als wolle man die Evaluation auf die lange Bank schieben, obwohl schon nach wenigen Tagen klar ist, dass in der Praxis die Frage, was „offensichtlich strafbar“ ist und was nicht, von den Konzern-Klickern nicht adäquat angegangen wird. Das Beispiel der Satirezeitschrift Titanic war dafür exemplarisch.
Gestern fügte Regierungssprecher Steffen Seibert in der Bundespressekonferenz noch hinzu:
Es wird natürlich sehr genau evaluiert werden, wie sich dieses neue Gesetz auswirkt und welche Erfahrungen mit ihm gemacht werden. Das hat die Sprecherin des zuständigen Bundesjustizministeriums, glaube ich, am Freitag hier schon einmal gesagt. Also: Evaluierung und dann gegebenenfalls daraus die Schlüsse ziehen.
Nach einer schnellen Evaluierung und Nachjustierung klingt das nicht. Seibert äußerte sich aber auch generell zur Kritik am Gesetz:
Ich würde vielleicht nur ganz grundsätzlich sagen: Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland grundgesetzlich verankert. Sie ist grundgesetzlich geschützt, und sie ist für diese Bundesregierung von allerhöchstem Wert. Ich denke, wir sind uns einig, dass in den letzten Jahren zu beobachten war, wie hasserfüllte, verhetzende, Strafnormen verletzende Kommentare in den sozialen Netzwerken zugenommen haben. Wir sind uns, denke ich, auch darin einig, dass darin ein Problem für eine demokratische Gesellschaft und ihre Debattenkultur besteht. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz reagiert darauf. Es ist eine neue Herangehensweise an die Frage, wie man strafbare Inhalte im Netz wirksam bekämpft. Es ist ja so, dass schon die Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes von sehr intensiven Diskussionen begleitet war. Deswegen verwundert es nicht, dass es solche intensiven Diskussionen auch jetzt gibt.
Es ist natürlich eine etwas merkwürdige Interpretation der Diskussionen vor dem Inkrafttreten des Gesetzes, die in Wahrheit durch einen enormen zeitlichen Druck seitens der Regierung geprägt war und auch dadurch, dass die angehörten Sachverständigen und ihre fundierte rechtliche Kritik auf taube Ohren stießen. Nun im Nachhinein zu betonen, man würde der Meinungsfreiheit allerhöchsten Respekt zollen, hört sich wie ein makabrer Witz an.
Neue juristische Analysen unterstreichen die schon vor Monaten von den Sachverständigen vorgebrachte Kritik, so etwa heute im Verfassungsblog. Mathias Hong analysiert das Gesetz und erachtet Nachbesserungen schlicht für notwendig:
Das NetzDG bedarf […] ergänzender Sicherungsmechanismen, die gewährleisten, dass die Freiheit der Rede in politischen Fragen nicht unter die Räder gerät.
Ist das NetzDG im Bereich Jugendschutz hilfreich?
Aber es gibt nicht nur Kritiker, Rechtsexperten und die betroffenen Konzerne wie Facebook, die sich gegen das Gesetz stellen, sondern auch Unterstützer für das Gesetz, vor allem, wenn es um den Jugendschutz geht. Wir haben uns bei jugendschutz.net, einem Bund-Länder-Kompetenzzentrum, erkundigt, wie es für Inhalte aussieht, die Kinder und Jugendliche betreffen. Ist das NetzDG denn im Bereich Jugendschutz hilfreich?
Das Kompetenzzentrum war im Sommer in den politischen Streit um das NetzDG geraten, da ein Monitoring-Bericht von jugendschutz.net als empirische Grundlage von der Bundesregierung herangezogen worden war. Über die Aussagekraft des Monitorings (pdf) war ein Streit entbrannt. Im Ergebnis waren von den strafbaren Inhalten, die jugendschutz.net gemeldet hatte, bei Facebook 39 Prozent (minus sieben Prozent im Vergleich zum letzten Test), bei YouTube 90 Prozent (plus 80 Prozent) und bei Twitter ein Prozent gelöscht oder gesperrt worden.
Wegen der Schnelligkeit, mit der Inhalte auf den großen kommerziellen Plattformen verbreitet werden, spricht sich jugendschutz.net klar für schnelle Löschungen durch die Anbieter aus, wenn es um Strafbares geht. Einfach zu bedienende Beschwerdeportale seien dafür ein wichtiges Instrument, um Kinder und Jugendliche zu schützen: „Das Ziel des Gesetzentwurfs, große Plattformen zur Bereitstellung gut funktionierender Beschwerdesysteme anzuhalten, ist deshalb zu begrüßen.“ Ob das Ziel allerdings mit den gewählten Mitteln auch erreicht werden kann und nicht überproportional negative Auswirkungen haben wird, steht auf einem anderen Blatt. jugendschutz.net könne die Wirksamkeit derzeit noch nicht bewerten: „Inwieweit das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu einer schnelleren Beseitigung jugendschutzrelevanter Inhalte führt, bleibt abzuwarten.“
Eine Befürchtung von Kritikern ist die weitere Automatisierung der Beschwerdehandhabung. Genährt wird sie beispielsweise durch die Ankündigung von Youtube, neben zehntausend Mitarbeitern auch mehr Methoden der künstlichen Intelligenz bei der Inhaltsmoderation einsetzen zu wollen.
Bewerten im Schweinsgalopp
Wir haben jugendschutz.net auf einige Kritikpunkte am Gesetz angesprochen, vor allem auf die privatwirtschaftliche Parallelrechtsprechung, bei der angelernte Laien im Schnellverfahren entscheiden, was als „offensichtlich rechtswidrig“ klassifiziert wird oder nicht. Beispielsweise wären das grenzwertige Inhalte bei Beleidigungen. Auch bei Fragen des Jugendschutzes kann ein Inhalt manchmal rechtlich schwer zu bewerten sein. Hinsichtlich der Entscheidungen, die Mitarbeiter der kommerziellen Plattformen nun treffen müssen, bewertet jugenschutz.net die neuen Regelungen so:
Anbieter Sozialer Netzwerke sind seit Jahren durch § 10 TMG und Artikel 14 der europäischen eCommerce-Richtlinie verpflichtet, rechtswidrige Inhalte zu entfernen, sobald sie Kenntnis davon haben. Nur die schnelle Entfernung unzulässiger Beiträge kann deren rasende Verbreitung in sozialen Netzwerken unterbinden. jugendschutz.net nutzt Notice-and-Takedown seit 20 Jahren als Instrument, um Gefährdungen von Jugendlichen beseitigen zu lassen. Es liegt in der Verantwortung der Anbieter, Personal zu beschäftigen und fortzubilden, das auch rechtlich schwere Bewertungen vornehmen kann.
Dass sich die Menge der gemeldeten Postings in den letzten Tagen vervielfacht hat, ändert also die Bewertung bei jugendschutz.net nicht. Plattformbetreiber müssen nach dem Gesetz innerhalb von 24 Stunden „offensichtlich strafbare“ Inhalte löschen. Andernfalls drohen Bußgelder. Schwierige Fragen zur Meinungs-, Informations-, Kunst- und Pressefreiheit, aber auch zum Jugendschutz sind im Schweinsgalopp abzuwägen.
Jugendschutz: Welche Plattformen sind vom NetzDG wie stark betroffen?
Wie groß die Welle an Meldungen nach dem NetzDG auch zu Fragen des Jugendschutzes ist, kann das Kompetenzzentrum nicht beantworten. Ausmaß und Inhalte seien jugendschutz.net „nicht bekannt“.
In der Frankfurter Allgemeinen wird gestern nochmal auf einen Umstand hingewiesen, der während der Expertenanhörungen im parlamentarischen Prozess bereits mehrfach betont wurde:
Einer der entscheidenden Einwände der Kritiker war auch, dass die sozialen Netzwerke ja selbst Regeln aufstellen, was bei ihnen erlaubt ist und was nicht. Hassreden etwa sind nicht erlaubt.
Jenseits von deutschen Gesetzen haben die Plattformen nämlich längst Kriterien für eine Art Hausordnung entwickelt. Dem Gesetzgeber gefiel allerdings die Durchsetzung der Regeln offenbar nicht.
Aber welche Plattformen sind denn nun konkret bei Jugendlichen beliebt und vom NetzDG betroffen? Das haben wir jugendschutz.net gefragt. Genannt werden „beispielsweise Instagram, YouTube, Facebook, Snapchat, Twitter und Tumblr“. Auf unsere Nachfrage, ob die genannten Anbieter denn auch unter das Gesetz fielen, konnte das Kompetenzzentrum nichts sagen: „Wenden Sie sich hierzu bitte an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.“
so lange es dieses Gesetz gibt, weiß ich das ich in einem totalitären Staat lebe. So lange bekommen diese Parteien, die dafür verantwortlich sind, kein Kreuzchen von mir.
Magste mit solchen Äußerungen nicht warten, bis die z.T. rechtsextreme Partei, die dafür tatsächlich nicht direkt verantwortlich war, in einer Regierungskoalition ist?